Mord ohne Leiche: Prozessauftakt in Braunschweig

Mord ohne Leiche: Prozessauftakt in Braunschweig

Kann man ohne Leiche einen Mordprozess führen?

Im Fall eines seit Monaten vermissten Mannes begann am 24.11.2021 am Landgericht Braunschweig der Mordprozess gegen einen 50-jährigen Bundespolizisten. Er soll seinen besten Freund ermordet haben, weil er mit dessen Frau zusammen sein wollte. Die  Leiche des Verschwundenen wurde bis heute aber nicht gefunden. Kann man ohne Leiche überhaupt einen Mordprozess führen? Was ist ein Indizienprozess?

Worum geht es?

Seit April 2021 wird ein Mann aus dem Landkreis Goslar in Niedersachsen vermisst. Der Vermisste hatte laut Polizei offenbar am 13. April sein Haus im Ortsteil Groß Döhren morgens gegen 5 Uhr verlassen. Die Auswertung der Spuren ergab, dass es “unmittelbar im Anschluss zu einem Vorfall im Gartenbereich des Grundstücks gekommen” sein dürfte, bei dem der 51-Jährige verletzt wurde, so die Beamten. Die Ermittler gehen davon aus, dass der Verdächtige sein Opfer aus dem Haus gelockt und dann vermutlich mit einer Armbrust attackiert habe. Im Garten von Karsten M. in Liebenburg waren den Ermittlungen zufolge blutige Schleifspuren festgestellt worden, ebenso in seinem Auto, welches drei Tage später in Hannover am Messegelände aufgefunden wurde. Es war dort ordnungsgemäß und verschlossen abgestellt. Seitdem fehlt von dem 51-jährigen Familienvater weiterhin jede Spur.

In diesem Fall geht es unter anderem um die folgenden Lerninhalte:

Amtsgericht erlässt Haftbefehl

Bereits im Mai hat das Amtsgericht Goslar Haftbefehl gegen einen 50-jährigen Verdächtigen erlassen. Er soll den Vermissten im April getötet haben. Nach den damaligen Erkenntnissen der Ermittler handelte es sich um eine Beziehungstat. Opfer und Beschuldigter seien eng befreundet gewesen. Bei einem Konflikt zwischen den Männern sei es um die Frau des Vermissten gegangen, teilte die Staatsanwaltschaft seinerzeit mit. Das Motiv für die Tat sei laut Staatsanwaltschaft demnach der Wunsch des Angeklagten, mit der Frau des vermissten Karsten M. offiziell zusammenleben zu wollen. Der Beschuldigte ist Bundespolizist und stammt aus Liebenburg. Er sitzt nach wie vor in Untersuchungshaft.

Im August gab es zudem einen Fernsehaufruf in der bekannten ZDF-Sendung “Aktenzeichen XY”, um auch in der breiten Öffentlichkeit nach Hinweisen auf den verschwundenen Mann zu suchen. Der Aufruf lieferte der Polizei Goslar rund 30 Hinweise.

Anklage ohne Leiche

Die Staatsanwaltschaft ist sich ihrer Anschuldigung sicher, auch ohne Leiche. “Wenn wir Anklage erheben, gehen wir immer von einer Verurteilung aus, sonst dürften wir nicht Anklage erheben”, so der Behördensprecher der Staatsanwaltschaft Braunschweig. Es sei nicht völlig ungewöhnlich, einen Mord ohne Leiche anzuklagen. “Es ist und bleibt ein Indizienprozess, wir glauben aber, dass wir das beweisen können.”

Aber was ist eigentlich ein Indizienprozess und wie läuft ein solcher ab?

Um zu verstehen, wie ein Indizienprozess abläuft, ist es zunächst erforderlich, den Unterschied von unmittelbarem - also direkten - und mittelbarem - also indirekten - Beweis zu verstehen.

Der unmittelbare (direkte) Beweis bezieht sich auf eine Tatsache, die unmittelbar (direkt) ein gesetzliches Tatbestandsmerkmal als vorliegend oder nicht vorliegend ergeben soll, welches man deshalb auch Haupttatsache nennt. Demgegenüber bezieht sich der mittelbare (indirekte) Beweis auf tatbestandsfremde Tatsachen, die deshalb auch Hilfstatsachen, Indiztatsachen, Beweisanzeichen oder schlicht Indizien genannt werden. Sie sollen – seltener für sich alleine betrachtet, meist zusammen mit anderen – den Schluss auf das Vorliegen des gesuchten Tatbestandsmerkmals (Haupttatsache) rechtfertigen.

Der BGH hat in einer Leitentscheidung folgende Erwägungen zur Bewertung eines Indizienbeweises ausformuliert:

„Ein Indizienbeweis ist überzeugungskräftig, wenn andere Schlüsse aus den Indiztatsachen ernstlich nicht in Betracht kommen. Hauptstück des Indizienbeweises ist also nicht die eigentliche Indiztatsache, sondern der daran anknüpfende weitere Denkprozess, kraft dessen auf das Gegebensein der rechtserheblichen weiteren Tatsache geschlossen wird.“ 

Im Rahmen eines Indizienprozesses ist das Gericht bei seiner Urteilsfindung demnach allein auf Beweisanzeichen angewiesen. Dies tritt immer dann ein, wenn der Angeklagte Angaben zu der ihm zur Last gelegten Tat verweigert. Dieses Recht wird dem Beschuldigten zugestanden, damit er sich nicht selbst belasten muss. 

Die deutsche Strafprozessordnung lässt eine Verurteilung auf Grundlage von Indizienbeweisen zu. Die Beweise, wie zum Beispiel auch Fingerabdrücke oder Fasern, sind im Prozess oft sogar von größerem Gewicht als die Aussagen von Augenzeugen, die unzuverlässig und leicht beeinflussbar sein können. Indizienprozesse sind häufig langwierig und erfordern vom Gericht akribische Detailarbeit, um sich aus den Puzzlestücken von Aussagen und anderen Hinweisen ein Gesamtbild zu machen. Urteile auf Grund von Indizien ziehen zudem häufig Berufungs- und Revisionsverfahren nach sich.

Der 51-jährige Angeklagte schwieg bei Prozessauftakt zu den erhobenen Vorwürfen. Er bestreitet diese jedoch seit Anbeginn der Ermittlungen und sitzt nach wie vor in Untersuchungshaft. Es bleibt also mit Spannung abzuwarten, wie das Landgericht Braunschweig nach den geplanten zehn Hauptverhandlungstagen entscheiden wird.

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