OLG Karlsruhe: Strafbarkeit des Beseitigens eines Strichcodes vor dem Kassiervorgang?

A. Sachverhalt

A suchte am Vormittag des 27.03.2017 einen Baumarkt in Y auf. In der Gartenabteilung entnahm er der Auslage eine Gartenschlauch-Anschlussgarnitur zum Preis von 14,50 Euro, die mit einem Umkarton versehen war, auf der sich unter anderem die für die Anschlussgarnitur ausgegebene European Article Number (EAN) mit zugehörigem Strichcode befand, die zur Feststellung der Artikel- und Preisinformationen dient. Diese Anschlussschlauchgarnitur brachte er mittels der für den Betrieb des Schlauchs vorgesehenen Steckvorrichtung an einer Schlauchtrommel zum Verkaufspreis von 54,95 Euro an, die er ebenfalls der Auslage des Baumarkts entnahm. Mit der so manipulierten Ware begab sich A sodann zur Kasse. Auf dem Weg dorthin entfernte er das an der Schlauchtrommel fest angeklebte Etikett, auf dem lediglich die für die Schlauchtrommel ausgegebene EAN nebst Strichcode aufgedruckt war, indem er es abkratzte oder abriss. Sodann legte er die Schlauchtrommel samt dem daran befestigten Anschlussstück der Kassiererin in der Absicht vor, diese über den wahren Kaufpreis zu täuschen. Die Kassiererin scannte daraufhin als einzigen an der Ware vorhandenen Strichcode die auf der Kartonverpackung der Anschlussgarnitur aufgedruckte EAN in den Kassencomputer des Baumarkts ein. Sie machte sich über diesen „weiter keine Gedanken“, fragte den A jedoch, ob der Preis „richtig“ sei, was A bejahte. A bezahlte daraufhin den von der Kassiererin geforderten Preis in Höhe von 14,50 Euro. Nachdem diese dem A im Gegenzug die Schlauchtrommel ausgehändigt hatte, wollte A den Baumarkt verlassen. Direkt nach der Kasse wurde er jedoch von einer bei dem Baumarkt beschäftigten Ladendetektivin angehalten, die das Geschehen von Anfang an beobachtet hatte. Daraufhin entrichtete A an der Kasse des Baumarkts den Preis in Höhe von 54,95 Euro für die Schlauchtrommel, die er behalten durfte und mitnahm.

 

Strafbarkeit des A?

 

B. Die Entscheidung des OLG Karlsruhe (Beschl. v. 13.03.2019 - 1 Rv 3 Ss 691/18

 

I. Diebstahls gemäß § 242 I StGB

A könnte sich wegen Diebstahls gemäß § 242 I StGB strafbar gemacht haben, indem er die Schlauchtrommel nach dem Bezahlvorgang entgegennahm und den Baumarkt verlassen wollte.

Dazu müsste A zunächst eine fremde bewegliche Sache weggenommen, also fremden Gewahrsam gebrochen und neuen Gewahrsam begründet haben.

Das OLG geht davon aus, dass die Verkäuferin dem A nicht nur die billigere und bezahlte Anschlussgarnitur, sondern auch die teurere und nicht bezahlte Schlauchtrommel freiwillig ausgehändigt und übereignet habe:

„Indem die Kassiererin dem Angeklagten die Schlauchtrommel im Zuge des Bezahlvorgangs freiwillig aushändigte, übertrug sie ihm den Gewahrsam an dieser Ware, den der Angeklagte nach den Feststellungen des Landgerichts zuvor nicht eigenmächtig gebrochen hatte. …

Denn bereits vor Eingreifen der Ladendetektivin hatte die Kassiererin dem Angeklagten nicht nur den Gewahrsam, sondern zusätzlich nach § 929 Satz 1 BGB auch das Eigentum an der Schlauchtrommel durch Übergabe und konkludente Einigung über den Eigentumswechsel übertragen (vgl. Bayer in Erman, BGB, 15. Auflage, § 929 Rn. 37), ohne den Kaufpreis für diese Ware erhalten zu haben.“

 

Damit waren weder Anschlussgarnitur noch Schlauchtrommel fremd; zudem hat A daran keinen Gewahrsam gebrochen.

 

Eine Strafbarkeit wegen Diebstahls scheidet aus.

 

II. Betrug gemäß § 263 I StGB

A könnte sich wegen Betruges gemäß § 263 I StGB gegenüber der Verkäuferin zu Lasten des Ladeninhabers strafbar gemacht haben, indem er an der Kasse Schlauchtrommel und Anschlussgarnitur vorlegte und auf Nachfrage antwortete, der Preis sei richtig.

