LG Hamburg: „Spiegel“ muss Reichelt-Artikel offline nehmen

LG Hamburg: „Spiegel“ muss Reichelt-Artikel offline nehmen

Es geht auch um Grundsätze der Verdachtsberichterstattung

Ex-„Bild“-Chef Julian Reichelt hat vor dem LG Hamburg erneut gegen das Nachrichtenmagazin „Spiegel“ gewonnen. Ein Artikel über den ehemaligen Chefredakteur muss nun offline genommen werden.

Worum geht es?

Der Ex-„Bild“-Chef hat vor dem LG Hamburg erneut gegen das Nachrichtenmagazin „Spiegel“ gewonnen. Den ersten Sieg in dem Streit um einen ihn behandelnden Artikel aus dem März 2021 erzielte er bereits im Frühjahr. Der „Spiegel“ korrigierte daraufhin, doch für das LG Hamburg scheint das nicht ausreichend gewesen zu sein. Nun musste der Bericht über den ehemaligen Chefredakteur mit dem Titel „Vögeln, fördern, feuern“ aus dem Netz entfernt werden.

Mittlerweile ist Julian Reichelt nicht mehr Chefredakteur bei der „Bild“. Mitte Oktober trennte sich der Axel-Springer-Verlag von dem 41-Jährigen, nachdem unterschiedliche Presserecherchen – darunter von der New York Times – den Boulevard-Journalisten schwer belasteten. Reichelt soll „Privates und Berufliches nicht klar getrennt“ haben.

Doch in dem Verfahren vor dem LG Hamburg ging es um eine Berichterstattung des „Spiegels“ aus dem März 2021. Zu diesem Zeitpunkt war Reichelt noch Chefredakteur und die Vorwürfe gegen ihn waren noch nicht in dem Maße belegt, wie sie es in diesem Herbst waren. Der „Spiegel“ hatte in seinem Artikel „Vögeln, fördern, feuern“ in der Printausgabe und online über interne Angelegenheiten der Bild-Redaktion und insbesondere über Reichelts Verhalten berichtet.

Vor dem LG Hamburg brachte er im Frühjahr vor, dass der „Spiegel“ ihm keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben habe. Es habe zwar eine Anfrage beim Axel-Springer-Verlag gegeben, doch diese habe ihn zu spät erreicht. Darüber legte er zudem eine eidesstattliche Versicherung ab und das LG Hamburg erließ eine einstweilige Verfügung: Das Nachrichtenmagazin durfte nicht mehr über Reichelt „wegen des Verdachts des Fehlverhaltens gegenüber Frauen, des Machtmissbrauchs und der Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen“ berichten, wie es in dem strittigen Artikel der Fall sei.

Doch der „Spiegel“ verbreitete den Artikel weiter. Zwar schwärzte der „Spiegel“ in den Printausgaben die betroffenen Seiten vollständig. Doch online war der Artikel weiterhin abrufbar, nur ergänzt um den Passus, dass Reichelt die Fragen des Spiegels nicht erhalten und dass er das Angebot einer nachträglichen Stellungnahme aus dem März nicht angenommen habe.

Dagegen ging der ehemalige Bild-Chef nun erneut vor dem LG Hamburg vor.

Grundsätze der Verdachtsberichterstattung

Kern des Rechtsstreits war die Frage, ob das Nachrichtenmagazin dem Boulevard-Journalisten ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hatte – oder nicht. Da der Artikel bereits im März erschien und damit vor Reichelts Ausscheiden beim Axel-Springer-Verlag, konnten sich die Journalist:innen vom „Spiegel“ nur auf die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung stützen – und die hat strenge Regeln.

Wenn in der Presse über Vorwürfe berichtet wird, die weder gerichtlich festgestellt, noch von dem Betroffenen selbst eingeräumt worden sind, kann über das Thema dennoch unter den Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung informiert werden. Diese Regeln wurden von der Rechtsprechung entwickelt, um zu verhindern, dass die Pressefreiheit im Rahmen von strafrechtlich relevanten Sachverhalten beschränkt wird – in Betracht kommt etwa die üble Nachrede gemäß § 186 StGB.

Die Berichterstattung ist damit über einen bloßen Verdacht zulässig. Doch es gibt vier Grundvoraussetzungen, die gegeben sein müssen: Zunächst muss ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit vorliegen, zudem ein Mindestbestand an Beweistatsachen. Außerdem darf in der Berichterstattung keine Vorverurteilung des Betroffenen geschehen, sprich: Der Verdacht darf nicht als Fakt verbreitet werden.

Eine letzte Voraussetzung der Verdachtsberichterstattung gibt es noch: Es muss eine Möglichkeit der Stellungnahme eingeräumt werden. Die Verdachtsberichterstattung ist danach nur zulässig, wenn dem Betroffenen eine Gelegenheit zur Stellungnahme zu den Vorwürfen gegeben wurde. Und dies war vorliegend der besagte Kern des Rechtsstreits, da Reichelt eidesstattlich versicherte, erst später Zugang zu den Fragen gehabt zu haben.

Reichelt siegt erneut

Aus diesem Grund hat das LG Hamburg dem „Spiegel“ nun untersagt, den Artikel weiterhin online zugänglich zu machen. Die ergänzten Passagen seien wertungsmäßig kein relativer Unterschied zu der eigentlichen Berichterstattung, führte das Gericht aus. Der „Spiegel“ muss den Artikel nun offline nehmen, doch scheint nicht kampflos aufzugeben: Gegen den Beschluss des Hamburger Gerichts hat das Nachrichtenmagazin Beschwerde beim Hanseatischen OLG eingelegt, wie eine Sprecherin mitteilte.

Schaue Dir hier die (prüfungs-) relevanten Lerninhalte zu diesem Thema an: