Ohne Arbeit kein Lohn? BAG zum Betriebsrisiko im Lockdown

Gilt der arbeitsrechtliche Grundsatz “ohne Arbeit kein Lohn” auch im Lockdown?

Stellt die pandemiebedingte Schließung des Einzelhandels eine Ausnahme des arbeitsrechtlichen Grundsatzes dar? In den Vorinstanzen wurde einer Minijobberin zumindest ein Lohnanspruch zugesprochen. Doch das BAG sieht das anders.

Worum geht es?

Am 25. März 2020 stellte der Deutsche Bundestag fest, dass das Coronavirus eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstellt und rief die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ aus. Es folgten verschiedene Maßnahmen, um die Verbreitung von SARS-CoV-2 einzudämmen – unter anderem die Schließung von Einrichtungen, die als nicht für die Versorgung der Bevölkerung notwendig gelten. Dazu gehörte auch ein Nähmaschinenladen aus dem niedersächsischen Verden, der Bestandteil einer spannenden und aktuellen Entscheidung des BAG ist. Hat eine Minijobberin einen Lohnanspruch, wenn sie aufgrund der pandemiebedingten Schließung nicht arbeiten konnte?

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Betrieb reagierte auf behördliche Anordnung

Aktuell lässt es die Corona-Lage zu, dass sämtliche Betriebe wieder geöffnet haben. Im April 2020 sah dies noch anders aus und war Thema eines arbeitsrechtlichen Verfahrens in mehreren Instanzen.

Die Klägerin arbeitete in einem Nähmaschinen-Geschäft als geringfügig Beschäftigte für eine monatliche Vergütung von 432,00 Euro im Verkauf. Im April 2020 musste das Geschäft allerdings wegen einer Allgemeinverfügung der Freien Hansestadt Bremen geschlossen werden. Die Klägerin konnte nicht arbeiten und erhielt auch keinen Lohn. Dagegen ging sie gerichtlich vor, das BAG in Erfurt hat nun entschieden.

Arbeitsrechtliche Grundsätze

In diesem Fall treffen zwei arbeitsrechtliche Grundsätze aufeinander. Zum einen gibt es die Grundregel im Arbeitsrecht: Ohne Arbeit kein Lohn. Als gesetzliche Grundlage dient § 614 1 BGB, wonach die Vergütung nach Leistung der Dienste zu entrichten ist. Dies liegt daran, dass es sich bei der vertraglich vereinbarten Arbeitsleistung um eine Fixschuld handelt. Kann diese allerdings nicht erbracht werden (zum Beispiel wegen Unmöglichkeit), entfällt nicht nur die Pflicht zum Tätigwerden des Arbeitnehmers, sondern grundsätzlich auch der Vergütungsanspruch gemäß § 326 I 1 BGB – ohne Arbeit kein Lohn.

Doch dann gibt es im Arbeitsrecht noch die Betriebsrisikolehre. Das von der Rechtsprechung entwickelte Instrument soll dafür sorgen, unangemessene Ergebnisse bei Leistungsstörungen im Arbeitsrecht zu vermeiden. Die Betriebsrisikolehre stellt damit eine Ausnahme von dem Grundsatz ‚Ohne Arbeit kein Lohn‘ dar – es wird darauf abgestellt, in welcher Risikosphäre die Ursache für den Arbeitsausfall liegt. Liegt sie beim Arbeitgeber, dann kann der Arbeitnehmer dennoch den Lohn verlangen. Hintergrund ist der Gedanke, dass diejenigen, die einen Betrieb unterhalten und aus diesem Früchte ziehen, auch für dessen Risiken einzustehen haben.

Vorinstanzen gaben Klage statt

Um die Frage der Risikoverteilung ging es auch in diesem Rechtsstreit. Die Klägerin vertrat die Auffassung, die Schließung des Betriebs aufgrund der behördlichen Anordnung sei ein Fall des von der Beklagten als Arbeitgeberin zu tragenden Betriebsrisikos. Ihr stehe daher der Lohn für den Monat April 2020 zu, obwohl sie nicht gearbeitet hat. Anders sah es die Beklagte: Sie machte geltend, dass die behördliche Schließung vielmehr das allgemeine Lebensrisiko betreffen würde – dies sei nicht beherrschbar und von allen gleichermaßen zu tragen.

In den Vorinstanzen hatte die Klägerin auch Erfolg. Sowohl das ArbG Verden als auch das LAG Niedersachsen sprachen der Minijobberin ihren Lohn zu und begründeten ihre Entscheidung damit, dass grundsätzlich der Arbeitgeber das wirtschaftliche Risiko des Einsatzes seiner Arbeitnehmer zu tragen habe. Dabei komme es gerade nicht auf ein Vertretenmüssen an. Außerdem, so geht es aus den Entscheidungen der Vorinstanzen hervor, hätte die Arbeitgeberin der Klägerin auch andere Aufgaben für im April 2020 auftragen können, die möglicherweise trotz Schließung erfüllbar gewesen wären.

BAG verneint Lohnanspruch bei Corona-Lockdown

Doch das BAG in Erfurt sah dies gänzlich anders und gab der beklagten Arbeitgeberin Recht. Damit habe die Klägerin für den Monat April 2020 keinen Anspruch auf Entgeltzahlung. Seitens des Bundesgerichts heißt es:

Der Arbeitgeber trägt auch nicht das Risiko des Arbeitsausfalls, wenn – wie hier – zum Schutz der Bevölkerung vor schweren und tödlichen Krankheitsverläufen infolge von SARS-CoV-2-Infektionen durch behördliche Anordnung in einem Bundesland […] flächendeckend alle nicht für die Versorgung der Bevölkerung notwendigen Einrichtungen geschlossen werden.

In einem solchen Fall realisiere sich gerade nicht ein Risiko, das dem Betrieb zuzurechnen sei. Die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung sei daher keine Folge eines realisierten Betriebsrisikos, sondern vielmehr Folge eines hoheitlichen Eingriffs zur Bekämpfung einer die Gesellschaft insgesamt treffenden Gefahrenlage.

„Adäquater Ausgleich“ sei „Sache des Staates“

Die Erfurter Richter:innen lehnten damit im Ergebnis einen Anspruch der Arbeitnehmerin gegen ihre Arbeitgeberin ab. Vielmehr sei es in Konstellationen wie dieser, Sache des Staates, gegebenenfalls für einen finanziellen Ausgleich zu sorgen. Als Beispiel nannte das Gericht den erleichterten Zugang zum Kurzarbeitergeld, auf das sich die Klägerin als geringfügig Beschäftigte allerdings auch nicht berufen konnte. Eine solche „Lücke in dem sozialversicherungsrechtlichen Regelungssystem“ könne allerdings auch keinen Anspruch schaffen. Abschließend heißt es in einer Mitteilung des Gerichts:

Aus dem Fehlen nachgelagerter Ansprüche lässt sich jedoch keine arbeitsrechtliche Zahlungspflicht des Arbeitgebers herleiten.

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