Normenktrollverfahren: Cannabis-Verbot verfassungswidrig?

Normenktrollverfahren: Cannabis-Verbot verfassungswidrig?

Konkrete Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG

Interessante Nachrichten für Cannabis-Sympathisanten: Das AG Pasewalk wendet sich wegen der Cannabis-Verbotsvorschriften im Betäubungsmittelgesetz (BtMG) an das Bundesverfassungsgericht. Damit ist das AG Pasewalk nun bereits das dritte Gericht, das die Vorschriften zum Besitz von Cannabis im BtMG für verfassungswidrig hält.

Worum geht es?

Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so setzt es das Verfahren aus und holt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein.

So hat nach den Amtsgerichten Bernau und Münster, nun auch das Amtsgericht Pasewalk ein Strafverfahren ausgesetzt und sich in einer Richtervorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG an das Bundesverfassungsgericht gewandt. Der Grund dafür: die Richter erachten einige Vorschriften aus dem BtMG, die die Strafbarkeit von Cannabis-Besitz regeln, für verfassungswidrig.

Nach Ansicht der Richter würden §§ 29 Abs. 1 Nr. 3, 29a und 31a BtMG - soweit sie sich auf Cannabisprodukte in der Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG (Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG zählt Cannabnis zu den Betäubungsmitteln, die nicht verkehrsfähig sind) beziehen - eine Vielzahl von Grundrechten verletzen. So regelt beispielsweise § 29 Abs. 1 Nr. 3:

“Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer Betäubungsmittel besitzt, ohne zugleich im Besitz einer schriftlichen Erlaubnis für den Erwerb zu sein”.

Diese Vorschriften würden vor allem gegen die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG, die Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG sowie gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen. Darüber hinaus seien diese Vorschriften nicht mit dem in Art. 103 Abs. 2 GG normierten Bestimmtheitsgebot vereinbar. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, weil nicht ersichtlich sei, wann von einer “geringen Menge zum Eigenbedarf” auszugehen sei. Eine geringe Menge zum Eigenbedarf hat die Einstellung des Strafverfahrens gem. § 31a BtMG zur Folge.

Kritik an § 31a BtMG

Das AG Pasewalk kritisierte vor allem die uneinheitliche Einstellungspraxis im Rahmen von § 31a BtMG. Der Gesetzgeber habe es bislang nicht geschafft, verbindliche Vorgaben für die Einstellung des Strafverfahrens nach § 31a BtMG zu schaffen, was dazu führe, dass die Grenze bei der “geringen Menge zum Eigenbedarf” in den Bundesländern äußerst unterschiedlich ausgelegt und gehandhabt werde. Diese schwenke zwischen sechs und 15 Gramm. Diese Verfolgungspraxis verstoße daher gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Außer im Land Berlin werde zudem “jedwede Einstellung in das Ermessen der Staatsanwaltschaft gestellt, wobei die Richtlinien nicht zeigen, in welch unterschiedlichem Ausmaß die Staatsanwaltschaften von dem gewährten Ermessen Gebrauch zu machen haben.”

Gute Nachricht für Cannabis-Befürworter?

Die Richterin des AG Pasewalk kritisierte zudem, dass längst neue Tatsachen vorlägen, die für eine geringere Gefährlichkeit des Cannabis-Konsums sprechen. So habe die UN-Suchtkommission am 02. Dezember 2020 Cannabis von der Liste gefährlicher Drogen gestrichen. Auch die unterschiedliche rechtliche Behandlung von Cannabis und Alkohol sei aus heutiger Sicht grob willkürlich und stelle einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG dar. Eine britische Vergleichsstudie habe beispielsweise belegt, dass der Konsum von Alkohol und Tabak einen wesentlich höheren Schädigungsgrad aufweise.

In einem Beschluss aus dem Jahr 1994 hatte das BVerfG die Ungleichbehandlung zwischen Cannabis und Alkohol auch deswegen als verfassungskonform angesehen, weil die Konsumgewohnheiten in Deutschland und dem gesamten europäischen Kulturkreis eine effektive Unterbindung von Alkohol unmöglich machten, dies für die “kulturfremde Droge Cannabis” jedoch nicht gelte. 

Diese Einschätzung hält das AG Pasewalk heute für überholt:

“Die Zahl der Gelegenheitskonsumenten in der Bundesrepublik wird mit bis zu vier Millionen angegeben. Die Zahl der Bürgerinnen und Bürger, die Cannabis bisher probiert haben, ist vermutlich wesentlich höher. Von einer kulturfremden Droge kann heutzutage nicht mehr gesprochen werden. Cannabis ist in der heutigen Gesellschaft dermaßen weit verbreitet, dass von einer Alltagsdroge gesprochen werden müsse.”

Das AG Bernau hatte dem BVerfG bereits 2004 eine konkrete Normenkontrolle zu demselben Thema vorgelegt. Damals wurde die Richtervorlage als unzulässig abgewiesen, weil die Richter erklärten, an den Beschluss aus dem Jahr 1994 gebunden zu sein (Beschl. v. 29.06.2004, Az. 2 BvL 8/02). Vor diesem Hintergrund bleibt mit Spannung abzuwarten, ob das BVerfG an seiner bisherigen Rechtsprechung von 1994 festhalten wird - oder aber einen neuen Kurs einschlägt.

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