Kleinbusfall 2.0

A. Sachverhalt

Die Klägerin, ein Leasingunternehmen, begehrt vom Beklagten, der eine Autoreparaturwerkstatt betreibt, die Zahlung einer Nutzungsentschädigung wegen Vorenthaltens eines ihr gehörenden Pkw.

1997 hatte die Klägerin dem Leasingnehmer O. ein Fahrzeug zur Verfügung gestellt, welches dieser nach dem Leasingvertrag in einem betriebs- und verkehrssicheren Zustand zu halten sowie fällige Wartungsarbeiten pünktlich und erforderliche Reparaturen unverzüglich durch einen vom Hersteller anerkannten Betrieb reparieren zu lassen hatte. Nach einem Unfall vom 30. Mai 1998 verbrachte der Leasingnehmer das Fahrzeug in die Werkstatt des Beklagten, um es dort zunächst begutachten zu lassen. Mit einem an den Haftpflichtversicherer des Unfallgegners gerichteten Schreiben vom 4. Juni 1998, das sie auch dem Beklagten übersandte, teilte die Klägerin mit, dass sie mit einer Weiterleitung von Entschädigungsleistungen des Fahrzeugversicherers an die Werkstatt oder den Leasingnehmer nach Vorlage der Reparaturrechnung einverstanden sei. Daraufhin beauftragte der Leasingnehmer am 6. Juni 1998 den Beklagten mit der Durchführung der Reparatur und erhielt das Fahrzeug am 15. Juni 1998 zurück. Auf die vom Beklagten in Rechnung gestellten Reparatur- und Mietwagenkosten in Höhe von 10.283,26 DM zahlte die Versicherung lediglich 8.864,83 DM.

Am 31. August 1998 brachte der Leasingnehmer O. den Pkw erneut zum Beklagten; diesmal wegen eines vermuteten Motorschadens. Für die Fehlersuche berechnete der Beklagte 78,88 DM. Der Leasingnehmer hatte der Klägerin kurz zuvor erklärt, zahlungsunfähig zu sein und zahlte ab 1. September 1998 auch keine Leasingraten mehr, worauf die Klägerin am 3. September 1998 den Leasingvertrag fristlos kündigte und den Beklagten aufforderte, das Fahrzeug bis 8. September 1998 zur Abholung bereitzustellen. Dieser verweigerte jedoch die Herausgabe im Hinblick auf die noch ausstehenden Zahlungen aus den durchgeführten Werkarbeiten vom Juni und August. Auch nachdem die Klägerin den Betrag von 78,88 DM am 28. September 1998 gezahlt hatte, gab der Beklagte das Fahrzeug nicht heraus. Dies geschah erst am 30. März 1999 im Laufe eines Herausgabeprozesses.

 

B. Worum geht es?

Ein Anspruch auf Ersatz des Vorenthaltungsschadens (hier in Form einer Nutzungsentschädigung) könnte sich aus §§ 990 II, 280 I, II, 286 BGB ergeben. Dann müsste sich die Beklagte mit der Herausgabe des Fahrzeugs im Verzug befunden haben. Ein solcher Anspruch würde ausscheiden, wenn der der Beklagte sich mit Erfolg für den fraglichen Zeitraum auf ein Zurückbehaltungsrecht an dem Fahrzeug wegen von ihm darauf vorgenommener Verwendungen beruft könnte. Das setzt voraus, dass dem Beklagten (aus der ersten Reparatur im Juni 1998, die nicht vollständig bezahlt wurde) ein Verwendungsersatzanspruch (§§ 994 ff. BGB) und ein daraus folgendes Zurückbehaltungsrecht zusteht. Letzteres kann hier nicht aus § 1000 BGB folgen, weil dem Leasingnehmer das Fahrzeug nach der durchgeführten Reparatur am 15. Juni 1998 zurückgegeben wurde:

„Ein Zurückbehaltungsrecht wegen seiner Aufwendungen für die Reparatur des Wagens kann der Beklagte allerdings nicht auf § 1000 BGB stützen. Nach dieser Vorschrift besteht ein Zurückbehaltungsrecht nicht für solche Verwendungen, die im Rahmen früherer Reparaturarbeiten vorgenommen worden sind, nach deren Abschluß das Fahrzeug bereits wieder an den Eigentümer oder den zum Besitz berechtigten Dritten zurückgegeben worden war (BGHZ 51, 250, 253/254; BGH, Urteil v. 18. Mai 1983 – VIII ZR 86/82, NJW 1983, 2140).“

Grundlage für ein Zurückbehaltungsrecht kann daher nur § 273 II BGB sein, der indes – anders als § 1000 BGB – einen fälligen Verwendungsersatzanspruch voraussetzt. Die Fälligkeit des Verwendungsersatzanspruchs hängt nach § 1001 BGB davon ab, dass der Eigentümer die Sache wiedererlangt oder die Verwendungen genehmigt. Da das Fahrzeug im Juni 1998 nicht an die Klägerin, sondern den Leasingnehmer herausgegeben wurde, kommt es darauf an, ob die Kläger mit Schreiben vom 4. Juni 1998 ihre „Genehmigung“ zur Durchführung der anschließenden Reparatur erklärt hat.

