Update II: Widerrufsrecht bei Online-Kaufvertrag über eine Matratze

A. Sachverhalt

B ist eine Onlinehändlerin, die unter anderem Matratzen vertreibt. K bestellte zu privaten Zwecken am 25. November 2014 über die Website der B eine Matratze “D. N. B. “ zu einem Kaufpreis von 1.000 €. In der Rechnung der B vom 26. November 2014 wurde auf dort abgedruckte Allgemeine Geschäftsbedingungen hingewiesen, in denen auch eine “Widerrufsbelehrung für Verbraucher” enthalten ist. Darin heißt es auszugsweise:

“[…] Wir tragen die Kosten der Rücksendung der Waren. […] Ihr Widerrufsrecht erlischt in folgenden Fällen vorzeitig: Bei Verträgen zur Lieferung versiegelter Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet sind, wenn ihre Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde.”

Die Matratze war bei Lieferung an K mit einer Schutzfolie versehen, die er in der Folgezeit entfernte. Mit E-Mail vom 9. Dezember 2014 erklärte K gegenüber der B:

“Sehr geehrte Damen und Herren, ich muss die Matratze […] leider an Sie zurücksenden. Aufgrund des hohen Gewichts muss die Rücksendung wohl durch eine Spedition durchgeführt werden. Können Sie dieses bitte veranlassen? Vorzugsweise an einem Termin noch diese Woche. Mit freundlichen Grüßen […]”

K verlangt die Rückzahlung des Kaufpreises, B verweigert die Zahlung. Hat K einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises?

 

B. Die Entscheidung des BGH (Urt. v. 3.7.2019 – VIII ZR 194/16)

K könnte gegen B ein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises aus §§ 355 III, 357 I BGB zustehen. Dazu müsste B den Kaufvertrag über die Matratze ordnungsgemäß widerrufen haben.  

I. Widerrufserklärung

K müsste den Widerruf gegenüber B erklärt haben (§ 355 I 2 BGB). Aus der Erklärung muss der Entschluss zum Widerruf eindeutig hervorgehen (§ 355 I 3 BGB); einer Begründung bedarf es nicht (§ 355 I 4 BGB).

Eine Widerrufserklärung könnte in der Mail vom 9.12. zu sehen sein, die aus der Sicht eines objektiven Dritten auszulegen ist (§§ 133, 157 BGB). Das Wort „Widerruf“ muss nicht verwendet werden. In der Mail erklärt K hinreichend deutlich, an dem Vertrag nicht festhalten zu wollen. Einen anderen Anlass, die Matratze zurücksenden, gibt es nicht. Daher kann sich der Erklärungsinhalt der Mail auch nicht in der bloßen Ankündigung der Rücksendung der Ware zu sehen sein:

„Denn die Rücksendung der Ware hätte nach Auffassung der Revision auch den Grund einer erbetenen Mangelüberprüfung haben können, so dass der Erklärungsinhalt nicht eindeutig im Sinne eines Widerrufs zu verstehen sei. Damit setzt sie indes - revisionsrechtlich unbehelflich - nur die von ihr erstrebte Auslegung der Erklärung an die Stelle derjenigen, die das Berufungsgericht in vertretbarer tatrichterlicher Würdigung vorgenommen hat. Abgesehen davon bietet die E-Mail für ein auf eine Mängelrüge hindeutendes Verständnis der Erklärung keinen Anlass. Von einem Mangel ist dort ebenso wenig die Rede wie von einer fehlenden Gebrauchstauglichkeit. Auch ist nicht festgestellt, dass der Kläger gegenüber der Beklagten Mängelrügen erhoben hätte, auf die die E-Mail dann - gegebenenfalls stillschweigend - hätte Bezug nehmen können. Übergangenen Sachvortrag, der ihr Verständnis des Inhalts der E-Mail stützen könnte, zeigt die Revision nicht auf.

Da ein weiterer Anlass, die Matratze zurückzusenden, nicht ersichtlich ist, liegt es vielmehr nahe, die Wendung “…ich muss die Matratze aus der Bestellung 1. leider an Sie zurücksenden” als Widerruf der zum Vertragsschluss führenden Willenserklärung zu verstehen, zumal für die Annahme eines Widerrufswillens keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden dürfen. Die Regelung des § 355 Abs. 1 Satz 3 BGB , nach der aus der Erklärung des Verbrauchers sein Entschluss zum Widerruf eindeutig hervorgehen muss, bedeutet nicht, dass der Widerruf ausdrücklich als solcher bezeichnet werden muss (vgl. BGH, Urteile vom 2. Mai 2007 - XII ZR 109/04 , NJW 2007, 2110 Rn. 28; vom 21. Oktober 1992 - VIII ZR 143/91 , NJW 1993, 128 unter II 2 b; jeweils mwN).“

 

II. Widerrufsgrund

Das Widerrufsrecht könnte sich unter dem Gesichtspunkt eines Fernabsatzvertrages ergeben (§§ 312g, 312c BGB).

