A. Sachverhalt (leicht vereinfacht)
K betreibt nebenberuflich Pferdezucht. Hauptberuflich führt er als Facharzt für innere Medizin ein Dialysezentrum. Er betreut daher seinen umfangreichen Bestand an „Shire Horses“ nicht persönlich.
Er schließt mit dem B einen Kaufvertrag über ein Pferd namens „H“ und übereignet es an B. Kurze Zeit später kommen die Parteien überein, dass B die Möglichkeit erhalten soll, das Pferd „H“ gegen ein anderes Pferd des K zu tauschen:
Am 13.12.2016 teilt K dem B per E-Mail mit, dass dieser „H“ gegen das Pferd „F“ tauschen könne. K erläutert dem B per E-Mail vom selben Tag, dass „F“ aus einer sogenannten „Linienzucht“ stamme und Vater des Pferdes „F“ das Pferd „Q“ und Mutter „Q2“ sei. B bittet - ebenfalls per E-Mail vom 13.12.2016 - um die Übersendung eines Fotos. Dieser Bitte kommt K nach.
Ein Mitarbeiter des K hatte jedoch nicht die Stute „F“ aus dem Stall geholt, um diese zu fotografieren, sondern fotografierte das Pferd „G“. K übersandte dem B daher ein Foto des Pferdes „G“ und nicht des Pferdes „F“.
K und B vereinbaren, dass B sich mit dem Pferd „H“ zum Gut des K begeben und dort zunächst das Pferd, welches er im Austausch für „H“ erhalten soll, anschauen soll. Dabei geht B davon aus, es handele sich bei dem Pferd, welches er im Austausch erhalten solle, um das Pferd, dessen Foto ihm vorab zugesandt worden war.
Am 15.12.2016 begibt sich B vereinbarungsgemäß mit „H“ zum K. Durch einen Mitarbeiter des K - den D – wird dem B sodann die Stute „G“ vorgeführt. B sieht sich das Pferd an und gleicht es mit der vorab vom K erhaltenen Fotografie ab. Die Parteien werden sich dann einig, dass B das vorgeführte Pferd im Austausch für „H“ erhalten soll. K geht jedoch nach wie vor davon aus, dass es sich bei dem vorgeführten Pferd um das von ihm in seiner E-Mail erwähnte und bezüglich der Abstammung näher beschriebene Pferd „F“ handelt.
Die Parteien unterzeichnen nach Besichtigung des Pferdes einen schriftlichen Kaufvertrag. In diesem mit „Sales Contract for a Horse“ überschriebenen Vertrag ist unter § 1 als Verkaufsobjekt das Pferd „T’s F“ genannt. Der B geht bei der Vertragsunterzeichnung davon aus, dass es sich bei dem in dem Kaufvertrag bezeichneten Pferd „F“ um das Pferd handele, welches ihm zuvor vorgeführt worden war und über welches sich die Parteien dahingehend geeinigt hatten, dass B dieses Pferd im Austausch für „H“ erhalten solle.
Tatsächlich wird B das Pferd „G“ ausgehändigt. Zudem wird ihm jedoch der Equidenpass für das im Kaufvertrag bezeichnete Pferd „F“ überreicht. B verbringt das Pferd „G“ und den Equidenpass für das Pferd „F“ zu sich nach Hause. Dort liest B den in dem übergebenen Pferd zu Identifikationszwecken implantierten Mikrochip aus und stellt fest, dass der ihm überreichte Equidenpass nicht zu dem ihm übergebenen Pferd gehört. Anschließend entwickelt sich zwischen den Parteien erneut eine Korrespondenz per E-Mail, im Rahmen derer K dem B anbietet, das Pferd „F“ zu ihm zu bringen und das Pferd „G“ abzuholen. B lehnt den angebotenen Austausch ab.
Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 22.12.2016 legt K dem B seine Auffassung dar, weiterhin Eigentümer des Pferdes „G“ zu sein. Vorsorglich erklärt er auch die Anfechtung der Willenserklärung, welche darauf gerichtet war, dem B das Pferd „G“ zu übereignen. Desweiteren fordert K den B unter Fristsetzung zum 27.12.2016 auf, das Pferd „G“ an ihn herauszugeben.
Hat K gegen B einen Anspruch auf Herausgabe des Pferdes „G“ aus § 985 BGB?
B. Die Entscheidung des OLG Hamm (Urt. v. 4.4.2019 – 5 U 40/18)
K könnte gegen B ein Anspruch auf Herausgabe des Pferdes „G“ aus § 985 BGB zustehen. Dann müsste B Besitzer sein, K Eigentümer und B dürfte kein Recht zum Besitz zustehen (§ 986 BGB).
I. Besitz des B
B ist Besitzer des Pferdes „G“ (§ 854 BGB).
II. Eigentum des K
K müsste Eigentümer des Pferdes „G“ sein. Ursprünglich war er Eigentümer. Er könnte es jedoch durch Übereignung an B gemäß § 929 S. 1 BGB verloren haben.
