A. Sachverhalt
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier fristloser Kündigungen. In diesem Zusammenhang streiten sie vorab darüber, ob die Klage gegen eine der Kündigungen verspätet und ggf. nachträglich zuzulassen ist.
Die Beklagte betreibt das Krankenhaus M. Der Kläger war dort seit dem 7. Februar 1983 als “OP-Pfleger” beschäftigt. In der Zeit vom 12. bis 27. Juni 2009 hatte er Erholungsurlaub und hielt sich im Ausland auf.
Bei seiner Rückkehr am 27. Juni 2009 fand er in seinem Briefkasten ein Kündigungsschreiben vom 25. Juni 2009 und ein weiteres vom 26. Juni 2009 vor. Im Schreiben vom 25. Juni 2009 erklärte die Beklagte eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen “Arbeitszeitbetrugs” am 2. Juni 2009. Im Schreiben vom 26. Juni 2009 erklärte sie eine außerordentliche Kündigung, weil der Kläger am 12. Juni 2009 unentschuldigt der Arbeit ferngeblieben sei, um seinen Urlaub “mit einem Flug nach K vorzeitig anzutreten”.
Am 9. Juli 2009 erhob der Kläger zur Niederschrift bei der Rechtsantragsstelle des Arbeitsgerichts Klage mit dem Antrag festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 26. Juni 2009 nicht aufgelöst worden sei. Er legte der Antragsstelle zwar das Kündigungsschreiben vom 26. Juni 2009, nicht aber das vom 25. Juni 2009 vor. Am 13. Juli 2009 suchte der Kläger einen Rechtsanwalt auf und zeigte ihm die Klageschrift vom 9. Juli 2009 sowie beide Kündigungsschreiben; am 16. Juli 2009 entzog er ihm die Vollmacht wieder.
Mit Schriftsatz vom 17. Juli 2009, der am selben Tag beim Arbeitsgericht einging, erhob der jetzige Prozessbevollmächtigte des Klägers Klage auch gegen die Kündigung vom 25. Juni 2009. In der Klagebegründung heißt es, das Schreiben vom 25. Juni 2009 sei dem Kläger zusammen mit dem zweiten Kündigungsschreiben am 27. Juni 2009 zugegangen.
Mit Schriftsatz vom 18. August 2009, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zugegangen am 20. August 2009, behauptete die Beklagte, das Kündigungsschreiben vom 25. Juni 2009 sei noch am selben Tag in den Briefkasten des Klägers eingeworfen worden.
Mit Schriftsatz vom 3. September 2009, beim Arbeitsgericht am selben Tag eingegangen, beantragte der Kläger, die gegen die außerordentliche Kündigung vom 25. Juni 2009 gerichtete Klage nachträglich zuzulassen.
Der Kläger hat mit Nichtwissen bestritten, dass die Kündigungserklärung vom 25. Juni 2009 noch am selben Tag in seinen Briefkasten eingeworfen worden sei. Er hat die Auffassung vertreten, die gegen diese Kündigung gerichtete Klage sei für den Fall, dass dem doch so gewesen sei, nachträglich zuzulassen. Er habe annehmen dürfen, dass er mit seiner Klage gegen die Kündigung vom 26. Juni 2009 zugleich die Kündigung vom Tag zuvor angegriffen habe. Auch habe er annehmen dürfen, dass die Klagefrist erst begonnen habe, nachdem er von den Kündigungserklärungen am 27. Juni 2009 tatsächlich Kenntnis erhalten habe. Er habe ferner davon ausgehen können, dass der ursprünglich von ihm beauftragte Rechtsanwalt noch vor der Mandatsbeendigung die Klage entsprechend erweitert habe. Der Kläger hat behauptet, erst mit Zugang des Schriftsatzes vom 18. August 2009 davon erfahren zu haben, dass die Beklagte das Kündigungsschreiben vom 25. Juni 2009 noch am Ausstellungstag in seinen Briefkasten eingelegt haben will.