Bei dem von den K und B im Wege des Onlinehandels geschlossenen Kaufvertrag handelt es sich um einen Fernabsatzvertrag im Sinne des § 312c BGB, der nach § 312g I BGB von dem Verbraucher K (§ 13 BGB) nach seinem freien Willen widerrufen werden kann. Dieses Widerrufsrecht könnte allerdings nach § 312g II Nr. 3 BGB ausgeschlossen sein. Danach besteht – sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben – kein Widerrufsrecht bei Verträgen zur Lieferung versiegelter Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet sind, wenn ihre Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde.

Fraglich ist, ob die Matratze von § 312g II Nr. 3 BGB erfasst ist. Hier geht es um die richtlinienkonforme Auslegung von § 312g II Nr. 3 BGB, der nahezu wortgleich Art. 16 Buchst. e der Verbraucherrechterichtlinie entspricht:

„Der Wortlaut des § 312g Abs. 2 Nr. 3 BGB geht zurück auf die nahezu wortgleiche Formulierung des Art. 16 Buchst. e der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (im Folgenden: Verbraucherrechterichtlinie), die nach dem Willen des deutschen Gesetzgebers vollständig umgesetzt werden sollte. Dort heißt es:

„‚Die Mitgliedstaaten sehen bei Fernabsatzverträgen und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen kein Widerrufsrecht nach den Art. 9 bis 15 vor, wenn versiegelte Waren geliefert werden, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder aus Hygienegründen nicht zur Rückgabe geeignet sind und deren Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde.‘“

 

Zum Teil wird vertreten, dass die genannte Bestimmung der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass sie auch Waren (wie etwa Matratzen) erfasst, die bei bestimmungsgemäßem Gebrauch eng mit dem menschlichen Körper in Kontakt kommen können. Dabei wird vor allem auf den nicht verbindlichen, aber unter Beteiligung der zuständigen Behörden der Mitgliedsstaaten sowie unter Mitwirkung von Wirtschaftsvertretern und Verbraucherverbänden erstellten Leitfaden der Generaldirektion Justiz der Europäischen Kommission (Stand: Juni 2014) Bezug genommen, in dem das Eingreifen des Ausnahmetatbestandes gemäß Buchst. e für Matratzen (gemeinschaftsweit) ohne Weiteres bejaht wird. So heißt es dort – unter dem den Ausschluss des Widerrufsrechts nach Art. 16 Buchst. e Verbraucherrechterichtlinie betreffenden Gliederungspunkt 6.8.2. (Waren mit besonderen Eigenschaften) – auszugsweise:

“Damit Artikel gemäß Buchstabe e vom Widerrufsrecht ausgenommen werden können, müssen triftige Gesundheitsschutz- oder Hygienegründe für die Versiegelung vorliegen, die aus einer Schutzverpackung oder einer Schutzfolie bestehen kann. Die Ausnahme vom Widerrufsrecht könnte beispielsweise für die folgenden Waren gelten, wenn vom Verbraucher nach deren Anlieferung ihre Versiegelung entfernt wurde: – Kosmetikartikel wie Lippenstifte – Auflegematratzen.”

Auch in der Literatur wird teilweise die Auffassung vertreten, der Kreis der Waren, welche aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nach Entfernung der Versiegelung nicht zur Rückgabe geeignet sind, sei relativ weit zu ziehen und erfasse sämtliche Waren, die bei bestimmungsgemäßer Verwendung intensiv mit dem Körper in Kontakt kämen, wie etwa Badebekleidung, Unterwäsche oder Kopfhörer bzw. “earphones”. Auch deute der Wortlaut der Ausnahmevorschrift (“nicht zur Rückgabe geeignet”) darauf hin, dass es maßgeblich auf den Zustand der Ware nach Entfernung der Versiegelung durch den Verbraucher ankomme und nicht darauf, ob der Unternehmer die Ware mit Hilfe bestimmter Maßnahmen (Wäsche, Reinigung) wieder in einen verkehrsfähigen Zustand versetzen könne.

 

Blogleser wissen, dass der EuGH im März 2019 auf Vorlage des BGH entschieden hat, dass eine Matratze nicht von Art. 16 Buchst. e der Verbraucherrechterichtlinie erfasst wird:

„Art. 16 Buchst. e der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates ist dahin auszulegen, dass eine Ware wie eine Matratze, deren Schutzfolie vom Verbraucher nach der Lieferung entfernt wurde, nicht unter den Begriff “versiegelte Waren …, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder aus Hygienegründen nicht zur Rückgabe geeignet sind und deren Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde” im Sinne dieser Vorschrift fällt.“

 

Dafür hat der EuGH maßgeblich auf den Sinn und Zweck des Widerrufsrechts und des Ausnahmetatbestandes abgestellt:

„Zu dieser Auffassung ist der Gerichtshof vor allem mit Blick auf den Sinn und Zweck des dem Verbraucher bei Fernabsatzverträgen eingeräumten Widerrufsrechts gelangt. Das Widerrufsrecht solle den Verbraucher in der besonderen Situation eines Vertragsabschlusses im Fernabsatzhandel schützen, in der er keine konkrete Möglichkeit habe, das Erzeugnis vor Abschluss des Vertrages zu sehen oder die Eigenschaften der Dienstleistung zur Kenntnis zu nehmen. Dieser Nachteil solle mit dem Widerrufsrecht ausgeglichen werden, das dem Verbraucher eine angemessene Bedenkzeit einräume, in der er die Möglichkeit habe, die gekaufte Ware zu prüfen und auszuprobieren. Insoweit sei Art. 16 Buchst. e der Verbraucherrechterichtlinie als Ausnahmevorschrift eng auszulegen (EuGH, Urteil vom 27. März 2017 [gemeint wohl: 2019] - C-681/17, aaO Rn. 33 f.).

Im Lichte dieser Erwägungen greife die genannte Ausnahmeregelung nur dann ein, wenn nach der Entfernung der Versiegelung der Verpackung die darin enthaltene Ware aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene endgültig nicht mehr verkehrsfähig sei, weil es für den Unternehmer wegen ihrer Beschaffenheit unmöglich oder übermäßig schwierig sei, Maßnahmen zu ergreifen, die sie wieder verkaufsfähig machten, ohne dass einem dieser Erfordernisse nicht genügt würde (EuGH, Urteil vom 27. März 2017 - C-681/17, aaO Rn. 40).

Daraus folge für den Streitfall, dass eine Matratze, deren Schutzfolie der Verbraucher entfernt habe, nicht unter den Ausnahmetatbestand fallen könne. Dies ergebe sich bereits aus dem Umstand, dass ein und dieselbe Matratze aufeinanderfolgenden Hotelgästen diene; auch bestehe ein Markt für gereinigte, gebrauchte Matratzen (EuGH, Urteil vom 27. März 2017 - C-681/17, aaO Rn. 42). Auch könne - im Hinblick auf das Widerrufsrecht - eine Matratze mit einem Kleidungsstück, das ebenfalls in direkten Kontakt mit dem menschlichen Körper kommen könne, gleichgesetzt werden. Denn es könne davon ausgegangen werden, dass der Unternehmer hinsichtlich beider Waren in der Lage sei, diese nach Rücksendung durch den Verbraucher mittels einer Behandlung wie einer Reinigung oder einer Desinfektion für eine Wiederverwendung durch einen Dritten und damit für ein erneutes Inverkehrbringen geeignet zu machen, wodurch den Erfordernissen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene genügt werde (EuGH, Urteil vom 27. März 2017 - C-681/17, aaO Rn. 43 ff.).“

 

An dieses Auslegungsergebnis des EuGH fühlt sich der BGH gebunden:

„An dieses Auslegungsergebnis, das wohl überwiegend auch im Schrifttum vertreten wird (vgl. Becker/Föhlisch, NJW 2008, 3751, 3755; Spindler/Schuster/Schirmbacher, Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl., § 312g BGB Rn. 25; aA MünchKommBGB/Wendehorst, 8. Aufl., § 312g Rn. 26), sind die nationalen Gerichte gebunden.“

 

Damit steht K ein Widerrufsrecht zu.

 

III. Ergebnis

K kann von B die Rückzahlung von 1.000 Euro aus §§ 355 III, 357 I BGB verlangen.

C. Fazit

Der BGH setzt die Vorgaben des EuGH konsequent um und handelt damit ganz im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher. Zur Frage, ob und inwieweit der Verbraucher Wertersatz nach § 357 VII BGB zu leisten hat, äußert sich der BGH indes nicht.

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