BayVGH kritisiert Urteil des AG Weimar wegen "methodisch höchst fragwürdiger Einzelentscheidung"

BayVGH kritisiert Urteil des AG Weimar wegen

Es ging um ein Urteil des AG Weimar zur Querdenker-Demo

Erneut wollte die “Querdenker”-Bewegung in München demonstrieren. Sie landete im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (BayVGH), wo sie sich auf ein aufsehenerregendes Urteil des AG Weimar berief - welches der BayVGH stark kritisierte.

Worum geht es?

Die “Querdenker”-Bewegung hat am 19. Januar 2021 eine Versammlung mit ca. 1.000 Teilnehmern angemeldet. Sie sollte am 24. Januar 2021 um 18:00 Uhr beginnen und aus einem Umzug und einer anschließenden zweieinhalbstündigen Kundgebung unmittelbar vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof bestehen. Thema der Demonstration sollte die Forderung sein, dass der 10. Senat des BayVGH vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angeklagt werden solle, da er sich nach § 7 Abs. 1 Nr. 10 des Völkerstrafgesetzbuches hinsichtlich einer “unerwünschten politischen Gruppierung” - nämlich den “Querdenkern” selbst - wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit strafbar gemacht habe. Auf der Versammlung sollten Unterschriftenlisten ausgelegt werden, um 500 Unterschriften für eine Anklage beim Internationalen Strafgerichtshof sowie für die Abberufung des Bayerischen Landtags zu sammeln.

Mit Bescheid vom 21. Januar 2021 hat die zuständige Behörde den Aufzug (sich fortbewegende Versammlung) untersagt, die stationäre Kundgebung auf einen anderen Abschnitt verlegt, die Teilnehmerzahl auf 200 beschränkt und die Versammlungsdauer auf den Zeitraum von 17:45 bis 20:00 Uhr verkürzt. Zur Begründung des Verbots des Aufzugs, der Beschränkung der Teilnehmerzahl und der Verkürzung der Versammlungsdauer wurde ausgeführt, die Versammlung sei nur in dieser Form infektionsschutzrechtlich vertretbar. Erfahrungen mit dem Antragsteller und Versammlungen der „Querdenken“-Bewegung in der Vergangenheit zeigten, dass mit massiven Verstößen gegen Abstands- und Maskenpflichten durch die Teilnehmer zu rechnen sei.

Die zeitliche Vorverlegung der Versammlung sei erforderlich, um den Teilnehmern nach Ende der Versammlung genügend Zeit einzuräumen, die nächtliche Ausgangssperre ab 21.00 Uhr einzuhalten. Die Teilnahme an einer Versammlung stelle keinen triftigen Grund für ein Verlassen der Wohnung im Sinne von § 3 der 11. BayIfSMV dar. Die räumliche Verlegung sei erforderlich, weil der Bayerische Verwaltungsgerichtshof für die Querdenken-Bewegung ein Feindbild darstelle und die Polizei deshalb eine räumliche Verlegung für angezeigt halte. 

Versammlungsfreiheit, Art. 8 GG
Prüfungsrelevante Lerneinheit

BayVGH weist Eilantrag größtenteils zurück

Nachdem das VG München den Eilantrag der Querdenker zurückgewiesen hatte (Entscheidung v. 22. Januar 2021, Az.: M 13 S 21.337), musste sich der BayVGH mit der dagegen gerichteten Beschwerde befassen (Beschl. v. 24. Januar 2021, Az. 10 CS 21.249). Der BayVGH bestätigte in seinem Beschluss die Entscheidung  des VG München, die Demonstration auf 200 Teilnehmer zu beschränken und die stationäre Kundgebung (ohne Aufzug) anzuordnen. Als begründet sah er die Beschwerde im Hinblick auf die räumliche und zeitliche Verlegung der Versammlung an. So durfte die Versammlung zwischen 18:15 und 22:15 Uhr für maximal zwei Stunden und 15 Minuten stationär vor dem Gebäude des Verwaltungsgerichtshofs stattfinden. Letztendlich haben an der Kundgebung am vergangenen Sonntag vor dem BayVGH 300 “Querdenker” teilgenommen - anstatt der erlaubten 200. Der Beschluss des Verfassungsgerichtshofs ist unanfechtbar. 

Urteil des AG Weimar sorgt für Kritik

Neu war im Zusammenhang mit dem Verfahren, dass sich der Antragsteller auf die aufsehenerregende Entscheidung des AG Weimar berief, die vor einigen Tagen für viel Diskussion sorgte (Az. 6 OWi – 523 Js 202518/20).

In Weimar stand ein Mann vor Gericht, der im Frühjahr vergangenen Jahres gegen die Corona-Regeln verstoßen haben soll. Das AG sprach den Mann überraschenderweise frei - mit der Begründung, dass die Lockdown-Maßnahmen mit Kontaktverbot verfassungswidrig seien. Es habe in Deutschland zu diesem Zeitpunkt kein Gesundheitsnotstand geherrscht. Die Lockdown-Regelungen seien laut AG Weimar eine “katastrophale politische Fehlentscheidung mit dramatischen Konsequenzen” gewesen. Der Staat habe sich dabei auf “falsche Annahmen” gestützt, Eindeutiges falsch interpretiert und durch die verhängten Maßnahmen gegen die Menschenwürde verstoßen. 

Prüfung eines Freiheitsgrundrechts
Prüfungsrelevante Lerneinheit

Der BayVGH nahm das Berufen des Antragstellers auf das Urteil des AG Weimar zum Anlass, ausführlich Kritik an diesem zu üben. Das Urteil aus Weimar sei eine  “methodisch höchst fragwürdige Einzelentscheidung, die hinsichtlich der Gefahren der Corona-Pandemie im Widerspruch zur - vom Amtsgericht nicht ansatzweise berücksichtigten - ganz überwiegenden Rechtsprechung der deutschen Gerichte steht”.

Wenn das Amtsgericht Weimar meine, dass im April 2020 keine epidemische Lage nationaler Tragweite vorgelegen habe, setze es seine eigene Auffassung an die Stelle der Einschätzung des Bundestages und des Verordnungsgebers, ohne sich auch nur ansatzweise mit den wissenschaftlichen und tatsächlichen Grundlagen auseinanderzusetzen, die zu deren Einschätzung geführt haben und maße sich gleichzeitig eine Sachkunde zu infektiologischen und epidemiologischen Sachverhalten an, die ihm angesichts der hochkomplexen Situtation ersichtlich nicht zukomme. Das Amtsgericht führe einzelne von ihm für maßgeblich gehaltene Kriterien und Belege an und blende dabei gegenteilige Hinweise und Quellen systematisch aus. Im Übrigen vermenge das Amtsgericht die im Gefahrabwehrrecht maßgebliche ex-ante- Betrachtung mit Elementen einer ex-post-Betrachtug und stelle vielfach keine Überlegungen zu Kausalitäten bzw. Koinzidenzien ab, was für mangelnde Kenntnisse im Gefahrenabwehrrecht spreche.

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