BayObLG: Gerichtsstand der unerlaubten Handlung bei der Nichtleistungskondiktion

A. Sachverhalt

Der Kläger nimmt seine ehemalige Lebensgefährtin (Beklagte zu 1.) und deren Mutter (Beklagte zu 2.) auf Rückgängigmachung unberechtigter Vermögensverfügungen zu seinen Lasten in Anspruch. Zunächst hatte er gegen beide Mahnbescheide erwirkt, gegen die diese jedoch Widerspruch eingelegt haben. Daraufhin hatte der Kläger erst einmal nur gegen die Beklagte zu 2. die Durchführung des streitigen Verfahrens beantragt. Das Mahngericht hat das Verfahren deshalb an das Landgericht München I abgegeben, in dessen Bezirk die Beklagte zu 2. wohnt. Schließlich hat der Kläger auch den Vorschuss für die Klage gegen die Beklagte zu 1. eingezahlt, um auch diese weiter in Anspruch zu nehmen. Allerdings wohnt die Beklagte zu 1. im Bezirk des Landgerichts Regensburg. Deshalb hat der Kläger ein Gerichtsstandsbestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht (BayObLG) beantragt (Beschluss vom 4. Mai 2020, 1 AR 14/20).

 

B. Überblick

Das Mahnverfahren bietet dem Gläubiger eine schnelle und kostengünstige Möglichkeit, einen Titel gegen den Schuldner zu erlangen. Hierfür muss er bei dem für seinen Wohnsitz zuständigen Mahngericht einen Mahnantrag einreichen. Daraufhin erlässt das Mahngericht einen Mahnbescheid (§ 692 ZPO), der allerdings noch kein Titel ist. Er wird an den Antragsgegner zugestellt (§ 693 ZPO). Dieser hat die Möglichkeit, binnen zwei Wochen Widerspruch einzulegen (§ 694 Abs. 1  i.V.m. § 692 Abs. 1 Nr. 3 ZPO). Tut er das nicht, erlässt das Mahngericht auf Antrag des Antragstellers den Vollstreckungsbescheid. Dieser ist – wie der Name schon sagt – der Vollstreckungstitel (§ 794 Abs. 1 Nr. 4 ZPO). Gegen den Vollstreckungsbescheid kann Einspruch eingelegt werden (§ 700 Abs. 1 i.V.m. 338 ZPO); ein verspäteter Widerspruch wird ebenfalls als Einspruch behandelt (§ 694 Abs. 2 ZPO). Hat der Antragsgegner dagegen bereits Widerspruch gegen den Mahnbescheid eingelegt, gibt das Mahngericht auf Antrag des Antragstellers den Rechtsstreit an das Prozessgericht ab (§ 696 ZPO), bei dem das Verfahren als Streitverfahren wie bei einer Klage weitergeführt wird (§ 697 ZPO).

Nimmt der Kläger mehrere Beklagte als Streitgenossen (§§ 59, 60 ZPO) in Anspruch, muss das angerufene Gericht für jeden einzelnen Beklagten zuständig sein. Ist das nicht der Fall, hat der Kläger zwei Möglichkeiten: Er kann getrennte Prozesse vor verschiedenen Gerichten führen oder er beantragt die Bestimmung eines einheitlichen Gerichtsstandes. Letzteres hat den Vorteil, dass über den gesamten Rechtsstreit einheitlich entschieden wird und deshalb für den Kläger nicht die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen besteht.

Das sog. Gerichtsstandsbestimmungsverfahren ist in § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO geregelt. Es setzt insbesondere voraus, dass tatsächlich kein gemeinsamer Gerichtsstand für die Beklagten (bei dem angerufenen oder einem anderen Gericht) besteht, wobei sowohl ein ausschließlicher als auch ein besonderer Gerichtsstand in Betracht kommt. Sind alle Voraussetzungen erfüllt, erfolgt die Bestimmung nach den Grundsätzen der Zweckmäßigkeit und Prozessökonomie. Allerdings darf nur ein Gericht bestimmt werden, das für einen der Streitgenossen zuständig ist.

 

C. Die Entscheidung

Das BayObLG hat die Voraussetzungen einer Gerichtsstandsbestimmung bejaht und das Landgericht München I als das für den Rechtsstreit zuständige Gericht bestimmt.

Im Mittelpunkt der Entscheidung steht die Frage, ob ein gemeinsamer deliktischer Gerichtsstand nach § 32 ZPO besteht. Auf den ersten Blick überrascht das, weil der Kläger seine Klage nicht auf § 823 BGB gestützt hat, sondern auf Bereicherungsrecht. Tatsächlich kam es hierauf für das BayObLG aber nicht an.

„(2) Dahinstehen kann, ob der Begriff der unerlaubten Handlung in § 32 ZPO als eigenständiger Begriff des Prozessrechts aufzufassen ist und als solcher auch Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung in der Variante der Eingriffskondiktion umfasst (so: Schultzky in Zöller, ZPO, § 32 Rn. 8; Heinrich in Musielak/Voit, ZPO, 17. Aufl. 2020, § 32 Rn. 7; Patzina in Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Aufl. 2016, § 32 Rn. 8 [im Zusammenhang mit der Verletzung gewerblicher Schutzrechte]; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2014, § 32 Rn. 19 und 21; Bendtsen in Saenger, ZPO, 8. Aufl. 2019, § 32 Rn. 8; Smid/Hartmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2015, § 32 Rn. 10; Bünnigmann in Baumbach u. a., ZPO, 78. Aufl. 2020, § 32 Rn. 7 Stichwort „Bereicherung“; ablehnend: Toussaint in BeckOK ZPO, 36. Ed. Stand 1. März 2020, § 32 Rn. 2, 2.3). Wird ein solches Verständnis des § 32 ZPO nicht von vorneherein mit der Begründung verworfen, der Begriff der unerlaubten Handlung in § 32 ZPO bestimme sich allein nach materiellem Recht (vgl. Toussaint in BeckOK ZPO, a. a. O.), so kann der Gerichtsstand nach § 32 ZPO jedenfalls nur für diejenigen Fälle der Nichtleistungskondiktion, § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB, in Betracht kommen, die unter dem Begriff der Eingriffskondiktion zusammengefasst werden und geprägt sind durch die einseitige Inanspruchnahme einer fremden vermögensrechtlich nutzbaren Rechtsposition (vgl. Sprau in Palandt, BGB, 79. Aufl. 2020, § 812 Rn. 38 - 45; Wendehorst in BeckOK BGB, 53. Ed. Stand 1. Februar 2020, § 812 Rn. 121). Denn (nur) die Eingriffskondiktion steht im tendenziell deliktisch geprägten Kontext (vgl. Sprau in Palandt, BGB, § 812 Rn. 38; Wendehorst in BeckOK BGB, § 812 Rn. 25).“

 

In der Folge setzt sich das BayObLG mit der Frage auseinander, ob gegenüber der Beklagten zu 2. die Voraussetzungen einer Eingriffskondiktion vorliegen. Es kommt zum Ergebnis, dass sich dies nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen lasse.

(3) Das detailarme Vorbringen des Antragstellers bildet keine hinreichende Grundlage für eine zuverlässige Bewertung dahingehend, die Antragsgegnerin zu 2) habe durch eigenes Handeln oder durch eine zur Bereicherung führende Handlung der Antragsgegnerin zu 1) als Dritte (vgl. BGH, Urt. v. 4. Februar 1999, III ZR 56/98, NJW 1999, 1393 [juris Rn. 16 f.]; Schwab in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2017, § 812 Rn. 268) rechtswidrig in eine fremde Rechtssphäre eingegriffen und dadurch „in sonstiger Weise“ ohne rechtlichen Grund etwas auf Kosten des Antragstellers erlangt.

