BGH zu einer Geiselnahme der Ehefrau im Badezimmer

BGH zu einer Geiselnahme der Ehefrau im Badezimmer

Ein Fall mitten aus dem Leben – und mit hoher Prüfungsrelevanz

Der vorliegende Fall zeigt, dass auch im engsten Familienkreis Straftaten nach den §§ 239 ff. StGB, hier allem voran die Geiselnahme der Ehefrau, begangen werden können. Dafür ist eine saubere Subsumtion unter die Tatbestandsvoraussetzungen (insb. die „Bemächtigungslage“) erforderlich. Ferner eignet sich der Fall auch bestens zur Wiederholung weiterer Delikte im „Dunstkreis“ des § 239b StGB.

A. Sachverhalt

Zwischen dem F und seiner Ehefrau H kommt zu einem Streit, infolgedessen der F das gemeinsam bewohnte Haus mit einem Koffer zunächst verlässt, jedoch im Laufe des Tages zurückkehrt. Der Streit wird beigelegt. Für den nächsten Tag plant die Familie einen Familienbesuch in den Niederlanden. Am nächsten Morgen kommt es erneut zu einem Streit zwischen den Eheleuten, da H entgegen einer zuvor getroffenen Absprache den F nicht bei der Durchführung eines geplanten Ölwechsels begleiten, sondern nunmehr die Wohnung reinigen und anschließend für die Reise packen will. Anlässlich dieses Streits und aufgrund der Befürchtung, von seiner Ehefrau betrogen zu werden, lässt der F sein Handy in der Wohnung zurück und schaltet die Tonaufnahmefunktion ein. Sodann fährt er mit dem PKW fort, um den Ölwechsel vorzunehmen. Zwei Stunden später kehrt er zurück und nimmt anschließend das Handy wieder an sich. Anschließend fahren F und H einkaufen. Nachdem sie wieder zurückgekehrt sind, verlässt F unter einem Vorwand das Haus und hört das Handy ab. Hierbei gelangt er zu der Überzeugung, auf der Tonaufnahme seien Stimmen und Geräusche zu hören, die darauf schließen ließen, dass ihn seine Ehefrau mit einem anderen Mann betrüge. F geht ins Haus zurück und begibt sich ins Badezimmer, wo die H den gemeinsamen Sohn badet. Diesen zerrt er aus dem Bad heraus, so dass er sich mit seiner Ehefrau alleine dort befindet.

Anschließend schleißt er die Badezimmertür von innen ab und zieht ein mitgeführtes Küchenmesser. Er konfrontiert seine Frau unter Vorhalt desselben mit seinem Verdacht, dass sie ihn mit einem anderen Mann betrüge, und sagt zu ihr, dass er sie umbringen werde, wenn sie diesbezüglich nicht die Wahrheit sagen werde. Unter fortwährendem Vorhalt des Messers forderte er die H sodann auf, sich auf den Rand der Badewanne zu setzen und sich die von ihm mit seinem Handy gefertigte Tonaufnahme anzuhören. H erklärt, auf der Aufnahme nur Kinderstimmen zu hören, und schwört bei Gott, ihren Ehemann nicht zu betrügen. Daraufhin schlägt F sie mit der flachen Hand ins Gesicht und sticht mit dem Messer mehrfach auf sie ein. Er fügt ihr insgesamt acht Schnitt- und Stichverletzungen zu, wobei sie bereits nach der ersten Schnittverletzung am Unterarm ohnmächtig wird. Zu weiteren Schnitt-/Stichverletzungen kommt es im Brust- und Schulterbereich.

Anschließend schließt der F die Badezimmertür wieder auf und verlässt - ohne weiter auf die Einräumung des erhobenen Vorwurfs der Untreue zu drängen - mit den Kindern das Haus. H gelangt wieder zu Bewusstsein und legt sich anschließend im Wohnzimmer auf ein Sofa. Als F nach Hause zurückgekehrt ist, fragt er seine Ehefrau erneut, ob sie nicht endlich alles sagen wolle. Dabei führt er das zuvor verwendete Messer nicht mehr bei sich. Sodann verlässt er erneut das Haus und fährt mit den Kindern im PKW fort. In Sorge um die Kinder verlässt auch H, die den F hat wegfahren hören, das Haus. 

