Kleinbusfall

Kleinbusfall

Klassiker der Rechtsprechung aus dem Sachenrecht

Dieser Fall behandelt zentrale Fragen des Sachenrechts – insbesondere § 985 BGB und das Werkunternehmerpfandrecht. Dieser Klassiker, auch als Werkunternehmer(pfandrechts)-Fall bezeichnet, kommt immer mal wieder in der einen oder anderen Form in Klausuren vor.

A. Sachverhalt

Der Transportunternehmer B. kaufte bei der Beklagten einen gebrauchten Kleinbus gegen Hingabe von Wechseln. Der Beklagte behielt sich das Eigentum an dem Wagen vor und händigte deshalb den Kraftfahrzeugbrief nicht an B. aus. Dem Kauf lagen die Geschäftsbedingungen für den Verkauf von gebrauchten Kraftfahrzeugen und Anhängern zugrunde, deren Nr. III 8 lautet:  »Der Käufer hat die Pflicht, während der Dauer des Eigentumsvorbehalts den Kaufgegenstand in ordnungsmäßigem Zustand zu halten und erforderlich werdende Reparaturen sofort ausführen zu lassen.« Die Wechsel wurden von B. nicht eingelöst. Dieser verunglückte mit dem Wagen, ließ ihn von der Klägerin abschleppen und gab ihn ihr zur Reparatur. Die Rechnung der Klägerin wurde von B. nicht beglichen. Nachdem B. in Konkurs gefallen war, verlangte die Klägerin von der Beklagten die Herausgabe des Kraftfahrzeugbriefes, um sich aus dem Wagen zu befriedigen. Die Beklagte lehnte dies ab. Die Klägerin hat darauf gegen die Beklagte Klage auf Herausgabe des Kraftfahrzeugbriefes erhoben. Die Beklagte hat mit der Widerklage Herausgabe des Busses begehrt.

B. Worum geht es?

Im Mittelpunkt des Falles stehen zentrale Fragen des Sachenrechts: Die Beklagte kann als (Vorbehalts-)Eigentümerin des Busses ihre Widerklage auf § 985 BGB stützen. Dem könnte die (widerbeklagte) Klägerin aber möglicherweise ein Recht zum Besitz im Sinne von § 986 BGB oder jedenfalls ein Zurückbehaltungsrecht im Sinne von § 1000 BGB entgegenhalten.

Ein Recht zum Besitz der beklagten Reparaturunternehmerin könnte sich aus einem Werkunterpfandrecht ergeben (§ 647 BGB). Das steht dem Werkunternehmer indes nur an “Sachen des Besteller” zu. Der Kleinbus gehörte aber nicht dem Besteller B., sondern der Beklagten. Ein Zurückbehaltungsrecht der Beklagten setzt einen Verwendungsanspruch aus §§ 994 ff. BGB voraus. Daran könnte es fehlen, weil sie im Zeitpunkt der Vornahme der Verwendungen (=Durchführung der Reparatur) gegenüber der Eigentümerin zum Besitz berechtigt war.

C. Wie hat der BGH entschieden?

Der BGH weist im Kleinbusfall (Urt. v. 21.12.1960 - VIII ZR 89/59 (BGHZ 34, 122 ff.)) die Widerklage der Beklagten ab. Zwar habe die Klägerin kein Werkunternehmerpfandrecht erworben. Der Klägerin stehe gegen die Beklagte wegen der von ihr ausgeführten Reparaturen aber ein Anspruch aus dem Gesichtspunkt des Verwendungsersatzes gemäß §§ 994 ff. BGB zu.

Das Berufungsgericht hatte angenommen, dass die Klägerin, ohne dass es darauf ankomme, ob sie bei Erwerb des Reparaturbesitzes an dem Kraftfahrzeug in gutem Glauben an das Eigentum des Bestellers gewesen sei, ein gesetzliches Unternehmerpfandrecht erworben habe. Dem tritt der BGH entgegen:

„Diese Ansicht findet im Gesetz keine Stütze. Gemäß § 647 BGB erwirbt der Unternehmer für seine Forderungen aus dem Vertrage mit dem Besteller ein gesetzliches Pfandrecht an dessen von ihm ausgebesserten beweglichen Sachen, wenn sie zum Zwecke der Ausbesserung in seinen Besitz gelangt sind. Der von der Klägerin ausgebesserte Kraftwagen ist aber niemals Eigentum des Bestellers B., also niemals dessen Sache gewesen.“

Ein Erwerb des (gesetzlichen) Werkunternehmerpfandrechts in unmittelbarer oder analoger Anwendung von § 185 BGB durch eine Ermächtigung der Eigentümerin komme nicht in Betracht:

„Eine von dem Eigentümer dem Besitzer erteilte Ermächtigung, die Sache, falls dies erforderlich wird, reparieren zu lassen, auf die das Berufungsgericht abstellt, ist entgegen seiner Auffassung im allgemeinen nicht geeignet, ein gesetzliches Unternehmerpfandrecht an einer dem Besteller nicht gehörenden Sache entstehen zu lassen. Die Rechtseinrichtung der Verpflichtungsermächtigung in dem Sinne, daß der Ermächtigte durch rechtsgeschäftliches Handeln im eigenen Namen auf den Rechtskreis des Ermächtigenden einwirken dürfe, ist dem deutschen Recht im wesentlichen fremd (vgl. Staudinger aaO Nr. 63a - 63d vor § 164; aA Bettermann, JZ 1951, 321). Nur im Rahmen des § 185 BGB ist die Ermächtigung zu Verfügungsgeschäften anerkannt. Würde von einer Verpflichtungsermächtigung ausgegangen werden, so würde eine solche allerdings dazu führen können, daß der Eigentümer neben der eigentlichen Vertragspartei als Mitbesteller erschiene und demgemäß der Unternehmer ein gesetzliches Pfandrecht erwürbe. Eine solche Ermächtigung würde indes den Willen des Eigentümers voraussetzen, sich entsprechend zu verpflichten. Der Bestimmung in Nr. III 8 der Geschäftsbedingungen, auf die das Berufungsgericht abstellt, läßt sich aber ein solcher Wille keinesfalls entnehmen. Die bloße Ermächtigung des Eigentümers an den Vorbehaltskäufer, den Wagen reparieren zu lassen, kann deshalb für sich allein nicht dazu führen, daß ein gesetzliches Pfandrecht an dem nicht dem Vorbehaltskäufer gehörenden Wagen entsteht, denn ein solches wird, wie ausgeführt, nach Wortlaut und Sinn des Gesetzes nur an Sachen des Bestellers begründet, nicht aber an Sachen, die diesem nicht gehören. Daran vermag die Zustimmung des Eigentümers zur Reparatur nichts zu ändern, weil eben das gesetzliche Pfandrecht Sachen eines Dritten nicht ergreift (Siber, Fischers Abhandlungen 5, 29). Vielmehr widerspricht es der Eigenart gesetzlicher Pfandrechte, wie Raiser (JZ 1958, 681, 682) mit Recht hervorhebt, ihre Entstehung, die nicht auf einem Verfügungsakt beruht, in unmittelbarer oder entsprechender Anwendung des § 185 BGB von der Zustimmung eines Verfügungsberechtigten abhängig zu machen.“

Auch ein gutgläubiger Erwerb des (gesetzlichen) Werkunternehmerpfandrechts komme nicht in Betracht:

„Das Urteil läßt sich auch nicht aus dem von der Revisionserwiderung herangezogenen Gesichtspunkt des gutgläubigen Erwerbes des Unternehmerpfandrechts aufrecht erhalten, weil, wie der erkennende Senat in seinem gleichzeitig verkündeten Urteil VIII ZR 146/59 (unten S. 134) ausdrücklich entschieden hat, der gutgläubige Erwerb eines gesetzlichen Unternehmerpfandrechts nicht möglich ist.“

Ein Werkunterpfandrecht an dem Anwartschaftsrecht des B. schließlich würde der Klägerin auch kein Recht zum Besitz gewähren:

„Allerdings hatte B. als Vorbehaltskäufer die Anwartschaft auf das Eigentum an dem Kraftfahrzeug erworben. Dieses Anwartschaftsrecht ist zwar kein Sachenrecht und kein gegen jedermann wirkendes dingliches Recht an fremder Sache, jedoch kommt es nach Wirkung und Bedeutung einem echten beschränkten dinglichen Recht nahe (BGHZ 30, 374, 377), es ist gewissermaßen die Vorstufe des Eigentums (BGHZ 28, 16, 21). Ob die Klägerin ein Unternehmerpfandrecht an dem Anwartschaftsrecht hat erwerben können und ob sie ein solches Recht erworben hat (verneinend BGB RGRK aaO § 455 Anm. 27), kann indes dahinstehen, denn ein solches Pfandrecht würde sie angesichts der hier gegebenen Fallgestaltung schon deshalb nicht zur Verweigerung der Herausgabe der Sache an den Eigentümer berechtigen, weil der Besteller seinen Verpflichtungen gegenüber dem Eigentümer nicht nachgekommen ist und der Beklagten deshalb der Anspruch auf Herausgabe der Sache ohne Rücksicht auf ein etwa an dem Anwartschaftsrecht begründetes gesetzliches Pfandrecht zusteht.“

