A. Sachverhalt
Der 1986 im Sudan geborene A verließ sein Heimatland aufgrund der dort herrschenden politischen und religiösen Konflikte im Jahr 2013, weil er sich im Ausland ein besseres Leben erhoffte. Im Jahr 2015 kam er nach Deutschland und lebte hier in einer Flüchtlingsunterkunft. Nachdem sein Asylantrag abgelehnt worden war, war er im Besitz einer ausländerrechtlichen Duldung und bezog Sozialhilfe. Mit seinen Lebensbedingungen war er zunehmend unzufrieden, insbesondere weil es ihm aufgrund seines ausländerrechtlichen Status nicht möglich war, eine Arbeit aufzunehmen oder kostenfrei weiterführende Deutschkurse zu besuchen. Da er erwartet hatte, in Deutschland viel Geld zu verdienen, steigerte sich sein Unmut über seine geringen Einkünfte und seine Wohnsituation in der Flüchtlingsunterkunft, die er als unangemessen empfand.
Aufgrund seiner Unzufriedenheit entschloss sich der A am 5. Oktober 2018 dazu, seine Unterkunft anzuzünden, um sie durch den Brand zu beschädigen oder zu zerstören. Wie er wusste, waren in dem Gebäude mehrere Personen untergebracht, die in Deutschland um Asyl nachsuchten. Er setzte das Sofa in dem von ihm bewohnten Zimmer in Brand und begab sich sodann zu dem schräg gegenüber gelegenen Zimmer des dort anwesenden Y, wo er ein brennendes Stück Stoff auf dessen Sofa warf, das dadurch Feuer fing. Y verließ daraufhin sofort die Unterkunft. In dem Gebäude war außerdem B anwesend, der den Brand ebenfalls wahrnahm, sich schnell entfernte und sodann die Polizei alarmierte.
Die herbeigerufene Feuerwehr konnte den Brand zügig löschen. Während in dem Zimmer des Y lediglich das Mobiliar beschädigt wurde und es zu Rußanhaftungen an den Wänden und der Decke kam, war das Feuer in dem Zimmer des A schon so weit vorangeschritten, dass es zu großflächigen Abplatzungen des Putzes an der Wand und starken Verrußungen gekommen war; das Zimmer war deshalb vorübergehend unbewohnbar.
Strafbarkeit des A wegen § 306a StGB?
B. Die Entscheidung des BGH (Beschl. v. 14.11.2019 – 3 StR 408/19)
A könnte sich wegen schwerer Brandstiftung gemäß § 306a I Nr. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er das Sofa in Brand setzte und ein brennendes Stück Stoff auf das Sofa im Zimmer des Y war.
I. Objektiver Tatbestand
A müsste ein Gebäude in Brand gesetzt oder durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstört haben. In Betracht kommt hier, dass A die Flüchtlingsunterkunft, ein Gebäude im Sinne von § 306a I Nr. 1 StGB, durch Brandlegung teilweise zerstört hat.
Der BGH stellt zunächst dar, wann ein Gebäude teilweise zerstört ist:
„Ein Gebäude ist gemäß § 306a Abs. 1 StGB teilweise zerstört, wenn für eine nicht nur unerhebliche Zeit ein für das ganze Objekt zwecknötiger Teil oder dieses wenigstens für einzelne seiner wesentlichen Zweckbestimmungen unbrauchbar wird oder wenn einzelne seiner Bestandteile, die für einen selbständigen Gebrauch bestimmt oder eingerichtet sind, vernichtet werden (vgl. BGH, Beschluss vom 5. September 2017 - 3 StR 362/17 , juris Rn. 27 mwN). Das ist zum einen dann der Fall, wenn durch die Brandlegung das Gebäude im Ganzen zumindest einzelne von mehreren seiner Zweckbestimmungen nicht mehr erfüllen kann, etwa indem ein oder mehrere Zimmer eines Wohnhauses unbewohnbar werden und hierdurch dessen Nutzung zum Zweck des Aufenthalts, der Nahrungsversorgung und des Schlafens insgesamt in unzumutbarer Weise beeinträchtigt wird (BGH, aaO mwN); die bloße Unbenutzbarkeit z.B. eines Kinderzimmers reicht insoweit nicht aus ( BGH, Beschluss vom 14. Juli 2009 - 3 StR 276/09 , BGHR StGB § 306 Zerstörung 3 ). Zum anderen liegt eine teilweise Zerstörung auch dann vor, wenn ein wesentlicher, funktionell selbständiger Teil des Tatobjekts zerstört wird, etwa indem eine Wohnung als “Untereinheit” eines Mehrfamilienhauses für beträchtliche Zeit für Wohnzwecke insgesamt ungeeignet wird (vgl. BGH, Urteil vom 14. November 2013 - 3 StR 336/13 , NStZ 2014, 404 Rn. 10; Beschluss vom 5. September 2017 - 3 StR 362/17 , juris Rn. 27).“
Ob ein Zerstörungserfolg eingetreten ist, müsse das Gericht nach den Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung der konkreten Nutzungszwecke beurteilen, wobei es auf die Zeitspanne der Nutzungsbeeinträchtigung ankomme:
„Es hat objektiv anhand des Maßstabs eines “verständigen Wohnungsinhabers” zu bewerten, ob die Zeitspanne der Nutzungseinschränkung oder -aufhebung für eine teilweise Zerstörung durch Brandlegung ausreicht. Der Zeitraum muss beträchtlich sein; wenige Stunden oder ein Tag reichen nicht aus (vgl. BGH, Beschluss vom 26. April 2018 - 4 StR 624/17 , juris Rn. 10; Urteil vom 5. April 2018 - 3 StR 13/18 , NJW 2019, 19 Rn. 18, jeweils mwN).“
Diese Grundsätze sollen für Flüchtlingsunterkünfte gleichermaßen wie für andere Wohngebäude gelten. Ein als Flüchtlingsunterkunft genutztes Gebäude sei daher unter anderem dann teilweise zerstört im Sinne des § 306a I Nr. 1 StGB , wenn ein dem Bewohner der Unterkunft zu Wohnzwecken zur Verfügung gestelltes Zimmer brandbedingt für beträchtliche Zeit unbewohnbar werde.
