BGH zur objektiven Zurechnung in einem sog. Retterfall

BGH zur objektiven Zurechnung in einem sog. Retterfall

Der Fall hat Potenzial, ein Klassiker im Strafrecht AT zu werden

Die Entscheidung lenkt den Blick im Rahmen der Fahrlässigkeitsdelikte auf die Frage der objektiven Zurechenbarkeit bei sog. Retterfällen, in denen der Täter also die nahe Möglichkeit einer Selbstgefährdung von Dritten schafft, indem er pflichtwidrig Gefahren erzeugt, die für Dritte ein zugkräftiges Motiv für gefährliche Rettungsmaßnahmen setzen. Der Fall könnte zu einem weiteren Klassiker im Strafrecht AT werden und sollte deshalb – auch wegen des Aufbaus – bei der Examensvorbereitung im Strafrecht nicht fehlen.

A. Sachverhalt

Der F hat als Arbeiter eines Subunternehmens auf dem Werksgelände einer Chemiefabrik Dehnungsbögen einer zu erneuernden Rohrleitung abzubauen, die neben zahlreichen anderen Leitungen in einem Rohrgraben am Betriebshafen der Fabrik verläuft. Dazu muss er das Metallrohr der für die Dauer der Arbeiten stillgelegten Leitung mit einem Trennschleifer zerlegen. Zu Arbeitsbeginn am Morgen geben zwei Mitarbeiter der Chemiefabrik und des Subunternehmens wie gewöhnlich die Arbeiten frei und kennzeichnen dabei die Rohrleitung mit Markierungen. Im weiteren Verlauf des Arbeitstages ist F selbst dafür verantwortlich, die zu bearbeitende Leitung als solche zu identifizieren, was ihm u.a. anhand der Markierungen möglich ist. Gleichwohl verwechselt der F bei einem seiner Arbeitsschritte die betreffende Leitung versehentlich mit einer benachbarten gasführenden Rohrleitung und setzt dort den Trennschleifer an. Das durch den Schnitt austretende Gas entzündet sich an den Funken des Trennschleifers. Die entstehende Stichflamme erhitzt die Umgebung, insbesondere eine unter einem Druck von 88 bar stehende Fernleitung, die brennbares Ethylen führt. Wenige Minuten später reißt die Fernleitung aufgrund der großen Hitze ab und löst sich aus ihrer Verankerung. Dies verursacht zwei heftige Explosionen, deren zweite eine Feuerwalze auslöst. Durch Hitze und Druckwellen kommen vier Feuerwehrleute der Werksfeuerwehr ums Leben, die sich inzwischen der Brandstelle genähert hatten. Vier weitere Feuerwehrleute und zwei Werksmitarbeiter, die sich zum Einweisen der Feuerwehr pflichtgemäß zur Brandstelle begeben hatten, werden schwer verletzt. Das fünfte Todesopfer ist ein Matrose eines in unmittelbarer Nähe im Betriebshafen liegenden Tankschiffs, der durch die Druckwelle ins Hafenbecken geschleudert wird, das Bewusstsein verliert und ertrinkt. Die Feuerwehrleute und die beiden Werksmitarbeiter haben den für Gefahrstoffeinsätze vorgeschriebenen Sicherheitsabstand von mindestens 50 m zur Brandstelle eingehalten. Jedoch ist ihnen zum Zeitpunkt des Annäherns die äußere Erhitzung der Fernleitung und die daraus resultierende hohe Explosionsgefahr nicht bekannt.

Wie hat sich F strafbar gemacht?

In dieser Entscheidung geht es insbesondere um die folgenden (prüfungsrelevanten) Lerninhalte:

B. Entscheidung

I. Totschlag, § 212 Abs. 1 StGB

F hat sich nicht wegen Totschlags gemäß § 212 Abs. 1 StGB strafbar gemacht. Er hatte keinen Vorsatz im Hinblick auf die Tötung eines Menschen, er hat diese auch nicht nur billigend in Kauf genommen.

II. Fahrlässige Tötung, § 222 StGB

F könnte sich aber wegen fahrlässiger Tötung nach § 222 StGB strafbar gemacht haben, indem infolge der Verwechselung der Rohrleitung sowie der Explosionen fünf Menschen zu Tode gekommen sind.

F müsste dazu „durch Fahrlässigkeit“ den Tod eines bzw. mehrerer (fünf) Menschen verursacht haben.

