BGH zu versuchtem Wohnungseinbruchsdiebstahl

BGH zu versuchtem Wohnungseinbruchsdiebstahl

Problem des unmittelbaren Ansetzens

Mit dieser Entscheidung bestätigt der 6. Strafsenat des BGH die bisherige Rechtsprechung zum Versuchsbeginn beim Qualifikationsdelikt des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB. 

A. Sachverhalt

Der G entschließt sich eines Nachts, in einer Ferienhaussiedlung am Meer gewaltsam in ein Ferienhaus – das nur wenige Wochen im Jahr bewohnt ist – einzudringen, um daraus Wertgegenstände zu entwenden. Er wirft mit einem Stein ein Loch in eine Glasscheibe des von dem Haus frei zugänglichen Wintergartens, um durch das Loch hineinzugreifen, die Klinke des Fensters herunterzudrücken, über den Wintergarten in die angrenzenden Wohnräume zu gelangen und diese nach Wertgegenständen zu durchsuchen. Das Einwerfen der Scheibe verursacht einen lauten Knall, durch den die im Obergeschoss schlafenden Feriengäste, die gerade im Haus sind, aufwachen. Sie schalten Licht im Treppenhaus an, wodurch das ganze Haus erleuchtet wird. G bemerkt, dass die Bewohner aufgewacht sind und er das Haus nicht mehr ungestört durchsuchen kann. Um nicht entdeckt zu werden, entfernt er sich.

Wie hat sich G strafbar gemacht?

B. Entscheidung

I. Versuchter Wohnungseinbruchsdiebstahl, §§ 242 Abs. 1, 244 Abs. 1 Nr. 3, 22, 23 Abs. 1 StGB

G könnte sich wegen versuchten Wohnungseinbruchsdiebstahls nach §§ 242 Abs. 1, 244 Abs. 1 Nr. 3, 22, 23 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er sich nach Einwerfen der Scheibe des Wintergartens Zutritt zu den Wohnräumen zwecks Entwendung von Wertgegenständen verschaffen wollte.

1. Vorprüfung

Der Versuch des Diebstahls ist strafbar, § 244 Abs. 2 StGB. Die Tat ist auch nicht vollendet. Das ist nur dann der Fall, wenn der Täter eine Sache (mit Zueignungsabsicht) weggenommen, also neuen Gewahrsam daran begründet hat. G hat von den Wertgegenständen im Haus aber nichts an sich genommen.

Fraglich ist, wie es sich verhält, dass G die Vollendung der Tat aufgrund der „Störung“ bei der Tatausführung durch die aufgeweckten Feriengäste nicht mit mehr herbeigeführt hat. Insoweit kommt ein Fehlschlagen des Versuchs in Betracht. Ein fehlgeschlagener Versuch liegt vor, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt, oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält, wobei es auf die Tätersicht nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung ankommt; erkennt der Täter zu diesem Zeitpunkt, dass es zur Herbeiführung des Erfolges eines erneuten Ansetzens bedürfte, liegt ein Fehlschlag vor (vgl. BGH, NStZ 2020, 82, Rn. 5; NStZ-RR 2019, 137). So liegt der Fall hier. G hatte bemerkt, dass die Bewohner des Hauses aufgewacht sind und dass er deswegen des Haus bzw. die Wohnräume nicht mehr ungestört durchsuchen kann.

2. Tatentschluss

G müsste zur Begehung der Tat entschlossen gewesen sein. Dazu müsste er Vorsatz hinsichtlich aller objektiven und subjektiven Merkmale des Diebstahlstatbestandes gehabt haben. G wollte im Sinne einer Absicht (dolus directus 1. Grades) Wertgegenstände aus dem Wohnhaus entwenden, also Sachen gegen den Willen den Gewahrsamsinhabers an sich nehmen (Wegnahme infolge Gewahrsamsbruchs). Ferner hatte der die Absicht, sich die Gegenstände rechtswidrig zuzueignen, also den Eigentümer dauerhaft zu enteignen und sich die entwendeten Wertsachen zumindest vorübergehend anzueignen.

