A. Sachverhalt
Die Erblasserin ist ledig und kinderlos verstorben. Ihre Eltern sind vorverstorben. Es lebt noch ihr Bruder.
Sie hinterlässt folgendes handschriftliches Testament:
„Für nach meinem Tode.
Meine letztwillige endgültige Bestimmung betr. unsere Hinterlassenschaft aus 40 Jahren entbehrungsvollen Hungerjahren:
Ausgeschlossen sind alle Verwandten und angeheirateten Verwandten!
Mutters Schwägerin …, geb. …, erbt den Nachlaß ihrer Eltern. Sie hat zwei Nachkommen, … und …, eine Angeheiratete. Die Familie …, …, war mitleidlos gegenüber unserem Vertreibungsschicksal. ‘Man muss doch mal vergessen können….´ Eine Aussage die wir von Einheimischen, die ihre Heimat behalten haben, hören mußten, die uns schwer verletzt hat! Bis heute wissen sie nicht wie wirklich grausam Heimweh nach daheim und Sehnsucht nach den Eltern und Großeltern ausbrennen! ‘Unser Leben ist eine offene Wunde sagte unsere leidgeprüfte tapfer geduldige Mutter!´
Auch ausgeschlossen ist Mutters Vetter, … …, München, der schwerstverwundet beinamputiert den Krieg überlebt hat, aber von Vertriebenen- und Flüchtlingsschicksalen ‘nichts weiß’. Ebenso ausgeschlossen ist seine Nachkommenschaft mit einer Angeheirateten, die seinen Nachlaß erben.
Wir wurden von den Verwandten lächerlich gemacht! Das tut sehr weh!
Ich bin im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte.
Hamburg, Februar 2007“
Unterschrift
Am 07.04.2020 stellte der Bruder der Erblasserin einen notariell beurkundeten Antrag auf Erteilung eines Erbscheins, der seine Alleinerbenstellung bezeugen soll. Er ist der Auffassung, dass der im Testament der Erblasserin angeordnete Ausschluss für ihn keine Gültigkeit haben sollte. Auch ihn habe das von der Erblasserin im Testament beschriebene Schicksal getroffen. Er habe zu seiner Schwester bis zuletzt einen guten Kontakt gepflegt.
Das Nachlassgericht hat einen Nachlasspfleger bestellt. Dieser ist der Ansicht, dass im Testament alle Verwandten, und damit auch der Bruder der Erblasserin, von der Erbfolge ausgeschlossen worden seien. Er hat angeregt, das Erbrecht des Fiskus festzustellen.
Das Nachlassgericht hat angekündigt, einen Erbschein zugunsten des Bruders der Erblasserin zu erteilen. Hiergegen hat der Nachlasspfleger Beschwerde eingelegt.
B. Überblick
In beiden Examen sind auch Grundkenntnisse des Erbrechts gefragt. Hierzu gehören auch die Themen der Entscheidung des OLG Stuttgart: Erbfolge durch Testament, Auslegung eines Testaments und Erteilung eines Erbscheins.
Der Bruder der Erblasserin hält sich für deren Erben. Ob er damit richtig liegt, weiß man erst, nachdem man das Testament ausgelegt hat. Sollte auch der Bruder von der Erbfolge ausgeschlossen sein, würde die Erbmasse auf die Staatskasse, den sog. Fiskus, übergehen (§§ 1936, 1964 BGB). Wegen dieser Ungewissheit hat das Nachlassgericht einen Nachlasspfleger bestellt (§ 1960 Abs. 1 Satz 2 BGB), der sozusagen die Interessen der Erbmasse vertritt.
I. Erbfolge durch Testament
Gemäß § 1922 Abs. 1 BGB geht mit dem Tod einer Person deren Vermögen als Ganzes auf eine oder mehrere andere Personen über. Das nennt man Gesamtrechtsnachfolge oder Universalsukzession.
Die Frage, wer Erbe geworden ist, hängt davon ab, ob der Erblasser von seiner Testierfreiheit Gebrauch gemacht hat oder nicht. Die Testierfreiheit ist Kern der Erbrechtsgarantie in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG. Der Erblasser kann durch einseitige Verfügung von Todes wegen (§ 1937 BGB) grundsätzlich selbst bestimmen, auf wen sein Eigentum nach seinem Tod übergehen soll. Nur dann, wenn er das nicht getan hat, ist die gesetzliche Erbfolge in §§ 1924 ff. BGB maßgeblich (§ 1938 BGB; hierzu ausführlich unter D.II.).
Hat der Erblasser ein Testament hinterlassen, kommt es für die Bestimmung der Erbfolge zum einen darauf an, ob der Inhalt des Testaments eindeutig festzustellen und zulässig ist, zum anderen muss das Testament wirksam sein.
Wirksamkeit eines Testaments
Prüfungsrelevante Lerneinheit
1. Errichtung des Testaments
Hinsichtlich der Errichtung des Testaments unterscheidet das Gesetz zunächst zwischen ordentlichen Testamenten und Nottestamenten.
a) Ordentliche Testamente
Ordentliche Testamente können grundsätzlich in zwei Varianten errichtet werden: als öffentliches oder eigenhändiges Testament (§ 2231 BGB).
Öffentliches Testament (§ 2231 BGB)Ein öffentliches Testament wird durch Niederschrift eines Notars errichtet. Hierzu kann der Erblasser seinen letzten Willen mündlich erklären oder er übergibt dem Notar eine offene oder verschlossene Schrift und erklärt hierzu, dass diese seinen letzten Willen enthalte. Diese Schrift braucht nicht von ihm geschrieben zu sein.Ist der Notar der Überzeugung, dass der Erblasser nicht lesen kann, ist eine Errichtung nur durch Erklärung des letzten Willens zulässig (§ 2233 Abs. 2 BGB).Ein Minderjähriger, der überhaupt erst dann ein Testament errichten darf, wenn er das 16. Lebensjahr vollendet hat (§ 2229 Abs. 1 BGB), muss seinen letzten Willen entweder dem Notar gegenüber erklären oder diesem eine offene Schrift übergeben (§ 2229 Abs. 1 BGB).
Eigenhändiges Testament (§ 2247 BGB)Der Erblasser kann das Testament auch eigenhändig und ohne Mitwirkung eines Notars errichten. Hierzu muss er den Text handschriftlich verfassen und unterschreiben (§ 2247 Abs. 1 BGB). Er kann das Testament zu Hause aufbewahren, aber auch in amtliche Verwahrung bei einem Nachlassgericht geben (§ 2248 BGB iVm §§ 342 Abs. 1 Nr. 3, § 344 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 FamFG).Ein Minderjähriger kann kein eigenhändiges Testament errichten, das gilt auch für einen Analphabeten (Abs. 3).
b) Nottestamente
Nottestamente geben dem Erblasser die Möglichkeit, ein Testament auch dann zu errichten, wenn ein Notar nicht verfügbar ist oder nicht rechtzeitig erreicht werden kann. Es kann vor dem Bürgermeister der Gemeinde, in der sich der Erblasser aufhält, errichtet werden (§ 2249 BGB) oder vor drei Zeugen (§§ 2250, 2251 BGB). Ein Nottestament wird unwirksam, wenn seit seiner Errichtung drei Monate vergangen sind und der Erblasser noch lebt (§ 2252 Abs. 1 BGB).
2. Inhalt des Testaments
Für den Inhalt des Testaments ist der Erblasser an die vom Gesetz vorgegebenen Gestaltungsmöglichkeiten gebunden (numerus clausus).
ErbeinsetzungEr kann seinen Erben frei, also abweichend von der gesetzlichen Erbfolge, bestimmen. Er kann mehrere Personen zu Miterben machen. Er kann aber auch eine zeitliche Staffelung vornehmen (Vor- und Nacherben) oder für den Ausfall eines Erben einen Ersatzerben einsetzen.
EnterbungDer Erblasser kann sein Testament darauf beschränken, einen gesetzlichen Erben von der Erbfolge auszuschließen (§ 1938 BGB). Damit kann er aber grundsätzlich nicht verhindern, dass der Enterbte seinen Pflichtteilsanspruch nach § 2303 Abs. 1 BGB geltend macht.
VermächtnisDer Erblasser kann einem Dritten einen Gegenstand aus der Erbmasse vermachen (§ 1939 BGB). Der Vermächtnisnehmer ist kein Erbe, hat aber gegen den Erben einen Anspruch auf Herausgabe dieses Gegenstandes (§ 2174 BGB).
AuflageVom Vermächtnis zu unterscheiden, ist die Auflage. Wenn der Erblasser den Erben zu einer Leistung verpflichtet, auf die ein Dritter einen Anspruch haben soll, liegt ein Vermächtnis vor, andernfalls handelt es sich um eine Auflage (§ 1940 BGB; bspw. Grabpflege).
TestamentsvollstreckungDer Erblasser kann gemäß § 2197 BGB eine Person zum Testamentsvollstrecker ernennen. Dabei kommt zum einen die bloße Abwicklungsvollstreckung, also bspw. die Auseinandersetzung einer Erbengemeinschaft in Betracht (§ 2203 BGB), zum anderen ist auch Dauervollstreckung möglich (§ 2209 BGB), bei der der Testamentsvollstreckung den Nachlass verwaltet, längstens aber für 30 Jahre (§ 2210 BGB).
3. Auslegung eines Testaments
Ein Testament stellt eine einseitige, nicht empfangsbedürftige Willenserklärung des Erblassers dar. Ist der Inhalt nicht eindeutig, muss er nach § 133 BGB ausgelegt werden. Es ist dann also der wirkliche letzte Wille des Erblassers zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments zu erforschen. Auf irgendeinen Empfängerhorizont kommt es nicht an. Dabei wird ausgehend vom Wortlautder Verfügung ermittelt, was der Erblasser tatsächlich erklären wollte (erläuternde Auslegung). Dieser Wille muss im Testament nicht angedeutet sein, was aber zur Formunwirksamkeit führen kann. Bei gemeinschaftlichen Testamenten gilt das allerdings nicht, hier muss sich im Testament eine Andeutung finden.
Willenserklärung
Prüfungsrelevante Lerneinheit
Fehlt im Testament eine maßgebliche Anordnung oder haben sich zwischen Errichtung und Erbfall die tatsächlichen Umstände geändert, kommt eine ergänzende Auslegung in Betracht, mit der man den mutmaßlichen Willen des Erblassers erforscht. In Bezug auf die Andeutung gilt das zuvor Gesagte.
Führt die Auslegung zu keinem eindeutigen Ergebnis, wird auf die zahlreichen Zweifelsregelungen in §§ 2066 ff. BGB hinsichtlich der vom Erblasser bedachten Personen und §§ 2088 ff. BGB hinsichtlich der Verteilung auf mehrere Erben oder Vermächtnisnehmer zurückgegriffen.
Kommen mehrere Auslegungsergebnisse in Betracht, ist im Zweifel diejenige Auslegung vorzuziehen, bei welcher die letztwilligen Verfügungen wirksam sind (§ 2084 BGB; wohlwollende Auslegung).
Für die Abgrenzung der Erbeinsetzung vom Vermächtnis gilt § 2287 BGB.
4. Erbschein
Jeder Erbe kann beim Nachlassgericht die Erteilung eines Erbscheins beantragen. Mit dem Erbschein besitzt er ein amtliches Zeugnis über sein Erbrecht und ggf. dessen Umfang (§ 2353 BGB). Nur so kann er sich bspw. gegenüber Banken, dem Grundbuchamt oder Schuldnern des Erblassers legitimieren. Dabei gilt die Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit des Erbscheins (§ 2365 BGB).
Für den Erlass des Erbscheins zuständig ist das Nachlassgericht am letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers (§§ 342 Abs. 1 Nr. 6, 343 Abs. 1 FamFG).
C. Entscheidung
Das OLG Stuttgart teilt die Auffassung des Nachlassgerichts, dass der Bruder der Erblasserin deren Erbe ist, und hat deshalb die Beschwerde des Nachlasspflegers zurückgewiesen.
Die Erblasserin habe mit ihrem Testament Verwandte von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen. Ob davon auch der Bruder als der einzige noch in Betracht kommenden Erbe erfasst sei, müsse durch Auslegung ermittelt werden.
Dabei sei mit der Feststellung, die Erblasserin habe tatsächlich alle Verwandte enterben wollen, Zurückhaltung geboten. Es bestehe ein allgemeiner Erfahrungssatz dahingehend, dass ein Erblasser das Erbrecht eines Verwandten zumeist dem Erbrecht des Fiskus vorziehen werde.
Sodann stellt der Senat die rechtlichen Grundsätze dar, von denen er sich bei seiner Entscheidung leiten ließ:
Für die Auslegung testamentarischer Verfügungen gelte die allgemeine Vorschrift des § 133 BGB. Dabei gehe es darum, den Wortsinn der benutzten Ausdrücke unter Heranziehung aller Umstände zu “hinterfragen”. Den Ausgangspunkt bilde der Wortlaut des Testaments. Dabei setze ein scheinbar klarer und eindeutiger Wille der Auslegung aber keine Grenzen. Der Wortsinn der vom Erblasser verwendeten Begriffe müsse stets hinterfragt werden, wenn dem wirklichen Willen des Erblassers Rechnung getragen werden solle. Dabei seien neben dem Text der Verfügung alle zugänglichen Umstände außerhalb der Testamentsurkunde zur Erforschung des wirklichen Willens des Erblassers heranzuziehen. Hierzu gehörten unter anderem die Vermögens- und Familienverhältnisse des Erblassers, seine Beziehungen zu den Bedachten und seine Zielvorstellungen; auch könnten weitere Schriftstücke des Erblassers oder die Auffassung der Beteiligten nach dem Erbfall von dem Inhalt des Testaments Anhaltspunkte für den Willen des Erblassers geben. Nur wenn sich auch hierzu außerhalb der Urkunde liegende Umstände im Erbscheinverfahren nicht weiter ermitteln lassen oder ermittelte Umstände im Testament nicht einmal andeutungsweise zum Ausdruck kommen würden, müsse sich das Nachlassgericht auf eine Ausdeutung des Wortlauts beschränken.
Auf dieser Grundlage kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass mit dem Testament der Erblasserin eine Enterbung des Bruders nicht angeordnet worden sei.
Zwar sei der Bruder vom Wortlaut der Erbausschließung umfasst. Dem im Testament wiedergegebenen Motiv der Erblasserin für den Ausschluss „der Verwandten“ lasse sich indes entnehmen, dass die Erblasserin mit diesem Personenkreis ihren Bruder nicht habe mitumfasst wissen wollen.
Die Erblasserin unterscheide den mit „wir“ beschriebenen Personenkreis von dem der „Verwandten“. „Verwandte“ seien diejenigen, die sich nach Vorstellung der Erblasserin nicht hinreichend empathisch mit dem Vertriebenenschicksal gezeigt hätten; „wir“ seien diejenigen, die dieses Schicksal innerhalb der Familie selbst erlitten haben. Die Differenzierung nach diesen Personengruppen zeige sich deutlich in dem Satz „Wir wurden von den Verwandten lächerlich gemacht!“ Dass die Erblasserin den Bruder nicht zu „den Verwandten“, sondern zu dem in der ersten Person Plural umschriebenen Personenkreis gezählt habe, werde im Satz „Unser Leben ist eine offene Wunde sagte unsere leidgeprüfte tapfer geduldige Mutter!“ deutlich.
Auch die Nichterwähnung des Bruders durch die Erblasserin spreche dafür, dass er nicht unter die Ausschlussregelung habe fallen sollen. Wäre die Erblasserin von ihm gleichermaßen enttäuscht wie von den „Verwandten“, spräche alles dafür, dass sie ihn bei der Aufzählung der konkret benannten Personen nicht vergessen hätte.
Gegen diese Auslegung spreche nicht, dass die von der Erblasserin getroffene Regelung kaum praktisch relevant hätte werden können, da der Bruder als einziger gesetzlicher Erbe der zweiten Ordnung auch ohne die Verfügung Alleinerbe geworden wäre. Die Ausschlussregelung hätte immerhin im Falle seines Vorversterbens oder für den Fall der Erbschaftsausschlagung Bedeutung erlangen können. Ebenso sei denkbar, dass die Erblasserin bei der Regelung von der irrigen Vorstellung ausgegangen sei, dass die genannten Verwandten neben dem Bruder primär zu Erben berufen sein könnten. Es lasse sich aber auch nicht ausschließen, dass die Erblasserin schlicht dem von ihr empfundenen Unrecht im Wege des Testaments post mortem Ausdruck habe verleihen wollen.
D. Prüfungsrelevanz
Die Entscheidung zeigt, wie eine Auslegung erfolgen kann, wenn man letztlich nicht mehr zur Verfügung hat als den Wortlaut des Testaments. Das entspricht einer üblichen Klausursituation.
I. Auslegung
Wie unter B.3. schon dargestellt, beginnt die Auslegung am Wortlaut des Testaments, bleibt dort aber nicht stehen, denn es geht darum, den wirklichen Willen des Erblassers zu erforschen. Hierfür kommt es entscheidend darauf an, das mögliche Motiv des Erblassers zu ergründen.
Wie bei jeder guten Argumentation nimmt man dabei auch alle Anhaltspunkte, die gegen die favorisierte Auslegung sprechen, in den Blick und widerlegt sie mit überzeugenden Argumenten.