 

1. Objektiver Tatbestand

Indem A auf die Nachfrage der Verkäuferin unrichtig antwortete, hat er über eine Tatsache getäuscht:

„Danach zielte schon die Vorlage der manipulierten Schlauchtrommel an der Kasse zur Bezahlung darauf ab, bei der Kassiererin eine Fehlvorstellung über den Preis der Ware hervorzurufen. Das bereits in dieser konkludenten Erklärung liegende Vorspiegeln eines falschen Preises (vgl. Fischer, StGB, 66. Auflage, § 263 Rn. 21) bekräftigte der Angeklagte sodann durch die ausdrückliche, auf entsprechende Nachfrage der Kassiererin erfolgte, bewusst wahrheitswidrige Erklärung, es handele sich bei dem Preis, den die Registrierkasse nach Einscannen des zu der Anschlussschlauchgarnitur gehörigen Strichcodes anzeigte, um den richtigen, mithin den auch für Schlauchtrommel geltenden Preis.“

 

Zudem hat sich die Verkäuferin über den richtigen Preis geirrt:

„Zwar könnte die von dem Landgericht in diesem Zusammenhang verwendete Formulierung, die Kassiererin habe sich „über den Preis weiter keine Gedanken“ gemacht, auf den ersten Blick zu der Annahme verleiten, das Landgericht habe die für die Annahme eines Irrtums erforderliche Feststellung einer konkreten Fehlvorstellung nicht getroffen und gehe möglicherweise von einer gänzlich fehlenden Vorstellung der Kassiererin über den Preis aus (vgl. BGH NJW 2003, 1198; Fischer, a.a.O., § 263 Rn. 57). Aus den weiteren Ausführungen des Landgerichts, die Kassiererin habe den Angeklagten gleichwohl nach der Richtigkeit des angezeigten Preises befragt, und ihm die Schlauchtrommel auf dessen wahrheitswidrige Bestätigung hin ausgehändigt, lässt sich jedoch klar entnehmen, dass die Kassiererin nach dem von dem Landgericht als erwiesen angesehen Sachverhalt - auch wenn sie sich üblicherweise keine Gedanken über die Richtigkeit der Preise der ihr zur Bezahlung vorgelegten Ware machte - jedenfalls im vorliegenden Einzelfall der positiven Fehlvorstellung unterlag, der Preis für Schlauchtrommel und Anschlussschlauch betrage lediglich 14,50 EUR.“

 

Indem die Verkäuferin, deren Verhalten dem Ladeninhaber nach den Grundsätzen des Dreiecksbetruges zuzurechnen ist (§ 56 HGB), dem A die Schlauchtrommel ausgehändigt hat, hat sie über das Vermögen des Ladeninhabers verfügt:

„Indem die Kassiererin dem Angeklagten die Schlauchtrommel im Zuge des Bezahlvorgangs freiwillig aushändigte, übertrug sie ihm den Gewahrsam an dieser Ware, den der Angeklagte nach den Feststellungen des Landgerichts zuvor nicht eigenmächtig gebrochen hatte. Danach hatte sich der Verfügungswillen der Kassiererin bei der Gewahrsamsübertragung auf die Schlauchtrommel konkretisiert. Zu Recht ging das Landgericht daher vom Vorliegen einer Vermögensverfügung im Sinne von § 263 Abs. 1 StGB aus, während ein Diebstahl (§ 242 StGB) mangels Gewahrsamsbruchs nicht in Betracht kam (vgl. BGHSt 41, 198; OLG Dresden, Beschluss vom 31.05.2002 – 3 Ss 165/02; Schönke/Schröder-Perron, StGB, 30. Auflage, § 263 Rn. 63a; Fischer, a.a.O., § 263 Rn. 74).“

 

Schließlich müsste dem Ladeninhaber ein Vermögensschaden entstanden sein. Dafür kommt es maßgeblich auf eine Gesamtsaldierung an: Zu vergleichen ist die Vermögenslage vor und nach der Verfügung. Der Ladeninhaber hat Eigentum und Besitz an Anschlussgarnitur und Schlauchtrommel mit einem Verkaufspreis von insgesamt 69,45 Euro verloren. Im Gegenzug hat er eine Zahlung über 14,50 Euro erhalten, sodass dem Ladeninhaber ein Vermögensschaden entstanden ist:

„Mit der unentgeltlichen Aushändigung der Schlauchtrommel an den Angeklagten trat bei dem Betreiber des Baumarkts zudem unmittelbar ein Vermögensschaden ein. Denn bereits vor Eingreifen der Ladendetektivin hatte die Kassiererin dem Angeklagten nicht nur den Gewahrsam, sondern zusätzlich nach § 929 Satz 1 BGB auch das Eigentum an der Schlauchtrommel durch Übergabe und konkludente Einigung über den Eigentumswechsel übertragen (vgl. Bayer in Erman, BGB, 15. Auflage, § 929 Rn. 37), ohne den Kaufpreis für diese Ware erhalten zu haben. Damit war bei dem Betreiber des Baumarkts unmittelbar eine nicht kompensierte Vermögensminderung eingetreten (vgl. Fischer, a.a.O., § 263 Rn. 111 ff.).“

 

Dem stehe auch nicht entgegen, dass A von einer Ladendetektivin beobachtet wurde. Dies sei vielmehr im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen:

„Damit war der Betrug zum Nachteil des Baumarktbetreibers auch vollendet, obwohl der gesamte Tatablauf von einer Ladendetektivin beobachtet wurde, die den Angeklagten sofort nach Verlassen des Kassenbereichs noch in den Geschäftsräumen des Baumarkts stellte. Vollendet ist der Betrug nämlich bereits mit dem zumindest teilweisen Eintritt des durch die Vermögensverfügung unmittelbar verursachten Vermögensschadens. Dass der von dem Täter erstrebte Vermögensvorteil erlangt oder auch nur erreichbar ist, ist hingegen wegen der überschießenden Innentendenz zur Tatbestandsvollendung nicht erforderlich (vgl. BGHSt 32, 236; BGHSt 19, 342, Leipziger Kommentar-Tiedemann, StGB, 12. Auflage, § 263 Rn. 272; Fischer, a.a.O, § 263 Rn. 272). Danach ist erst recht dann von Vollendung auszugehen, wenn der Täter die rechtswidrig erstrebte Vermögensposition - wie hier Eigentum und Besitz an der Schlauchtrommel - bereits erlangt hat, diese aber noch nicht gegen die unmittelbar drohende Erhebung berechtigter Rückgabeansprüche des Geschädigten sichern konnte, weil er sich noch in dessen Herrschaftsbereich aufhält und seine Tat von einem im Auftrag des Geschädigten handelnden, eingriffsbereiten Dritten beobachtet wurde.

Zwar können hierdurch im Ergebnis Wertungswidersprüche zu den Fällen entstehen, in denen ein Täter eine im Einkaufswagen versteckte Ware unbemerkt durch den Kassenbereich schmuggelt und unmittelbar danach von einem Ladendetektiv gestellt wird, der das Geschehen von Anfang an beobachtet hatte. Denn ein solcher der vorliegenden Konstellation faktisch ähnlicher Fall wäre nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gegebenenfalls nur als versuchter Diebstahl zu werten (vgl. BGHSt 41, 198 sowie Leipziger Kommentar-Vogel, a.a.O., § 242 Rn. 101). Dies zöge nach §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB eine fakultative Strafrahmenmilderung nach sich, über die der Tatrichter nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden hätte. Dieses Ergebnis ist jedoch letztlich der dogmatischen Konzeption des Betruges als ein das Vermögen schützendes Selbstschädigungsdelikt geschuldet und daher im Ausgangspunkt hinzunehmen. Zur Abmilderung drohender Wertungswidersprüche im Strafausspruch ist der Tatrichter jedoch gehalten, in derartigen Fallkonstellationen bei der Strafzumessung zu berücksichtigen, dass trotz formaler Vollendung des Betrugstatbestandes die Gefahr eines endgültigen Schadenseintritts von Anfang an äußerst gering war, weil der Betrugstäter noch im Herrschaftsbereich des Geschädigten durch einen von diesem beauftragten Detektiv gestellt wird, dem das gesamte Tatgeschehen aufgrund seiner Beobachtungen bekannt ist (vgl. unten Ziffer III. 2.).“

 

Damit ist der objektive Tatbestand des Betrugs erfüllt.

 

2. Subjektiver Tatbestand

A handelte vorsätzlich und mit der Absicht stoffgleicher Bereicherung.

 

3. Rechtswidrigkeit und Schuld

A handelte rechtswidrig und schuldhaft.

 

4. Ergebnis

A hat sich wegen Betruges strafbar gemacht.

 

III. Urkundenfälschung gemäß § 267 I Var. 2 u. 3 StGB

A könnte sich wegen Urkundenfälschung gemäß § 267 I Var. 2 u. 3 StGB strafbar gemacht haben, indem er Anschlussgarnitur und Schlauchtrommel mit der Steckvorrichtung zusammenbrachte.

 

1. Tatbestand

Dazu müssten Schlauchtrommel und Anschlussgarnitur eine zusammengesetzte Urkunde darstellen. Dafür müsste eine feste und dauerhafte Verbindung bestehen:

„Zwar können zusammengesetzte Urkunden auch durch Auswechseln ihres Bezugsobjekts verfälscht werden (BGHSt 9, 235; BGHSt 16, 94; OLG Köln, Urteil vom 04.07.1978 – 1 Ss 231/78; Leipziger Kommentar-Zieschang, a.a.O, § 267 Rn. 202; Fischer, a.a.O., § 267 Rn. 35; a.A. SK-Hoyer, § 267 Rn. 83). Dies setzt jedoch voraus, dass auch die neue in der Verbindung von Bezugsobjekt und Beweiszeichen liegende Gedankenerklärung den Anschein erweckt, sie rühre unverändert von dem ursprünglichen Aussteller her. Auch bei der neu zusammengesetzten Urkunde muss daher eine feste und dauerhafte, wenn auch nicht untrennbare Verbindung zwischen Beweiszeichen und Bezugsobjekt zu einer Beweiseinheit bestehen (vgl. BGHSt 34, 375).“

 

Daran fehle es vorliegend:

„Denn die zu beurteilende Steckverbindung war ersichtlich nicht auf Dauer angelegt und ließ sich - ähnlich eines nur lose in einer unverschlossenen Hülle verpackten Hemds (vgl. OLG Köln, Urteil vom 04.07.1978 – 1 Ss 231/78) - ohne weiteres wieder lösen. Zudem ist die sich aus dem Aufstecken des Anschlussschlauchs ergebende Zuordnung zu der Schlauchtrommel bei objektiver Betrachtung nur eine Folge des bestimmungsgemäßen Gebrauchs des Anschlussschlauchs, der darin liegt, eine Verbindung zwischen Schlauchtrommel und Wasseranschluss herzustellen. Eine Beweiszwecken dienende Zuordnung des an dem Anschlussschlauch befindlichen Umkartons mit der Schlauchtrommel wird hierdurch nicht erzeugt. Für dieses Ergebnis spricht auch der Vergleich mit weiteren von der Rechtsprechung entschiedenen Fällen. Angenommen wurde eine ausreichend feste, dauerhafte und damit eine Beweiseinheit erzeugende Verbindung etwa bei der festen Montage eines Kfz.-Zulassungszeichens an einem PKW (BGHSt 34, 375), nicht aber bei einer eher losen Befestigung desselben mit einem Draht (OLG Stuttgart, VRS 47 [1974], 25) sowie zwar bei mit Klebstoff bewirktem Aufkleben eines Preisetiketts (OLG Düsseldorf, a.a.O.), nicht aber bei nur losem Heften eines Strafzettels an die Windschutzscheibe (OLG Hamburg, JR 1964, 228).“

2. Ergebnis

A hat sich nicht wegen Urkundenfälschung strafbar gemacht.

 

IV. Urkundenunterdrückung gemäß § 274 I Nr. 1 StGB

A könnte sich wegen Urkundenunterdrückung gemäß § 274 I Nr. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er den Strichcode der Schlauchtrommel abkratzte oder abriss.

 

1. Objektiver Tatbestand

Das Etikett mit der aufgedruckten European Article Number (EAN) müsste zusammen mit der Schlauchtrommel, auf die es aufgeklebt war, eine zusammengesetzte Urkunde dargestellt haben.

Zunächst stellt der Senat die Anforderungen an zusammengesetzte Urkunden dar:

„Eine Urkunde im strafrechtlichen Sinne ist die Verkörperung einer allgemein oder für Eingeweihte verständlichen Gedankenerklärung, die den Aussteller erkennen lässt und geeignet und bestimmt ist, im Rechtsverkehr Beweis zu erbringen (BGHSt 3, 85; Fischer, StGB, 66. Auflage, § 267 Rn. 2 m.w.N.). Auch mit einer Sache fest verbundene Zeichen, die nach Gesetz, Herkommen oder Vereinbarung erkennbar eine Gedankenäußerung ihres Urhebers darstellen und bestimmt und geeignet sind, für sich oder mit Hilfe anderer Auslegungsmittel Beweis im Rechtsverkehr zu erbringen, sogenannte Beweiszeichen, weisen Urkundenqualität auf, (BGHSt 2, 370; Fischer, a.a.O. § 267 Rn. 5; Schönke/Schröder-Heine/Schuster, a.a.O., § 267 Rn. 36a; Leipziger Kommentar-Zieschang, a.a.O., § 267 Rn. 85 m.w.N.). Hierunter fallen neben fest an Kraftfahrzeugen befestigten Kraftfahrzeug-Zulassungsschildern (vgl. BGH NJW 2000, 229) auch auf Waren geklebte oder anders an diesen befestigte Preisauszeichnungen (vgl. OLG Düsseldorf MDR 1982, 952; OLG Köln, Urteil vom 03.07.1973 – Ss 61/73) und die in einen PKW eingeschlagene Fahrgestell bzw. Fahrzeug-Identifikationsnummer (BGHSt 9, 235; BGHSt 16, 94; KG, Beschluss vom 16.4.2003 - (5) 1 Ss 20/03). Letztere soll dabei die beweiserhebliche Erklärung des Herstellers enthalten, dass das Fahrzeug von ihm angefertigt wurde und durch die Fahrzeug-Identifikationsnummer (FIN) identifiziert werden kann (a.A. Erb in Münchner Kommentar zum StGB, 3. Auflage, § 267 Rn. 79).“

 

Auch die die mit einer bestimmten Ware fest verbundene EAN verkörpere als sogenanntes Beweiszeichen eine zum Beweis bestimmte, menschliche Gedankenerklärung:

“Bei der EAN handelt es sich eine international unverwechselbare Nummer zur Kennzeichnung von Produkten, die es ermöglicht, jedes Produkt weltweit zuverlässig zu identifizieren. Dabei fungiert die EAN, die nach neuerer Terminologie als Global Trade Item Number bezeichnet wird, wobei sie den Zusatz 13 führt, weil sie aus 13 Ziffern besteht (nachfolgend: GTIN-13), insbesondere als Zugriffsschlüssel auf Produktinformationen, die ein Einzelhändler - wie der im vorliegenden Fall geschädigte Baumarkt - in der von ihm betriebenen Kassendatenbank für das mit der GTIN-13 gekennzeichnete Produkt als Bestandteil seines Sortiments hinterlegt hat. Diese Produktinformationen umfassen insbesondere den von dem Einzelhändler für die jeweilige Ware im Abverkauf verlangten Preis. Um den Preis an der Kasse beim Verkauf der vorgelegten Ware aus der Datenbank abrufen zu können, wird die GTIN-13 meist mittels Scannen des Strichcodes, der die GTIN-13 lediglich in einer für einen Barscanner lesbaren Art darstellt und dem kein eigenständiger Erklärungsgehalt zukommt, oder manuell in die Datenbank eingegeben. Das Kassensystem verknüpft die GTIN-13 mit dem für sie hinterlegten Preis und zeigt diesen auf dem Display der Kasse an. Die GTIN-13 selbst enthält mithin keine verschlüsselten Produktinformationen, insbesondere nicht den Preis, sondern dient allein der zuverlässigen Ermittlung des Preises für eine bestimmte Ware über die Kassendatenbank. Durch eine zentrale Stelle, die Firma GS1, wird sichergestellt, dass keine GTIN-13 doppelt vergeben wird. Hierzu teilt die Firma GS1 dem Hersteller aufgrund eines Lizenzvertrages eine ausschließlich für ihn bestimmte Basisnummer zu, auf deren Grundlage der Hersteller sodann nach bestimmten Vorgaben und mit technischer Hilfe der GS1 die GTIN-13 für seine Produkte vergibt. …

Entgegen der Auffassung der Revision ist die in der festen Verbindung von GTIN-Etikett und Schlauchtrommel liegende menschliche Gedankenerklärung zumindest für Eingeweihte auch aus sich selbst heraus verständlich. So ist im Rechtsverkehr, jedenfalls was den Einzelhandel angeht, allgemein bekannt, dass die unter dem Strichcode befindliche Nummer, wie auch dieser selbst, dazu dient die Ware an der Kasse zu identifizieren und damit Grundlage für die beweiskräftige Ermittlung des Preises ist.”

