Die Entscheidung eignet sich für Zivilrechtsklausuren in beiden Examen hervorragend. Der Sachverhalt weist einen Auslandsbezug auf, denn die Klägerin sitzt in Italien. Dadurch bietet er einen etwas ungewöhnlichen Einstieg, sodass in einer Klausur zunächst das anwendbare Recht und die internationale Zuständigkeit zu klären wäre. Im weiteren Verlauf geht es aber klassisch mit dem gutgläubigen Erwerb weiter. Fälle des gutgläubigen Erwerbs eines Gebrauchtwagens sind Klausurklassiker.
A. Sachverhalt
Die Klägerin verlangt die Herausgabe der sich in dem Besitz der Beklagten befindlichen Zulassungsbescheinigung Teil II (Kfz-Brief) eines Fahrzeugs, von dem sie behauptet, dass es von der Leasingnehmerin der Beklagten gutgläubig erworben habe. Die Beklagte verlangt widerklagend die Herausgabe dieses Fahrzeugs.
Die Klägerin, die ihren Sitz in Italien hat und dort Fahrzeuge vertreibt, kaufte – vermittelt durch den Zeugen Ch. – am 22. März 2019 aufgrund einer Internetanzeige ohne vorherige Besichtigung das streitgegenständliche, im Eigentum der Beklagten stehende Fahrzeug von der P. GmbH für 30.800,00 Euro. Hierzu begab sich der Zeuge Ch. in das Autohaus der P-GmbH in Deutschland. Die genauen Umstände der Übereignung sind streitig, insbesondere ob sich der Zeuge eine (gefälschte) Zulassungsbescheinigung Teil II vorlegen ließ.
Im Kaufvertrag wurde darauf hingewiesen, dass - wie im internationalen Kfz-Handel üblich - die Fahrzeugpapiere zurückbehalten werden bis zum Erhalt der sog. Gelangensbestätigung (§§ 4 Nr. 1b, 6a UStG, § 17a UStDV).
Mittlerweile befindet sich das Fahrzeug in Italien, die Zulassungsbescheinigung Teil II bei der Beklagten in Deutschland.
Das Landgericht Stuttgart hat die Klage abgewiesen und auf die Widerklage die Klägerin zur Herausgabe des Fahrzeugs verurteilt. Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin.
B. Überblick
Zum besseren Verständnis der Entscheidung dient der folgende Überblick:
I. Auslandsbezug
Der Sachverhalt weist einen Auslandsbezug auf, denn die Klägerin sitzt in Italien, dort befindet sich auch das streitgegenständliche Fahrzeug. Der Erwerbsvorgang fand dagegen in Deutschland statt, wo auch die Beklagte ihren Sitz hat und sich die Zulassungsbescheinigung Teil II für das Fahrzeug befindet.
In einer Klausur kann dieser Auslandsbezug an zwei Stellen relevant werden:
1. Anwendbares Recht
Aus Art. 3 a.E. EGBGB ergibt sich, dass bei „Sachverhalten mit einer Verbindung zu einem ausländischen Staat“ das anwendbare Recht bestimmt werden muss.
Zunächst geht es darum, in den EU-Verordnungen (Art. 3 Nr. 1 EGBGB), den Staatsverträgen (Nr. 2) oder im EGBGB (Art. 4 ff.) die im Fall einschlägige Kollisionsnorm zu ermitteln.
- Um aus der Vielzahl von Kollisionsnormen die für den Einzelfall maßgebliche zu finden, muss im ersten Schritt festgestellt werden, aus welchem Rechtsgebiet die geltend gemachten Ansprüche stammen sollen (sog. Qualifikation). Die Klägerin verlangt Herausgabe der Zulassungsbescheinigung Teil II, nachdem sie ihrer Auffassung nach das Eigentum am Fahrzeug erworben hat. Es geht also um einen sachenrechtlichen Anspruch.
- Im zweiten Schritt geht es darum, aus den Kollisionsnormen dieses Rechtsgebiets die im Fall einschlägige anhand der Anknüpfungsgegenstände zu ermitteln. Hierfür ist entscheidend, welche konkrete Rechtsfrage aufgeworfen wird.