Der BGH hatte damit im Kern folgende Fragen zu beantworten:

“Kann eine ‘Genehmigung’ im Sinne von § 1001 BGB auch vor Durchführung der Verwendung (als Einwilligung) erteilt werden?

 

C. Wie hat der BGH entschieden?

Der BGH weist im Kleinbusfall 2.0 (Urt. v. 24.6.2002 – II ZR 266/01 (NJW 2002, S. 2875 ff.)) die Revision der Klägerin zurück und bestätigt das klagabweisende Urteil der Berufungsinstanz. Eine Genehmigung im Sinne des § 1001 BGB erfordere lediglich das Einverständnis zwischen Eigentümer und Besitzer hinsichtlich der Vornahme bestimmter Verwendungen. Sie könne daher nicht nur als nachträgliche Zustimmung (§ 184 BGB), sondern auch vor der Durchführung der Verwendungen als Einwilligung (§ 183 BGB) erteilt werden.

Zunächst hält der BGH an seiner im Kleinbusfall begründeten Auffassung fest, wonach auch dem im Zeit der Vornahme der Verwendungen berechtigten Besitzer Verwendungsersatzansprüche zustehen können, sofern er nur im Zeitpunkt des Verlangens nach Verwendungsersatz nicht mehr zum Besitz berechtigt sei (Figur des „nicht mehr berechtigten Besitzers“). Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Vindikationslage sei also nicht die Verwendungsvornahme, sondern das Verlangen nach Verwendungsersatz:

„Ausgeschlossen ist die Anwendung der §§ 994 ff. BGB nur dann, wenn zwischen dem Eigentümer und dem Besitzer der Sache zu keinem Zeitpunkt eine Vindikationslage bestanden hat (BGHZ 34, 122, 129). War hingegen der Besitzer zum Zeitpunkt der Vornahme der Verwendungen zum Besitz berechtigt, ist aber später eine Vindikationslage eingetreten, steht es dem unrechtmäßigen Fremdbesitzer frei, gemäß §§ 994 ff. BGB Ersatz der von ihm getätigten Verwendungen vom Eigentümer zu verlangen; unerheblich ist, wann die Verwendungen erfolgt sind, ob also der Besitzer die Verwendungen bereits zu einem Zeitpunkt vorgenommen hat, als er noch rechtmäßig besessen hat oder ob dies erst nach Eintritt der Vindikationslage geschehen ist (BGHZ 34, 122, 131/132). Entscheidend ist allein, daß Verwendungen vom Besitzer vorgenommen worden sind und er zur Zeit der Geltendmachung der Verwendungsansprüche einem Herausgabeanspruch des Eigentümers ausgesetzt ist. Anderenfalls wäre er in nicht zu rechtfertigender Weise schlechter gestellt als ein im Zeitpunkt der Verwendungsvornahme nicht berechtigter Besitzer (BGHZ 34, 122, 132).

Eine abweichende Beurteilung ist auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil und soweit der unrechtmäßige Besitzer einen – hier aufgrund der Insolvenz des Leasingnehmers allerdings kaum realisierbaren – Anspruch aus dem Werkvertrag mit dem Besteller auf Bezahlung der Reparaturkosten hat; der vertragliche Anspruch gegen den Besteller steht in diesem Falle neben dem gegen den Eigentümer gerichteten, der sich aus §§ 994 ff. BGB ergibt (BGHZ 34, 122, 129 u. 131).“

In der Mitteilung der Klägerin, sie sei einverstanden, dass die Versicherungsleistung zur Bezahlung der Reparatur ihres Fahrzeugs verwendet würde, liege eine Genehmigung im Sinne von § 1001 S. 1 Alt. 2 BGB:

„Das Berufungsgericht ist im Wege der Auslegung des – auch – an den Beklagten gerichteten Schreibens der Klägerin vom 4. Juni 1998 zu dem Ergebnis gelangt, daß hiermit ein Einverständnis mit den anstehenden Reparaturarbeiten erklärt worden ist. Diese tatrichterliche Interpretation ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs revisionsrechtlich nur eingeschränkt auf die Verletzung von gesetzlichen oder allgemein anerkannten Auslegungsregeln (wozu auch der Grundsatz einer nach beiden Seiten hin interessengerechten Auslegung zählt), Denkgesetzen oder Erfahrungssätzen hin überprüfbar (vgl. etwa Sen. Urt. v. 3. April 2000 – II ZR 194/98, NJW 2000, 2099; BGHZ 131, 136, 138 jeweils m. w. N.).