1.) Pflichtwidriges Verhalten

F müsste sich pflichtwidrig verhalten haben (objektiver Sorgfaltspflichtverstoß). Dazu der BGH:

„III.1.b)aa) Pflichtwidrig handelt, wer objektiv gegen eine Sorgfaltspflicht verstößt, die dem Schutz des beeinträchtigten Rechtsguts dient. Dabei bestimmen sich Art und Maß der anzuwendenden Sorgfalt nach den Anforderungen, die bei objektiver Betrachtung der Gefahrenlage ex ante an einen besonnenen und gewissenhaften Menschen in der konkreten Lage und sozialen Rolle des Handelnden zu stellen sind (…). Nicht entscheidend ist dagegen, ob die Pflichtwidrigkeit durch ein aktives Tun begangen wurde oder in einem Unterlassen begründet ist (…).
Daran gemessen hat das Landgericht mit Recht als objektive Sorgfaltspflichtverletzung bewertet, dass der [F] versehentlich den Trennschleifer an der gasführenden Leitung ansetzte, obwohl er die Möglichkeit und die Pflicht hatte, sich zu orientieren und das zu bearbeitende Rohr unter anderem anhand der Markierungen zutreffend festzustellen.“

F hat damit – durch aktives Tun – objektiv gegen seine Sorgfaltspflicht verstoßen.

Hinweis: Im Rahmen der Vorwerfbarkeit ist bei einer Erfolgsabwendungspflicht nicht entscheidend, ob die Pflichtwidrigkeit in einem aktiven Tun liegt oder in einem Unterlassen begründet ist, weswegen der Erfolg einer fahrlässigen Tötung auch durch ein pflichtwidriges Unterlassen herbeigeführt werden kann; dafür, ob ein Tun oder ein Unterlassen vorliegt, kommt es auf den Schwerpunkt des Täterverhaltens an, worüber in wertender Würdigung zu entscheiden ist (s. etwa BGH, NStZ 2005, 446, Rn. 7).

2.) Kausalität

Hinzukommen muss ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Todesfolge und Sorgfaltswidrigkeit:

„bb) Auch die Kausalität des Handelns des [F] für den Eintritt des Erfolges hat das Landgericht rechtsfehlerfrei bejaht. Die Pflichtverletzung des [F] verursachte den Tod und die Verletzungen der Opfer, indem der Schnitt in die Gasleitung die maßgebliche Kausalkette, die zur Explosion der Fernleitung führte, in Gang setzte.“

Das pflichtwidrige Verhalten des F ist also kausal für den Tod der Menschen geworden.

Hinweis: Im Sinne der von der ständigen Rechtsprechung (s. nur BGHSt 1, 332) vertretenen sog. Bedingungstheorie ist haftungsbegründende Ursache eines strafrechtlich bedeutsamen Erfolges jede Bedingung, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele („conditio sine qua non“).

3.) Vorhersehbarkeit des Erfolges

Fraglich ist, ob die Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolges vorliegend auch objektiv und subjektiv vorhersehbar war. In diesem Sinne „vorhersehbar“ ist, was der Täter nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten in der konkreten Tatsituation als möglich hätte vorhersehen können; nicht nur der Erfolg, sondern auch die Art und Weise, wie der Erfolg zustande gekommen ist, muss auf der Linie der Befürchtungen liegen, welche die Verletzung einer Sorgfaltspflicht begründen. Dazu der BGH:

„cc) (…) Für die Vorhersehbarkeit genügt, dass die Folgen des Handelns des [F] in ihrem Gewicht im Wesentlichen voraussehbar sind; nicht erforderlich ist, dass der Angeklagte sie in allen Einzelheiten voraussehen konnte (…).
Vorliegend konnte der langjährig auf dem Werksgelände tätige und mit dem Gefahrenpotential der Anlagen vertraute [F] vorhersehen, dass seine Sorgfaltspflichtverletzung zu einer Explosion führen würde und dadurch Menschen im Gefahrenbereich getötet und verletzt würden.“

Die Herbeiführung des Todes von Menschen durch die Sorgfaltspflichtverletzung war vorhersehbar.

