BGH zu den Anforderungen an eine "nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung" (§ 434 I 1 Nr. 1 BGB)

A. Sachverhalt

K ist Produzentin und Großhändlerin von Vogelfutter. Das von ihr hergestellte Vogelfutter wird maschinell in Plastikbeuteln verpackt, die anschließend verschweißt werden. Im Jahr 2011 plante die K, zusätzlich zu dem bereits vorhandenen Gerät zur Ausweitung ihrer Produktionskapazität eine weitere Verpackungsmaschine zu erwerben und wandte sich deshalb an die B, die Verpackungsmaschinen des chinesischen Herstellers A vertreibt.

Nach Verhandlungen, bei denen auch der vorgesehene Aufstellort der Maschine durch Mitarbeiter der B in Augenschein genommen worden war, bestellte die K gemäß Auftragsbestätigung vom 4. Mai 2011 eine näher bezeichnete Verpackungsmaschine zum Preis von 100.000 €. In der Auftragsbestätigung ist bezüglich der Verpackungsmaschine eine Taktzahl von “up to 40 pcs/min” genannt. Die Maschine wurde im Oktober 2011 geliefert und nach mehreren Technikereinsätzen der B in Betrieb genommen. Im Dezember 2011 und Januar 2012 rügte die K eine zu geringe Produktionsgeschwindigkeit der Maschine, weil diese bei den 5-kg Beuteln lediglich neun statt der geforderten 20 Beutel je Minute produziere. Im Januar 2012 rügte die K außerdem das Fehlen beziehungsweise das Aufreißen der rückwärtigen Beutelnähte.

Im März 2012 leitete die K ein selbständiges Beweisverfahren ein, mit dem sie Feststellungen zum Zustand und zur Leistungsfähigkeit der Maschine sowie zum Vorliegen von Mängeln begehrte. Nach Einholung mehrerer Gutachten und Ergänzungsgutachten steht fest, dass die Maschine die von K angestrebte Produktionsgeschwindigkeit nicht erreicht. Gleichwohl ist sie zum Verpacken von Vogelfutter in verschweißten Plastikbeuteln nach industriellen Maßstäben grundsätzlich geeignet.  K forderte die B unter Fristsetzung auf, die in den Gutachten festgestellten Mängel zu beseitigen. Die B lehnte dies ab, weil die Maschine keine Mängel aufweise, für die sie verantwortlich sei. Die K erklärte daraufhin mit Anwaltsschreiben vom 25. Februar 2015 den Rücktritt vom Kaufvertrag.

Hat K einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises, Zug um Zug gegen Rückgabe der Maschine?

 

B. Die Entscheidung des BGH (Urt. v. 20.3.2019 – VIII ZR 213/18)

K könnte gegen B ein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 100.000 Euro aus §§ 437 Nr. 2, 434 I, 323 I, 346 I BGB zustehen. Dazu müsste K vom Kaufvertrag wirksam zurückgetreten sein.

 

I. Kaufvertrag

Die Parteien haben einen Kaufvertrag über eine Verpackungsmaschine geschlossen (§§ 433, 145 ff. BGB).

 

II. Rücktrittsrecht

Ein Rücktrittsrecht könnte sich aus §§ 437 Nr. 2, 323 I BGB ergeben. Dann müsste die Maschine mangelhaft gewesen sein.

Nach § 434 I BGB ist eine Sache frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang eine vertraglich vereinbarte Beschaffenheit aufweist (Satz 1), sich für eine nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet (Satz 2 Nr. 1), oder wenn sie sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann (Satz 2 Nr. 2).

 

1. Beschaffenheitsvereinbarung

Hier könnte sich aus der Auftragsbestätigung vom 4. Mai 2011 oder zumindest konkludent aus sonstigen Umständen eine Beschaffenheitsvereinbarung hinsichtlich einer Mindestproduktionsgeschwindigkeit der Maschine ergeben. Das sei nach Ansicht des BGH indes nicht der Fall, wobei er darauf abstellt, dass eine Beschaffenheitsvereinbarung nur in eindeutigen Fällen in Betracht komme:

„Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats setzt eine Beschaffenheitsvereinbarung im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB voraus, dass der Verkäufer in vertragsgemäß bindender Weise die Gewähr für das Vorhandensein einer Eigenschaft der Kaufsache übernimmt und damit seine Bereitschaft zu erkennen gibt, für alle Folgen des Fehlens dieser Eigenschaft einzustehen (vgl. Senatsurteile vom 12. März 2008 - VIII ZR 253/05 , NJW 2008, 1517 Rn. 13; vom 26. April 2017 - VIII ZR 80/16 , NJW 2017, 2817 Rn. 13). An das Vorliegen einer Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB sind strenge Anforderungen zu stellen; unter der Geltung des neuen Schuldrechts kommt sie nicht mehr im Zweifel, sondern nur noch in eindeutigen Fällen in Betracht (st. Rspr.; zuletzt Senatsurteile vom 15. Juni 2016 - VIII ZR 134/15 , NJW 2016, 2874 Rn. 16; vom 29. Juni 2016 - VIII ZR 191/15 , NJW 2016, 3015 Rn. 35; vom 26. April 2017 - VIII ZR 80/16 , aaO; vom 27. September 2017 - VIII ZR 271/16 , NJW 2018, 146 Rn. 18; vom 18. Oktober 2017 - VIII ZR 32/16, NJW 2018, 150 Rn. 16).

bb) Nach diesen Maßstäben lässt sich aus der Auftragsbestätigung vom 4. Mai 2011, in der bezüglich der Verpackungsmaschine eine Taktzahl von “up to 40 pcs/min” genannt ist, eine Beschaffenheitsvereinbarung im Sinne einer bestimmten Mindestgeschwindigkeit der Verpackungsmaschine nicht entnehmen. Konkrete Anhaltspunkte, aus denen sich mit der gebotenen Eindeutigkeit ergäbe, dass die Beklagte in vertragsmäßig bindender Weise die Gewähr für eine bestimmte Produktionsgeschwindigkeit der Maschine übernehmen wollte, werden von der Revisionserwiderung nicht aufgezeigt und sind auch nicht ersichtlich.“

 

Mangels Beschaffenheitsvereinbarung fehlt es an einem Mangel im Sinne von § 434 I 1 BGB.

 

2. Fehlen der Eignung für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung

Die fehlende Eignung für die nach dem Vertrag vorausgesetzten Verwendung (§ 434 I 2 Nr. 1 BGB) könnte sich daraus ergeben, dass die von der Klägerin gewünschte und zur “Geschäftsgrundlage” gewordene Produktionsgeschwindigkeit und der vertraglich vorausgesetzte Zweck einer “regelmäßigen Produktion mit verlässlichen und gegenüber der alten Maschine verbesserten Stückzahlen” nicht erreicht werde.

Der Senat stellt zunächst die allgemeinen Anforderungen an § 434 I 2 Nr. 1 BGB dar:

„§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB stellt darauf ab, ob sich die Kaufsache für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet. Dabei geht es um die konkrete Nutzung der Kaufsache durch den Käufer, die die Parteien zwar nicht vereinbart, aber übereinstimmend unterstellt haben (Senatsurteil vom 26. April 2017 - VIII ZR 80/16 , aaO Rn. 16). Bei der Ermittlung dieser Verwendung sind neben dem Vertragsinhalt die Gesamtumstände des Vertragsabschlusses heranzuziehen (Senatsurteil vom 6. Dezember 2017 - VIII ZR 219/16 , WM 2018, 1811 Rn. 33).

434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB zielt mit dem Merkmal der “nach dem Vertrag vorausgesetzten Verwendung” nicht auf konkrete Eigenschaften der Kaufsache ab, die sich der Käufer vorstellt, sondern darauf, ob die Sache für die dem Verkäufer erkennbare Verwendung (Nutzungsart) durch den Käufer geeignet ist (vgl. Palandt/Weidenkaff, BGB, 78. Aufl., § 434 Rn. 21). Die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung kann sich dabei von der gewöhnlichen Verwendung der Kaufsache unterscheiden (vgl. BGH, Urteile vom 26. April 2017 - VIII ZR 80/16 , aaO mwN; vom 16. März 2012 - V ZR 18/11 , NJW-RR 2012, 1078, Rn. 16). Letztlich wird der fehlenden Eignung für die Verwendung nach § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB in der Regel nur dann eine eigenständige Bedeutung gegenüber derjenigen nach § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB zukommen, wenn die Parteien nach dem Vertrag eine andere als die gewöhnliche Verwendung vorausgesetzt haben.“

 

Der BGH meint, dass für die Bestimmung der nach dem Vertrag vorausgesetzten Verwendung nicht eine “Verpackung in einer bestimmten Geschwindigkeit”, sondern allein die vorgesehene “Nutzungsart”, nämlich die Verpackung von Vogelfutter in verschweißten Beuteln maßgeblich sei:

„(1) Das Berufungsgericht ist zwar zunächst von dem Tatbestandsmerkmal der “nach dem Vertrag vorausgesetzten Verwendung” ausgegangen, hat diesen Rechtsbegriff jedoch nicht hinreichend erfasst und stattdessen auf bestimmte Eigenschaften der Verpackungsmaschine - insbesondere eine konkrete Produktionsgeschwindigkeit - abgestellt, die aus Sicht der Klägerin wünschenswert waren, die sie aber, wie oben ausgeführt, nicht zum Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung gemacht hatte. Es hat damit die “nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung” zu weit gefasst. Denn es hat nicht - wie angesichts der in § 434 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 BGB vorgenommenen Unterscheidung zwischen Beschaffenheitsvereinbarung und Eignung zu dem nach dem Vertrag vorausgesetzten Zweck geboten - berücksichtigt, dass die “nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung” allein nach dem Einsatzzweck (hier: Verpackung von Vogelfutter in zu verschweißende Plastikbeutel) zu bestimmen ist (vgl. BT-Drucks. 14/6040 S. 213). Stattdessen hat es zusätzlich eine einzelne Eigenschaft der Maschine (Erreichen einer bestimmten Produktionsgeschwindigkeit) zu der nach dem Vertrag vorausgesetzten Verwendung erhoben.

(2) Ob das Fehlen einer bestimmten, nicht zum Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung gemachten Eigenschaft einen Sachmangel nach § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB darstellt, richtet sich nicht danach, ob diese “Geschäftsgrundlage” des Vertrags geworden ist. Dies liefe - falls das Berufungsgericht mit dem Begriff “Geschäftsgrundlage” gemeint haben sollte, dass die Parteien eine bestimmte Produktionsgeschwindigkeit oder von der Klägerin gewünschte Stückzahlen als konkrete Nutzung gemeinsam unterstellt hätten - im praktischen Ergebnis darauf hinaus, die an eine Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB zu stellenden (strengen) Anforderungen dem Gesetz zuwider zu unterlaufen.

bb) Maßgeblich für die Bestimmung der nach dem Vertrag vorausgesetzten Verwendung ist somit nicht eine “Verpackung in einer bestimmten Geschwindigkeit”, sondern allein die vorgesehene “Nutzungsart”, nämlich hier die Verpackung von Vogelfutter in verschweißten Beuteln. Dass eine solche Verwendung “nach dem Vertrag vorausgesetzt” war, ergibt sich bereits daraus, dass die Vogelfutter produzierende und vertreibende Klägerin - wie die Beklagte aufgrund der vorangegangenen Verhandlungen und der Besichtigung des künftigen Aufstellorts der Maschine im Betrieb der Klägerin wusste - zur Erweiterung ihrer Produktionskapazität eine zusätzliche Maschine zum Verpacken des Vogelfutters in (verschweißten) Plastikbeuteln suchte. Ein Mangel nach § 434 1 Satz 2 Nr. 1 BGB konnte deshalb nicht schon - wie das Berufungsgericht gemeint hat - mit der Begründung bejaht werden, dass die Maschine die von der Klägerin gewünschte Produktionsgeschwindigkeit nicht erreichte.“

 

Die Maschine ist zum Verpacken von Vogelfutter in verschweißten Plastikbeuteln nach industriellen Maßstäben grundsätzlich geeignet. Damit ist sie nicht mangelhaft im Sinne von § 434 I 2 Nr. 1 BGB.

 

3. Fehlen der Eignung für die gewöhnliche Verwendung

Die Maschine ist zum Verpacken von Vogelfutter in verschweißten Plastikbeuteln nach industriellen Maßstäben grundsätzlich geeignet. Daher ist sie auch nicht mangelhaft gemäß § 434 I 2 Nr. 2 BGB:

„Da weder von den Parteien vorgetragen noch sonst ersichtlich ist, dass die von der Klägerin verpackte Ware (Vogelfutter) besondere Anforderungen an die Maschine stellte, dürfte die hier nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung zugleich der gewöhnlichen Verwendung der Verpackungsmaschine entsprechen. Dementsprechend könnte die Maschine nach § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 BGB mangelhaft sein, wenn sie aufgrund von Qualitätsmängeln für die - sowohl nach dem Vertrag vorausgesetzte als auch gewöhnliche - Verwendung als industrielle Verpackungsmaschine nicht oder nur eingeschränkt geeignet wäre.“

 

4. Zwischenergebnis

Mangels Mangelhaftigkeit der Maschine (§ 434 BGB) fehlt es an einem Rücktrittsrecht nach §§ 437 Nr. 2, 323 BGB.

 

III. Ergebnis

K kann von B nicht die Rückzahlung von 100.000 Euro verlangen.

C. Fazit

Bei der Anwendung von § 434 I BGB liegt der Teufel im Detail. Wir merken uns daher zunächst den Leitsatz der Entscheidung zu § 434 I 2 Nr. 1 BGB:

“Mit der “nach dem Vertrag vorausgesetzten Verwendung” zielt das Gesetz nicht auf konkrete Eigenschaften der Kaufsache ab, die sich der Käufer vorstellt, sondern darauf, ob die Sache für die Nutzungsart (Einsatzzweck) geeignet ist, den die Parteien dem Vertrag zugrunde gelegt haben.”

Diese Entscheidung des BGH ist sehr lehrreich, weil sie sich schulbuchartig mit den verschieden Fällen des § 434 I BGB auseinandersetzt und damit einen zentralen Prüfungsbereich im Schuldrecht berührt. Dabei arbeitet sie die Anforderungen an eine vertraglich vorausgesetzte Verwendung (§ 434 I 2 Nr. 1 BGB) heraus und nimmt zugleich Stellung zu deren Verhältnis zur Beschaffenheitsvereinbarung nach § 434 I 1 BGB und zur Eignung zur gewöhnlichen Verwendung im Sinne von § 434 I 2 Nr. 2 BGB.