Danach sind im vorliegenden Fall keine Auslegungsfehler erkennbar. Daß die Klägerin dem Inhalt des Schreibens – wie die Revision ausführt – tatsächlich nur “versicherungstechnische” Bedeutung beigemessen haben will, ist unerheblich. Für die Auslegung ihrer Erklärung kommt es allein darauf an, wie die Mitteilung der Klägerin aus der Sicht des Beklagten, der nicht Versicherer, sondern Werkstattinhaber war, nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte zu verstehen war.“

Der Umstand, dass das Einverständnis der Erteilung des Reparaturauftrages vorangegangen ist, stehe dem nicht entgegen.

Der Wortlaut des § 1001 S. 1 Alt. 2 BGB sei nicht eindeutig:

„Zwar scheint der Wortlaut der Norm, der von einer “Genehmigung” spricht, unter welcher nach der Legaldefinition des § 184 Abs. 1 BGB die nachträgliche Zustimmung zu verstehen ist, auf den ersten Blick gegen die Einbeziehung eines bereits vor Verwendungsvornahme erklärten Einverständnisses in den Anwendungsbereich des § 1001 BGB zu sprechen. Die in den §§ 182 ff. BGB vorgegebene Terminologie wird jedoch selbst innerhalb des BGB nicht konsequent durchgehalten. So wird der Begriff der “Genehmigung” häufig – etwa in den §§ 841, 1643, 1819—1822 BGB – entgegen §§ 182 ff. BGB als Oberbegriff für die vorherige und nachträgliche Zustimmung verwendet.“

Überlegungen zu Sinn und Zweck der Genehmigungsvoraussetzung in § 1001 S. 1 BGB sprechen dafür, auch das vorher erteilte Einverständnis zu erfassen:

„Diese sind vornehmlich darin zu sehen, den Eigentümer nicht gegen oder ohne seinen Willen einem Ersatzanspruch für möglicherweise als aufgedrängt empfundene Verwendungen auszusetzen, von deren Vornahme er gar nichts wußte und die deshalb auch nicht seine Billigung gefunden haben (Denkschrift S. 979; MünchKomm. BGB/Medicus, 3. Aufl. § 1001 Rdn. 1; Westermann, Sachenrecht 6. Aufl. § 33 I 4.).

War dagegen – wie hier – der Eigentümer bereits vorab über die vorzunehmenden Verwendungen (Reparatur der unfallbedingten Schäden an seinem Pkw) informiert und hat deren Vornahme gebilligt, kann es auf den Zeitpunkt der Mitteilung seines Einverständnisses nicht entscheidend ankommen, zumal häufig vom Zufall abhängen wird, ob die Erklärung des Eigentümers den Empfänger vor oder nach Durchführung der als Verwendung anzusehenden Arbeiten erreicht.“

Die Richtigkeit dieser Auffassung folge letztlich auch aus einem Vergleich mit dem bösgläubigen, unrechtmäßigen Besitzer:

„Jener erhält notwendige Verwendungen nach den Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag ersetzt (§ 994 Abs. 2 BGB), so daß sich die Ersatzpflicht gemäß
§ 683 Satz 1 BGB grundsätzlich nach dem Interesse und dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn richtet. Dabei kann der geäußerte wirkliche Wille – von dem der Verwender gar keine Kenntnis zu haben braucht – selbstverständlich auch schon vor Vornahme der Verwendungen erklärt worden sein. Wollte man dies im Falle des Verwendungsersatzanspruchs nach §§ 994 Abs. 1, 1001 Satz 1 BGB anders sehen, käme das einer nicht gerechtfertigten Schlechterstellung des zum Zeitpunkt der Verwendungen berechtigten Fremdbesitzers gegenüber dem unrechtmäßigen, bösgläubigen Besitzer gleich.“

 

D. Fazit

Ein lebensnaher Fall, der für die alltägliche Praxis von hoher Bedeutung und obendrein ausbildungs- und examensrelevant ist: Wie ist ein Werkunternehmer bei Werkleistungen im Auftrag von Nicht-Eigentümern gesichert? Der BGH löst die Frage - auf der Grundlage der Figur des “nicht mehr berechtigten Besitzers” - auf der Grundlage des EBV, genauer: der
§§ 994 ff. BGB.

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