Polizist beim Einsatz verletzt: Berufsrisikotypische Verletzung oder deliktische Haftung?

Polizist beim Einsatz verletzt: Berufsrisikotypische Verletzung oder deliktische Haftung?

Schadensersatz für Polizeibeamte oder Berufsrisiko?

Bei einem Polizeieinsatz in einer Cocktailbar wird ein Beamter von einem 18-Jährigen am Daumen verletzt, infolgedessen erlitt er eine psychische Erkrankung und wurde dienstunfähig. Das Land verklagte den jungen Mann auf Schadensersatz von über 100.000 Euro. Der BGH musste entscheiden: Anspruch entstanden oder Berufsrisiko?

Worum geht es?

In einer Entscheidung hat der BGH klargestellt, dass der Schädiger auch für eine psychische Gesundheitsverletzung eines Polizeibeamten im Rahmen des § 823 BGB haften muss. Dies war umstritten, denn Teile von Rechtsprechung und Literatur ordneten solche Verletzungen dem Berufsrisiko zu. So entschied auch noch das Berufungsgericht im vorliegenden Fall – doch der BGH fand deutliche Worte.

Polizist nach Einsatz dienstunfähig

Die Grundlage für die höchstrichterliche Entscheidung war ein Polizeieinsatz in einer Cocktailbar, in der es zu einer Auseinandersetzung zwischen dem damals 18-jährigen Beklagten und anderen Gästen gekommen war. Der stark alkoholisierte Beklagte kam einem ausgesprochenen Platzverweis der Polizei nicht nach, sodass sie ihn in Gewahrsam nahmen. Dabei wehrte sich der junge Mann, beleidigte und verletzte einen Polizeibeamten am Daumen.

In strafrechtlicher Hinsicht hat der Fall sein Ende gefunden: Der Beklagte wurde wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung und Beleidigung verurteilt und musste an einem sozialen Training teilnehmen. Außerdem zahlte er eine Geldbuße an einen gemeinnützigen Verein.

Doch in zivilrechtlicher Hinsicht gab es Klärungsbedarf. Das Land, in dem der Polizeibeamte seinen Dienst ausübte, klagte auf Schadensersatz. Es brachte vor, dass der verletzte Polizeibeamte eine psychische Erkrankung aufgrund des Einsatzes erlitten habe und dauerhaft dienstunfähig sei. Als Versorgungsträger verlangte das Land aus übergegangenem Recht des Polizeibeamten Schadensersatz für Behandlungskosten und Verdienstausfall – in Höhe von rund 105.000 Euro.

OLG verwies auf Berufsrisiko

Das Land machte vor dem LG einen Schadensersatzanspruch aus § 823 I BGB aufgrund vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung mit Erfolg geltend. Doch auf die Berufung des Beklagten hin hat das OLG die Klage überwiegend abgewiesen und lediglich einen Schadensersatzanspruch für die Daumenverletzung in Höhe von rund 4.400 Euro zugesprochen. Einen darüber hinausgehenden Anspruch wegen einer psychischen Gesundheitsbeeinträchtigung aus § 823 I BGB hat es verneint, da es sich um ein verwirklichtes Risiko handeln würde, das der Polizeibeamte schon mit seiner Berufswahl eingegangen sei. Bei dem Vorfall in der Cocktailbar habe es sich um keinen vorsätzlichen Angriff des Beklagten gehandelt, sondern um „ungeordnete Abwehrbewegungen gegen seine Ingewahrsamnahme“. Solche Situation seien ständiger Teil der Berufstätigkeit eines Polizeibeamten, der Konflikte zum Schutz der Gesellschaft unterbinden müsse. Sollte aus einer solchen alltäglichen Situation eine gravierende psychische Störung resultieren, die ihn dienstunfähig mache, sei diese Verletzung dem Schädiger nicht zuzurechnen.

Psychische Beeinträchtigung stellt Gesundheitsverletzung dar

Nun war der BGH gefragt, da das Land in Revision ging. Zunächst stellte das Karlsruher Gericht fest, dass eine psychische Beeinträchtigung nach den Maßstäben des § 823 I BGB ersatzfähig sei. Es verwies auf die ständige Rechtsprechung, wonach durch ein Geschehen ausgelöste psychische Störungen von Krankheitswert eine Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 I BGB darstellen können.

Kleiner Exkurs: Wenn es um psychische Beeinträchtigungen und einen Schadensersatzanspruch aus § 823 I BGB geht, kommen Studierende thematisch nicht an den sogenannten Schockschäden vorbei.  Solche stellen eine psychische Gesundheitsverletzung dar, wenn sie durch Tod oder schwere Verletzungen naher Angehörigen entstehen – doch an diese sind höhere Anforderungen zu stellen, wie wir Dir in diesem Beitrag aufzeigen. Im vorliegenden Fall handelt es sich aber um keinen Schockschaden, da der Polizeibeamte seine psychische Beeinträchtigung nicht mittelbar auf die Verletzung oder Tod eines Dritten zurückführt, sondern auf seine unmittelbare Beteiligung an der Ingewahrsamnahme, die seine psychische Beeinträchtigung hervorgerufen habe.

Aufbau der Prüfung: § 823 I BGB
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Rechtlicher Knackpunkt: Zurechnungszusammenhang

Alle Instanzen waren sich einig, dass es sich bei der psychischen Beeinträchtigung des Polizeibeamten um eine ersatzfähige Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 I BGB handeln würde. Doch das Berufungsgericht lehnte den Schadensersatzanspruch ab, da es am erforderlichen Zurechnungszusammenhang zwischen der Handlung des Beklagten und der Gesundheitsverletzung fehlen würde, da sich lediglich das Berufsrisiko des Polizeibeamten verwirklicht habe.

Wenn es am Zurechnungszusammenhang fehle, scheide ein Anspruch aus § 823 I BGB aus. Seine Feststellung bezwecke den Nachweis, dass zwischen der Verletzung und der auslösenden Ursache ein Zusammenhang gegeben sei, der sich noch im Rahmen des Schutzzwecks der Norm bewegt. In seiner Entscheidung betonte der BGH, dass in Fällen der psychischen Gesundheitsbeeinträchtigung eine besondere Prüfung erfolgen müsse. Damit soll eine ausufernde Haftung ausgeschlossen werden. Ein Schadensersatzanspruch bestehe nur dann, wenn die Tatfolgen, für die Ersatz begehrt werde, aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen worden sei. Der geltend gemachte Schaden müsse also nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm fallen. Daran fehle es in der Regel, wenn sich eine Gefahr realisiere, die dem allgemeinen Lebensrisiko und damit dem Risikobereich des Geschädigten zuzurechnen sei.

Aus diesem Grund lehnte das OLG den Anspruch ab – die psychische Beeinträchtigung sei durch einen alltäglichen Polizeieinsatz entstanden und somit dem eigenen Risiko des Polizeibeamten zuzuordnen. Doch zu dieser Thematik gibt es andere Auffassungen: In Rechtsprechung und Literatur ist es umstritten, wie das Berufsrisiko von Polizeibeamten, psychische Gesundheitsverletzungen zu erleiden, haftungsrechtlich zu werten ist. Eine Auffassung vertritt etwa, dass physische und psychische Gesundheitsverletzungen gleichzustellen seien, da es keinen Anlass für eine Unterscheidung gäbe. Andererseits gibt es die Auffassung, die auch das OLG vertritt: Berufsrisiko. In solchen Fällen wie dem vorliegenden sei es in erster Linie Aufgabe der Dienststelle, sie auf solche Aufgaben vorzubereiten und für eine gegebenenfalls notwendige Betreuung nach dem Einsatz zu sorgen, aber nicht Pflicht des Schädigers. Eine weitere Auffassung stellt auf die Frage ab, ob der Schädiger den Not- und Einsatzfall vorsätzlich herbeigeführt hat oder ob er den Einsatz vorsätzlich behindert oder erschwert, um den Zurechnungszusammenhang zu bewerten. Aber wie hat der BGH entschieden?

Aufbau der Prüfung - Zurechnung
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BGH rügt OLG-Entscheidung

Die Karlsruher Richter:innen haben in ihrer Entscheidung die Auffassung des OLGs gerügt und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen. Die aufgeworfene Rechtsfrage erreichte bislang nur einmal zuvor den BGH. Aufgrund eines Amoklaufs musste der BGH entscheiden, wie das Berufsrisiko von Polizeibeamten und psychische Gesundheitsverletzungen innerhalb von § 823 I BGB zu werten sind (Urt. v. 18.04.2018 – VI ZR 237/17). Bei dem Amoklauf wurde eine Zurechnung bejaht – allerdings habe es sich auch um ein vorsätzliches, schweres Gewaltverbrechen gehandelt, das naturgemäß auf die seelische Unversehrtheit der Polizeibeamten Einfluss hatte.

Doch auch bei einer psychischen Erkrankung aufgrund eines alltäglichen Polizeieinsatzes sei der erforderliche Zurechnungszusammenhang gegeben, so der BGH. Eine wertende Betrachtung lasse kein anderes Ergebnis zu. Auch wenn es zur Ausbildung und zum Beruf von Polizeibeamten gehöre, solche Situationen zu bewältigen und sie zu verarbeiten, gebiete eine solche Vorbereitung und eine gestärkte Psyche regelmäßig nicht, ihnen bei dennoch erfolgenden Eintritt einer psychischen Beeinträchtigung den Schutz des Deliktsrechts zu versagen, so der BGH. Dass solche Belastungssituationen im Polizeialltag mit einem hinzunehmenden allgemeinen Lebensrisiko wie vom OLG angenommen gleichzusetzen seien, greife zu kurz. Schließlich gehöre es auch zum Berufsrisiko eines Polizeibeamten, beim Einsatz physische Verletzungen zu erleiden, welche in der Regel vorbehaltlos als vom Schutzzweck der verletzten Norm verfasst angesehen würden – so etwa auch die Daumenverletzung.

Die Sache wurde damit an das OLG zurückverwiesen.

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