4.) Zurechenbarkeit

F müsste den Tod der Menschen infolge der Explosionen zurechenbar verursacht haben. Dazu der BGH:

„III.1.b)dd)(1) Maßgebliches Kriterium dieser Voraussetzung ist neben der objektiven Vorhersehbarkeit des Erfolges das Vorliegen des Schutzzweck- und des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs. Eine Zurechnung des Erfolgs ist nur möglich, wenn sich gerade die durch die mangelnde Sorgfalt des Täters gesetzte Gefahr im eingetretenen Erfolg realisiert hat und der Erfolg in den Schutzbereich der Norm fällt. Ferner werden Erfolge nur dann zugerechnet, wenn sie im Falle eines pflichtgemäßen Verhaltens des Täters nicht eingetreten wären (…).
Beides ist hier erfüllt. Der Schutzzweck der den [F] treffenden Pflichten umfasste den Erfolg, denn die bei den Arbeiten an Rohrleitungen zu beachtende Aufmerksamkeit diente gerade dazu, Leib und Leben von Personen auf dem Werksgelände zu schützen. Bei pflichtgemäßem Handeln wären der Unfall und damit die Folgen mit Sicherheit verhindert worden.“

Fraglich ist weiterhin, ob die Zurechnung der Tötungs- und Verletzungserfolge nach den Grundsätzen der sog. bewussten Selbstgefährdung entfallen ist. Dazu der BGH:

(2)(a) Nach den Grundsätzen der bewussten Selbstgefährdung ist im Bereich der Körperverletzungs- und Tötungsdelikte ein Verletzungserfolg, insbesondere auch der Tod eines Menschen, einem Dritten, der dafür eine Ursache gesetzt hat, möglicherweise dann nicht zuzurechnen, wenn der Erfolg die Folge einer bewussten, eigenverantwortlich gewollten und verwirklichten Selbstgefährdung ist und sich die Mitwirkung des Dritten in einer bloßen Veranlassung oder Förderung des Selbstgefährdungsaktes erschöpft hat (…).
(b) Jedoch ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Grundsatz der Straffreiheit wegen bewusster Selbstgefährdung nicht schematisch anzuwenden, sondern unter anderem in solchen Fällen einzuschränken, in denen sich das Opfer durch eine vom Täter geschaffene Gefahrenlage veranlasst sieht, in das Geschehen rettend einzugreifen und dadurch selbst geschädigt wird. Dies gilt, wenn der Täter durch seine deliktische Handlung die naheliegende Möglichkeit einer bewussten Selbstgefährdung dadurch schafft, dass er ohne Mitwirkung und ohne Einverständnis des Opfers eine erhebliche Gefahr für ein Rechtsgut des Opfers oder ihm nahestehender Personen begründet und damit für dieses ein einsichtiges Motiv für gefährliche Rettungsmaßnahmen schafft (…).
(c) Dieser für die Konstellation eines freiwillig eingreifenden Dritten entwickelte Rechtsgrundsatz ist auf die Zurechnung der Schäden solcher Personen übertragbar, die rechtlich aufgrund von Berufspflichten zum Eingreifen in Gefahrenlagen verpflichtet sind und sich in Erfüllung dieser Rechtspflicht selbst gefährden. Deren Tod oder Verletzung ist grundsätzlich demjenigen zuzurechnen, der die Gefahrenlage geschaffen hat (…).
Die maßgeblichen Erwägungen, die die Zurechnung bei Rettungsmaßnahmen durch nahestehende Personen begründen (…), treffen auf den pflichtigen Retter erst recht zu. Denn an die Stelle eines einsichtigen Motivs des freiwilligen Retters tritt hier seine Rechtspflicht zum Eingreifen, die den psychischen Druck zu handeln erhöht und damit die Eigenverantwortlichkeit der Entscheidung des Retters durch die normative Vorgabe einschränkt. Bei berufsmäßigen Rettern kommt noch hinzu, dass sie aufgrund ihrer höheren Fachkompetenz und des damit einhergehenden geringeren Verletzungsrisikos verpflichtet sind, höhere Risiken einzugehen, so dass der Täter auch mit gefährlichen Rettungsmaßnahmen rechnen muss. Ebenso wie dem Täter beim Gelingen der Rettungshandlung des pflichtigen Retters die Erfolgsabwendung zugutekommt, hat er im Fall des Misserfolgs dafür einzustehen. Es ist daher sachgerecht, den pflichtigen Retter in den Schutzbereich der strafrechtlichen Vorschriften einzubeziehen.
Nach diesen Maßstäben sind als pflichtige Retter die betroffenen Feuerwehrleute und die mit deren Einweisen betrauten Werksmitarbeiter, die sich jeweils aufgrund ihrer beruflichen Pflichtenstellung in den Gefahrenbereich des [von F] ausgelösten Brand- und Explosionsgeschehens begeben hatten, vom Schutzbereich [des § 222 StGB] erfasst.
(d) Ob abweichend davon eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs dann anzunehmen ist, wenn eine rechtliche Verpflichtung zur konkret vorgenommenen Rettungshandlung aufgrund ihrer Gefährlichkeit nicht bestand oder die Rettungshandlung außerdem von vornherein sinnlos oder mit offensichtlich unverhältnismäßigen Wagnissen verbunden war (…), kann der Senat auch für den Fall des Berufsretters offen lassen (…).
Denn ein derartiger Ausnahmefall liegt nach den landgerichtlichen Feststellungen nicht vor. Maßgeblich ist die ex-ante-Sicht der betroffenen Rettungskräfte, die hier den vorgeschriebenen Sicherheitsabstand zur Brandstelle einhielten und die hohe Explosionsgefahr nicht kannten. Dabei müssen sich die einzelnen Rettungskräfte weder das Wissen noch die Sorgfaltspflichtverletzungen anderer am konkreten Einsatz oder an dessen allgemeiner organisatorischer Vorbereitung beteiligter Personen zurechnen lassen (…). Denn soweit den betroffenen Rettungskräften die volle Kenntnis des Risikos fehlt, kann eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung gerade nicht angenommen werden.“

