OVG Schleswig: Plakatieren eines Schaltkastens als Sondernutzung?

A. Sachverhalt

A betreibt ein Gewerbe spezialisiert auf Außenwerbung. Vermittelt über eine Kooperation mit einer anderen Werbeagentur und deren vertraglichem Recht zur werblichen Nutzung von Schaltkästen der Telekom Deutschland GmbH möchte sie an einem Schaltkasten am Fußgängerüberweg „Am Lotsenberg“ in Travemünde (Schleswig-Holstein) eine auf Styropor aufgeklebte Plakatwerbung für einen örtlichen Supermarkt anbringen.

Benötigt A dafür eine straßenrechtliche Erlaubnis?

B. Die Entscheidung des OVG Schleswig-Holstein (Beschl. v. 24.10.2019 – 4 MB 58/19)

Der Gebrauch der öffentlichen Straßen ist nach § 20 I 1 StrWG SH jedermann im Rahmen der Widmung und der Straßenverkehrsvorschriften zum Verkehr gestattet (Gemeingebrauch). Die Benutzung einer Straße über den Gemeingebrauch hinaus (Sondernutzung) hingegen bedarf nach § 21 I 1 StrWG SH der Erlaubnis. Es stellt sich also die Frage, ob das Anbringen von Werbung auf Schaltkästen der Telekom Deutschland GmbH erlaubnisfreier Gemeingebrauch ist oder eine erlaubnispflichtige Sondernutzung darstellt.

 

I. Abgrenzung Gemeingebrauch - Sondernutzung

Ein Gemeingebrauch liegt nach § 20 I 1 StrWG SH) nur vor, wenn öffentliche Straßen im Rahmen der Widmung und der Straßenverkehrsordnung zum Verkehr gebraucht werden, nicht jedoch, wenn die Straße nicht überwiegend zum Verkehr, sondern zu anderen Zwecken genutzt wird (§ 20 I 2 StrWG SH). Der Senat sieht in dem Plakatieren mit Werbung wegen des kommerziellen Zwecks die Grenzen des Gemeingebrauchs überschritten und daher darin eine Sondernutzung:

„Der mit der Werbung verfolgte Zweck ist kommerzieller Art und bewegt sich außerhalb des Widmungszwecks. Die Plakattafel soll die Aufmerksamkeit der Verkehrsteilnehmer auf die Werbung ziehen und sie möglicherweise sogar zur näheren Betrachtung animieren. Hier wird die Straße ausschließlich zur Verwirklichung eines privaten geschäftlichen Interesses benutzt, dass außerhalb eines verkehrsbezogenen kommunikativen Geschehens liegt (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 16.08.1990 - 1 Ss OWi 31/90 -, juris Rn. 7; Behnsen in: Praxis der Kommunalverwaltung, StrWG, Juli 2017, § 21 Rn. 35). Die Antragstellerin benutzt die ihr mit der Straße gegebene Gelegenheit, die Werbung einer Vielzahl von Passanten mitzuteilen und zum Vorteil für das werbende Unternehmen auf sie einzuwirken.“

Auf eine Beeinträchtigung der Verkehrsteilnehmer komme es nach Schleswig-Holsteinischem Landesrecht für die Abgrenzung zwischen Gemeingebrauch und Sondernutzung nicht an:

„Für die Abgrenzung von Gemeingebrauch und Sondernutzung unerheblich ist die Frage, ob bzw. in welchem Umfang es durch ein Stoppen der Verkehrsteilnehmer zu Verkehrsbehinderungen und damit zu einer (nicht nur unerheblichen) Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs kommen kann. Gemäß §§ 20 Abs. 1, 21 Abs. 1 StrWG kommt es allein darauf an, ob eine Nutzung vorwiegend zum Verkehr erfolgt oder nicht. Würde man an dieser Stelle auch auf eine Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs abstellen, wären geringfügige Sondernutzungen letztlich nicht mehr als Sondernutzung, sondern als Gemeingebrauch einzuordnen. Dies widerspräche dem eindeutigen Wortlaut der genannten Vorschriften (Urt. des Senats v. 10.07.1996 - 4 L 175/95 -, juris Rn. 27; vgl. auch OVG Berlin-Brbg., Beschl. v. 16.09.2008 - OVG 1 S 154.07 -, juris Rn. 21). Sollte das OVG Münster in Anwendung der §§ 14, 18 Abs. 1 StrWG NRW an dieser Stelle eine nicht nur unerhebliche Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs verlangen (Urt. v. 03.09.2018 - 11 A 546/15 -, juris Rn. 51 a.E.; Beschl. v. 07.02.2019 - 11 B 1033/19 -, juris Rn. 6, 18), kann dem für das schleswig-holsteinische Straßen- und Wegerecht nicht gefolgt werden.“