Da das Sachenrecht nicht vereinheitlicht ist, kommen als Kollisionsnormen Art. 43 Abs. 1 und Art. 44 EGBGB in Betracht. Anknüpfungsgegenstand in Art. 43 Art. 1 EGBGB sind Rechte an einer Sache, während Art. 44 EGBGB nur Ansprüche wegen Grundstücksemissionen regelt. Die Klägerin begehrt die Herausgabe als Eigentümerin, macht also Rechte an einer Sache geltend. Einschlägig ist somit Art. 43 Abs. 1 EGBGB.
- Steht die einschlägige Kollisionsnorm fest, ergibt sich aus deren Anknüpfungsmoment(en) das auf die Beantwortung der konkreten Rechtsfrage anzuwendende Recht.
Art. 43 Abs. 1 EGBGB knüpft das anwendbare Recht an die Belegenheit der Sache (lex rei sitae). Die Zulassungsbescheinigung Teil II befindet sich bei der Beklagten in Deutschland, so dass deutsches Sachenrecht anzuwenden ist.
Für die Widerklage der Beklagten auf Herausgabe des Fahrzeugs müsste demnach eigentlich das italienische Sachenrecht anzuwenden sein, da sich das Fahrzeug mittlerweile in Italien befindet. Gelangt die Sache in einen anderen Staat, ändert sich das Sachenrechtsstatut (Statutenwechsel). Bereits begründete Rechte an der Sache gelten allerdings grundsätzlich fort (Art. 43 Abs. 2 EGBGB). Wäre die Klägerin also Eigentümerin des Fahrzeugs geworden, hätte sich hieran durch dessen Transport nach Italien nichts geändert.
2. Internationale Zuständigkeit
Geht es in der Klausur um die Erfolgsaussichten einer Klage, muss bei einem Sachverhalt mit Auslandsbezug auch die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte geprüft werden.
Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte wird vorrangig durch EU-Recht und Staatsverträge geregelt. Die wichtigste EU-Regelung ist die Verordnung des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO oder Brüssel Ia-VO). Bestehen solche Regelungen nicht und ergibt sich die internationale Zuständigkeit auch nicht aus konkreten Vorschriften der ZPO, gilt der Grundsatz, dass das örtlich zuständige deutsche Gericht auch international zuständig ist.
Gemäß Art. 4 EuGVVO sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates der EU haben, vor den Gerichten dieses Staates zu verklagen. Gesellschaften und juristische Personen haben ihren Wohnsitz an dem Ort, an dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung befindet (Art. 63 Abs. 1 EuGVVO). Da die Beklagte ihren Sitz in Deutschland hat, sind die deutschen Gerichte für die Klage international zuständig.
Die internationale Zuständigkeit für die Widerklage folgt nicht aus Art. 4 EuGVVO, weil die Klägerin ihren Sitz in Italien hat, aber aus Art. 8 Nr. 3 EuGVVO. Danach ist das für eine Klage zuständige Gericht auch für die Widerklage zuständig, wenn diese auf denselben Vertrag oder - wie hier - auf denselben Sachverhalt wie die Klage gestützt wird.
II. Gutgläubiger Erwerb eines Gebrauchtwagens
Fälle des gutgläubigen Erwerbs eines Gebrauchtwagens sind Klausurklassiker.
Der Einstieg vollzieht sich hier leicht ungewöhnlich, aber doch nicht unüblich, denn die Klägerin ist bereits im Besitz des Fahrzeugs und verlangt nunmehr die Fahrzeugpapiere, konkret die Zulassungsbescheinigung Teil II, von der Beklagten heraus. Hierauf wird § 952 Abs. 1 BGB entsprechend angewendet, so dass das Eigentum an der Zulassungsbescheinigung dem (Eigentums-)Recht am Fahrzeug folgt.
Die allgemeinen Voraussetzungen des gutgläubigen Erwerbs beweglicher Sachen wurden bereits in einem früheren Beitrag ausführlich dargestellt (BGH: Gutgläubiger Erwerb des Eigentums an einem nach einer Probefahrt nicht zurückgegebenen Fahrzeug).
Beim Erwerb eines Gebrauchtfahrzeugs gehört es darüber hinaus regelmäßig zu den Mindesterfordernissen gutgläubigen Erwerbs, dass sich der Erwerber die Zulassungsbescheinigung Teil II vorlegen lässt, um die Berechtigung des Veräußerers zu prüfen. Das gilt auch beim Erwerb von einem Fahrzeughändler.