Fraglich ist zuletzt, wie sich etwaige Organisationsmängel in der Fabrik ausgewirkt haben könnten:

„(3) Ob, wie das Landgericht angenommen hat, [der Fabrik] eine „Mitverantwortung“ durch Organisationsmängel anzulasten ist, braucht der Senat ebenfalls nicht zu entscheiden.
(a) Etwaige Organisationsmängel im Rahmen der Gefahrverhütung ließen den späteren Zusammenhang zwischen der Sorgfaltspflichtverletzung des [F] und dem tatbestandlichen Erfolg unberührt, denn dadurch entfielen weder die Vorhersehbarkeit des Erfolges noch der Pflichtwidrigkeits- und der Schutzzweckzusammenhang.
(b) Das gleiche würde gelten, soweit das Landgericht von einer unzureichenden Organisation bei der Brandbekämpfung ausgegangen ist.
Selbst wenn hierin ein Organisationsmangel zu sehen wäre, was der Senat offen lassen kann, würde dies keinen Geschehensablauf begründen, der so außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit liegt, dass die objektive Vorhersehbarkeit des hier eingetretenen Erfolges in Frage gestellt würde.
Auch der Pflichtwidrigkeits- und der Schutzzweckzusammenhang blieben durch solche Organisationsmängel unberührt. Soweit zur Reichweite des Schutzzwecks der Tatbestände der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung bei Berufsrettern vertreten wird, Rettungsinstitutionen hätten die eigene Organisation selbst zu verantworten, so dass Außenstehende für Schäden, die auf Organisationsmängeln beruhten, nicht verantwortlich seien (…), vermag der Senat dem nicht zu folgen. Diese Auffassung widerspricht dem anerkannten Grundsatz, dass sich keiner von mehreren sorgfaltswidrig handelnden Verursachern zu seiner Entlastung auf die Sorgfaltspflichtverletzung des anderen berufen kann. Wenn mehrere Personen, die zur Erfolgsabwendung verpflichtet sind, die ihnen jeweils obliegenden Sorgfaltspflichten verletzen, ist vielmehr regelmäßig von einer fahrlässigen Mitverursachung auszugehen (…). Ein Mitverschulden kann prozessual (§153f. StPO) oder bei der Strafzumessung berücksichtigt werden.“

Die Zurechenbarkeit ist hier auch betreffend den ertrunkenen Matrosen gegeben. Dazu der BGH:

„III.2. Der Tod des Matrosen ist dem [F] objektiv zuzurechnen. Zwar kann der Matrose entsprechend der Auffassung der Revision mit Blick auf den Zweifelssatz nicht als (freiwilliger) Retter eingestuft werden. Der Senat entnimmt dem Zusammenhang der Urteilsgründe jedoch, dass sich der Matrose für den [F] vorhersehbar im Wirkungsbereich der Explosion aufhielt und damit ein Zufallsopfer war, für dessen Tod der [F] strafrechtlich einzustehen hat.“

Dem F ist der Tod der fünf Menschen damit auch zurechenbar.

5.) Ergebnis

Rechtfertigungs- und/oder Schuldausschließungsgründe sind nicht ersichtlich.

F hat sich wegen fahrlässiger Tötung gemäß § 222 StGB in fünf Fällen strafbar gemacht; diese Taten stehen zueinander im Verhältnis der Tateinheit im Sinne von § 52 StGB („fünf tateinheitliche Fälle“).

