Nach tödlichem Fenstersturz eines an Demenz erkrankten Mannes
Ein an Demenz erkrankter Mann fiel in einem Pflegeheim aus dem Fenster im dritten Obergeschoss und verstarb. Die Witwe fordert Schmerzensgeld, LG und OLG lehnten ab. Der BGH traf nun spannende Ausführungen zu den Schutzpflichten von Pflegeheimen.
Worum geht es?
Mittlerweile gibt es in Deutschland knapp 12.000 Alten- und Pflegeheime. Angehörige der Bewohner wollen diese in sicheren Händen wissen, doch ein tragischer Fall in Bochum sorgte nun dafür, dass der BGH die Schutzpflichten von solchen Einrichtungen präzisierten musste. Es ging um eine Senioreneinrichtung in Bochum, in der ein an Demenz erkrankter Mann lebte. Der 64-Jährige fiel aus einem Fenster im dritten Obergeschoss. Trotz mehrerer Operationen verstarb der Mann an den Folgen des Sturzes.
Die Witwe verlangte daraufhin Schmerzensgeld vom Heimbetreiber. Sie warf ihm vor, seinen Schutzpflichten nicht ausreichend nachgekommen zu sein. Es hätten zwingende Anhaltspunkte für eine Selbstgefährdung vorgelegen. Die Fenster hätten zwar eine Höhe von 1,20 Meter betragen, doch die davor angebrachte Heizung und das Fensterbrett hätten treppenartig genutzt werden können. Daher sei eine Vorrichtung erforderlich gewesen, die das Fensteröffnen nur spaltweise ermöglicht.
Seitens der Einrichtung lehnte man die Schmerzensgeldforderung ab. Der verstorbene Mann sei trotz seiner geistigen Erkrankung noch mobil gewesen. Um einen Fenstersturz zu vermeiden, hätte man alle Fenster des Pflegeheims umrüsten müssen. Dies sei bezüglich der Freiheit der Mitbewohner unangemessen.
Die Sache kam vor Gericht – und die Witwe unterlag. Sowohl das LG Bochum als auch das OLG Hamm lehnten einen Anspruch auf Schmerzensgeld ab. Der Sturz habe sich im normalen, alltäglichen Gefahrenbereich ereignet, welcher grundsätzlich der Eigenverantwortung des Geschädigten zuzurechnen sei. Nachdem die Witwe Revision einlegte, kam die Sache nach Karlsruhe.
OLG „schöpft Sachverhalt nicht voll aus“
In ihrem Urteil haben die Karlsruher Richter den Fall zwar nicht endgültig entschieden, die Sache aber erneut an das OLG Hamm zurückverwiesen. Einen Heimbetreiber treffe die Pflicht, die ihm anvertrauten Bewohner vor allen Gefahren zu schützen, die sie nicht beherrschen. Wie konkret die jeweiligen Schutzpflichten aussehen, könne nicht generell, sondern nur im konkreten Einzelfall unter Abwägung sämtlicher Umstände bestimmt werden, heißt es in der Entscheidung. Hier habe das OLG das Krankheitsbild des Mannes aber nicht ausreichend beachtet, außerdem sei der treppenartige Zugang zu dem Fenster nicht umfassend berücksichtigt worden. Aus Karlsruhe heißt es:
Die Vorinstanz schöpft den Sachverhalt nicht voll aus.
Eine solche Abwägungsentscheidung konnte der BGH selbst nicht vornehmen, weil das OLG das Krankheitsbild des Geschädigten „übersehen“ habe.
Schutz auch vor unwahrscheinlichen Gefahren
Es wird aber deutlich, dass ein dementer Bewohner im Pflegeheim nicht in einer Wohnung untergebracht werden dürfe, die mit leicht zugänglichen Fenstern ausgestattet ist, wenn die Gefahr einer Selbstschädigung besteht. Denn die Heimbetreiber müssen die Bewohner auch vor solchen Gefahren schützen, die als nicht wahrscheinlich gelten. Auch wenn ein Sturz aus dem Fenster nicht nahe lag, aber zu besonders schweren Folgen führen kann, könne diese Gefahr Sicherungspflichten des Heimbetreibers auslösen. Dabei befinde sich dieser in einem Spannungsfeld: Unter Wahrung der Menschenwürde und des Selbstbestimmungsrechts der Bewohner müsse er vor Gefahren zu schützen.
Das OLG müsse nun neu entscheiden und das gesamte Krankheitsbild des Verstorbenen und insbesondere seine durch die Demenz gekennzeichnete geistige und körperliche Verfassung sorgfältig bewerten, so der BGH.
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