Es wird ein Grundsatzurteil erwartet
In der vergangenen Woche verhandelte der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts mündlich zum Bayerischen Verfassungsschutzgesetz. Dagegen legte die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) Verfassungsbeschwerde ein. Das Gesetz wurde von den Bundesverfassungsrichtern in der Verhandlung mehrfach beanstandet. Erwartet wird nun ein Grundsatzurteil in dieser Sache. Geprüft wurde praktisch jede Formulierung des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes (BayVSG).
Worum geht es?
2016 wurde das BayVSG völlig neu gefasst. Der CSU-Innenminister Joachim Herrmann nutzte die Kritik am Versagen des Verfassungsschutzes gegen den NSU-Terror als Anknüpfungspunkt für die Neufassung, um den Bayerischen Verfassungsschutz mit enorm weitreichenden Befugnissen auszustatten. Durch die Neufassung erhielt das bayerische Landesamt deutlich mehr Befugnisse als das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln.
Gegen diese weitreichenden Befugnisse richtete sich eine Verfassungsbeschwerde der GFF:
“Die Verfassungsbeschwerde richtet sich vor allem gegen das Bayerische Verfassungsschutzgesetz, dessen Regelungen für die Tätigkeit des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz im Zuge einer 2016 eingeführten Neufassung umfassend geändert wurden. Das Gesetz ermächtigt das Landesamt zu verdeckten Maßnahmen wie zum Beispiel akustischer und optischer Wohnraumüberwachung (Art. 9 BayVSG), Onlinedurchsuchung (Art. 10 BayVSG) und längerfristigen Observationen (Art. 19a BayVSG). Daneben enthält es insbesondere Regelungen zum Umgang mit den erhobenen Daten, was Bestimmungen zur Übermittlung an andere öffentliche und nicht öffentliche Stellen im In- und Ausland erfasst (siehe vor allem Art. 25 BayVSG). Daneben wenden sich die Beschwerdeführer gegen Art. 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BayDSG, der die Aufsicht durch den Bayerischen Landesbeauftragen für Datenschutz betrifft.”
“In bisher keinem Verfahren wurden die Befugnisse von Nachrichtendiensten in solcher Breite in Frage gestellt”, sagte die federführende Richterin Gabriele Britz zu Beginn der Verhandlung.
In der mündlichen Verhandlung wurde deutlich, dass ein Grundsatzurteil zu erwarten ist. Der Erste Senat ergriff aufgrund der Verfassungsbeschwerde die Chance, sich dem Verfassungsschutzrecht als Ganzes zu widmen.
Bis in den frühen Abend hinein diskutierten die Richter:innen sieben Überwachungsbefugnisse des bayerischen Gesetzes und sechs Normen zur Übermittlung von Erkenntnissen an andere Behörden.
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5 Punkte sollen geändert werden
In mindestens fünf Punkten sieht das Bundesverfassungsgericht Änderungsbedarf. Beispielsweise fehlt den Richter:innen bei der Regelung zur Wohnraumüberwachung eine Subsidiaritätsklausel. Der Verfassungsschutz, der laut Gesetz nur zur Gefahrenabwehr abhören darf, solle diese Befugnis nur haben, wenn keine geeignete Hilfe der Polizei erlangt werden kann. Der Erste Senat verwies auf eine entsprechende Formulierung im Bundes-Verfassungsschutzgesetz.
Die Kläger bemängelten, dass der Verfassungsschutz sogar ohne richterlichen Beschluss auf gespeicherte Vorratsdaten zugreifen dürfe. Das bayerische Innenministerium hielt dem entgegen, dass es stattdessen eine parlamentarische Kontrolle durch die G10-Kommission des Landtags gebe - und die sei in der Praxis häufig strenger als ein Richter. Die G10-Kommission besteht aus drei Landtagsabgeordneten. Ihre Beratungen sind geheim.
Die Vorratsdatenspeicherung ist in Deutschland seit 2017 wegen Rechtsstreitigkeiten vorerst ausgesetzt. Internetprovider hatten gegen die Neuregelung geklagt. Das Verfahren liegt aktuell beim Europäischen Gerichtshof. Ein Urteil soll es in einigen Monaten geben. Es kann gut sein, dass der EuGH die deutsche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung für zu weitgehend hält und kippen wird.
Im Hinblick auf die Daten aus der Vorratsdatenspeicherung diskutierten die Richter:innen, dass diese dem Verfassungsschutz verwehrt bleiben werden. Da das Telekommunikationsgesetz nur “Gefahrenabwehrbehörden” Zugriff gewährt, wozu die Verfassungsschutzbehörden laut diesem Gesetz nicht gehören, könne der bayerische Landtag das Landesamt nicht eigenmächtig zur Gefahrenabwehrbehörde erklären. Dies verstoße gegen das Prinzip der Normenklarheit.
Weiterer Änderungsbedarf im Hinblick auf V-Leute
Das bayerische Gesetz verlangt für den Einsatz von V-Leuten lediglich, dass “tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungswidrige Bestrebungen” vorliegen. Diese Schwelle ist den Verfassungsrichter:innen deutlich zu niedrig.
Auch bei der Übermittlung von Daten an Nachrichtendienste in anderen EU-Staaten sah das BVerfG Änderungsbedarf: diese soll rechtsstaatlich besser gesichert werden. Der GFF-Vertreter Matthias Bäcker hatte in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die EU-Grundrechtecharta nicht für nationale Nachrichtendienste gelte und bei Staaten wie Ungarn und Polen nicht von vornherein rechtsstaatliche Standards unterstellt werden können.
Zudem müsse an der Regelung zur Übermittlung an außer-europäische Stellen nachgebessert werden. Hierfür ist bislang ausreichend, dass die Datenweitergabe zur Wahrung erheblicher Sicherheitsinteressen der Empfänger erforderlich ist.
Bei zwei Punkten wehrte sich der Münchener Verfassungsschutz-Präsident Burkhard Körner gegen eine mögliche Verschärfung des Gesetzes.
Er sah es als unpraktikabel an, den Kernbereichsschutz bei der Online-Durchsuchung von einer unabhängigen Stelle kontrollieren zu lassen - so wie die Richter:innen das gerne hätten. Es genüge, wenn der amtsinterne “Beschaffer” entsprechende Funde bei der Spiegelung einer Festplatte sofort lösche. Dies sei auch ein milderes Mittel als noch vielen Kontrolleuren Zugang zu der privaten Festplatte zu verschaffen.
Das BVerfG forderte im Hinblick auf die Anwerbung und Verpflichtung von V-Leuten eine Vorabkontrolle durch eine unabhängige Stelle. Dies lehnte Körner ab.
Das in einigen Monaten erwartete Grundsatzurteil bleibt nun also mit Spannung abzuwarten.
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