III. Fahrlässige Körperverletzung, § 229 StGB

Ferner hat sich F in sechs tateinheitlichen Fällen wegen fahrlässiger Körperverletzung nach § 229 StGB zum Nachteil von vier weiteren Feuerwehrleuten sowie von zwei Werksmitarbeitern strafbar gemacht. Insoweit ergeben sich betreffend den Fahrlässigkeitsvorwurf keine Änderungen gegenüber § 222 StGB.

IV. Fahrlässiges Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion, § 308 Abs. 1 und 6 StGB

Schließlich hat sich F auch noch wegen fahrlässigen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion gemäß § 308 Abs. 1 und Abs. 6 StGB strafbar gemacht. F hat – durch Fahrlässigkeit – eine Explosion herbeiführt und dadurch – fahrlässig – Leib oder Leben eines anderen Menschen gefährdet. Dazu der BGH:

„3. Eine Explosion ist dann gegeben, wenn es zu einer plötzlichen Volumenvergrößerung und dadurch zu Druckwellen mit außergewöhnlicher Beschleunigung kommt (…). Das Entstehen von Druckwellen mit entsprechenden Auswirkungen hat das Landgericht festgestellt und belegt.“

V. Gesamtergebnis

F hat sich wegen fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) in fünf tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung (§ 229 StGB) in sechs tateinheitlichen Fällen und – dazu auch in Tateinheit stehend – mit fahrlässigem Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion (§ 308 StGB) strafbar gemacht.

Hinweis: Das Landgericht hat den F insoweit auch schuldig gesprochen und ihn zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Die hiergegen gerichtete Revision des F – gestützt auf die Rüge formellen und materiellen Rechts – hat der BGH mit Beschluss nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen („einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet“).

C. Prüfungsrelevanz

Die besprochene Entscheidung lenkt den Blick im Rahmen der Fahrlässigkeitsdelikte auf die Frage der objektiven Zurechenbarkeit im Rahmen von sog. Retterfällen, in denen der Täter also die nahe Möglichkeit einer Selbstgefährdung von Dritten schafft, indem er pflichtwidrig Gefahren erzeugt, die für Dritte ein zugkräftiges Motiv für gefährliche Rettungsmaßnahmen setzen.

Diese – auch im Allgemeinen Teil des StGB zu verortende – Rechtsfrage ist nicht neu und beschäftigt Rechtsprechung und Literatur schon länger (vgl. etwa BGH, NJW 1994, 205 zur fahrlässigen Tötung durch Brandstifter bei Tod eines Retters; Der 4. Strafsenat bekräftigt hier, dass die objektive Zurechnung jedenfalls dann nicht ausgeschlossen wird, wenn die Handlung des Retters einer entsprechenden (Berufs-)Pflicht entspricht bzw. rechtlich geboten ist (weil sich der Retter also anderenfalls wegen eines unechten Unterlassungsdelikts im Sinne von § 13 StGB oder wegen unterlassener Hilfeleistung gemäß § 323c StGB strafbar machen würde). Das ist insbesondere bei Feuerwehrleuten anzunehmen, weil diese sich nicht freiwillig dem Risiko für Leib und Leben aussetzen, sondern von Berufs wegen. Anders zu beurteilen wäre unter Umständen die Anwesenheit eines Einbrechers auf dem Gelände, der sich im Zuge seiner Tatbegehung dazu entscheidet, den in Gefahr geratenden Personen zu helfen oder – was deutlicher gegen eine Zurechnung spräche – die Gefahrensituation nur für sich ausnutzen will.

Interessant sind auch die Ausführungen des Senats zu den Auswirkungen von Organisationsmängeln, also etwaigen Pflichtwidrigkeiten auf Seiten Dritter. Diese sollen den Täter nicht entlasten können, auch wenn dadurch eine Mehrheit von Pflichtverletzungen im Raum steht und ein möglicher Lösungsweg die Entlastung aller pflichtwidrig Handelnden – einschließlich des Täters – sein könnte. Diesen Weg beschreitet der BGH indes nicht, sondern lässt dadurch die Zurechenbarkeit (vergleichbar mit der gesamtschuldnerischen Haftung von mehreren deliktisch Handelnden im Zivilrecht) nicht entfallen. Insoweit besteht zur „Abmilderung“ des Strafvorwurfs nach Lesart des 4. Strafsenats u.a. die Möglichkeit, diesen Umstand bei der Strafzumessung im Rahmen von § 46 StGB (strafmildernd) zu würdigen.

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