G hatte demgemäß hinsichtlich des Grundtatbestandes (§ 242 Abs. 1 StGB) Tatentschluss. Er müsste darüber hinaus aber auch gewusst und gewollt haben, zur Ausführung der Tat in eine Wohnung einzubrechen (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB). Ein „Einbrechen“ im Sinne dieses Qualifikationstatbestandes meint – ebenso wie bei dem Regelbeispiel des § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StGB – die gewaltsame Beseitigung eines dem Eindringen entgegenstehendes Hindernisses unter Aufwendung nicht unerheblicher körperlicher Kraft (vgl. BGH, NStZ 2000, 143). Diese Voraussetzung war hier im Hinblick auf die Zerstörung der Glasscheibe des Wintergartens mit einem Stein erfüllt. Auch hatte G Vorsatz betreffend die „Wohnung“.

3. Unmittelbares Ansetzen

G müsste zur Tatbegehung im Sinne des § 22 StGB auch unmittelbar angesetzt haben. Dazu der BGH:

„2.a) Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestands unmittelbar ansetzt (§22StGB). Ein unmittelbares Ansetzen besteht in einem Verhalten des Täters, das nach seinem Tatplan in ungestörtem Fortgang ohne weitere Zwischenschritte zur Tatbestandsverwirklichung führen oder in einem unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit ihr stehen soll; dies kann schon gegeben sein, bevor der Täter eine der Beschreibung des gesetzlichen Tatbestands entsprechende Handlung vornimmt (…).
Das von dem Täter zur Verwirklichung seines Vorhabens Unternommene muss zu dem in Betracht kommenden Straftatbestand in Beziehung gesetzt werden. Ob er zu der in diesem Sinne „entscheidenden“ Rechtsverletzung angesetzt hat oder sich noch im Stadium der Vorbereitung befindet, hängt von seiner Vorstellung über das „unmittelbare Einmünden“ seiner Handlungen in die Erfolgsverwirklichung ab. Gegen ein Überschreiten der Schwelle zum Versuch spricht es im Allgemeinen, wenn es zur Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolges noch eines neuen Willensimpulses bedarf. Wesentliches Kriterium für die Abgrenzung zwischen Vorbereitungs- und Versuchsstadium ist, inwieweit das geschützte Rechtsgut aus Sicht des Täters konkret gefährdet ist (…).
Diese Grundsätze gelten auch für die Prüfung des Versuchsbeginns bei Qualifikationstatbeständen oder Tatbeständen mit Regelbeispielen. Maßgeblich ist insoweit, ob das Verhalten des Täters nach seinem Tatplan in ungestörtem Fortgang ohne weitere Zwischenschritte zur Verwirklichung des Grunddelikts führen soll. Das kann auch in diesen Fällen bereits gegeben sein, bevor der Täter beginnt, die tatbestandliche Ausführungshandlung vorzunehmen; es kann genügen, dass er im Begriff ist, ein qualifizierendes Merkmal oder ein Regelbeispiel zu verwirklichen. Für den Versuchsbeginn kommt es den allgemeinen Grundsätzen entsprechend darauf an, ob das geschützte Rechtsgut aus Sicht des Täters schon dadurch konkret gefährdet wird, weil sein Handeln nach seinem Tatplan in die Tatbestandsverwirklichung münden soll, ohne dass es eines neuen Willensimpulses bedarf (…).
Das ist beim Wohnungseinbruchdiebstahl regelmäßig der Fall, wenn der Täter beim Beginn des Einbrechens, Einsteigens oder Eindringens im Sinne von § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, §244*Abs.**Nr.*StGB beabsichtigt, sich in direktem Anschluss daran in die Wohnung zu begeben und daraus stehlenswerte Gegenstände zu entwenden (…). Er setzt dann bereits dadurch nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar an.
b) So verhält es sich hier. Der [G] hatte beim Einschlagen des Fensters die Vorstellung, in unmittelbarem Anschluss daran in das Haus einzudringen, es nach Wertgegenständen zu durchsuchen und diese zu entwenden, ohne dass es insoweit eines weiteren Willensimpulses bedurfte. Wenngleich er zu diesem Zweck noch das Fenster öffnen und sich durch den Wintergarten in die angrenzenden Wohnräume begeben musste, war das geschützte Rechtsgut aus seiner Sicht mithin schon mit dem Beginn des Einbrechens konkret gefährdet.“

G hat damit zur Begehung der Tat nach § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB auch unmittelbar angesetzt.