Letztlich bejaht der BGH aber einen Verwendungsersatzanspruch der Klägerin nach §§ 994 ff. BGB. Der Anspruch des unrechtmäßigen Besitzers auf Verwendungsersatz scheitere nicht daran, dass die Verwendungen bereits zu einer Zeit gemacht worden sind, als die Klägerin noch zum Besitze des Kraftwagens berechtigt, mithin nicht unrechtmäßiger Besitzer und einer Vindikation nicht ausgesetzt war. Ein berechtigter Besitzer dürfe nicht schlechter stehen als ein nicht berechtigter Besitzer. Daher sei maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Vindikationslage nicht die Verwendungsvornahme, sondern das Verlangen nach Verwendungsersatz. Damit prägte er die Figur des “nicht mehr berechtigten Besitzers”:

„Nach Wortlaut und Sinn des Gesetzes kann es vielmehr nur darauf ankommen, daß tatsächlich Verwendungen auf den vom Eigentümer herausverlangten Gegenstand seitens des auf Herausgabe in Anspruch genommenen Besitzers vorgenommen worden sind. Ohne Bedeutung ist es dagegen, wann die Verwendungen erfolgt sind, ob also der Besitzer die Verwendungen bereits zu einer Zeit gemacht hat, als er noch rechtmäßiger Besitzer war, oder erst nach Eintritt der Vindikationslage. Wie BGB-RGRK 11. Aufl. § 994 Anm. 4 und 10 unter Hinweis auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 14. Dezember 1954 - I ZR 134/53 - NJW 1955, 340 (vgl. auch Westermann, Sachenrecht 4. Aufl. § 33 I 3b S. 166, 167) zutreffend dargelegt hat, kann ein zum Besitz berechtigter Fremdbesitzer nicht schlechter gestellt werden als ein gutgläubiger, zum Besitz nicht berechtigter Fremdbesitzer in entsprechender Lage. Ein solcher Fremdbesitzer ist aber nach §§ 994, 996 BGB berechtigt, Ersatz notwendiger und nützlicher Verwendungen von dem Eigentümer zu verlangen. Mithin ist allein darauf abzustellen, daß Verwendungen von dem Besitzer vorgenommen worden sind und daß er einer Vindikation seitens des Eigentümers ausgesetzt ist. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so kommen die Bestimmungen der §§ 994 ff BGB zur Anwendung, und dem jedenfalls nunmehr zum Besitz nicht mehr berechtigten Besitzer erwächst ein sachenrechtlicher Anspruch gegen den Eigentümer auch dann, wenn er die Verwendungen zu einer Zeit gemacht hatte, als er auch dem Eigentümer gegenüber noch zum Besitze der Sache berechtigt war. Die innere Rechtfertigung für die gesetzliche Regelung über den Verwendungsersatz beruht darauf, daß der Eigentümer, wenn er die Sache herauserhält, in den Genuß der Verwendungen gelangt, die der Besitzer während seiner Besitzzeit gemacht hat. Nach dem Sinn der §§ 994 ff BGB soll aber der Eigentümer zum Ersatz derartiger letzten Endes ihm zugutekommender notwendiger und nützlicher Verwendungen dann verpflichtet sein, wenn der Besitzer ihm gegenüber unrechtmäßig besitzt und deshalb die Sache an den Eigentümer herausgeben muß. Der Besitzer, der dem Eigentümer gegenüber zwar früher zum Besitze berechtigt gewesen ist, dessen Berechtigung aber fortgefallen ist, ist daher nicht gehindert, wenn er mit der Vindikation belangt wird, Ansprüche gemäß §§ 994 ff BGB gegen den Eigentümer auch wegen solcher Verwendungen geltend zu machen, die zu einer Zeit bewirkt worden sind, als der Besitzer noch zum Besitze berechtigt war. Entscheidend ist lediglich, daß zur Zeit der Geltendmachung der Verwendungsansprüche durch den Besitzer eine Vindikationslage besteht.“

D. Fazit

Der Kleinbusfall behandelt zentrale Fragen des Sachenrechts, weswegen über seine (richtige) Lösung auch heute noch gerungen wird. In den kommenden Wochen werden wir die Frage eines gutgläubigen Erwerbs des Werkunterpfandrechts vertiefen und die oben zitierte „Parallelentscheidung“ behandeln. Zudem hatte der BGH im Jahr 2002 Gelegenheit, seine umstrittene Rechtsprechung zur Figur des „nicht mehr berechtigten Besitzer“ zu überprüfen. Auch darauf werden wir zurückkommen.

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