BGH: Zueignungsabsicht bei Handeln in "Knast-Weh"?

A. Sachverhalt (leicht abgewandelt)

A war am 12. Mai 2018 aus der Haft entlassen worden. Da sie mit dem Leben in Freiheit nicht zurecht kam und das ihr zur Verfügung stehende Übergangsgeld bereits verbraucht hatte, entschloss sie sich, mit einem - zum Zwecke der Selbstverteidigung angeschafften - Pfefferspray einen Raub zu begehen. Durch die Straftat wollte sie wieder in das “geregelte Leben der Justizvollzugsanstalt” und zu ihrer dort nach wie vor inhaftierten Ehefrau gelangen.

Vor diesem Hintergrund hielt die A am 15. Mai 2018 in der Innenstadt von Augsburg gezielt nach einem möglichen Opfer Ausschau. Am Bahnhof erblickte sie die G, die ein Mobiltelefon vom Typ Samsung Galaxy S7 in der Hand hielt, und entschloss sich, ihren Plan umzusetzen. Die A ging auf G zu und sprühte ihr Pfefferspray ins Gesicht, um das Mobiltelefon an sich zu nehmen. Aufgrund der Beeinträchtigung durch das Pfefferspray und aus Angst vor weiteren Angriffen ließ G das Mobiltelefon nach kurzer Zeit los, sodass die A das Gerät an sich nehmen konnte. A flüchtete schnellen Schrittes einige Meter, wurde dann aber von einem Passanten angehalten und schließlich – wie von A erwartet – von der Polizei festgenommen, ohne jede Möglichkeit, das Mobiltelefon zwischenzeitlich zu nutzen. Das entwendete Mobiltelefon wurde bei der Durchsuchung der A in deren Hosentasche sichergestellt und an G herausgegeben. G erlitt eine Augenreizung.

 

Strafbarkeit der A?

 

B. Die Entscheidung des BGH (Beschl. v. 26.4.2019 – 1 StR 37/19)

 

I. Strafbarkeit wegen besonders schweren Raubes gemäß §§ 249 I, 250 II Nr. 1 StGB

A könnte sich wegen besonders schweren Raubes gemäß §§ 249 I, 250 II Nr. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem sie der G Pfefferspray ins Gesicht sprühte und das Mobiltelefon an sich nahm.

 

1. Objektiver Tatbestand

A müsste der G – eine ihr fremde bewegliche Sache - mit Gewalt gegen eine Person weggenommen haben. Indem A der G Pfefferspray ins Gesicht gesprüht hat, hat sie Gewalt verübt. Was unter einer „Wegnahme“ im Sinne von § 249 I StGB zu verstehen ist, wird indes uneinheitlich beurteilt. Hier geht es um die Abgrenzung zum Tatbestand der räuberischen Erpressung nach §§ 253, 255 StGB, die bekanntlich in Rechtsprechung und Literatur äußerst umstritten ist.

Nach herrschender Ansicht in der Literatur handelt es sich bei der (räuberischen) Erpressung um ein sogenanntes Selbstschädigungsdelikt, welches – ebenso wie der Betrug – als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal eine Vermögensverfügung voraussetze. Danach liege eine (fremdschädigende) Wegnahme i.S.v. § 249 I StGB (nur) vor, wenn das Opfer bei Vollzug des Gewahrsamswechsels annehme, dass die eigene Mitwirkung dafür nicht notwendig sei. Eine (selbstschädigende) Vermögensverfügung liege demgegenüber vor, wenn das Opfer sich selbst eine „Schlüsselstellung“ bei dem Gewahrsamswechsel zuschreibe.

A hat gegen G Gewalt in Form der vis absoluta verübt, um an das Mobiltelefon zu kommen, weswegen nach dieser Ansicht eine Wegnahme vorliegt.

Der BGH geht demgegenüber in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass es sich bei § 249 StGB um eine lex specialis gegenüber §§ 253, 255 StGB handele. Die Abgrenzung von § 249 StGB und § 255 StGB erfolge danach nicht nach denselben Kriterien wie bei der Abgrenzung von Selbst- zu Fremdschädigungsdelikten. Im Rahmen des § 249 StGB gelte vielmehr ein eigenständiger Wegnahmebegriff: Eine Wegnahme liege vor, wenn der Täter nach dem äußeren Erscheinungsbild die Sache an sich nimmt.

Auch nach dem äußeren Erscheinungsbild liegt eine Wegnahme vor, sodass der objektive (Grund-)Tatbestand des § 249 I StGB nach beiden Ansichten erfüllt ist.

 

2. Subjektiver Tatbestand

A handelte vorsätzlich. Fraglich ist, ob sie auch mit der Absicht handelte, sich das Mobiltelefon rechtswidrig zuzueignen. Die beabsichtigte Zueignung setzt sich aus zwei Komponenten zusammen, einer positiven und einer negativen: der vorübergehenden Aneignung und der dauerhaften Enteignung. Hinsichtlich der vorübergehenden Aneignung muss der Täter mit dolus directus 1. Grades (Absicht) handeln, hinsichtlich der dauerhaften Enteignung genügt dolus eventualis (Eventualvorsatz).

