EuGH: Widerrufsrecht gilt bei spezifisch für den Kunden angefertigter Ware nicht

EuGH: Widerrufsrecht gilt bei spezifisch für den Kunden angefertigter Ware nicht

Auch dann nicht, wenn die Ware noch gar nicht produziert wurde?

Ist der Widerruf von extra angefertigter Ware möglich? In diesem konkreten Fall wurde eine maßangefertigte Küche widerrufen, es folgte eine Schadensersatzklage – dabei war die Ware noch gar nicht produziert. Der EuGH war gefragt.

Worum geht es?

Die europäischen Richter haben sich mit dem Widerrufsrecht befasst. Das AG Potsdam reichte im Rahmen eines Vorabentscheidungsersverfahrens nach Art. 267 AEUV beim EuGH eine Rechtsfrage ein, die das Widerrufsrecht zum Kauf von auf Wunsch angefertigter Waren betrifft. Der Fall ist folgender: Auf einer Messe hat die Firma Möbel Kraft einen Vertrag mit einer Kundin geschlossen. Sie bestellte eine Einbauküche, die teilweise auf ihre Wünsche besonders zugeschnitten war. Allerdings widerrief sie anschließend den Vertrag innerhalb der 14-tägigen Frist für Verträge im Fernabsatz. Möbel Kraft zog vor das AG Potsdam und klagte auf Schadensersatz. Der Clou der Sache ist: Die Küche war noch gar nicht produziert.

Umsetzung der EU-Richtlinie in § 312g II Nr. 1 BGB

Das Widerrufsrecht im Fernabsatz ist nicht nur in Deutschland eine wichtige Thematik des Zivilrechts, sondern innerhalb der ganzen EU. Daher gibt es die EU-Richtlinie 2011/83, die die Rechte der Verbraucher beinhaltet. Sie regelt unter anderem das Widerrufsrecht bei Verträgen, die im Fernabsatz oder außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen werden. Im Mittelpunkt steht dabei das Ziel, eine vollständige Harmonisierung der einschlägigen Regelungen zu schaffen, damit die Rechtssicherheit für Verbraucher wie Unternehmer gesteigert werden. Im Widerrufsrecht müsse man sich auf einen einheitlichen Rechtsrahmen stützen können.

Zivilrechtlich steht dem Verbraucher nach § 312g BGB ein Widerrufsrecht bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen gemäß § 355 BGB zu. In § 355 II BGB ist die dazu erforderliche 14-tägige Frist geregelt. Bei gewöhnlicher Bestellung etwa eines Zivilrecht-Kommentars steht dem Verbraucher also ein Widerrufsrecht zu. Wie das genau erfolgt, wird in § 355 BGB geregelt und erfährst Du hier: Widerruf gem. §§ 355 ff. BGB

Nun geht es in dem vorliegenden Fall aber um eine Küche, die extra nach Kundenwunsch gestaltet werden sollte. Auch für solche Käufe, sprich Waren, die extra für den Kunden angefertigt werden müssen, ist in der EU-Richtlinie ebenfalls eine Regelung enthalten. Diese wurde in Form von § 312g II Nr. 1 BGB in deutsches Recht umgesetzt. § 312g II BGB enthält einen Katalog von Ausnahmen des Widerrufsrechts bei Fernabsatz- und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen.

Das Widerrufsrecht besteht, soweit die Parteien nichts anderes vereinbart haben, nicht bei folgenden Verträgen:
1. Verträge zur Lieferung von Waren, die nicht vorgefertigt sind und für deren Herstellung eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist […].
§ 312g II Nr. 1 BGB

Aber die Küche ist doch noch gar nicht produziert?

Die Rechtslage ist scheint also klar zu sein: Die bestellte Küche ist gerade nicht vorgefertigt, ein Widerrufsrecht könnte also nach § 312g II Nr. 1 BGB ausgeschlossen sein. Nun ist es aber so, dass die Küche noch gar nicht produziert wurde. Dies wird auch die Richter des AG Potsdam beschäftigt haben, sodass sie die europäischen Kollegen um Rat ersuchten. 

Die europäischen Richter betonten: Der Widerruf sei auch dann ausgeschlossen, wenn die Ware noch nicht produziert wurde. Die EU-Richtlinie habe ausdrücklich Ausnahmefälle vorgesehen, in denen das Widerrufsrecht ausgeschlossen werden müsse. Dazu gehöre auch der Kauf von Waren, die nach „Spezifikation“ des Kunden produziert werden. Dass die Herstellung noch nicht lief, spiele keine Rolle. Denn Grund dieser Ausnahmen sei es, die Rechtssicherheit zu erhöhen – für den Verbraucher, aber auch für den Unternehmer.

Messe = außerhalb von Geschäftsräumen?

In seinem Urteil wirft der EuGH außerdem die Frage auf, ob die Richtlinie überhaupt anwendbar sei. Denn ein auf einer gewerblichen Messe geschlossener Vertrag könne nur als „außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossen“ gewertet werden, wenn er nicht an einem Stand geschlossen wurde. Ein Stand eines Unternehmens könnte nämlich durchaus als „Geschäftsraum“ angesehen werden. Nur wenn ein Vertrag auf einer Messe, aber gerade nicht an einem Stand geschlossen werde, greife das 14-tägige Widerrufsrecht. Wie das aber genau im vorliegenden Fall gelagert ist, sei unklar. Dies müssten die deutschen Kollegen aus Potsdam jetzt prüfen.

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