Der Senat bejaht eine Übereignung der Stute „G“ von K an B am 15.12.2016:
„Am 15.12.2016 übereignete der Kläger die Stute jedoch an den Beklagten durch Einigung und Übergabe des Pferdes gem. § 929 S. 1 BGB. Im Zeitpunkt der Übergabe der Stute vom Kläger an den Beklagten waren sich beide Seiten darüber einig, dass das Eigentum an dem (übergebenen) Pferd auf den Beklagten übergehen sollte.“
Dass in dem – anschließend unterzeichneten – Kaufvertrag die Stute „F“ bezeichnet wurde, ändere daran nichts:
„Zu Recht hat das Landgericht klargestellt, dass es wegen des Abstraktionsprinzips [gemeint wohl: Trennungsprinzip] in dem Moment von Einigung und Übergabe nicht auf die Bezeichnung des Pferdes im Kaufvertrag vom 15.12.2016 angekommen ist. In diesem Zusammenhang spielt es auch keine Rolle, ob dieser Kaufvertrag vor oder nach der Übergabe des Pferdes von den Parteien unterzeichnet worden ist. Hier ist der Kaufvertrag sogar unstreitig erst nach Übergabe des Pferdes von den Parteien unterzeichnet worden.“
Die Übereignung könnte indes dadurch (rückwirkend) unwirksam geworden sein, dass K die Übereignung angefochten hat (§ 142 I BGB). Dazu müsste K die Anfechtung erklärt haben, zudem müsste er einen Anfechtungsgrund gehabt haben. Schließlich dürfte die Anfechtung nicht verfristet oder sonst ausgeschlossen sein.
1. Anfechtungserklärung
Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 22.12.2016 hat K gegenüber B die Anfechtung der Willenserklärung, welche darauf gerichtet war, dem B das Pferd „G“ zu übereignen, erklärt (§§ 143 I, II, 164 I 1 BGB). Eine Zurückweisung im Sinne von § 174 BGB erfolgte nicht, weswegen es nicht darauf ankommt, dass der Bevollmächtigte eine Vollmachtsurkunde vorgelegt hat.
2. Anfechtungsgrund
K behauptet, er habe sich über die Identität des Geschäftsgegenstandes („error in objecto“), nämlich des übereigneten Pferdes geirrt.
Als Anfechtungsgrund kommt daher zunächst ein Inhaltsirrtum gemäß § 119 I 1 Alt. 1 BGB in Betracht. Dazu führt der Senat aus, dass die Abgrenzung zwischen einem solchen Inhaltsirrtum und einem Eigenschaftsirrtum im Sinne von § 119 II BGB schwierig sein könne:
„Ein derartiger Irrtum dürfte einen Inhaltsirrtum im Sinne von § 119 Abs. 1 S. 1 Alternative 1 BGB darstellen, wobei die Abgrenzung zwischen einem Inhaltsirrtum und einem Eigenschaftsirrtum im Sinne von § 119 Abs. 2 BGB in einem solchen Fall schwierig sein kann (vgl. zum Ganzen: Staudinger/Singer, BGB, Neubearbeitung 2017, § 119 Rdn. 45 ff. und Palandt/Ellenberger, a.a.O., § 119 Rdn. 14).“
Bei einem Inhaltsirrtum (§ 119 I 1 Alt. 1 BGB) entspreche der äußere Tatbestand der Erklärung dem Willen des Erklärenden. Dieser irre aber über die Bedeutung oder Tragweite der Erklärung. Er wisse also, was er sagt, wisse aber nicht, was er damit sagt.
Demgegenüber stimmen bei einem Eigenschaftsirrtum (§ 119 II BGB) Wille und Erklärung überein. Der Erklärende irre nicht über die Erklärungshandlung oder den Erklärungsinhalt, sondern über Eigenschaften des Geschäftsgegenstandes und damit über die außerhalb der Erklärung liegende Wirklichkeit. Es handele sich also um einen ausnahmsweise beachtlichen Motivirrtum.
Der skizzierte Abgrenzungsstreit könne hier indes dahingestellt bleiben:
„Nach seiner Darstellung will der Kläger nämlich bei der Abgabe der Einigungserklärung im Sinne von § 929 S. 1 BGB davon ausgegangen sein, nicht die Stute „G“, sondern die Stute „F“ mit einem ganz bestimmten Alter (3,5 Jahre) und einem ganz bestimmen Stammbaum (Mutter: „Q2“; Vater und Großvater: „Q“) zu übereignen. Dem gegenüber war die Stute „G“ im Dezember 2016 erst 2,5 Jahre alt, ihre Mutter war „X“ und ihr Vater ebenfalls „Q“.“
Darin liege ein Eigenschaftsirrtum im Sinne von § 119 II BGB:
„Alter und Stammbaum sind bei einem Pferd wertbildende Merkmale und daher verkehrswesentliche Eigenschaften im Sinne von § 119 Abs. 2 BGB (vgl. Staudinger/Singer, a.a.O., Rdn. 80 ff. und Palandt/Ellenberger, a.a.O., Rdn. 27).“
B bestreitet einen Irrtum des K bei Abgabe der Einigungserklärung. Gleichwohl ist der Senat nach Anhörung beider Parteien davon überzeugt, dass der darlegungs- und beweisbelastete K bei Übergabe des Pferdes „“ an den B Mitte Dezember 2016 dem von ihm dargestellten Irrtum erlegen war.