A hatte erwartet, dass sie unmittelbar nach der Wegnahme festgenommen wird. Das Mobiltelefon war nur Mittel zum Zweck, um wieder in die Justizvollzugsanstalt verbracht zu werden. Daher scheidet eine Zueignungsabsicht der A aus:

„Eine Zueignungsabsicht scheidet aber aus, wenn der Täter die fremde bewegliche Sache nur wegnimmt, um sodann gestellt zu werden und die Sache sogleich wieder an den Eigentümer zurückgelangen zu lassen (vgl. BGH, Urteile vom 1. März 2012 - 3 StR 434/11 Rn. 13 und vom 25. Oktober 1968 - 4 StR 398/68 , GA 1969, 306 f.). An der Zueignungsabsicht im Zeitpunkt der Wegnahme würde es daher fehlen, wenn die Angeklagte davon ausging, dass das Mobiltelefon infolge ihrer Ergreifung in der Folgezeit wieder an die Geschädigte zurückgelangen würde. Jedenfalls läge die erforderliche Aneignungsabsicht nicht vor, wenn die Angeklagte lediglich erwogen haben sollte, das Mobiltelefon für sich zu behalten oder zu verwerten, falls sie am Tatort nicht festgenommen wird. Dass die Aneignung vom Täter nur als mögliche Folge seines Verhaltens in Kauf genommen wird, reicht nicht aus. Vielmehr muss er sie für sich oder einen Dritten mit unbedingtem Willen erstreben (vgl. BGH, Beschluss vom 22. März 2012 - 4 StR 541/11 Rn. 13 mwN). Bei dieser Sachlage käme die Annahme einer Zueignungsabsicht im Zeitpunkt der Wegnahme nur dann in Betracht, wenn die Festnahme lediglich ein (nachrangiges) Fernziel der Angeklagten gewesen wäre.“

 

3. Ergebnis

Eine Strafbarkeit wegen besonders schweren Raubes scheidet aus.

 

II. Strafbarkeit wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung gemäß §§ 253, 255, 250 II Nr. 1 StGB

Nach Ansicht der Rechtsprechung kommt bei fehlender Zueignungsabsicht auch noch eine Strafbarkeit wegen räuberischer Erpressung in Betracht. Dazu müsste A in subjektiver Hinsicht mit der Absicht rechtswidriger Bereicherung gehandelt haben. Nach der Rechtsprechung des BGH bildet der Besitz einer Sache aber nur dann einen Vermögensvorteil, wenn ihm ein eigenständiger wirtschaftlicher Wert zukommt, etwa weil er zu wirtschaftlich messbaren Gebrauchsvorteilen führt, die der Täter oder der Dritte für sich nutzen will. Daran fehlt es aber beispielsweise in den Fällen, in denen der Täter die Sache unmittelbar nach Erlangung vernichten will, oder in Fällen, in denen der Täter den seiner Tat verbundenen Vermögensvorteil nur als notwendige oder mögliche Folge seines ausschließlich auf einen anderen Zweck gerichteten Verhaltens hinnimmt. Hier kam es A nicht auf den Besitz an dem Mobiltelefon an. Vielmehr ging es ihr darum, in die Justizvollzugsanstalt verbracht zu werden. Daher scheidet auch eine Strafbarkeit wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung gemäß §§ 253, 255, 250 II Nr. 1 StGB aus.

III. Strafbarkeit wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß §§ 223, 224 I Nr. 1 StGB

A könnte sich wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß §§ 223, 224 I Nr. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem sie der G Pfefferspray ins Gesicht sprühte.

 

1. Tatbestand

Indem A der G das Pfefferspray ins Gesicht sprühte, hat sie sie übel und unangemessen behandelt und damit körperlich misshandelt. G erlitt eine Augenreizung und damit einen pathologischen Zustand, sodass A die G auch an ihrer Gesundheit geschädigt hat. A handelte vorsätzlich.

 

2. Qualifikation

A könnte den Qualifikationstatbestand des § 224 I Nr. 1 StGB verwirklicht haben. Dazu müsste es sich bei dem Pfefferspray um „Gift“ handeln. Gift jeder organische oder anorganische Stoff, der im Einzelfall nach seiner Art, der beigebrachten Menge, der Art der Beibringung oder der Konstitution des Opfers durch chemische oder chemisch-physikalische Wirkung die Gesundheit zu beschädigen geeignet ist. Das versprühte Pfefferspray führte zu einer Augenreizung bei G und war daher ein Gift. Durch das Sprühen ins Gesicht hat A der G das Gift auch „beigebracht“. Schließlich handelte sie vorsätzlich. Damit hat A die Qualifikation des § 224 I Nr. 1 StGB erfüllt.

 

3. Rechtswidrigkeit und Schuld

A handelte rechtswidrig und schuldhaft

 

4. Ergebnis

A hat sich wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß §§ 223, 224 I Nr. 1 StGB strafbar gemacht.

 

IV. Strafbarkeit wegen Nötigung

Schließlich hat sich A – tateinheitlich – wegen Nötigung (§ 240 StGB) strafbar gemacht.

C. Fazit

Ein Fall, der auf den ersten Blick vielleicht zum Schmunzeln einlädt, bei Lichte besehen aber eine enorme Tragik aufweist.