II. Gesetzliches Erbrecht des Bruders
Abschließend noch zur Feststellung des OLG Stuttgart, der Bruder der Erblasserin wäre als Erbe zweiter Ordnung auch ohne Testament Alleinerbe geworden.
Die gesetzliche Erbfolge ist in §§ 1924 ff. BGB geregelt. Danach erben die Verwandten des Erblassers, und zwar abhängig vom Grad der Verwandtschaft. War der Erblasser verheiratet oder bestand eine eingetragene Lebenspartnerschaft, hat auch der Partner ein gesetzliches Erbrecht (§ 1931 BGB, § 10 LPartG).
Gesetzliche Erbfolge bei Verwandten, §§ 1924 ff. BGB
Prüfungsrelevante Lerneinheit
1. Verwandtenerbrecht
Das Gesetz stellt eine Rang-Ordnung zwischen den Verwandten auf. Ein Verwandter des Erblassers erbt nicht, solange ein Verwandter einer vorhergehenden Ordnung vorhanden ist (§ 1930 BGB).
**1. Ordnung: Abkömmlinge des Erblassers (§ 1924 BGB)**Erben erster Ordnung sind die Abkömmlinge des Erblassers, also die Verwandten der absteigenden geraden Linie (§ 1589 Abs. 1 Satz 1 BGB). Der Erblasser wird deshalb zunächst von seinem Kind beerbt. Ob das Kind ehelich oder unehelich geboren wurde, spielt keine Rolle. Ist es bereits verstorben, erbt der Enkel, lebt dieser auch nicht mehr, der Urenkel (Abs. 2). Mehrere Kinder, Enkel oder Urenkel erben zu gleichen Teilen (Abs. 4).Besonders wichtig ist die Regelung in Abs. 3: Ist eines der Kinder des Erblassers bereits verstorben, fällt dessen Erbteil nicht den anderen Kindern an, sondern seinen Abkömmlingen. Es erben dann die überlebenden Kinder des Erblassers und die Kinder des verstorbenen Kindes. Diese Regelung wird Stammesprinzip genannt. Jedes Kind des Erblassers steht an der Spitze eines Stammes, es repräsentiert diesen Stamm (Repräsentationsprinzip).Das Prinzip der ersten Ordnung wird Parentelsystem genannt (von den Eltern ausgehend).
**2. Ordnung: Eltern des Erblassers und ihre Abkömmlinge (§ 1925 BGB)**Hat der Erblasser keine Abkömmlinge hinterlassen, geht die Erbschaft auf die Erben zweiter Ordnung über (§ 1930 BGB). Diese Ordnung beginnt bei den Eltern des Erblassers als Verwandte in der aufsteigenden geraden Linie (§ 1589 Abs. 1 Satz 1 BGB) und setzt sich über deren Abkömmlinge fort, also den Geschwistern des Erblassern bzw. seinen Nichten und Neffen als Verwandte in der Seitenlinie (§ 1589 Abs. 1 Satz 2 BGB). Auch die zweite Ordnung ist ein Parentelsystem, in dem das Stammesprinzip gilt (Abs. 3).
**3. Ordnung: Großeltern des Erblassers und ihre Abkömmlinge (§ 1926 BGB)**Ausgangspunkt des Parentelsystems der dritten Ordnung sind die Großeltern des Erblassers als Verwandte in der aufsteigenden geraden Linie (§ 1589 Abs. 1 Satz 1 BGB) und deren Abkömmlinge, also Onkel und Tante des Erblassers bzw. Cousin und Cousine als Verwandte in der Seitenlinie (§ 1589 Abs. 1 Satz 2 BGB).
**4. Ordnung: Urgroßeltern des Erblassers und ihre Abkömmlinge (§ 1928 BGB)**Ab der vierten Ordnung gilt nicht mehr das Parentelsystem, sondern das Gradsystem. Zwar setzt auch die vierte Ordnung bei Voreltern des Erblassers an, in diesem Fall den Urgroßeltern. Leben diese aber nicht mehr, erbt von ihren Abkömmlingen derjenige, welcher mit dem Erblasser dem Grade nach am nächsten verwandt ist (Abs. 3). Der Grad der Verwandtschaft bestimmt sich nach der Anzahl der sie vermittelnden Geburten (§ 1589 Abs. 1 Satz 3 BGB).
Zum besseren Verständnis:
- Eltern und Kinder sind Verwandte ersten Grades (in gerader Linie). Hier vermittelt eine Geburt.
