Ein Anspruch des Klägers bestehe zwar grundsätzlich wegen Unmöglichkeit der Leistungserbringung gem. § 275 I BGB – aber?
Das Amtsgericht (AG) München musste über eine Klage entscheiden, bei der es um die Rückzahlung eines Ticketkaufpreises für einen ausgefallenen Theaterbesuch ging. Es hat die Klage abgewiesen. Dabei kam eine Sonderregel zur Anwendung, die aufgrund der Corona-Pandemie ins Leben gerufen wurde: die sogenannte “Gutscheinlösung”. Aber was ist eigentlich die “Gutscheinlösung”?
Worum geht es?
Die Klägerin, die sich die Ansprüche einer Frau hat abtreten lassen, hat gegen einen Münchner Theater- und Gastronomieveranstalter geklagt. Diese Frau hatte am 31.12.2019 zwei Veranstaltungstickets für eine Veranstaltung des Münchner Theater- und Gastronomieveranstalters am 31.03.2020 zum Preis von 205,80 € erworben.
Die Bayerische Staatsregierung hatte aufgrund des Ausbruchs der Corona-Pandemie am 16.03.2020 alle Veranstaltungen in Bayern bis zunächst 20.04.2020 abgesagt; so auch die besagte Veranstaltung. Mit E-Mail vom 23.03.2020 wurden die Käufer darüber informiert, dass die Veranstaltung verlegt worden sei. Alternativ wurde den Karteninhabern ermöglicht, die Tickets ersatzweise in Gutscheine umzuwandeln. Am selben Tag erklärte die Kundin in einer E-Mail, dass sie vom Vertrag zurücktreten wolle und forderte die Rückzahlung des gezahlten Kaufpreises bis zum 06.04.2020. Am 19.05.2020 versandte die Beklagte ohne weitere Rückmeldung einen Gutschein.
Die Klägerin ist der Ansicht, ihr stehe aus abgetretenem Recht wegen Unmöglichkeit der Leistungserbringung ein Anspruch auf Rückzahlung zu. Außerdem bestünden an der Verfassungsmäßigkeit des Art. 240 § 5 Abs. 1 S. 1 EGBGB - auf den sich die “Gutscheinlösung” stützt - ganz erhebliche Zweifel.
Wie hat das Gericht entschieden?
Die Richterin des AG München folgte zunächst der Auffassung der Klägerin, dass ein Anspruch wegen Unmöglichkeit der Leistungserbringung gem. § 275 I BGB grundsätzlich bestehe. Denn die in § 275 I BGB geregelte sog. “echte” Unmöglichkeit bedeutet, dass die Leistung nicht mehr erbracht werden kann. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn die geschuldete Sache zerstört wird. Liegt eine echte Unmöglichkeit vor, so ergeben sich zwei Rechtsfolgen: einerseits geht der Anspruch auf Leistung gem. § 275 I BGB unter, andererseits entfällt der Anspruch auf die Gegenleistung gem. § 326 I 1 BGB (hier also der bereits gezahlte Ticketpreis in Höhe von 205,80 €).
Durch die Unmöglichkeit stehe der Klägerin daher ein Rücktrittsrecht gem. § 326 V BGB zu, was zur Folge hat, dass sie grundsätzlich einen Anspruch auf Rückzahlung des gezahlten Kaufpreises habe.
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Prüfungsrelevante Lerneinheit
Neue Regelung des Art. 240 § 5 Abs. 1 S. 1 EGBGB
Der eigentliche Anspruch der Klägerin auf Rückzahlung des gezahlten Kaufpreises scheitere laut Gericht im vorliegenden Fall aber an Art. 240 § 5 Abs. 1 S. 1 EGBGB. Denn gem. Art. 240 § 5 Abs. 1 S. 1 EGBGB sei die Beklagte derzeit berechtigt, der Klägerin einen Gutschein zu übergeben und die Auszahlung des Geldbetrages zu verweigern. Diese sogenannte “Gutscheinlösung” wurde im Rahmen der Corona-Pandemie ins Leben gerufen, um der drohenden Insolvenz und Zahlungsunfähigkeit vieler Veranstalter entgegen zu wirken, die sie zu befürchten haben, wenn sie bereits verkaufte Tickets zurückzahlen müssten.