Das Landesarbeitsgericht hat nach Beweisaufnahme für wahr gehalten, dass das Kündigungsschreiben vom 25. Juni 2009 an diesem Tag gegen 13:00 Uhr in den Briefkasten des Klägers eingeworfen wurde.
B. Worum geht es?
Der Arbeitnehmer befindet sich im Erholungsurlaub und verbringt diesen im Ausland. Sein Arbeitgeber weiß davon und wirft währenddessen zwei Kündigungen (eine vom 25. Juni, die andere vom 26. Juni) in seinen Briefkasten ein. Der Arbeitnehmer findet sie nach Rückkehr am 27. Juni vor. Bekanntlich ist eine Kündigung eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die erst mit Zugang wirksam wird (§ 130 I 1 BGB). Der Zugang setzt zudem die Drei-Wochen-Frist für die Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG in Gang.
Der Arbeitnehmer hatte am 9. Juli aber nur Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung vom 26. Juni erhoben. Das BAG hatte damit die Frage zu beantworten, ob die Kündigung vom 25. Juni dem Kläger ordnungsgemäß zugegangen ist.
C. Wie hat das BAG entschieden?
Das BAG geht in seinem Urteil „Kündigung im Urlaub“ (Urt. v. 22.3.2012 – 2 AZR 224/11) davon aus, dass die Kündigung vom 25. Juni, die am selben Tag in den Briefkasten des Klägers eingeworfen wurde, diesem an demselben Tag zugegangen ist. Der Kläger hätte nach § 4 Satz 1 KSchG spätestens am 16. Juli (§§ 187 I, 188 II BGB) Kündigungsschutzklage erheben müssen.
Das BAG führt zunächst aus, dass eine unter Abwesenden abgegebene Willenserklärung nach § 130 I 1 BGB in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie dem Empfänger zugeht. „Zugang“ ist dabei nicht gleichbedeutend mit „tatsächlicher Kenntnisnahme“. Eine verkörperte Willenserklärung ist bereits zugegangen,
„sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist und für diesen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von dem Schreiben Kenntnis zu nehmen (BAG 11. November 1992 – 2 AZR 328/92 – zu III 1 der Gründe, AP BGB § 130 Nr. 18 = EzA BGB § 130 Nr. 24; 16. März 1988 – 7 AZR 587/87 – zu I 1 der Gründe, BAGE 58, 9; BGH 11. April 2002 – I ZR 306/99 – zu II der Gründe, NJW 2002, 2391). Zum Bereich des Empfängers gehören auch von ihm vorgehaltene Empfangseinrichtungen wie zB ein Briefkasten (Palandt/Ellenberger 70. Aufl. § 130 BGB Rn. 5). Ob die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist nach den “gewöhnlichen Verhältnissen” und den “Gepflogenheiten des Verkehrs” zu beurteilen (BAG 8. Dezember 1983 – 2 AZR 337/82 – zu B II 2 a der Gründe, AP BGB § 130 Nr. 12 = EzA BGB § 130 Nr. 13; BGH 3. November 1976 – VIII ZR 140/75 – zu 2 b aa der Gründe, BGHZ 67, 271; Palandt/Ellenberger aaO; Staudinger/Dilcher BGB § 130 Rn. 21). So bewirkt der Einwurf in einen Briefkasten den Zugang, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen ist (vgl. BAG 8. Dezember 1983 – 2 AZR 337/82 – aaO; Palandt/Ellenberger aaO Rn. 6; jurisPK-BGB/Reichold 5. Aufl. § 130 Rn. 12). Dabei ist nicht auf die individuellen Verhältnisse des Empfängers abzustellen, sondern im Interesse der Rechtssicherheit zu generalisieren (vgl. BGH 21. Januar 2004 – XII ZR 214/00 – zu II 2 b der Gründe, EzA BGB 2002 § 130 Nr. 3; Palandt/Ellenberger aaO). Bei Hausbriefkästen ist mit einer Leerung im Allgemeinen zum Zeitpunkt der üblichen Postzustellzeiten zu rechnen, die allerdings stark variieren können (Reichold aaO).“
Auf die tatsächliche Kenntnisnahme (27. Juni) komme es nicht an. Dass der Arbeitgeber von der urlaubsbedingten Abwesenheit des Klägers Kenntnis hatte, ändert im Grundsatz an einem Zugang der Erklärung bereits am 25. Juni nichts:
„Wenn danach für den Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist es unerheblich, ob und wann er die Erklärung tatsächlich zur Kenntnis genommen hat und ob er daran durch Krankheit, zeitweilige Abwesenheit oder andere besondere Umstände einige Zeit gehindert war (BAG 11. November 1992 – 2 AZR 328/92 – zu III 1 der Gründe, AP BGB § 130 Nr. 18 = EzA BGB § 130 Nr. 24; 16. März 1988 – 7 AZR 587/87 – zu I 1 der Gründe, BAGE 58, 9; BGH 21. Januar 2004 – XII ZR 214/00 – zu II 2 b der Gründe, EzA BGB 2002 § 130 Nr. 3). In diesem Fall trifft den Empfänger die Obliegenheit, die nötigen Vorkehrungen für eine tatsächliche Kenntnisnahme zu treffen. Unterlässt er dies, so wird der Zugang durch solche – allein in seiner Person liegende – Gründe nicht ausgeschlossen (BGH 21. Januar 2004 – XII ZR 214/00 – aaO). Ein an die Heimatanschrift des Arbeitnehmers gerichtetes Kündigungsschreiben kann diesem deshalb selbst dann zugehen, wenn der Arbeitgeber von einer urlaubsbedingten Ortsabwesenheit weiß (BAG 24. Juni 2004 – 2 AZR 461/03 – zu B I 2 a der Gründe, AP BGB § 620 Kündigungserklärung Nr. 22 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 9; 16. März 1988 – 7 AZR 587/87 – zu I 4 a der Gründe, BAGE 58, 9).“
Als Ausgleich bleibt dem Arbeitnehmer die Möglichkeit einer nachträglichen Zulassung seiner Klage gemäß § 5 KSchG:
„Es besteht keine rechtliche Notwendigkeit, dem Urlaub des Arbeitnehmers allein in der Rechtsbeziehung zum Arbeitgeber eine zugangshemmende Wirkung zukommen zu lassen, während dies im sonstigen Rechtsverkehr nicht der Fall ist (BAG 11. August 1988 – 2 AZR 11/88 – zu III 1 der Gründe, RzK I 2c Nr. 14; 16. März 1988 – 7 AZR 587/87 – zu I 1 der Gründe mwN, BAGE 58, 9). Ist ein Arbeitnehmer infolge von Urlaubsabwesenheit unverschuldet an einer rechtzeitigen Klageerhebung nach § 4 Satz 1 KSchG gehindert, besteht die Möglichkeit einer nachträglichen Zulassung seiner Klage gemäß § 5 KSchG. Dem Arbeitgeber wiederum muss es möglich sein, den Zugang einer Kündigung auch während einer urlaubsbedingten Abwesenheit des Arbeitnehmers zu bewirken, nicht zuletzt, um Erklärungsfristen wie etwa nach § 626 Abs. 2 BGB wahren zu können.“
Die am 25. Juni um 13 Uhr eingeworfene Kündigungserklärung sei dem Kläger nach den genannten Maßstäben an demselben Tag zugegangen:
„Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, das Kündigungsschreiben vom 25. Juni 2009 sei dem Kläger am selben Tag iSv. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB zugegangen, weil nach den objektiv zu bestimmenden gewöhnlichen Verhältnissen bei einem Einwurf in den Hausbriefkasten gegen 13: 00 Uhr mit einer Kenntnisnahme noch am selben Tag zu rechnen gewesen sei.
(a) Allerdings lässt sich dem nicht – wie nach der Zweitbegründung des Landesarbeitsgerichts – die Annahme zugrunde legen, es sei wegen der zwischenzeitlich erfolgten “Liberalisierung” der Briefzustellung mit Einwürfen in einen vorgehaltenen Hausbriefkasten – allgemein oder ortsüblich – noch bis 17: 00 Uhr eines Tages zu rechnen. Das Landesarbeitsgericht hat zu den tatsächlichen Grundlagen einer solchen – gewandelten – Verkehrsanschauung keine Feststellungen getroffen. Es ist auch nicht ersichtlich, auf welches möglicherweise eigene Erfahrungswissen es insoweit abgestellt hätte.
(b) Hingegen ist die Erstbegründung des Landesarbeitsgerichts revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Danach war am Wohnort des Klägers jedenfalls bis 14: 00 Uhr gewöhnlich mit Zustellungen zu rechnen. Hierfür stützt sich das Landesarbeitsgericht maßgeblich auf die Auskunft der Deutschen Post AG vom 16. Juli 2010. Dieser zufolge beginnt die Zustellung am Wohnort des Klägers in der Regel um 8: 15 Uhr und endet “mit Erreichung der gesetzlichen Arbeitszeitvorschriften”. Der beispielhaft beigelegte Dienstplan weist für den zuständigen Zusteller eine Dienstzeit an vier von sechs Arbeitstagen bis 14: 05 Uhr aus.
Es hält sich innerhalb des Wertungsspielraums der Tatsacheninstanz, wenn das Landesarbeitsgericht auch angesichts der Ausführungen im letzten Absatz der Auskunft nicht davon ausgegangen ist, am Wohnort des Klägers sei mit Briefzustellungen gewöhnlich nur bis zu einem Zeitpunkt vor 14: 00 Uhr, oder gar – mit Blick auf den Streitfall – vor 13: 00 Uhr zu rechnen gewesen. Die Deutsche Post AG hat dort mitgeteilt: “Bei normalen Sendungsaufkommen und der Tatsache, dass sich der Zustellabschnitt in der ersten Hälfte befindet, können wir von einer Zustellzeit gegen Mittag ausgehen”. Zum einen bezeichnet die Angabe “gegen Mittag” keine eindeutige Uhrzeit. Zum anderen ergibt sich aus dem Hinweis auf den Umfang des Sendungsaufkommens und die Lage des Zustellabschnitts, dass zeitliche Schwankungen oder Veränderungen nicht ausgeschlossen sind.
(c) Darauf, ob die Beklagte bei Einwurf des Kündigungsschreibens vom 25. Juni 2009 Kenntnis vom Aufenthalt des Klägers im Ausland hatte, kommt es entgegen der Auffassung des Klägers nicht an. Maßgeblich ist allein, ob unter gewöhnlichen Umständen mit einer Kenntnisnahme des Kündigungsschreibens durch den Kläger noch am 25. Juni 2009 zu rechnen war. Hierfür ist im Interesse der Rechtssicherheit auf die üblichen Zustellzeiten der Briefpost abzustellen, nicht auf persönliche Besonderheiten des Erklärungsempfängers. Im Übrigen lässt sich daraus, dass im Schreiben vom 26. Juni 2009 als Kündigungsgrund angegeben ist, der Kläger habe durch einen Flug nach K am 12. Juni 2009 vorzeitig seinen Urlaub angetreten, nicht schließen, der Beklagten habe bekannt sein müssen, dass sich der Kläger auch am 25. Juni 2009 noch im Ausland aufhielt.“
On besondere Umstände in Betracht kommen, unter denen sich ein Arbeitgeber nach § 242 BGB ausnahmsweise nicht auf einen Zugang eines an die Heimatanschrift gerichteten Kündigungsschreibens berufen kann, wenn er die Urlaubsanschrift des Arbeitnehmers kannte, komme es hier nicht an. Der Kläger hat nämlich nicht behauptet, der Beklagten sei seine Urlaubsanschrift bekannt gewesen.
D. Fazit
Urlaub! Die Seele baumeln lassen, den Alltag vergessen, neue Länder und Menschen kennenlernen. Wir lernen aber: Trotzdem immer dafür sorgen, dass eine Person des Vertrauens den Briefkasten im Blick hat und über wichtige Schriftstücke informiert. Sonst gibt es nach Rückkehr ein böses Erwachen.
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