- Großeltern und Enkel sind Verwandte zweiten Grades (in gerader Linie). Hier vermitteln zwei Geburten, nämlich die des Kindes und die des Enkels.
- Urgroßeltern und Enkel sind Verwandte dritten Grades (in gerader Linie). Hier vermitteln drei Geburten, nämlich die der Großeltern, des Enkels und des Urenkels.
- Geschwister sind Verwandte zweiten Grades (in der Seitenlinie). Hier vermitteln die Geburten der Eltern und der Geschwister.
- Tante/Onkel und Nichte/Neffe sind Verwandte dritten Grades in der Seitenlinie. Hier vermitteln die Geburten der Eltern, von Tante/Onkel und Nichte/Neffe.
Auf diesem Weg lässt sich der Grad der Verwandtschaft zwischen dem Erblasser und den Abkömmlingen seiner Urgroßeltern ermitteln.
- **5. Ordnung und weitere Ordnungen: Entferntere Voreltern des Erblassers und ihre Abkömmlinge (§ 1929 BGB)**Das Ordnungsprinzip lässt sich beliebig fortsetzen, beginnend bei den Ur-Urgroßeltern des Erblassers. Es gilt dann jeweils das System der vierten Ordnung (§ 1929 Abs. 2 BGB).
2. Gesetzliche Erbfolge im Beschluss des OLG Stuttgart
Gesetzliche Erben erster Ordnung wären die Abkömmlinge der Erblasserin, also Kinder, Enkel, Urenkel etc. Nach dem Sachverhalt verstarb die Erblasserin jedoch kinderlos.
Damit rücken die Erben zweiter Ordnung auf. An erster Stelle stehen dabei die Eltern der Erblasserin, die jedoch nicht mehr leben. Es kommt deshalb auf deren Abkömmlinge an, also die Geschwister der Erblasserin. Damit sind wir schon beim Bruder angelangt. Ob die Erblasserin weitere Geschwister hatte, wissen wir nicht, der Sachverhalt spricht aber dagegen.
3. Erbrecht der Ehepartner und der eingetragenen Lebenspartner
Das Verwandtenerbrecht schließt andere Personen, die dem Erblasser nahestehen, von der Erbfolge aus. In Bezug auf den Ehepartner des Erblassers hat der Gesetzgebers aus Versorgungsgründen eine Ausnahme gemacht. Gemäß § 1931 BGB erbt auch der überlebende Ehepartner. Nach § 10 LPartG gilt das auch für eingetragene Lebenspartner. Auf nichteheliche Lebensgemeinschaften ist § 1931 BGB dagegen nicht anwendbar.
Das setzt voraus, dass zum Todeszeitpunkt des Erblassers eine wirksame Ehe bestand. Lagen die Voraussetzungen für eine Scheidung vor und hatte der Erblasser die Scheidung bereits beantragt bzw. ihr zugestimmt, ist das Ehegattenerbrecht ausgeschlossen (§ 1933 BGB).
Der Umfang des Ehegattenerbrechts hängt davon ab, wer gesetzlicher Erbe geworden ist.
- Leben gesetzliche Erben erster und zweiter Ordnung sowie Großeltern des Erblassers bei Eintritt des Erbfalls nicht mehr, erbt der Ehepartner den gesamten Nachlass (§ 1931 Abs. 2 BGB). Er schließt damit entferntere Voreltern des Erblassers sowie die Erben dritter oder höherer Ordnungen aus.
- Neben gesetzliche Erben zweiter Ordnung und den Großeltern des Erblassers erbt der Ehepartner die Hälfte des Nachlasses (§ 1931 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB). Der Bruder müsste sich also den Nachlass mit dem Ehepartner der Erblasserin teilen. Die Erblasserin verstarb jedoch unverheiratet.
- Neben gesetzlichen Erben erster Ordnung erbt der Ehepartner ein Viertel des Nachlasses (§ 1931 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB).
Haben die Ehepartner im Güterstand der Zugewinngemeinschaft gelebt, was der gesetzliche Normalfall ist (§ 1363 Abs. 1 BGB), erhöht sich der gesetzliche Erbteil des überlebenden Ehepartners pauschal um ein Viertel (§§ 1931 Abs. 3, 1371 Abs. 1 BGB). Ob tatsächlich ein Zugewinn erzielt wurde, ist dabei unerheblich (§ 1371 Abs. 1 a.E. BGB).
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