Auf der Straße wird sie von Nachbarn aufgegriffen und erstversorgt. Diese verständigen auch Rettungskräfte, die nach ihrem Eintreffen die weitere Versorgung übernehmen. Während seiner Fahrt ruft auch der F den Notruf an und teilt mit, dass seine Frau Hilfe benötige. Er telefoniert auch mit einem Verwandten, der wiederum seinen Onkel anruft und diesen auffordert, nach H zu schauen, was diese auch tun. H wird im Krankenhaus operativ versorgt. Ohne die Operation hätten die mit dem Messer zugefügten Verletzungen - insbesondere ein Hämatopneumothorax und die Eröffnung des Bauchraums mit Verletzung des Dünndarms und arteriellen Blutungen - binnen weniger Stunden zu ihrem Tod geführt.

In diesem Fall geht es insbesondere um die folgenden prüfungsrelevanten Lerninhalte:

B. Entscheidung

I. Versuchter Totschlag, §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB

F könnte sich wegen versuchten Totschlags nach den §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er mit seinem Messer mehrfach auf seine Ehefrau H eingestochen und sie verletzt hat.

Die Tat ist nicht vollendet; die H lebt noch. Der Versuch ist auch strafbar, §§ 23 Abs. 1, 12 Abs. 1 StGB.

F müsste zur Begehung der Tat entschlossen gewesen sein, also Vorsatz hinsichtlich aller objektiven und subjektiven Voraussetzungen eines Totschlages nach § 212 Abs. 1 StGB gehabt haben. Er müsste also zumindest billigend in Kauf genommen haben (sog. Eventualvorsatz, bedingter Vorsatz oder dolus eventualis), dass sein Handeln zu einem tödlichen Kausalverlauf führt. Bedingt vorsätzlich handelt der Täter, wenn er den Eintritt des Erfolges – den Tot eines anderen Menschen – als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf nimmt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit ihr abfindet, mag ihm auch der Erfolgseintritt an sich unerwünscht sein (vgl. zum Wissens- und Willenselement etwa BGH, NJW 2021, 326, 327, Tz. 14). Die Prüfung, ob Vorsatz oder (bewusste) Fahrlässigkeit vorliegt, erfordert eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, wobei es vor allem bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements regelmäßig erforderlich ist, sich mit der Persönlichkeit des Täters auseinander zu setzen und dessen psychische Verfassung bei der Tatbegehung, seine Motivation und die für das Tatgeschehen bedeutsamen Umstände, insbesondere die konkrete Angriffsweise, mit in Betracht zu ziehen (siehe BGH, a.a.O, Tz. 15).

F hat der H in dem Glauben, sie betrüge ihn mit einem anderen Mann, mehrere Schnitt- und Stichverletzungen (am Unterarm und im Brust- und Schulterbereich) zugefügt. Sein Handeln war aber nicht mit dem Willen getragen, sie zu töten. Hinzu kommt zwar, dass die – auf der Grundlage der dem F bekannten Umstände zu bestimmende – objektive Gefährlichkeit seines Tuns ein wesentlicher Indikator für das Vorliegen eines bedingten Vorsatzes ist (BGH, NStZ 2015, 216); ein Stich in den Brustbereich mit einem Messer kann objektiv (lebens-)gefährlich sein. Es streitet aber nichts für die Annahme, dass der F sich hier mit dem Tod der H abgefunden hatte und er ihren Tod als möglich bzw. als nicht ganz fernliegend erkannt hat. Sein Handeln war im Wesentlichen getragen von Eifersucht und Aufklärungsdrang.

F hatte demnach keinen Tatentschluss zur Begehung eines Totschlages zum Nachteil der H.

Er hat sich nicht wegen versuchten Totschlags nach §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.

II. Geiselnahme, § 239b StGB

F könnte sich aber wegen Geiselnahme nach Maßgabe von § 239b Abs. 1 Alt. 2 StGB strafbar gemacht haben, indem er seine Ehefrau H unter Vorhalt eines Messers im Badezimmer eingeschlossen hat.

1. Objektiver Tatbestand

Dazu müsste sich F eines Menschen bemächtigt haben, um ihn oder einen Dritten durch die Drohung mit dem Tod oder einer schweren Körperverletzung (§ 226 StGB) des Opfers oder mit dessen Freiheitsentziehung von über einer Woche Dauer zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen.