In Art. 240 § 5 Abs. 1 S. 1 EGBGB heißt es:
1) Wenn eine Musik-, Kultur-, Sport- oder sonstige Freizeitveranstaltung aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht stattfinden konnte oder kann, ist der Veranstalter berechtigt, dem Inhaber einer vor dem 8. März 2020 erworbenen Eintrittskarte oder sonstigen Teilnahmeberechtigung anstelle einer Erstattung des Eintrittspreises oder sonstigen Entgelts einen Gutschein zu übergeben. Umfasst eine solche Eintrittskarte oder sonstige Berechtigung die Teilnahme an mehreren Freizeitveranstaltungen und konnte oder kann nur ein Teil dieser Veranstaltungen stattfinden, ist der Veranstalter berechtigt, dem Inhaber einen Gutschein in Höhe des Wertes des nicht genutzten Teils zu übergeben.
Der Anwendungsbereich des Art. 240 § 5 Abs. 1 S. 1 EGBGB sei laut AG München eröffnet: Bei der gebuchten Veranstaltung handele es sich unstreitig um eine “sonstige Freizeitveranstaltung”. Die Nutzungsberechtigung wurde vor dem 08.03.2020, nämlich am 31.12.2019, erworben. Und die Veranstaltung konnte aufgrund der Corona-Pandemie nicht stattfinden, sodass der Anspruch auf Rückzahlung des gezahlten Kaufpreises wegen der Unmöglichkeit der Leistungserbringung gem. Art. 240 § 5 Abs. 1 S. 1 EGBGB ausgeschlossen ist.
“Gutscheinlösung” verfassungsgemäß
Die Klägerin äußerte neben ihrem Rückzahlungsbegehren außerdem erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der sogenannten “Gutscheinlösung”. Dem trat die Richterin aber entgegen. Art. 240 § 5 Abs. 1 S. 1 EGBGB sei verfassungsgemäß und verfolge insbesondere einen legitimen Zweck.
Der Eingriff in Art. 14 GG (Eigentum) sei gerechtfertigt. In der Verhinderung bzw. Verzögerung von drohenden Insolvenzen der Veranstalter liege einlegitimes Ziel, das der Gesetzgeber mit der kurzfristigen Einführung der Norm verfolgt habe.
Außerdem sei der Eingriff auch geeignet und erforderlich. Nur das beschlossene „Paket“ von Maßnahmen, bestehend aus unmittelbaren Finanzhilfen, „Gutscheinlösung“ und vorübergehenden Insolvenzrechtsänderungen, könne sofortige Insolvenzen auch tatsächlich verhindern.
Nach Auffassung des Gerichts sei auch die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne gewahrt. Bei kulturellen Veranstaltungen handele es sich um kulturellen Genuss, nicht hingegen um eine für das Leben existenzielle Anschaffung oder eine systemrelevante Leistung. Auch wenn Kultur ein wichtiges Gut für die Gesellschaft sei, so sei sie im Rahmen einer Rangordnung der zum Leben wichtigsten Güter nicht ganz oben anzusiedeln. Die Höhe der Rückforderungsansprüche sei im Regelfall auch nicht so hoch, dass es zu existenziellen Verlusten bei den Ticketinhabern komme. Außerdem normiere Art. 240 § 5 Abs. 5 EGBGB im Falle einer persönlichen Unzumutbarkeit zusätzlich eine Härtefallregelung, falls die Ticketinhaber:innen im Einzelfall dringend auf Geld statt Gutschein angewiesen sein sollten.
Die Entscheidung ist rechtskräftig.
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