Verstoß gegen das Willkürverbot?
Menschenunwürdige Unterbringung von Gefangenen in Bayern? Zwei Verfassungsbeschwerden hatten beim BVerfG Erfolg. Die Karlsruher Richter rügten mit deutlichen Worten die vorangegangenen Entscheidungen der unteren Instanzen.
Worum geht es?
Gleich in zwei Beschlüssen hat sich das BVerfG mit der Unterbringung von Gefangenen befasst. Zwei Häftlinge, die sich im Jahr 2012 in bayerischen Justizvollzugsanstalten befanden, rügten jeweils mit einer Verfassungsbeschwerde eine menschenunwürdige Unterbringung und die entsprechenden Entscheidungen der Gerichte. Denn die Haftbedingungen seien schlimm, sie rügten eine doppelte Unterbringung mit einem weiteren Gefangenen in zu kleinen Hafträumen. Außerdem sei die Toilette nicht vom sonstigen Raum abgetrennt, weiter gebe es keine gesonderte Abluftvorrichtung.
Gerichtlich wollten sie gegen die von ihnen vorgetragene menschenunwürdige Unterbringung vorgehen, scheiterten aber. Das BVerfG hat die Entscheidungen der vorherigen Instanzen nun kräftig gerügt.
Verfassungsbeschwerde, Art. 93 I Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 23, 90 ff. BVerfGG
Prüfungsrelevante Lerneinheit
Die Entscheidungen der vorherigen Instanzen
Im ersten Fall stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Prozesskostenhilfe, um gegen den Freistaat Bayern bezüglich seiner Haftbedingungen vorzugehen. Nachdem der Antrag zunächst vom Landgericht abgelehnt wurde, billigte das OLG die finanzielle Unterstützung. Doch das Landgericht wies die daraufhin erhobene Klage ab. Spannend und Gegenstand in Karlsruhe ist nun die Rolle des Richters:
Das Urteil des Landgerichts stammte aufgrund eines Richterwechsels nicht von demjenigen, der die Prozesskostenhilfe zuvor abgelehnt hatte. Trotzdem sei das Urteil „nahezu wortlaut identisch“ mit der Prozesskostenhilfe-Ablehnung, wie das BVerfG später feststellen wird. Der Beschwerdeführer rügte, dass er überhaupt nicht richtig angehört wurde, doch das LG führte ohne weitere Begründung aus, dass das rechtliche Gehör des Klägers nicht verletzt sei.
Der zweite Fall beginnt auch mit einem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, um eine Amtshaftungsklage gegen den Freistaat aufgrund menschenunwürdiger Unterbringung zu erheben. Der damalige Kläger und nun Beschwerdeführer bot sogar ein Beweisangebot an, dass eine Alternativunterbringung auf einer anderen Station ebenfalls menschenunwürdig gewesen wäre. Doch das Landgericht lehnte ab, das OLG wies die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde mit der Begründung ab, dass dem Beschwerdeführer ein Verlegungsantrag zumutbar sei.
Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde im ersten Fall
Der Beschwerdeführer im ersten Verfahren rügte mit seiner Verfassungsbeschwerde unter anderem eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör sowie des Willkürverbots. Durch das Recht auf rechtliches Gehör wird Beteiligten an einem Gerichtsverfahren die Gelegenheit gegeben, sich zum Sachverhalt zu äußern, bevor eine Entscheidung fällt. Weiter wird durch das Recht gewährleistet, dass etwaige Äußerungen vom Gericht zur Kenntnis und entsprechend gewürdigt werden. Wann ein Verstoß gegen das Willkürverbot vorliegt, definiert das BVerfG in seinem Beschluss gleich mit:
Für die Annahme eines Verstoßes gegen das Willkürverbot ist erforderlich, dass die Rechtsanwendung krass fehlerhaft und unter Berücksichtigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht.
In beiden Fällen sahen die Karlsruher Richter hier eine Verletzung. Durch das „nahezu wortlaut identische“ Urteil des Richters werde nicht deutlich, ob er sich überhaupt selbst mit den entscheidenden Rechtsfragen befasst habe. Es sei unklar, wieso sich das Gericht nicht näher mit den Ausführungen des Beschwerdeführers bezüglich der Zellengröße auseinandersetzte. Außerdem würden Ausführungen zu der Toilette fehlen. Der Beschwerdeführer habe in dem Verfahren wiederholt auf Rechtsprechung des BVerfG, des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und andere Obergerichte hingewiesen, die sich mit der Haftunterbringung befasse. Es sei nach Auffassung der Verfassungsrichter nicht ersichtlich, wieso das Landgericht das nicht ernsthaft erwogen habe. So sei der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.
Allgemeiner Gleichheitssatz, Art. 3 I GG
Prüfungsrelevante Lerneinheit
Gleichzeitig sei dadurch ein Verstoß gegen das Willkürverbot gegeben. Das Landgericht habe sich „offenbar verschlossen“, so das BVerfG, als es um die Rechtsprechung anderer Gerichte zu ähnlichen Haftbedingungen gehe. Dafür sei kein sachlicher Gesichtspunkt ersichtlich.
Verfassungsbeschwerde auch im zweiten Fall erfolgreich
Die zweite Verfassungsbeschwerde hatte ebenfalls Erfolg. Hier rügte der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Anspruchs auf Rechtsschutzgleichheit. Diese gebietet eine Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Wahrnehmung ihres Rechtsschutzes.
Das BVerfG führte aus, dass es zwar verfassungsgemäß sei, die Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, ob ein rechtliches Vorgehen Aussicht auf Erfolg habe oder nicht. Dabei dürfe eine solche Prüfung aber nicht dazu führen, dass das eigentliche Verfahren in das Verfahren der Prozesskostenhilfe verlagert werde. Zu so einer Situation sei es hier aber gekommen.
Indem die Fachgerichte der beabsichtigten Amtshaftungsklage ungeachtet von ungeklärten Rechtsfragen die Erfolgsaussichten von vornherein abgesprochen und Prozesskostenhilfe verweigert haben, haben sie den Anspruch des Beschwerdeführers auf Rechtsschutzgleichheit verletzt.
Solch bedeutende Rechtsfragen wie die zur menschenwürdigen oder menschenunwürdigen Unterbringung könnten nicht im Rahmen eines Prozesskostenhilfeverfahrens geklärt werden. Um sie zu beantworten, bedürfe es einer Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren. Gerade auch deshalb, weil dann der direkte Weg durch Rechtsmittel zu höheren Gerichten möglich sei.
In beiden Fällen wurde die Sache an das Landgericht zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.
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