4. Ergebnis

G hat sich wegen eines versuchten Wohnungseinbruchsdiebstahls strafbar gemacht.

Schaue Dir hier die (prüfungs-) relevanten Lerninhalte zu diesem Fall an:

II. Versuchter Einbruchsdiebstahl (Privatwohnung), §§ 242 Abs. 1, 244 Abs. 4, 22, 23 Abs. 1 StGB

G könnte sich aber auch wegen eines versuchten Einbruchdiebstahls in eine dauerhaft genutzte Privatwohnung gemäß den §§ 242 Abs. 1, 244 Abs. 4, 22, 23 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben. Die Tat ist nicht vollendet, der Versuch dieses Verbrechens ist strafbar (§§ 12 Abs. 1, 23 Abs. 1 StGB). Fraglich ist aber, ob G einen Tatentschluss hinsichtlich des Einbruchs in eine „dauerhaft genutzte Privatwohnung“ zur Begehung des Diebstahls hatte. Zwar handelt es sich bei dem Ferienhaus um eine „Privatwohnung“ im Sinne des § 244 Abs. 4 StGB. Diese wird als solche aber nicht „dauerhaft genutzt“. Das in Rede stehende Ferienhaus wird nur wenige Wochen im Jahr durch (wechselnde) Feriengäste bewohnt.

G hat sich damit nicht nach den §§ 242 Abs. 1, 244 Abs. 4, 22, 23 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.

Hinweis: Mit der Einführung dieses Verbrechenstatbestandes im Jahr 2017 hat der Gesetzgeber angesichts des erhöhten Mindeststrafrahmens von einem Jahr Freiheitsstrafe (im Vergleich: § 244 Abs. 1 StGB sieht nur eine Mindeststrafandrohung von sechs Monaten vor) eine Staffelung der Deliktsschwere vorgenommen, die die Privatsphäre der Eigentümer in besonderer Weise schützen soll.

III. Sachbeschädigung

G hat sich aber wegen Sachbeschädigung nach § 303 Abs. 1 StGB strafbar gemacht, indem er willentlich und wissentlich mit einem Stein ein Loch in die Glasscheibe des Wintergartens geworfen hat.

Hinweis: Bei der Sachbeschädigung nach § 303 Abs. 1 StGB handelt es sich nach Maßgabe von § 303c StGB um ein sog. relatives Antragsdelikt. Die Tat ist also nur verfolgbar, wenn der Verletzte der Straftat – fristgemäß (§ 77b StGB) und in gehöriger Form (§ 158 Abs. 2 StPO) – einen entsprechenden Antrag i.S. des § 77 StGB stellt oder – wie im konkreten Fall – die Strafverfolgungsbehörde das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht. Anderenfalls besteht ein sog. Verfahrenshindernis.

IV. Hausfriedensbruch, § 123 Abs. 1 StGB

G könnte sich wegen Hausfriedensbruchs (§ 123 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht haben, indem er die Scheibe des Wintergartens mit einem Stein zerstört hat. Dazu müsste er in das Ferienhaus –  eine von § 123 StGB geschützte Räumlichkeit – widerrechtlich „eingedrungen“ sein. Ein „Eindringen“ als Tathandlung setzt aber voraus, dass der Täter ein geschützten Bereich betritt, also zumindest mit einem Teil seines Körpers hineingelangt. Das war hier nicht der Fall: G hat nach dem Einwerfen der Scheibe von der weiteren Tatausführung abgesehen. Er hat sich nicht nach § 123 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.

Hinweis: Ein bloßer Versuch des § 123 Abs. 1 StGB ist nicht strafbar. Ferner handelt es sich beim Hausfriedensbruch um ein sog. absolutes Antragsdelikt (vgl. § 123 Abs. 2 StGB), was zur Folge hat, dass die Tat aufgrund eines Verfahrenshindernisses nicht verfolgt werden kann, wenn kein Strafantrag in gehöriger Form und Frist vom Antragsberechtigten (s.o.) gestellt wird. Ferner handelt es sich bei einem Hausfriedensbruch – ebenso wie bei der Sachbeschädigung – um ein sog. Privatklagedelikt im Sinne von § 374 Abs. 1 Nr. 1 StPO, was dazu führt, dass die Staatsanwaltschaft das Delikt nur dann von Amts wegen verfolgt, wenn dies im öffentlichen Interesse liegt (§ 376 StPO). Andernfalls stellt sie das Offizialverfahren wegen eines Verfahrenshindernisses ein und verweist den Antragsteller auf den Privatklageweg. Diese Form der „Verfahrenserledigung“ ist nicht anfechtbar, vgl. dazu § 172 Abs. 2 S. 3 StPO.

V. Konkurrenzen und Ergebnis

Hinweis: Der BGH hat die Revision des G gegen das Urteil des Landgerichts, mit dem er – zusätzlich auch noch wegen anderer Taten – zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden ist, nach § 349 Abs. 2 StPO durch begründeten Beschluss verworfen. Diese Art der (nicht anfechtbaren) Entscheidungsfindung kommt auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft in Betracht, wenn das Revisionsgericht die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet. 

G hat sich wegen versuchten Wohnungseinbruchsdiebstahl nach den §§ 242 Abs. 1, 244 Abs. 1 Nr. 3, 22, 23 Abs. 1 StGB sowie wegen Sachbeschädigung nach § 303 Abs. 1 StGB strafbar gemacht. Beide Delikte stehen zueinander im Verhältnis der Tateinheit im Sinne von § 52 StGB. Die Sachbeschädigung tritt nicht im Wege der Gesetzeseinheit in Form der Konsumtion hinter den versuchten Wohnungseinbruchdiebstahl zurück. Das ist sowohl bei einer vollendeten Diebstahlstat nach § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB der Fall (vgl. BGH, NJW 2019, 1086) als auch deren bloßem Versuch (s. dazu BGH, NJW 2017, 1186).

C.Prüfungsrelevanz

Die Problematik, dass der Täter bei der Tatbegehung „gestört“ wird und von der weiteren Tatausführung absieht, ist beim „unmittelbaren Ansetzen“ zu verorten. Es ist also danach zu fragen, ob der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat das bloße Vorbereitungsstadium schon verlassen hat und sein Handeln zu einer Gefährdung des geschützten Rechtsguts bzw. in die Tatbestandsverwirklichung führen soll. Daher ist auch schon das Aufhebeln eines Küchenfensters bzw. einer Terrassentür mit dem Ziel, im Anschluss hieran in das Gebäudeinnere einzudringen und stehlenswerte Gegenstände zu entwenden, als (fehlgeschlagener) Versuch des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB gewürdigt worden, nachdem der Täter von den Hauseigentümern entdeckt bzw. angesprochen worden war (BGH, NStZ 2020, 353). Hingegen ist der Versuchsbeginn noch nicht erreicht, wenn der Holzrahmen einer Terrassentür durchbohrt wird, um den Türöffnungshebel zu bedienen und aus der Wohnung Bargeld oder Wertgegenstände entwenden zu können, sich die Tür aber nicht öffnen lässt, weil sie mit einem verschlossenen Zusatzschloss versehen ist und der Täter daher an seinem Vorhaben scheitert (vgl. BGH, NStZ 2019, 716).

Allgemein lässt sich im Hinblick auf das unmittelbare Ansetzen im Sinne von § 22 StGB festhalten, dass bei Qualifikationstatbeständen wie auch bei Tatbeständen mit Regelbeispielen grundsätzlich auf das Ansetzen zur Verwirklichung des Grundtatbestands abzustellen ist, weswegen sich bei § 244 StGB wie bei § 243 StGB gleichermaßen die einheitlich zu beantwortende Frage stellt, ob mit den in Rede stehenden Tathandlungen zur Wegnahme i.S.v. § 22 StGB angesetzt ist (s. BGH, NJW 2017, 1189, Rn. 3).

Eine weitere materiell-rechtlich relevante Frage, die wegen des Begründungsaufwandes ebenfalls gut Examensstoff sein kann, ist diejenige nach der Auslegung und Anwendung des § 244 Abs. 4 StGB, und zwar im Zusammenhang mit dem Merkmal der „dauerhaften Nutzung“ einer etwaigen Privatwohnung. Dazu lässt sich bei dieser recht „jungen“ Norm, die definitorisch und gesetzeshistorisch Raum für Interpretationen lässt, einiges sagen (vgl. etwa Schmitz, in: MüKoStGB, 4. Aufl. 2021, § 244, Rn. 70 ff.).

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