C. Entscheidung
Das OLG Stuttgart hat die Entscheidung des Landgerichts abgeändert und die Beklagte unter Abweisung der Widerklage zur Herausgabe der Zulassungsbescheinigung Teil II gemäß § 985 BGB verurteilt. Die Klägerin sei Eigentümerin des Fahrzeugs geworden.
Prüfungsaufbau: Herausgabeanspruch § 985 BGB
Relevante Lerneinheit
Für das Eigentum der Klägerin streite bereits § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB. Danach wird zugunsten des (Eigen-)Besitzers einer beweglichen Sache vermutet, dass er deren Eigentümer ist. Als Folge dieser Vermutung habe der Beklagten der Beweis oblegen, dass sie das Eigentum am Fahrzeug nicht verloren hat (§ 294 ZPO). Dies sei ihr nicht gelungen.
Die Voraussetzungen der Einigung zwischen der Klägerin, vertreten durch den Zeugen Ch., und der P-GmbH sowie die Übergabe des Fahrzeugs (§ 929 Satz 1 BGB) seien zwischen den Parteien des Rechtsstreits unstreitig.
Eine Berechtigung der P-GmbH zur Veräußerung habe zwar nicht bestanden, die Klägerin habe das Fahrzeug jedoch gutgläubig erworben.
Ein Ausschluss des gutgläubigen Erwerbs nach § 935 BGB komme nicht in Betracht, da das Fahrzeug der Beklagten nicht abhandengekommen sei. Hierzu hätte sie den unmittelbaren Besitz unfreiwillig verlieren müssen, was nicht der Fall sei, da sie diesen Besitz willentlich auf die P-GmbH als ihre Leasingnehmerin übertragen habe.
Die Beklagte habe nicht bewiesen, dass die Klägerin bei Erwerb des Fahrzeugs nicht gutgläubig gewesen sei.
Die Beweislast für die Bösgläubigkeit liege bei der Beklagten. Die negative Formulierung in § 932 Abs. 2 BGB („Der Erwerber ist nicht in gutem Glauben, wenn …“) zeige, dass „der aus dem Eigentum Vertriebene“ die Darlegungs- und Beweislast dafür trage, dass der Erwerber nicht in gutem Glauben war. Dies gelte auch beim Erwerb eines Gebrauchtwagens. Es habe auf die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast keinen Einfluss, dass sich der Erwerber die Zulassungsbescheinigung Teil II vorlegen lassen müsse, denn dabei handle es sich lediglich um eine Konkretisierung der Sorgfaltsanforderungen. Ob insoweit zumindest eine sekundäre Darlegungslast des Erwerbers bestehe, nach der dieser darlegen müsste, dass ihm die Zulassungsbescheinigung Teil II vorgelegt worden sei, könne offenbleiben, denn die Klägerin habe die Umstände des Erwerbs hinreichend detailliert geschildet und auch angegeben, wer für sie gehandelt hat.
Die Beklagte hätte folglich beweisen müssen, dass dem Zeugen Ch., auf dessen Kenntnis es nach § 166 BGB ankomme, die Zulassungsbescheinigung Teil II nicht vorgelegt worden sei. Sie habe jedoch ausdrücklich darauf verzichtet, den Zeugen zu benennen.
Der Beweis sei auch nicht dadurch geführt, dass die Beklagte im Besitz der Original-Zulassungsbescheinigung Teil II ist. Es zerstöre den guten Glauben nicht, wenn dem Erwerber eine unechte Bescheinigung vorgelegt werde, die keine Auffälligkeiten aufweise und letztlich wie ein Original aussehe.
Auch der Umstand, dass dem Zeugen die gefälschte Bescheinigung nicht ausgehändigt wurde, widerlege die Gutgläubigkeit der Klägerin nicht. Zwar könne es grundsätzlich eine Verdachtssituation begründen, wenn der Veräußerer die Papiere zurückbehält und nicht aushändigt, weil dann zu vermuten sei, dass etwa ein Vorbehaltseigentum besteht. Gebe es aber einen Grund für das Zurückbehalten der Papiere, reiche es aus, wenn zumindest die Papiere vorgezeigt werden, sie sich also offensichtlich nicht bspw. bei der Bank befinden. Vorliegend ergebe sich bereits aus dem Kaufvertrag, dass die P-GmbH die Fahrzeugpapiere - wie im internationalen Kfz-Handel üblich - bis zum Erhalt der sog. Gelangensbestätigung (§§ 4 Nr. 1b, 6a UStG, § 17a UStDV) zurückbehalten werde.
