AfD-Fraktion erhebt Organklage vor dem BVerfG

AfD-Fraktion erhebt Organklage vor dem BVerfG

Streit im Bundestag um den Vorsitz in Bundestagsausschüssen

Erneut erhebt die AfD-Bundestagsfraktion Organklage vor dem BVerfG. Die Fraktion steckt anscheinend in einer „Pattsituation“.

Worum geht es?

Seit dem 31.12.2021 liegt erneut eine Organklage und ein entsprechender Antrag auf einstweilige Anordnung der AfD-Bundestagsfraktion beim BVerfG vor. Es geht um die Nichtwahl ihrer Kandidaten für die Vorsitze des Innen-, Gesundheits- und Entwicklungsausschusses. Früher sei es normal gewesen, dass die Fraktion, die sich den Ausschuss aufgrund ihres Proporzes aussuchte, auch automatisch den Vorsitz kleiden durfte. Doch bei den Ausschüssen, die sich die AfD-Fraktion in dieser Legislaturperiode ausgesucht hat, forderten die Abgeordneten der anderen Fraktionen in den konstituierten Sitzungen Abstimmungen über den Vorsitz – in denen die AfD-Kandidaten unterlagen.

AfD-Fraktion moniert Missachtung des Demokratieprinzips

Federführend ist der Fraktionsgeschäftsführer Stephan Brandner bei der Organklage, dessen Vorsitz des Rechtsausschusses in der vergangenen Legislaturperiode bereits Thema in Karlsruhe war – genauer gesagt seine Abwahl. Im Juni 2020 scheiterte die AfD-Fraktion mit einem Eilantrag vor dem BVerfG und Brandner blieb abgesetzt. Die Hauptsache ist aber noch anhängig.

Der Jurist wurde aufgrund umstrittener Äußerungen vom Ausschuss abgewählt, obwohl es keine eindeutige Rechtsgrundlage für eine solche Abwahl gegeben habe. In § 58 der Geschäftsordnung des Bundestages (GO BT) sei nur die Wahl des Vorsitzenden geregelt (um die es gleich nochmal genauer bezüglich des aktuellen Verfahrens geht), eine Abwahl wurde nur durch die Annahme eines actus contrarius der Norm vorgenommen. Ganz nach dem Motto: Wenn wir einen Vorsitzenden wählen dürfen, dann dürfen wir ihn auch abwählen. Das BVerfG lehnte die Eilentscheidung nach einer Folgenabwägung ab, ließ aber bislang die Rechtsfrage offen, ob die GO BT nicht etwa doch verletzt sein könnte, wenn Posten durch die anderen Fraktionen verweigert würden. Dies könnte nun nachgeholt werden.

Denn die AfD-Fraktion moniert, dass bei der Vergabe der Ausschussvorsitze das Recht auf gleichberechtigte und faire Mitwirkung im Parlament missachtet worden sei. Die durch die Abstimmungen herbeigeführten Blockaden seien ein Verstoß gegen das Demokratieprinzip, Brandner spricht von einem „Bruch jahrzehntelanger Gepflogenheiten“.

Spannungsverhältnis in der GO-BT?

Die Karlsruher Richter werden nun nochmal mit Rechtsfragen zur GO BT konfrontiert und werden diese wohl auch entscheiden müssen. Einfach dürfte die Entscheidung aber nicht fallen, denn es geht um ein Spannungsverhältnis innerhalb der GO BT und das Recht auf gleiche parlamentarische Teilhabe und die Freiheit des Mandats aus Art. 38 I GG. Früher zeigte sich ein solch potentielles Spannungsverhältnis nicht, da auf Abstimmungen über den Ausschussvorsitz grundsätzlich verzichtet wurde – mit der AfD-Fraktion verhält es sich nun anders.

Zum einen gibt es § 12 GO BT über die Stellenanteile der Fraktionen im Bundestag. § 12 GO BT besagt, dass die Zusammensetzung des Ältestenrats und der Ausschüsse sowie die Regelung des Vorsitzes in den Ausschüssen im Verhältnis der Stärke der einzelnen Fraktionen vorzunehmen ist. Bezüglich der Ausschüsse bedeutet dies in der Praxis, dass sich die größte Fraktion zuerst einen Ausschuss suchen darf, dann die zweitgrößte und so weiter. Die AfD kam damit ursprünglich zum Innen-, Gesundheits- und Entwicklungsausschuss. Doch die Bundestagsfraktionen wichen von der Tradition ab, dass mit dem Aussuchen des Ausschusses automatisch der Vorsitz mit einhergeht.

Zum anderen gibt es aber auch das Recht der Gleichheit der Abgeordneten nach Art. 38 I GG, das in dem vorliegenden Fall für und wider die AfD-Fraktion zu sprechen scheint. Allen Abgeordneten – sowie Fraktionen – kommt danach das Recht zu, gleichermaßen am Prozess der parlamentarischen Willensbildung teilzuhaben. Dadurch könnte auch das Recht der gleichen parlamentarischen Teilhabe bezüglich Gremien-Posten umfasst sein, also organisatorische Aufgaben – wie es die Ausschussvorsitze sind.

Spannungsverhältnis führt zu einer „Pattsituation“

Bislang wurde dies überwiegend verneint, auch das BVerfG zeigte in früheren Entscheidungen, dass ein solch organisatorischer Aspekt vom Recht auf gleiche parlamentarische Teilhabe nicht umfasst zu sein scheint. Doch würde man nun ein solches Recht aus Art. 38 I GG und dem Demokratieprinzip annehmen, könnte Art. 38 I GG der AfD-Fraktion gleichzeitig einen „Strich durch die Rechnung machen“. Denn die Stellen im Ausschuss werden schließlich durch eine Wahl vergeben.

§ 58 GO BT:

Die Ausschüsse bestimmen ihre Vorsitzenden und deren Stellvertreter nach den Vereinbarungen im Ältestenrat.

Bei einer solchen Wahl können die Abgeordneten der anderen Fraktionen von ihrer Freiheit des Mandats gemäß Art. 38 I GG Gebrauch machen und somit gegen die entsprechenden AfD-Kandidaten stimmen. So ist es im Dezember 2021 auch geschehen. Dadurch entsteht eine „Pattsituation“: Die AfD-Fraktion könnte durch das Recht auf gleiche Teilhabe ihre Kandidaten durchbringen, doch die anderen Fraktionen könnten sich durch eine geforderte Wahl dagegenstellen. Personalvorschläge können somit immer wieder an der fehlenden Mehrheit scheitern.

Ähnlich bei gescheiterter Vizepräsidentenstelle

Abgesehen von den Ausschussvorsitzen geht die AfD-Fraktion auch diesmal leer aus bezüglich einer Vizepräsidentenstelle. Bereits in der letzten Legislaturperiode wurde keiner der vorgeschlagenen AfD-Kandidaten als Vizepräsident des Bundestages gewählt. Die ausgeführte Thematik zu den Ausschüssen lässt sich auch hier wiederfinden: In § 2 I 2 GO BT wird normiert, dass jede Fraktion des Deutschen Bundestages durch mindestens einen Vizepräsidenten oder eine Vizepräsidentin im Präsidium zu vertreten ist. In § 2 I 1 GO BT hingegen lässt sich – wie bei den Ausschüssen – die Regelung finden, dass die Stellen durch eine Wahl besetzt werden müssen: Pattsituation für die AfD.

Schaue Dir hier die (prüfungs-) relevanten Lerninhalte zu diesem Thema an: