Ein Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot?
Die bereits vom Bundestag beschlossene Reform der Wiederaufnahme im Strafprozess könnte vom Bundesrat gekippt werden. Kritik an der geplanten Neuregelung gibt es schon lange.
Worum geht es?
Schuldig nach Freispruch – nach einem vom Bundestag beschlossenen Gesetzentwurf soll dies unter bestimmten Bedingungen möglich sein. Über lange Zeit strebte die Große Koalition eine Strafrechtsänderung an, am letzten Sitzungstag im Parlament hat sie es geschafft: Der Bundestag beschloss das „Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit“, nachdem bestimmte Straftaten auch nach einem Freispruch des Angeklagten weiterverfolgt werden können, wenn neue Beweise vorliegen.
Diese Reform war und ist hochumstritten. Besonders deutlich wird dies nun dadurch, dass der Bundesrat das Vorhaben verhindern könnte. Einige Bundesländer sollen sich gegen das Gesetz ausgesprochen haben, der Rechtsausschuss im Bundesrat ist eingeschaltet.
Was soll das Gesetz ermöglichen?
Auf der Zielgeraden haben die Fraktionen CDU/CSU und SPD erfolgreich einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht. Dieser sieht vor, dass unter bestimmten Voraussetzungen gegen freigesprochene Straftäter das Verfahren wieder aufgenommen werden soll, wenn nachträglich neue Beweismittel bekannt werden. Es handelt sich also um eine Reform der Wiederaufnahme in § 362 StPO. Die angestrebte Reform der Wiederaufnahme soll sich allerdings auf Mord (§ 211 StGB) und auf Tötungsverbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch, sprich unverjährbare Taten, beschränken. Als neue Beweismittel kommen dem Entwurf zufolge insbesondere solche in Betracht, die durch fortschreitende DNA-Analysen und andere, moderne kriminalistische Techniken gewonnen werden können. Schon damals begründete der rechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Johannes Fechner:
Es ist schreiendes Unrecht, wenn ein vormals freigesprochener Mörder nicht verurteilt werden kann, obwohl neue Beweise seine Tat belegen.
Aus diesem Gedanken resultiert auch anscheinend der Name des „Gesetzes zur Herstellung materieller Gerechtigkeit“.
Verletzung von ne bis in idem?
Doch kann in unserem Rechtsstaat Gerechtigkeit um jeden Preis erlangt werden? Zumindest müssen bei der Suche nach Gerechtigkeit die verfassungsrechtlichen Grundsätze beachtet werden, nicht nur auch, sondern insbesondere im Strafprozess. In verfassungsrechtlicher Hinsicht wird die Reform aber schon über einen langen Zeitraum kritisiert. Viele Kritiker:innen, vor allem Verfassungs- und Strafrechtler:innen, der DAV und auch das Bundesministerium für Justiz, verwiesen in den vergangenen Wochen und Monaten auf den Grundsatz „ne bis in idem“, der in Art. 103 III GG seine gesetzliche Ausprägung findet. Danach darf niemand wegen derselben Tat aufgrund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden, es handelt sich um ein Verfolgungshindernis.
Überblick: Rechtsbehelfe im Strafverfahren
Relevante Lerneinheit
Nun sagt der Wortlaut zwar „nur“, dass niemand mehrmals wegen derselben Tat bestraft werden darf. Das Doppelbestrafungsverbot in Art. 103 III GG verbiete aber nach allgemeiner Auffassung auch die Doppelverfolgung nach einem Freispruch.
Mehrere Bundesländer reichen Anträge ein
Nun bedarf es zum Zustandekommen eines neuen Gesetzes allerdings auch die Mithilfe des Bundesrats. Wie LTO berichtet, sollen jedoch die Länder Thüringen, Sachsen, Berlin und Hamburg einen Antrag eingereicht haben, der im Vermittlungsausschuss eine grundlegende Überarbeitung des Gesetzes anstrebe. Begründung: Die vom Bundestag beschlossene Reform der Wiederaufnahme sei verfassungswidrig, da der Grundsatz „ne bis in idem“ verletzt sei. Die Neuregelung würde darüber hinaus rechtskräftig freigesprochene Personen dauerhaft belasten, da stets die Gefahr eines erneuten Verfahrens bestehen würde. Der Antrag, der nun im Rechtsausschuss besprochen wird, soll auch von den Ländern Rheinland-Pfalz und Bremen unterstützt werden.
Prüfungsaufbau: Gesetzgebungsverfahren, Art. 76 ff. GG
Relevante Lerneinheit
Außerdem soll sich ein weiterer Antrag aus Nordrhein-Westfalen gegen die Reform richten, wie LTO berichtet. Zwar sollen hier nicht die Änderungen am § 362 StPO kritisiert werden. Stattdessen richte sich der Antrag gegen zivilrechtliche Reformen, die mit dem „Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit“ einhergehen würden. Dabei gehe es insbesondere um die zivilrechtliche Verjährung.
Wie das Verfahren ausgeht, bleibt mit Spannung zu erwarten.
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