Dafür führt das OLG eine Vielzahl von Indizien heran:
„Zunächst hat der Senat im Internet nachgeprüft, dass der Kläger tatsächlich hauptberuflich als Facharzt für innere Medizin in I ein Dialysezentrum betreibt. Mithin ist es plausibel, dass er sein Gestüt nicht persönlich führt, was die Wahrscheinlichkeit eines Irrtums über die Identität des übergebenden Pferdes erhöht.
Weiter ist im Zuge der Befragung beider Parteien durch den Senat unstreitig geworden, dass das Chipauslesegerät des Klägers zur Überprüfung der Identität der an den Beklagten übergebenen Stute eingesetzt werden sollte, aber – aus welchen Gründen auch immer – nicht zur Verfügung stand.
Zudem hat der Beklagte vor dem Senat eingeräumt, dass auch er im Zeitpunkt der Übergabe der Stute gewisse Zweifel gehabt habe, ob es sich bei diesem Pferd tatsächlich um „“ gehandelt habe. Diese Zweifel – so der Beklagte weiter – gründeten sich in dem Alter des angebotenen und dem Körperbau des vorgeführten Pferdes. „“ ist nämlich ein Jahr älter als „“.
Für die Darstellung des Klägers, also einen Irrtum über die Identität des übereigneten Pferdes, spricht weiter der dem Geschäft vorausgegangene E-mail-Verkehr am 13. und 14.12.2016 (vgl. Anlage B 1 = Bl. 52 d. A. und Anlage K 3 = Bl. 74 f.). Dort ist sowohl unter „Betreff“ wie auch im Text nur immer von den Pferden „“ (das vom Beklagten eingetauschte Pferd) und von „“ die Rede gewesen. In der E-mail vom 13.12.2016, 6.10 Uhr, benennt der Kläger auch die Eltern der Stute, womit sie erstmals gegenüber dem Beklagten eindeutig bestimmt worden ist (vgl. Anlage K 3, Bl. 74 unten).
Des Weiteren weist der Kaufvertrag vom 15.12.2016 (Anlage K 1 = Bl. 7 f.) eindeutig die Stute „T’s F“ aus. Eine Verwechselung ist auszuschließen, denn es werden dort sowohl ihr unstreitiges Geburtsdatum (18.05.2013) wie auch ihre Stutbuchnummer ####11 genannt.
Schließlich ist dem Beklagten im Zuge des Übereignungsgeschäftes auch der Equidenpass der Stute „“ und nicht von der Stute „“ überreicht worden.“
Aufgrund der Summe dieser Indizien in ihrer Gesamtbetrachtung sei davon auszugehen, dass K tatsächlich die Stute „“ und nicht „“ übereignen wollte:
„Die einzige Alternative zu einem Irrtum des Klägers, wäre sein Handeln in Kenntnis aller Umstände. Das bedeutet, der Kläger müsste willentlich die falschen Angaben im Kaufvertrag veranlasst haben und dem Beklagten anstelle von „“ weiter vorsätzlich ein – jedenfalls nach seiner Darstellung – höherwertiges Pferd mit einem falschen Equidenpass mitgegeben haben. Dies macht aber keinen Sinn. Insbesondere erscheint es absurd, dass wenn der Kläger – wie der Beklagte vermutet – auf diesem Umweg einen Abnehmer für sein vielleicht erkranktes Pferd „“ finden wollte.“
Damit liegt ein Anfechtungsgrund in Form eines Eigenschaftsirrtums nach § 119 II BGB vor.
3. Anfechtungsfrist
K habe die Anfechtung zudem auch fristgemäß (unverzüglich) erklärt:
„Der Kläger hat die Anfechtung der Einigungserklärung unverzüglich im Sinne von § 121 Abs. 1 S. 1 BGB erklärt. Zwischen Irrtum am 15.12.2016 und Abgabe der anwaltlichen Anfechtungserklärung verging eine Woche. Der Zeitpunkt ihres Zugangs ist zwar nicht bekannt, jedoch dürfte die in Rechtsprechung und Literatur geforderte Obergrenze von zwei Wochen gewahrt worden sein (vgl. Palandt/Ellenberger, a.a.O., § 121, Rdnr. 3).“
III. Kein Recht zum Besitz
Ein Recht zum Besitz im Sinne von § 986 BGB stehe dem B nicht zu:
„Ein solches Recht ergibt sich insbesondere auch nicht aus dem Vertrag vom 15.12.2016. Dieser verhält sich über das Pferd „“.“
IV. Ergebnis
K kann von B die Herausgabe des Pferdes „G“ aus § 985 BGB verlangen.
C. Fazit
Eine Entscheidung, die wie gemalt ist für eine Prüfungsaufgabe: Sachenrecht, BGB AT und Pferde!
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