Verfassungsbeschwerde, Art. 93 I Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 23, 90 ff. BVerfGG
Aufbau der Prüfung - Verfassungsbeschwerde, Art. 93 I Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 23, 90 ff. BVerfGG
Die Verfassungsbeschwerde ist in Art. 93 I Nr. 4a GG und in den §§ 13 Nr. 8a, 23, 90 ff. BVerfGG geregelt. Die Verfassungsbeschwerde ist üblicherweise der prozessuale Einstieg in einer grundrechtlichen Klausur. Auch die Verfassungsbeschwerde wird in zwei Schritten geprüft: Zulässigkeit und Begründetheit.
A. Zulässigkeit
I. Zuständigkeit
Im Rahmen der Zulässigkeit setzt die Verfassungsbeschwerde zunächst die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts voraus. Diese folgt aus Art. 93 I Nr. 4a GG und den §§ 13 Nr. 8a, 23, 90 ff. BVerfGG.
II. Beteiligtenfähigkeit, § 90 BVerfGG
Weiterhin verlangt die Verfassungsbeschwerde die Beteiligtenfähigkeit gemäß § 90 I BVerfGG. Danach ist jeder beteiligtenfähig, der Träger von Grundrechten ist („jedermann“). Zitiert werden nur die Normen des BVerfGG aufgrund des Anwendungsvorrangs des einfachen Rechts. Nur bei einer Diskrepanz zwischen einfachem Recht und den Vorschriften des Grundgesetzes würde sich aufgrund des Geltungsvorrang des Grundgesetzes dessen Regelung durchsetzen. „Jedermann“ bedeutet, dass auch Kinder Verfassungsbeschwerde erheben können. Bei juristischen Personen kann bereits an dieser Stelle auf Art. 19 III GG eingegangen werden. Danach muss das Grundrecht, auf das sich die juristische Person beruft, dem Wesen nach auf die juristische Person anwendbar sein. Beispiel: Es ergeht eine Verfügung gegen eine Tochtergesellschaft. Der Mutterkonzern beruft sich auf Art. 6 GG, den Schutz von Ehe und Familie. Das geht nicht. Hier ist die Verwandtschaft nur metaphorischer Natur. Geschützt werden nur die tatsächlichen Familienbande. Deshalb ist Art. 6 GG nicht auf juristische Personen anwendbar.
(III. Prozessfähigkeit)
Gegebenenfalls ist im Rahmen der Verfassungsbeschwerde die Prozessfähigkeit zu prüfen. Dies ist die Fähigkeit, die erforderlichen Verfahrenshandlungen selbst vorzunehmen. Bei juristischen Personen ist die Vertretungsnorm zu benennen. Beispiel: § 35 GmbHG. Die GmbH wird durch ihren Geschäftsführer vertreten. Bei Minderjährigen kommt es, sofern der Minderjährige den Prozess selbst führt, ohne sich von seinen Eltern vertreten zu lassen, auf die Einsichtsfähigkeit im Hinblick auf das geltend gemachte Grundrecht an. Im Rahmen der Glaubensfreiheit nimmt das Bundesverfassungsgericht an, dass der Minderjährige ab 14 Jahren in der Lage ist, die erforderlichen Verfahrenshandlungen selbst vorzunehmen, da er auch in der Sache die Fähigkeit hat, seine eigene Glaubensfreiheit zu artikulieren.
IV. Beschwerdegegenstand, § 90 I BVerfGG
Ferner fordert die Verfassungsbeschwerde einen tauglichen Beschwerdegegenstand. § 90 I BVerfGG benennt hier jeden Akt der öffentlichen Gewalt. Dies kann jeder Akt der Legislative, der Exekutive oder der Judikative sein. Beispiel für einen Akt der Legislative: Wird ein Gesetz erlassen, dass es verbietet, Kaugummi zu kauen und auszuspucken und ist A begeisterter Kaugummikauer und -ausspucker, kann er gegen das Gesetz Verfassungsbeschwerde erheben. Beispiel für einen Akt der Exekutive: Abrissverfügung. Beispiel für einen Akt der Judikative: Urteil. Bei einer Verfassungsbeschwerde können auch alle diese Akte der öffentlichen Gewalt zusammentreffen. Fallbeispiel: A wird Adressat einer Abrissverfügung und klagt gegen diese Abrissverfügung zunächst vor den einfachen Gerichten bis zur letzten Instanz, um sodann Verfassungsbeschwerde zu erheben. Der Abrissverfügung liegt zunächst ein Gesetz zugrunde. Die Abrissverfügung selbst ist ein Akt der Exekutive und die Urteile der einfachen Gerichte stellen Akte der Judikative dar. Formulierungsbeispiel: „Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Abrissverfügung in Gestalt des letztinstanzlichen Urteils als Akt der Judikative.“
V. Beschwerdebefugnis, § 90 I BVerfGG
Darüber hinaus erfordert die Verfassungsbeschwerde eine Beschwerdebefugnis, vgl. § 90 I BVerfGG.