II. Vorrang des Privatrechts?

Das Vorliegen einer Beeinträchtigung sei allein bei der Frage bedeutsam, ob eine öffentliche oder privat-rechtliche Sondernutzung im Sinne von § 18 I Nr. 1 StrWG SH vorliege. Im letzteren Fall würde sich die Einräumung von Rechten zur Nutzung der öffentlichen Straßen nach bürgerlichem Recht richten. Das OVG geht aber davon aus, dass § 28 StrWG nicht einschlägig sei, weswegen sich die Einräumung von Nutzungsrechten nach öffentlichem Recht richte:

„Um wiederum die Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Nr. 1 StrWG abzulehnen, kommt es nicht darauf an, ob eine konkrete Gefährdung des Gemeingebrauchs besteht. Ausreichend ist vielmehr allein die abstrakte Möglichkeit, dass der Gemeingebrauch beeinträchtigt werden könnte (Urt. des Senats v. 10.07.1996 a.a.O. Rn. 33). Daran hat der Senat in Anbetracht des hier gewählten Standortes direkt gegenüber einem Fußgängerüberweg schon allein wegen der denkbaren Ablenkung der Verkehrsteilnehmer keine Zweifel. Das Maß der denkbaren Beeinträchtigung könnte im Übrigen im Falle eines Antrages auf Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis im Rahmen der behördlichen Ermessensbetätigung eine Rolle spielen.“

 

III. Nutzungsberechtigung kraft Bundesrechts gemäß § 68 I 1 TKG?

Möglicherweise ergibt sich aus § 68 I 1 TKG eine Ausnahme vom Erfordernis einer straßenrechtlichen Sondernutzungserlaubnis. Danach ist der Bund befugt, Verkehrswege für die öffentlichen Zwecken dienenden Telekommunikationslinien unentgeltlich zu benutzen, soweit dadurch nicht der Widmungszweck der Verkehrswege dauernd beschränkt wird (Nutzungsberechtigung). Dem Bund steht daher kraft Gesetzes im Ergebnis – ohne dass es auf die dogmatische Begründung ankommt – ein unentgeltliches Nutzungsrecht zu. Dieses Recht kann er auf die Betreiber öffentlicher Telekommunikationsnetze, hier die Deutsche Telekom GmbH, übertragen.

Zu Telekommunikationslinien zählen gemäß § 3 Nr. 26 TKG auch unter- oder oberirdisch geführte Telekommunikationskabelanlagen, einschließlich ihrer zugehörigen Schalt- und Verzweigungseinrichtungen und damit auch Schaltkästen.

Zum Teil wird daraus geschlossen, dass das Anbringen von Werbung auf Schaltkästen keine (erlaubnispflichtige) straßenrechtliche Sondernutzung darstelle. So führt das OVG Nordrhein-Westfalen in einer Entscheidung aus Anfang 2019 aus:

„Hinsichtlich derartiger Telekommunikationslinien ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass zwischen dem Lizenznehmer und dem jeweiligen Baulastträger ein öffentlich-rechtliches Benutzungsverhältnis nach Maßgabe der Vorschriften des Telekommunikationsgesetzes entsteht, das einen Rückgriff auf die allgemeinen Regelungen des Straßenrechts ausschließt.

Telekommunikationslinien unterfallen damit nicht dem Regime des Straßenrechts, weshalb die Inanspruchnahme des öffentlichen Verkehrsraums durch die streitgegenständlichen Schaltkästen - durch die der Widmungszweck der Verkehrswege regelmäßig nicht dauernd beschränkt wird - kraft Gesetzes nicht als Sondernutzung i. S. d. § 18 StrWG NRW gilt. …

Dass die an den fraglichen Schaltkästen angebrachte Werbung ihrerseits nicht dem Betrieb von Telekommunikationslinien dient, ändert nichts daran, dass die Inanspruchnahme des Verkehrsraums durch die Schaltkästen, sofern und solange sie zu den Telekommunikationslinien zählen, nicht den Regelungen des Straßenrechts unterfällt und nicht als Sondernutzung gilt. Ob der Lizenznehmer oder die Antragstellerin durch die Anbringung von Werbung und die Hinzufügung eines weiteren Nutzungszwecks gegen die Regelungen des Telekommunikationsgesetzes oder gegen andere Rechtsvorschriften verstoßen, ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens.

Das Anbringen von Werbung auf den Schaltkästen nimmt diesen nicht ihre rechtliche Qualität als Schalteinrichtung i. S. d. § 3 Nr. 26 TKG. Denn die Funktion als Teil der Telekommunikationsinfrastruktur wird durch die Werbung nicht beeinträchtigt.“

Demgegenüber geht das OVG Schleswig-Holstein davon aus, dass es sich bei dem Plakatieren von Schaltkästen um eine erlaubnispflichtige Sondernutzung handele. Das Bekleben des Schaltkasten mit kommerzieller Werbung sei von dem mit

§ 68 I TKG verfolgten öffentlichen Zweck der Versorgung der Allgemeinheit mit Telekommunikation nicht abgedeckt. Die Befugnis aus § 68 I 1 TKG, öffentliche Verkehrswege unentgeltlich zu benutzen, könne aber nur so weit reichen, wie die Benutzung sich im Rahmen des damit verfolgten Zwecks bewege:

„Bei der gesetzlich eingeräumten Nutzungsberechtigung handelt es sich um einen Annex zur straßenrechtlichen Widmung, da sie in ihrem Bestand vom Vorhandensein eines öffentlichen Verkehrsweges abhängig ist und zugleich den Zweck der Widmung kraft Gesetzes erweitert. Die Nutzungsberechtigung wird deshalb als die Fiktion einer besonderen Form des Gemeingebrauchs (Stelkens, TKG - Wegerecht -, 1. Aufl. 2010, § 68 Rn. 33, 34) oder auch als ein auf außerhalb des straßen- und wegerechtlicher Grundlage beruhendes Sondergebrauchsrecht (Stahlhut in: Kodal, 7. Aufl., Kap. 27 Rn. 33 und Kap. 28 Rn. 134) bezeichnet. Die Widmung erhält kraft Gesetzes eine weitere Zweckbestimmung, nämlich den über Kabel geführten öffentlichen Telekommunikationsverkehr aufzunehmen, so dass zu dem Fortbewegungsverkehr der Telekommunikationsverkehr tritt und sich die Nutzungsberechtigung rechtstypisch als ein Recht zur Mitbenutzung öffentlicher Verkehrswege darstellt (Schütz in: BeckOK, TKG, 4. Aufl. 2013, § 68 Rn. 12 m.w.N.). Die Nutzungsberechtigung steht damit neben dem straßenrechtlichen Gemeingebrauch. Daher liegt es nahe, die Reichweite der Nutzungsberechtigung maßgeblich anhand des sie legitimierenden Zweckes zu definieren, ebenso, wie die Reichweite des Gemeingebrauchs anhand des Benutzungszwecks definiert wird (§ 20 Abs. 1 Satz 2, § 21 Abs. 1 StrWG). Die Befugnis aus § 68 Abs. 1 Satz 1 TKG, öffentliche Verkehrswege unentgeltlich zu benutzen, kann dementsprechend nur so weit reichen, wie die Benutzung sich im Rahmen des damit verfolgten Zwecks bewegt. Der mit § 68 Abs. 1 Satz 1 TKG verfolgte öffentliche Zweck besteht darin, der Allgemeinheit Telekommunikationseinrichtungen für eine Nutzung durch jedermann zur Verfügung zu stellen (BVerwG, Beschl. v. 07.05.2001 - 6 B 55/00 -, juris Rn. 14). Das Bekleben des Schaltkastens mit Werbeplakaten ist davon nicht erfasst, da es lediglich privaten kommerziellen Zwecken dient (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 03.07.2019 - 7 ME 27/19 -, juris Rn. 13; Stelkens, TKG - Wegerecht -, 1. Aufl. 2010, § 68 Rn. 100).“

 

IV. Ergebnis

A benötigt eine straßenrechtliche Sondernutzungserlaubnis.

 

C. Fazit

In letzter Zeit häufen sich klausurgeeignete Fälle zur straßenrechtlichen Sondernutzung (s. auch die Entscheidung “Tarotkartenlegen als Kunst?”), weswegen es sich lohnt, die Grundzüge der Abgrenzung von Gemeingebrauch und Sondernutzung zu vertiefen. Gerade der “Spin” mit § 68 I 1 TKG und die unterschiedliche Auslegung durch die OVGs in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen könnte Prüfungsämter dazu veranlassen, den einfachen Sachverhalt (Plakatieren von Schaltkästen) in Prüfungsaufgaben einfließen zu lassen - immerhin kann man damit gut den Umgang mit unbekannten Normen prüfen!

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