Abhängig davon, wie die Antragsgegnerin zu 1) etwaige Vermögenszuwendungen an die Antragsgegnerin zu 2) dieser gegenüber dargestellt hat, kommt vielmehr auch ein rechtsgrundloses Leistungsverhältnis zwischen dem Antragsteller und der Antragsgegnerin zu 2) in Betracht (vgl. BGH, NJW 1999, 1393 [juris Rn. 17]), denn die Beurteilung einer Zuwendung als Leistung im bereicherungsrechtlichen Sinn und die Feststellung der zueinander in einer Leistungsbeziehung stehenden Personen richten sich nach dem objektiven Empfängerhorizont (BGH, Urt. v. 31. Januar 2018, VIII ZR 39/17, NJW 2018, 1079 Rn. 17; NJW 1999, 1393 [juris Rn. 20, 23]). Soweit Buchgeld an Gläubiger der Antragsgegnerin zu 2) zur Tilgung ihrer Verbindlichkeiten übertragen wurde, gilt im Ergebnis nichts anderes (zum Bereicherungsanspruch nach Tilgung fremder Schulden vgl. BGH, Urt. v. 13. März 2014, IX ZR 147/11, NJW-RR 2014, 873 Rn. 15 f.; Urt. v. 20. Juli 2011, XII ZR 149/09, NJW 2012, 523 Rn. 38; Urt. v. 23. Februar 1978, VII ZR 11/76, BGHZ 70, 389 [juris Rn. 31 ff.]; Sprau in Palandt, BGB, § 812 Rn. 63 - 65). Dabei entspricht es ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass sich bei der bereicherungsrechtlichen Behandlung von Vorgängen, an denen - wie im vorliegenden Fall - mehr als zwei Personen beteiligt sind, jede schematische Lösung verbietet (BGH, NJW 2018, 1079 Rn. 18).

Somit kann im Verhältnis zur Antragsgegnerin zu 2) der Vorrang der Leistungskondiktion gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB vor der Nichtleistungskondiktion nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB zu beachten sein (BGH, Urt. v. 31. Januar 2018, VIII ZR 39/17, NJW 2018, 1079 Rn. 16). Können aber die gegen die Antragsgegnerin zu 2) erhobenen Ansprüche auf der Grundlage des derzeitigen Vorbringens nicht zuverlässig auf Eingriffskondiktion gestützt werden, steht bereits dies der Feststellung eines (gemeinsamen) Gerichtsstands gemäß § 32 ZPO entgegen.

 

Da die Voraussetzungen des § 32 ZPO nicht vorlagen und deshalb kein gemeinsamer Gerichtsstand der Beklagten bestand, hat das BayObLG eine Gerichtsstandsbestimmung vorgenommen. Nach den Grundsätzen der Zweckmäßigkeit und der Prozessökonomie hat es das Landgericht München I bestimmt.

 

D. Prüfungsrelevanz

Obwohl die Entscheidung in einem Verfahren getroffen wurde, das unmittelbar keine Prüfungsrelevanz für das zweite Examen hat, enthält sie interessante prozessuale Aspekte.

 - Der Begriff der unerlaubten Handlung in § 32 ZPO knüpft nach weit überwiegender Auffassung nicht ausschließlich am [materiellen Zivilrecht (§§ 823 ff. BGB)](https://jura-online.de/lernen/deliktische-anspruchsgrundlagen/143/excursus?utm_campaign=Wusstest_Du_BayObLG_Gerichtsstand_der_unerlaubten_Handlung_bei_der_Nichtleistungskondiktion) an, sondern wird prozessrechtlich ausgelegt. Er erfasst deshalb neben dem „klassischen“ Deliktsrecht auch (aber auch nur) bereicherungsrechtliche Ansprüche aus Eingriffskondiktion.

 - Bei der unerlaubten Handlung im Sinne von § 32 ZPO handelt es sich um eine sog. doppelrelevante Tatsache. Das bedeutet, dass sie sowohl im Rahmen der Zulässigkeit als auch bei der Begründetheit für die Entscheidung eine Rolle spielt. Während die Klage nur dann begründet sein kann, wenn die unerlaubte Handlung – ggf. nach Beweisaufnahme – feststeht, genügt für die Zulässigkeit der Klage ein schlüssiger Vortrag des Klägers, selbst wenn er vom Beklagten bestritten wird.

 

Übrigens: Ein „Oberstes Landesgericht“ – nicht zu verwechseln mit einem Oberlandesgericht – gibt es nur in Bayern, obwohl es in jedem Bundesland mit mehreren Oberlandesgerichten (Baden-Württemberg, Niedersachen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz) eingerichtet werden könnte (§ 8 Abs. 1 EGGVG). Das BayObLG existiert in seiner jetzigen Form aber auch erst wieder seit 2018.