Ferner lasse eine in der festen Verbindung von Produkt und GTIN-13 bestehende Urkunde auch ihren Aussteller nach außen hin erkennen:

“Zwar weist das Klebeetikett - wie auch im vorliegenden Fall - in der Regel lediglich die GTIN-13 und den zugehörigen Strichcode aus, ohne dass zusätzlich eine Unterschrift oder der Firmenaufdruck desjenigen aufgebracht wäre, der den beweiskräftigen Warenidentitätsausweis durch Aufkleben des Etiketts auf das Produkt hergestellt hat. Dies ist für das Vorliegen einer Urkunde jedoch auch nicht erforderlich. Vielmehr ist es ausreichend, wenn sich der Aussteller der Urkunde aus deren sonstigem, nicht in einer Unterschrift oder einer Firmenbezeichnung bestehenden Inhalt ergibt (BGHSt 13, 382; Leipziger Kommentar-Zieschang, a.a.O., § 267 Rn. 49). Dies ist bei der GTIN-13 der Fall. Denn Bestandteil jeder GTIN-13 ist die GS1-Basisnummer, die es ermöglicht, das Unternehmen, welches die GTIN-13 für sein Produkt vergeben hat, weltweit zu identifizieren. Diese Basisnummer ist Bestandteil jeder GTIN-13, und gibt mithin an, von welchem Unternehmen die GTIN-13 herrührt.”

Schließlich bestehe auch eine hinreichend feste Verbindung:

“Da auch bei einer zusammengesetzten Urkunde die Erklärung und ihr Bezug zum Aussteller dauerhaft fixiert sein muss, ist ferner eine feste Verbindung zwischen dem GTIN-Etikett und der Ware erforderlich, auf die sie sich bezieht (BGHSt 34, 375; OLG Köln, Urteil vom 04.07.1978 -  1 Ss 231/78; Leipziger Kommentar-Zieschang, a.a.O., § 267 Rn. 55). Auch eine solche war im vorliegenden Fall gegeben, weil das Etikett mit der GTIN-13 nach den Urteilsfeststellungen so fest auf der Schlauchtrommel aufgeklebt war, dass der Angeklagte sie abkratzen oder abreißen musste (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.).”

Durch das Abkratzen oder Abreißen habe A die Beweiseinheit zwischen Strichcode und der Schlauchtrommel vollständig beseitigt. Damit habe er die ihm nicht gehörende (zusammengesetzte) Urkunde vernichtet:

“Dass dem Angeklagten darüber hinaus die Urkunde nicht im Sinne von § 274 Absatz 1 Nummer 1 StGB gehörte, weil jedenfalls auch der Betreiber des Baumarkts das Recht hatte, die aus GTIN-Etikett und Schlauchtrommel zusammengesetzte Urkunde zu Beweiszwecken zu gebrauchen, lag nach den getroffenen Feststellungen auf der Hand. (vgl. BGHSt 29, 192; Leipziger Kommentar-Zieschang, a.a.O., § 274 Rn. 5 und 6; Fischer, a.a.O., § 274 Rn. 3). Indem der Angeklagte das GTIN-Etikett von der Schlauchtrommel abriss oder abkratzte, hob er darüber hinaus die Gebrauchsfähigkeit der aus Etikett und Schlauchtrommel bestehenden, zusammengesetzten Urkunde auf. Damit war diese als Beweismittel insgesamt nicht mehr vorhanden. Denn ihr gedanklicher Inhalt, der in der Zuordnung eines rechtserheblichen, den Hersteller zu erkennen gebenden Identitätsausweises bestand, der gerade in der Verbindung zwischen Etikett und Schlauchtrommel zum Ausdruck kam, wurde hierdurch völlig beseitigt. Damit hat der Angeklagte die zusammengesetzte Urkunde im Sinne von § 274 Absatz 1 Nummer 1 StGB vernichtet (OLG Köln, Urteil vom 03.07.1973 - 3 Ss 61/73; Fischer a.a.O., § 274 Rn. 4; LK-Zieschang, a.a.O., § 274 Rn. 26).”

Damit hat A den objektiven Tatbestand des § 274 I Nr. 1 StGB erfüllt.

 

2. Subjektiver Tatbestand

A handelte auch vorsätzlich. Indem es ihm darauf ankam, dass die Verkäuferin den Strichcode der Schlauchtrommel an der Kasse nicht einscannen konnte, handelte er zudem Nachteilszufügungsabsicht.

 

3. Rechtswidrigkeit und Schuld

A handelte rechtswidrig und schuldhaft.

 

4. Ergebnis

A hat sich auch wegen Urkundenunterdrückung strafbar gemacht.

 

C. Fazit

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis dieser Fall in Prüfungsaufgaben einfließt - Pflichtlektüre!