Der BGH sieht auch in dem Zimmer einer Flüchtlingsunterkunft – ebenso wie in der Wohnung eines Mehrfamilienhauses – eine selbständige „Untereinheit“ des Gebäudes. Daher sei das Gebäude auch dann „teilweise zerstört“, wenn die brandbedingte Einwirkung einen der wesentlichen Zwecke des Zimmers vereitele:
„Das Zimmer stellt im Hinblick auf den Gesetzeszweck, der primär darin besteht, das Wohnen als “Mittelpunkt menschlichen Lebens” zu schützen ( BGH, Beschluss vom 10. Januar 2007 - 5 StR 401/06 , juris Rn. 11), ebenso eine selbständige, zum Wohnen bestimmte “Untereinheit” der Flüchtlingsunterkunft dar wie eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus; seine Nutzung und Zweckbestimmung gehen über diejenigen von einzelnen Zimmern eines Wohnhauses, die - wie ein Kinderzimmer - für sich genommen nicht als wesentlicher, funktionell selbständiger Teil des Tatobjekts anzusehen sind, hinaus. Denn das Zimmer in einer Flüchtlingsunterkunft stellt für seinen Bewohner unter dem Gesichtspunkt des Wohnens den Mittelpunkt menschlichen Lebens dar. Es dient ihm - unabhängig von seiner Ausstattung im Einzelnen - zumindest zum Zweck des Aufenthalts und des Schlafens. Es ist der einzige abgeschlossene Raum, der ihm zur persönlichen Nutzung zur Verfügung steht, und damit sein alleiniges Refugium zur privaten Lebensführung. Regelmäßig befindet sich zudem seine gesamte persönliche Habe darin. Ob das Zimmer mit einer Kochgelegenheit oder einer sanitären Einrichtung ausgestattet ist, ist demgegenüber von untergeordneter Bedeutung. Wie bei einer Wohnung in einem Mehrfamilienhaus (vgl. dazu BGH, Urteil vom 14. November 2013 - 3 StR 336/13 , NStZ 2014, 404 Rn. 10) kann das Tatbestandsmerkmal des teilweisen Zerstörens im Hinblick auf ein Zimmer in einer Flüchtlingsunterkunft mithin erfüllt sein, wenn die brandbedingte Einwirkung auch nur einen der für das Wohnen wesentlichen Zwecke des Aufenthalts oder des Schlafens vereitelt.“
Nach diesen Grundsätzen habe zwar nicht das Zimmer des Y, wohl aber das des A für beträchtliche Zeit nicht mehr für Wohnzwecke benutzt werden können:
„Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe lässt sich daneben entnehmen, dass das Zimmer, das dem Angeklagten zu Wohnzwecken zur Verfügung stand, infolge des Brandes für beträchtliche Zeit nicht mehr genutzt werden konnte. Anders als im Zimmer des Zeugen Y. , in dem der Brand nur zu Beschädigungen der Einrichtungsgegenstände und zu Rußanhaftungen an Wänden und Decke führte, kam es im Zimmer des Angeklagten zu “großflächigen Abplatzungen des Putzes an der Wand” und “starken Verrußungen”. In Anbetracht dessen erschließt es sich ohne weiteres, dass die aus der brandbedingten Einwirkung resultierende “vorübergehende” Zimmers eine Zeitspanne umfasste, die deutlich über einen Tag hinausging.“
A hat damit ein Gebäude durch Brandlegung teilweise zerstört.
II. Subjektiver Tatbestand
A handelte vorsätzlich.
III. Rechtswidrigkeit und Schuld
A handelte rechtswidrig und schuldhaft.
IV. Ergebnis
A hat sich wegen schwerer Brandstiftung gemäß § 306a I Nr. 1 StGB strafbar gemacht.
C. Fazit
Die Brandstiftungsdelikte (§§ 306 ff. StGB) sind bei in der Ausbildung befindlichen Juristinnen und Juristen nicht sonderlich beliebt, weil ihre Systematik nicht auf den ersten Blick verständlich erscheint und darüber hinaus eine Vielzahl von Einzelfragen bei der Auslegung der verschiedenen Tatbestände existieren. Grund genug, diesen Fall zum Anlass zu nehmen, jedenfalls die Grundzüge der §§ 306 ff. StGB zu wiederholen!
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