Es ging um die Beweislast und das sogenannte Übermaßverbot
Schusswaffengebrauch durch die Polizei, doch die Sekunden vor der Schussabgabe sind strittig: Der Kläger fordert vor Gericht zumindest Schmerzensgeld. Aber reichen dafür seine Schilderungen? Wer trägt die Beweislast? Das OLG Schleswig-Holstein hat entschieden.
Worum geht es?
Bei einer Maßnahme durch die Polizei wurde der Kläger durch einen abgegebenen Schuss einer Polizistin verletzt. Zuvor habe er sich selbst bewaffnet und gedroht, alle Polizist:innen umzubringen. Nun forderte der verletzte Mann vom Land Schleswig-Holstein Schadensersatz. Das zuständige OLG musste entscheiden: Wer trägt die Beweislast? Und was hat das sogenannte „Übermaßverbot“ damit zu tun?
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Aussage gegen Aussage
Im März 2013 suchten mehrere Beamt:innen den Kläger in seiner Wohnung auf, nachdem dieser Nachbar:innen und Passanten aus dem Fenster beschimpft haben soll. Aufgrund eines Hinweises, dass der Mann eine Waffe habe, hielten zwei Beamte den Mann im Hausflur fest. Ein Polizist und eine Polizistin betraten anschließend die Wohnung und fanden tatsächlich mehrere Waffen, darunter eine Armbrust und eine Softair-Pistole, die allerdings täuschend echt ausgesehen habe.
Währenddessen konnte sich der Kläger im Hausflur losreißen, rannte in seine Wohnung und bewaffnete sich mit einem Messer. Der Polizist schaffte es noch, die Wohnung zu verlassen, bevor der Kläger diese von innen verriegelte. Die Polizistin floh in das Bad und zog ihre Dienstwaffe. Der Kläger rief, er werde alle umbringen.
Wie die Szene mit der Schussabgabe nun weiterging, darüber stritten sich die Parteien vor Gericht. Der Verletzte behauptete, er sei an der geöffneten Badezimmertür vorbei in Richtung Wohnzimmer gelaufen, als die Polizistin ihn anschoss. Die Beamtin hingegen meint, der Kläger sei in das Badezimmer abgebogen und mit seinem gezückten Messer auf sie zugelaufen, bevor sie geschossen habe.
Bereits vor dem Landgericht habe nicht festgestellt werden können, welche Schilderung zutreffend sei. Daher verurteilte das Gericht das beklagte Land zu einer Schmerzensgeld-Zahlung in Höhe von 22.500 Euro mit der Begründung, dass die Beweislast für das Bestehen einer Notwehrlage beim beklagten Land liege. Schließlich habe die Polizistin eine Körperverletzung begangen. Sah das OLG dies genauso?
OLG verneint Amtshaftungsanspruch
Da beide Parteien Berufung eingelegt haben, kam der Fall vor das OLG. Der Kläger verlangte ein höheres Schmerzensgeld, das Land wandte sich gegen die Verurteilung. Der 11. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen OLG verneinte nun einen Amtshaftungsanspruch und beantwortete die Frage rund um die Beweislast gänzlich anders als das Landgericht. Seitens des Gerichts heißt es:
Wird jemand durch einen von einem Polizeibeamten abgegebenen Schuss verletzt, so muss der Verletzte beweisen, dass die Polizei durch die Abgabe des Schusses das „Übermaßverbot“ verletzt hat, wenn die Polizei zur Ausübung unmittelbaren Zwangs […] berechtigt war.
In dieser Argumentation verstecken sich zwei verschiedene Rechtsbegriffe: Zum Einen das „Übermaßverbot“, zum Anderen der unmittelbare Zwang. Mit dem Übermaßverbot ist gewissermaßen der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gemeint. Danach darf der Staat nicht härter durchgreifen als erforderlich – er muss zum Erreichen eines legitimen Zwecks das Mittel wählen, das geeignet, erforderlich und angemessen ist.
Ob das „Übermaßverbot“ verletzt ist oder nicht – dafür trägt der Verletzte dann die Beweislast, so das OLG, wenn die Polizei zur Ausübung des unmittelbaren Zwangs berechtigt war. Darunter ist die Einwirkung auf Personen mittels körperlicher Gewalt, Hilfsmitteln der körperlichen Gewalt oder auch Waffen zu verstehen. Im vorliegenden Fall sei die Polizistin zur Anwendung des unmittelbaren Zwangs berechtigt gewesen, entschied das OLG. Sie habe allen Grund zu der Befürchtung gehabt, dass der drohende Kläger eine seiner Schusswaffen erreicht haben würde, bevor sie ihre eigene Schusswaffe auf ihn hätte richten können.
Unklare Schilderung geht zu Lasten des Klägers
Dass nun der Umstand nicht festgestellt werden könne, ob die Schilderung des Klägers (also das Vorbeilaufen am Badezimmer) oder die Schilderung des Landes (das Abbiegen zu der Polizistin) zutreffe, wirke sich nicht zu Lasten des beklagten Landes aus, sondern vielmehr zu Lasten des Klägers, urteilte das OLG. Der Kläger müsse bei dieser unklaren Sachlage beweisen, dass die Polizistin den Schuss nicht hätte abgeben dürfen.
Es sei nicht auszuschließen, so das OLG, dass tatsächlich ein konkreter Angriff auf die Polizistin gedroht habe. Wenn dies zutreffen sollte, sei der Schuss (auch ohne vorherige Warnung) gerechtfertigt. Das Gericht verwies dabei auf die vorherige Ankündigung des Klägers, alle umzubringen, wodurch der Polizistin kein Verstoß gegen das „Übermaßverbot“ vorgeworfen werden könne:
Nach der Ankündigung des Klägers, alle umzubringen, war der sofortige Schuss der Polizistin erforderlich, um ihn angriffsunfähig zu machen und so einen Angriff von ihr abzuwenden.
Amtshaftungsanspruch
Wie der Fall eindrucksvoll zeigt, können nicht nur Privatpersonen miteinander vor einem Zivilgericht streiten, sondern auch Bürger:innen mit dem Land. Grundlage dafür ist der Amtshaftungsanspruch, der aus § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG folgt. Dabei handelt es sich um eine staatshaftungsrechtliche Anspruchsgrundlage, die auf Geld gerichtet ist und ein rechtswidriges staatliches Verhalten zum Gegenstand hat – wie etwa ein ungerechtfertigter Schuss von Polizist:innen. Wie Du den Amtshaftungsanspruch in der Klausur prüfst und was Du beim Prüfungsaufbau beachten musst, haben wir hier für Dich klausurorientiert aufbereitet.
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