Fraglich ist zunächst, ob sich der F seiner Ehefrau im Badezimmer „bemächtigt“ hat. Dazu der BGH:

„II.1.a) Der Tatbestand der Geiselnahme setzt ein Entführen oder Sich-Bemächtigen eines Menschen voraus. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt ein Sich-Bemächtigen vor, wenn der Täter die physische Herrschaft über einen anderen erlangt, wobei weder eine Ortsveränderung erforderlich ist, noch der Tatbestand der Freiheitsberaubung erfüllt sein muss (…). Diese Bemächtigung muss zu einer „gewissen Stabilisierung“ der Lage des Opfers geführt haben. Denn nur dann kann der Täter gerade - wie es der Tatbestand des § 239b StGB verlangt (…) - die von ihm geschaffene Lage zur (weiteren) Nötigung ausnutzen. Die „stabilisierte“ Bemächtigungslage muss deshalb für die nachfolgende Nötigung eine eigenständige Bedeutung haben; es muss sich gerade aus dieser stabilen Bemächtigungslage über die mit jeder Bemächtigung verbundenen Beherrschungssituation hinaus eine weitergehende Drucksituation auf das Opfer ergeben (…).

Gemessen daran liegen die Voraussetzungen einer Geiselnahme nach § 239b Abs. 1 1. Hs. 2. Var. StGB vor.

Der [F] hat sich - entgegen der Annahme des Landgerichts - nicht erst, als er die Badezimmertür verschlossen hat (…), sondern hier bereits in dem Augenblick, als er seinen Sohn (…) aus dem Badezimmer gezerrt hatte und dort mit seiner Ehefrau allein war, ihrer bemächtigt. Mit dem anschließenden Abschließen der Tür ist es H sodann unmöglich geworden, das Badezimmer ohne Weiteres zu verlassen. Hierzu hätte sie nicht nur den zu erwartenden Widerstand ihres Ehemannes überwinden, sondern auch noch die verschlossene Tür öffnen müssen. Damit ist zwar binnen kurzer Zeit, aber doch in deutlicher zeitlicher Abfolge eine stabile Bemächtigungssituation entstanden, aus der sich für die Ehefrau des [F] über die sich mit jeder Bemächtigung verbundene Beherrschungslage hinaus eine besondere Drucksituation ergeben hat. Von ausschlaggebender Bedeutung für die Annahme einer stabilen Bemächtigungslage ist insoweit insbesondere die Intensität der Bemächtigungslage, die hier wesentlich durch das Einsperren herbeigeführt wurde (…). Die eingetretene Stabilisierung diente aus der Sicht des zielgerichtet vorgehenden [F] auch „als Basis für die folgende weitere Nötigung“ (…), mit der er seine auf dem Badewannenrand sitzende Ehefrau unter Vorhalt eines Messers bei gleichzeitigem Vorspielen der von ihm gefertigten Tonaufnahmen und ausgesprochener Todesdrohung zu Angaben hinsichtlich einer von ihm vermuteten Beziehung zu einem anderen Mann veranlassen wollte. Der [F] versprach sich gerade auch durch das Einsperren seiner Ehefrau Erfolg hinsichtlich der von ihm während der stabilen Bemächtigungssituation ausgesprochenen qualifizierten Drohung; er hat damit die Bemächtigungslage zu einer Drohung mit dem Tode im Sinne von § 239b Abs. 1 Var. 1 StGB ausgenutzt.“

F hat damit den objektiven Tatbestand einer Geiselnahme nach § 239b Abs. 1 Alt. 2 StGB erfüllt.

Hinweis: Siehe zur Abgrenzung von Geiselnahme nach § 239b Abs. 1 Alt. 2 StGB und erpresserischem Menschenraub nach § 239a StGB auch die Besprechung von BGH, Beschl. v. 03.02.2021 (2 StR 279/20).

2. Subjektiver Tatbestand

Der subjektive Tatbestand des § 239b Abs. 1 StGB erfordert neben (zumindest bedingtem Vorsatz betreffend die Bemächtigung) hinsichtlich des Einsatzes der besonderen Drohungsmittel eine Absicht im Sinne zielgerichteten Handelns (vgl. BGH, NStZ 2019, 411, 412, Rn. 7). F hat sich willentlich und wissentlich seiner Ehefrau bemächtigt, um diese Lage für eine Drohung mit ihrem Tod auszunutzen; ihm kam es – als außertatbestandliches Ziel – am Ende darauf an, zu erfahren, ob er von ihr betrogen wird.

3. Zwischenergebnis

F handelte rechtswidrig und schuldhaft.

Er hat sich daher wegen einer Geiselnahme nach § 239b Abs. 1 Alt. 2 StGB strafbar gemacht.