Die Beklagte habe auch keine weiteren konkreten Verdachtsmomente gegen die Eigentümerstellung der P-GmbH dargetan. Zwar könne der Erwerber eines Fahrzeugs auch dann, wenn der Veräußerer im Besitz des Fahrzeugs und der Papiere ist, gleichwohl bösgläubig sein. Dies setze aber voraus, dass besondere Umstände seinen Verdacht erregen mussten und er diese unbeachtet gelassen hat. Zum Nachweis der groben Fahrlässigkeit müsse der vormalige Eigentümer aber stets die Umstände darlegen und beweisen, aus denen sich die Erkundigungs- oder Nachforschungspflicht des Erwerbers ergibt. Erst anschließend liege es am Erwerber darzulegen, dass er geeignete Erkundigungen eingezogen hat. Demzufolge hätte die Beklagte beweisen müssen, dass der Zeuge Ch. die Fälschung der Zulassungsbescheinigung Teil II leicht hätte erkennen können. Die Beklagte habe jedoch keine Auffälligkeiten dargelegt und bewiesen, etwa Schreibfehler, eine andere Fahrgestellnummer, Radierungen o.ä.
Auch in der Gesamtschau der Kaufsituation habe der Erwerbsvorgang keine besonderen Auffälligkeiten aufgewiesen, die bei dem Zeugen Bedenken aufkommen lassen mussten. Der Zeuge habe bei der P-GmbH ein Autohaus vorgefunden, in dem eine Vielzahl von Fahrzeugen vorrätig gewesen sei. Das Fahrzeug sei auch nicht übermäßig günstig gewesen. Bezahlung und weitere Abwicklung des Geschäfts seien ohne Besonderheiten geschehen. Dem Zeugen seien alle Schlüssel für das Fahrzeug ausgehändigt worden. Dass das Fahrzeug ohne vorherige Besichtigung gekauft und bezahlt wurde, sei offenbar die Entscheidung der Klägerin gewesen. Die Beklagte habe weder vorgetragen noch sei es sonst ersichtlich, dass die P-GmbH eine Besichtigung im Vorfeld verhindert hätte.
Da die Beklagte das Eigentum am Fahrzeug verloren habe, könne sie nicht dessen Herausgabe verlangen, so dass die Widerklage unbegründet sei.
D. Prüfungsrelevanz
Die Entscheidung eignet sich für Zivilrechtsklausuren in beiden Examen hervorragend. Ihre Kernaussagen sollen hier noch einmal zusammengefasst werden:
- Beim Erwerb vom Nichtberechtigten wird die Gutgläubigkeit des Erwerbers vermutet, so dass derjenige, der diesen Erwerb in Abrede stellt, die mangelnde Gutgläubigkeit darlegen und beweisen muss. Dies folgt aus der Formulierung in § 932 Abs. 2 BGB, „Der Erwerber ist nicht in gutem Glauben, wenn …“.
- Es zerstört den guten Glauben nicht, wenn dem Erwerber eines Gebrauchtwagens eine unechte Zulassungsbescheinigung Teil II vorgelegt wird, die keine Auffälligkeiten aufweist und letztlich wie ein Original aussieht.
- Wenn der Veräußerer die Fahrzeugpapiere zurückbehält und nicht aushändigt, kann das Zweifel an der Eigentümerstellung begründen, es sei denn, es gibt einen nachvollziehbaren Grund hierfür und dem Erwerber werden die Papiere zumindest gezeigt.
- Auch dann, wenn der Veräußerer im Besitz des Fahrzeugs und der Papiere ist, kann der Erwerber bösgläubig sein, wenn besondere Umstände – bspw. ein auffallend niedriger Kaufpreis - seinen Verdacht erregen mussten und er diese unbeachtet gelassen hat.
Du möchtest weiterlesen?
Dieser Beitrag steht exklusiv Kunden von Jura Online zur Verfügung.
Paket auswählen