Streit um Räumung und Herausgabe einer seit 1997 angemieteten Wohnung einer 89-jährigen Mieterin
Eine Berliner Mieterin muss mit 89 Jahren nicht noch einmal umziehen. Das hat das Landgericht Berlin jüngst in einem Urteil entschieden und stärkt damit den Schutz alter und am Wohnort verwurzelter Mieter vor der Eigenbedarfskündigung ihres Mietverhältnisses. Vorangegangen war dem Urteil ein seit 2015 andauernder Rechtsstreit.
Worum geht es?
Die Parteien des Rechtsstreits, die mittlerweile 89-jährige Mieterin sowie die Vermieterin, streiten über die Räumung und Herausgabe einer von der Beklagten im Jahr 1997 von den Rechtsvorgängern der Klägerin angemieteten Wohnung.
Die Vermieterin erklärte erstmals 2015 und in der Folge wiederholt die Kündigung des Mietverhältnisses wegen Eigenbedarfs. Die Beklagte und ihr mittlerweile verstorbener Ehemann widersprachen den Kündigungen unter Verweis auf ihr hohes Alter, ihren beeinträchtigten Gesundheitszustand, ihre langjährige Verwurzelung am Ort der Mietsache und ihre für die Beschaffung von Ersatzwohnraum zu beschränkten finanziellen Mittel.
LG Berlin musste bereits 2019 entscheiden
Der Fall beschäftigte das LG Berlin bereits 2019. Damals entschieden die Richter, dass der Beklagten bereits gemäß § 574 I S. 1 BGB allein aufgrund ihres hohen Lebensalters ein Anspruch auf eine zeitlich unbestimmte Fortsetzung des Mietverhältnisses zustehe.
Denn in § 574 I S. 1 BGB heißt es:
(1) 1Der Mieter kann der Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter, seine Familie oder einen anderen Angehörigen seines Haushalts eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist.
Dies sei hier der Fall gewesen.
Überblick: Kündigung im Mietrecht, §§ 542 ff. BGB
Relevante Lerneinheit
BGH: Hohes Alter allein keine besondere Härte
Dieses Berufungsurteil des Landgerichts Berlin vom 12. März 2019 hatte der BGH auf eine Revision der Klägerin mit einem Urteil im Februar diesen Jahres teilweise aufgehoben und den Rechtsstreit an das Landgericht zurückverwiesen.
Nach Auffassung des BGH begründe das hohe Alter eines Mieters alleine und ohne weitere Feststellungen zu den sich hieraus ergebenden Folgen für den betroffenen Mieter grundsätzlich noch keine Härte. Zudem hänge eine tiefe Verwurzelung des Mieters am Ort der Mietwohnung maßgeblich von der individuellen Lebensführung des jeweiligen Mieters ab (BGH, Urteil vom 03.02.2021 – VIII ZR 68/19).
LG Berlin: Verletzung von Art. 1 I GG
Mit seinem jetzigen Urteil hat das Landgericht Berlin die Berufung der Klägerin erneut zurückgewiesen. Denn Mieter können sich im Einzelfall auch ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen berechtigt auf eine Fortsetzung des Mietverhältnisses berufen, so das LG. Dies gelte jedenfalls dann, wenn sich die Mieter zum Zeitpunkt des Wohnungsverlustes bereits in einem hohen Lebensalter befänden und zudem aufgrund eines langjährigen Mietverhältnisses tief am Ort der Mietsache verwurzelt seien. Diese Voraussetzungen hat die Kammer nach erneuter Tatsachenfeststellung in dem zugrundeliegenden Fall für gegeben erachtet.
Laut LG seien die Folgen des Wohnungsverlustes für die Beklagte so schwerwiegend, dass sie auf eine Verletzung ihrer durch Art. 1 I GG garantierten Menschenwürde hinaus liefen.
Des Weiteren hätten die Interessen der klagenden Vermieterin im vorliegenden Fall dahinter zurückzustehen. Eine Interessenabwägung zugunsten des Vermieters käme bei kündigungsbedingten Verletzungen der Menschenwürde des Mieters allenfalls dann in Betracht, wenn der Vermieter besonders gewichtige persönliche oder wirtschaftliche Nachteile für den Fall des Fortbestandes des Mietverhältnisses geltend machen könne, die ein den Interessen des betagten und an seinem Wohnort tief verwurzelten Mieters zumindest gleichrangiges Erlangungsinteresse begründeten. Ein entsprechend hohes Erlangungsinteresse könne die Klägerin aber in diesem Fall nicht geltend machen, da die von ihr beabsichtigte Eigennutzung der Wohnung “lediglich auf bloßen Komfortzuwachs und die Vermeidung unerheblicher wirtschaftlicher Nachteile” gerichtet sei.
Die Kammer hat die erneute Revision zum BGH nicht zugelassen. Gegen die Nichtzulassung einer Revision kann grundsätzlich Beschwerde beim BGH eingelegt werden, wenn die Beschwer bei über 20.000,00 € liegt. Ob dieser Wert vorliegend erreicht ist, wäre vom BGH selbst zu entscheiden.
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