Hinweis: Eine Milderung des Strafrahmes wegen tätiger Reue des F nach Maßgabe von § 239b Abs. 2 StGB, der u.a. auf § 239a Abs. 4 StGB verweist, kommt hier nicht in Betracht. Diese Regelung ist dann eröffnet, wenn der Täter die Geisel unter „Verzicht auf die erstrebte Leistung” in seinen Lebensbereich zurückgelangen lässt; für ein Zurückgelangenlassen des Opfers in dessen Lebensbereich genügte es daher, wenn der Täter sein Opfer am Tatort freigibt und dieses seinen Aufenthaltsort wieder frei bestimmen kann (vgl. BGH, NStZ-RR 2019, 285, 286). Die entsprechende Geltung des Merkmals des „Verzichts auf die erstrebte Leistung“ für den Tatbestand der Geiselnahme erfordert aber zudem ein tatbestandsgerechtes Verständnis: Der Täter muss von der Weiterverfolgung seines Nötigungszieles Abstand nehmen, also auf die nach seinem ursprünglichen Tatplan abzunötigende Handlung, Duldung oder Unterlassung verzichten (BGH, a.a.O.). Letzteres war hier aber nicht der Fall. Der F hat seine Ehefrau dazu gebracht, ihm auf seinen „Betrugsverdacht“ zu antworten – auch wenn er mit ihrer Antwort nicht zufrieden war und ihr im Anschluss mehrere Schnitt- und Stichverletzungen beigebracht hat.

III. Bedrohung, § 241 Abs. 1 StGB

Die von F mitverwirklichte Bedrohung der H nach § 240 Abs. 1 StGB wird von § 239b StGB im Wege der Spezialität verdrängt.

IV. Freiheitsberaubung und Nötigung, §§ 239 Abs. 1, 240 Abs. 1 StGB

Die von F mitverwirklichte Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 1 StGB) und die Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB) treten jeweils im Wege der Subsidiarität hinter die Geiselnahme nach § 239b StGB zurück.

V. Gefährliche Körperverletzung, §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB

F könnte sich auch wegen gefährlicher Körperverletzung nach §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB strafbar gemacht haben, indem er mit seinem Messer mehrfach auf die H eingestochen hat.

F hat eine Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB begangen. Er hat H durch die schmerzhaften Stiche, der auch blutende Wunden hinterlassen haben, körperlich misshandelt (jede üble und unangemessene Einwirkung auf den Körper des Verletzten, die dessen körperliches Wohlbefinden mehr als bloß unerheblich beeinträchtigt) und an der Gesundheit geschädigt (jedes Hervorrufen oder Steigern eines vom Normalzustand der körperlichen Funktionen des Opfers nachteilig abweichenden Zustandes). Ferner hat die H durch die mehrfachen Stiche einen Hämatopneumothorax erlitten, ihr Bauchraum wurde eröffnet und ihr Dünndarm wurde unter Einschluss von arteriellen Blutungen verletzt.

Zudem hat F die Körperverletzung mittels eines „anderen gefährlichen Werkzeugs“ im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB – dem Messer – begangen und mittels einer „das Leben gefährdenden Behandlung“ (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB). Letztere Tathandlung muss nicht dazu führen, dass das Opfer der Körperverletzung tatsächlich in Lebensgefahr gerät; jedoch muss die jeweilige Einwirkung durch den Täter nach den konkreten Umständen generell geeignet sein, das Leben des Opfers zu gefährden. Maßgeblich ist demnach die Schädlichkeit der Einwirkung auf den Körper des Opfers im Einzelfall. Der F hat sowohl auf den Oberkörper der H als auch auf ihren Unterbauch eingestochen, in denen sich u.a. lebenswichtige Organe, aber auch sonst für die Körperfunktion wesentliche Bestandteile befinden. Diese Handlungen waren konkret geeignet, das Leben des H zu gefährden; sie wäre ohne ärztliche Versorgung an den Folgen der ihr durch Stiche zugefügten Verletzungen binnen weniger Stunden verstorben.

Hinweis: Siehe zur Verwirklichung dieses Qualifikationstatbestandes bei Verwendung einer Rasierklinge auch die Besprechung von BGH, Beschluss vom 10.02.2021 (1 StR 478/20) sowie für die Tatbegehung mittels einer Glasflasche die Besprechung von BGH, Urteil vom 15.04.2021 (5 StR 371/20).

F hat sowohl hinsichtlich des Grundtatbestandes (§ 223 Abs. 1 StGB) als auch hinsichtlich der Qualifikation mit Vorsatz gehandelt. Er hat willentlich und wissentlich mehrfach auf H eingestochen und er nahm dabei billigend in Kauf, dass er H mit dem Messer empfindlich und lebensgefährlich verletzt.

F handelte auch rechtswidrig und schuldhaft.

Er hat sich wegen gefährlicher Körperverletzung strafbar gemacht.

Hinweis: Im Rahmen der nach § 46 StGB vorzunehmenden Strafzumessung wäre für die vorrangige Bestimmung des gesetzlichen Strafrahmens zu prüfen, ob ein minder schwerer Fall im Sinne von § 224 Abs. 1 HS 2 StGB gegeben ist. Ob ein derart besonderer Ausnahmefall vorliegt, dass die Anwendung des Normalstrafrahmens nicht mehr angemessen erscheint, ist daran auszurichten, ob das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem Maß abweicht, dass die Anwendung eines Ausnahmestrafrahmens geboten erscheint; in diese Gesamtwürdigung sind alle Umstände einzubeziehen, die für die Wertung von Tat und Täterpersönlichkeit in Betracht kommen, gleichgültig, ob sie der Tat innewohnen, sie begleiten, ihr vorangehen oder ihr nachfolgen (BGH, NJW 2017, 2776, 2777, Rn. 13). Dafür können alle strafmildernden Gesichtspunkte herangezogen werden, als (vorrangig) sowohl die sog. vertypten Strafmilderungsgründe wie die §§ 23 Abs. 2, 13 Abs. 1 oder 21 StGB als auch (nachrangig) sonstige Gründe, die für den Täter sprechen. Zu bedenken ist allerdings, dass diese Umstände aufgrund des sog. prozessualen Doppelverwertungsverbots (§ 50 StGB) jeweils nur einmal verwertet werden dürfen, also nicht erst zur Begründung eines minderschweren Falles herangezogen werden dürfen und im Nachgang dann nochmals über § 49 StGB zu einer Strafrahmenreduzierung führen. Davon zu trennen ist das materiell-rechtliche Doppelverwertungsverbot nach § 46 Abs. 3 StGB, wonach Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, nicht bei der Strafzumessung nochmals berücksichtigt werden dürfen (Bsp.: Der Umstand, dass der Täter die Körperverletzung mittels eines Messers begangen hat, darf im Rahmen des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht ein weiteres Mal strafschärfend zu Lasten des Täters berücksichtigt werden; die Zielrichtung der Stiche hingegen schon).

VI. Ergebnis

F hat sich wegen Geiselnahme nach § 239b Abs. 1 StGB und wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB strafbar gemacht. Beide Delikte stehen zueinander im Verhältnis der Tateinheit im Sinne von § 52 StGB:

Hinweis: Das Landgericht hat den F deswegen – unter Annahme eines minder schweren Falles (s.o.) – zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und zehn Monaten verurteilt. Die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des F ist ohne Erfolg geblieben, das Urteil ist damit rechtskräftig geworden.

Die „Rettungsbemühungen“ de F haben sich hier tatbestandlich nicht ausgewirkt, weil er die jeweiligen Delikte nicht lediglich versucht, sondern vollendet hat, so dass ein Rücktritt nach § 24 Abs. 1 StGB nicht mehr in Betracht kam. Allerdings kann dieses Nachtatverhalten strafmildernd berücksichtigt werden.

C. Prüfungsrelevanz

Der vorliegende Fall zeigt, dass auch im engsten Familienkreis Straftaten nach den §§ 239 ff. StGB, hier allem voran die Geiselnahme der Ehefrau, begangen werden können. Dafür ist eine saubere Subsumtion unter die Tatbestandsvoraussetzungen (insb. die „Bemächtigungslage“) erforderlich. Ferner eignet sich der Fall auch bestens zur Wiederholung weiterer Delikte im „Dunstkreis“ des § 239b StGB.

Der tätigen Reue nach den §§ 239b Abs. 2, 239a Abs. 4 StGB kommt ebenfalls eine gewichtige praktische Bedeutung zu, weil sie für den Täter zu einer (fakultativen) Strafrahmenmilderung führen kann (s. etwa BGH, NStZ-RR 2019, 285 zur Geiselnahme eines ebay-Betrügers durch mehrere Geschädigte).

Insgesamt handelt es sich um einen für die Prüfungsvorbereitung sehr gut geeigneten Sachverhalt!

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