1. Mögliche Grundrechtsverletzung
Hiernach reicht eine mögliche Grundrechtsverletzung aus. Auch im Rahmen der Verfassungsbeschwerde hat sich somit die Möglichkeitstheorie durchgesetzt. Nicht entscheidend ist, ob tatsächlich eine Grundrechtsverletzung vorliegt. Diese wird erst im Rahmen der Begründetheit geprüft. Es gilt vielmehr, von vornherein Verfassungsbeschwerden auszuschließen, bei denen im Ansatz eine Grundrechtsverletzung nicht möglich erscheint. An dieser Stelle der Verfassungsbeschwerde sind zudem die Grundrechte zu benennen, die später in der Begründetheit geprüft werden sollen. Eine Verletzung bloß einfachen Rechts reicht nicht aus. Denn das Bundesverfassungsgericht ist keine Superrevisionsinstanz. Revisionsinstanz ist das Bundesverwaltungsgericht. Dieses prüft auch die Verletzung einfachen Rechts. Wenn das Bundesverfassungsgericht auch die Verletzung einfachen Rechts prüfte, dann täte es nichts anderes, als zuvor schon das Bundesverwaltungsgericht. Hier kann sich das Problem der Drittwirkung von Grundrechten stellen, sofern eine Verfassungsbeschwerde vorliegt, die ein Zivilurteil zum Gegenstand hat. Dies betrifft die Frage, ob Grundrechte auch zwischen Privaten wirken. Als Ausgangspunkt wirken Grundrechte nur zwischen Bürger und Staat. Dieses Problem wird in einem gesonderten Exkurs erörtert.
2. Selbst, unmittelbar, gegenwärtig
Zusätzlich setzt die Beschwerdebefugnis innerhalb Verfassungsbeschwerde voraus, dass der Beschwerdeführer selbst, unmittelbar und gegenwärtig betroffen ist. Das erste Kriterium betrifft das Verbot der Prozessstandschaft. Der Beschwerdeführer muss daher geltend machen, dass er in seinen eigenen Rechten verletzt ist. Unmittelbar bedeutet, dass keine weiterer Vollzugsakt erforderlich sein darf. Gegenwärtig meint aktuell und nicht nur virtuell. Hiervon ist auch die Vorwirkung erfasst. Auch wenn man erst künftig in den zeitlichen Anwendungsbereich fällt, aber schon jetzt anlässlich des Gesetzes zu irreversiblen Dispositionen gezwungen wird, liegt Gegenwärtigkeit vor.
VI. Rechtswegerschöpfung, § 90 II BVerfGG
Weiterhin setzt die Verfassungsbeschwerde gemäß § 90 II BVerfGG eine Rechtswegerschöpfung voraus. Beispiel: A wird Adressat einer Abrissverfügung und will gleich Verfassungsbeschwerde erheben. Dies ist unzulässig. A muss zunächst Widerspruch einlegen, Anfechtungsklage erheben und durch die Instanzen klagen, bevor er Verfassungsbeschwerde erheben kann. An dieser Stelle kann das Problem der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde auftauchen, und zwar wenn ein Gesetz Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist. Gegen Gesetze gibt es üblicherweise keinen erschöpfungsfähigen Rechtsweg vor den einfachen Gerichten. Es stellt sich daher die Frage, ob man direkt das Bundesverfassungsgericht behelligen darf.
VII. Form, Frist, §§ 23, 92, 93 BVerfGG
Form und Frist der Verfassungsbeschwerde regeln die §§ 23, 92, 93 BVerfGG. Die Verfassungsbeschwerde muss danach schriftlich und mit Begründung erhoben werden. Die Frist beträgt grundsätzlich einen Monat, bei Gesetzen ein Jahr.
(VIII. Rechtsschutzbedürfnis)
Zuletzt kann in einem Satz das Rechtsschutzbedürfnis erwähnt werden. Es darf also keine einfachere und zumutbare Möglichkeit des Rechtsschutzes geben. Dies ergibt sich in der Regel bereits aus dem Erfordernis der Rechtswegerschöpfung.
B. Begründetheit
Letztlich ist die Verfassungsbeschwerde begründet, wenn der Beschwerdeführer in einem seiner Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte verletzt ist. Die grundrechtsgleichen Rechte werden in Art. 93 I Nr. 4a GG und § 13 Nr. 8a BVerfGG genannt. Beispiel: Art. 38 GG. „Verletzt“ ist im Übrigen ein technischer Begriff, der so verwendet werden muss. Dahinter verbirgt sich bei Freiheitsgrundrechten die Prüfung des Schutzbereichs, des Eingriffs und der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung.