BGH: Hehlerei trotz Täuschung des Vortäters?

A. Sachverhalt (leicht vereinfacht)

Unbekannt gebliebene Täter entwendeten am 10. Februar 2016 in Frankreich einen Volvo XC 90. Das Fahrzeug gelangte in die Verfügungsgewalt I, der wusste, dass es sich um ein entwendetes Fahrzeug handelte, und beabsichtigte, es in Deutschland an einen gutgläubigen Interessenten zu veräußern. Dabei wollte er jedoch nicht selbst als Verkäufer auftreten und wandte sich an den K mit der Bitte, ihm eine Person zu vermitteln, die das Fahrzeug gegen Provision an einen gutgläubigen Interessenten veräußern würde.

K entschied sich, I um den zu erwartenden Kaufpreis für das Fahrzeug zu betrügen und das Geld für sich selbst zu behalten. In der Erwartung, K werde sich an die Abrede halten und ihm (I) den Kaufpreis auszahlen, übergibt I ihm (K) das Fahrzeug und die dazugehörenden Papiere. K findet einen Käufer, der ihm 54.000 Euro für das Fahrzeug zahlt. Wie von vornherein geplant, behält K das Geld für sich.

Strafbarkeit des K wegen Hehlerei gemäß § 259 StGB?

 

B. Die Entscheidung des BGH (Urt. v. 10.10.2018 – 2 StR 564/17)

 

K könnte sich wegen Hehlerei gemäß § 259 I Var. 2 StGB strafbar gemacht haben, indem er das Fahrzeug entgegennahm, um es zu verkaufen.

 

1. Objektiver Tatbestand

K müsste sich das Fahrzeug, das andere gestohlen hatten, „verschafft“ haben. Zunächst definiert der BGH, was unter einem „Sich-Verschaffen“ im Sinne von § 259 I StGB zu verstehen sei:

„Wegen Hehlerei im Sinne des § 259 Abs. 1 StGB macht sich strafbar, wer eine Sache, die ein anderer gestohlen oder sonst durch eine gegen fremdes Vermögen gerichtete rechtswidrige Tat erlangt hat, ankauft oder sonst sich oder einem Dritten verschafft oder sie absetzt oder absetzen hilft, um sich oder einen Dritten zu bereichern. Ein „Sich-Verschaffen“ im Sinne des § 259 Abs. 1 StGB ist gegeben, wenn der Täter eigene Verfügungsgewalt über die Sache erlangt, so dass er über sie zu eigenen Zwecken verfügen kann und dies auch will (…). Die Tat ist vollendet, wenn der Täter eigene Verfügungsgewalt über die Sache begründet und der Vortäter die Möglichkeit verloren hat, auf sie einzuwirken (…).“

Zwar hat K eigene Verfügungsgewalt über den Volvo erlangt. Gegen ein „Sich-Verschaffen“ könnte aber sprechen, dass K dem I vorgespiegelt hat, ihm den Kaufpreis aushändigen zu wollen. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setze § 259 Abs. 1 StGB nämlich

„als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal einvernehmliches Handeln zwischen Hehler und Vortäter voraus. An dem zur Tatbestandserfüllung erforderlichen Einvernehmen fehlt es, wenn der Hehler die eigene Verfügungsgewalt über die Sache durch Wegnahme begründet oder dem Vortäter die Verfügungsgewalt über die Sache abnötigt; deshalb ist nicht wegen Hehlerei strafbar, wer die Verfügungsgewalt über die gestohlene Sache durch Nötigung des Vortäters herstellt (BGH, Urteil vom 25. Juli 1996 - 4 StR 202/96, BGHSt 42, 196, 197 mit zustimmender Anmerkung von Hruschka, JZ 1996, 1135 f.; entgegen RGSt 35, 278, 281).“

 

Umstritten ist, ob das einvernehmliche Handeln zwischen Hehler und Vortäter vorliegt, wenn sich der Hehler das Tatobjekt durch eine Täuschung des Vortäters verschafft.

In der Literatur wird eine Strafbarkeit wegen Hehlerei zum Teil bei Täuschungen generell oder jedenfalls in Fällen ausgeschlossen, in denen der Vortäter über „die Preisgabe der Sache als solche“ getäuscht werde.

Angeführt wird dafür der Strafgrund der Hehlerei, der auch darin liege, dass sie einen Anreiz zur Begehung weiterer Vermögensdelikte schaffen könne. Der Straftatbestand der Hehlerei solle daher auch der gefahrlosen Verwertung der Tatbeute und der Entstehung illegaler Märkte entgegenwirken. Mit dieser Zielrichtung diene die Strafvorschrift auch allgemeinen Sicherheitsinteressen. Im Falle einer Täuschung gegenüber dem Vortäter bestehe aber keine Anreizmotivation für den Vortäter, weswegen die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit nicht berührt seien.

Der BGH tritt dieser Sicht nun indes ausdrücklich entgegen. Sei das Einverständnis des Vortäters mit der Aufgabe der Verfügungsgewalt oder der Einräumung von Mitverfügungsgewalt über die deliktisch erlangte Sache an die durch Täuschung hervorgerufene irrtümliche Erwartung geknüpft, hierfür eine „Gegenleistung“ zu erhalten, stelle dies die Annahme einverständlicher Übertragung der Verfügungsgewalt über die Sache nicht in Frage. Vielmehr handele es sich auf Seiten des Vortäters um einen unbeachtlichen Motivirrtum:

„Ungeachtet der durch Täuschung bewirkten und die Motivebene des Vortäters betreffenden Fehlvorstellung, eine Gegenleistung für die Hingabe der Sache zu erhalten, beruht die Übergabe der Sache auf einem eigenverantwortlichen Willensentschluss des Vortäters (vgl. Senat, Urteil vom 16. Januar 1963 - 2 StR 591/62, BGHSt 18, 221, 223). Mag das hierin liegende Einverständnis infolge der Täuschung auch als nicht „frei im Rechtssinne“ anzusehen sein (vgl. Otto, JURA 1988, 606 f.), erfolgt die Weitergabe der Sache an den Hehler - anders als in Fällen des Diebstahls oder der Nötigung des Vortäters (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juli 1996 - 4 StR 202/96, BGHSt 42, 196) - gleichwohl mit dem Willen des Vortäters. Auch sein Einverständnis mit einer (Weiter-)Verwertung der deliktisch erlangten Sache wird durch diese täuschungsbedingte Fehlvorstellung nicht in Frage gestellt. Der täuschungsbedingte Irrtum und die hieran anknüpfende Fehlvorstellung des Vortäters, seinerseits eine Gegenleistung für die Hingabe der Sache zu erhalten, stellt als bloßer Motivirrtum die Annahme des für den Straftatbestand der Hehlerei erforderlichen Einvernehmens zwischen Vortäter und Hehler daher nicht in Frage (ebenso Küper, Dencker-FS (2012), S. 203, 219; LK-StGB/Ruß, 11. Aufl., § 259 Rn. 17 unter Bezugnahme auf RGSt 35, 278, 281; Kühl/Heger, StGB, 28. Aufl., § 259 Rn. 10; Dietmeier in: Matt/Renzikowski, StGB, § 259 Rn. 12; Schönke/Schröder/Stree/Hecker, StGB, 29. Aufl., § 259 Rn. 37; Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht Teilband I, 7. Aufl., § 33 II Rn. 24; Weider, GA 1963, 321, 322 f.; zwischen Erwerbs- und Absatzhehlerei differenzierend Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, Strafrecht BT, 3. Aufl., § 28 Rn. 12; vgl. auch Fischer, StGB, 65. Aufl., § 259 Rn. 13).“

 

Dafür spreche vor allem der Strafgrund der Hehlerei, der ist in erster Linie die Aufrechterhaltung und Vertiefung der durch die Vortat geschaffenen rechtswidrigen Vermögenslage betreffe:

„Der Straftatbestand der Hehlerei stellt Handlungsweisen unter Strafe, mit denen die durch die Vortat herbeigeführte rechtswidrige Besitzposition aufrechterhalten oder der hierdurch eingetretene Vermögensschaden vertieft wird (BTDrucks. 7/550, S. 252; Perpetuierungstheorie). Durch die Hehlerei wird die vom Vortäter rechtswidrig begründete Besitzposition gefestigt und zugleich die Chancen des Berechtigten, den früheren rechtmäßigen Zustand wieder herzustellen, vereitelt oder jedenfalls erheblich gefährdet (vgl. Küper, GA 2015, 129, 139; Altenhain, Das Anschlußdelikt (2002), S. 48). Das Erfordernis einverständlichen Zusammenwirkens stellt dabei den inneren Zusammenhang zur Vortat her, der für die Hehlerei charakteristisch ist (…). Der Tatbestand der Hehlerei wird deshalb den Vermögensdelikten zugerechnet und bezweckt sonach in erster Linie den Schutz der Vermögensinteressen des ursprünglich Berechtigten (…). Dieser Schutzzweck erfasst jedoch auch Fallkonstellationen, in denen die Verfügungsgewalt über die gestohlene Sache durch Täuschung vom Vortäter auf den Hehler übergeht. Die im Verhältnis zum Vortäter bzw. Zwischenhehler erfolgende Täuschung lässt die durch den Straftatbestand der Hehlerei geschützten Vermögensinteressen des Berechtigten unberührt (vgl. Küper, Dencker-FS, aaO, S. 203, 218); die durch die rechtswidrige Vortat geschaffene Vermögenslage bleibt durch das Weiterverschieben der Sache aufrechterhalten.“

 

Ungeachtet der Frage, ob die Aussicht, gegebenenfalls bei der Verwertung der deliktisch erlangten Sache seinerseits betrogen zu werden, auf mögliche Vortäter tatsächlich demotivierend wirken oder als ein seltenes Phänomen für das Vorstellungsbild potentieller Vortäter letztlich folgenlos bleibt, vermöge dies eine Beschränkung des strafrechtlichen Schutzes der Vermögensinteressen der ursprünglich Berechtigten nicht zu rechtfertigen.

Das zur Erfüllung des Tatbestands der Hehlerei erforderliche Einvernehmen zwischen Vortäter und Hehler sei nur auf die Übertragung der Verfügungsgewalt über die deliktisch erlangte Sache bezogen. Ein darüber hinaus gehendes kollusives Zusammenwirken zwischen Vortäter und Hehler oder ein Handeln im Interesse des Vortäters sei jedenfalls für die Tatbestandsvariante des Sich-Verschaffens nicht erforderlich.

Diesem Auslegungsergebnis könne auch nicht entgegengehalten werden, dass Hehlerei „Hilfeleistung zugunsten des Täters nach der Tat“ sei:

„Der Straftatbestand der Hehlerei stellt - anders als das gemeine Recht, das die Straftatbestände der Begünstigung, der Strafvereitelung und der Hehlerei unter den Begriff der Beihilfe nach der Tat („auxilium post delictum“) zusammengefasst hatte - eigennütziges und gewinnsüchtiges Handeln des potentiellen Täterkreises unter Strafe und lässt sich nur in einem weiteren Sinne als Hilfeleistung zugunsten des Vortäters begreifen (vgl. LK-StGB/ Walter, aaO, § 259 Rn. 1; siehe auch Neumann, Reform der Anschlußdelikte (2007), S. 7 ff., 308 ff.).“

 

Damit hat sich K den Volvo im Sinne von § 259 I Var. 2 StGB verschafft.

 

2. Subjektiver Tatbestand

K handelte vorsätzlich und mit der Absicht, sich zu bereichern.

 

3. Rechtswidrigkeit und Schuld

K handelte rechtswidrig und schuldhaft.

 

4. Ergebnis

K hat sich wegen Hehlerei gemäß § 259 I Var. 2 StGB strafbar gemacht, indem er das Fahrzeug entgegennahm, um es zu verkaufen.

 

D. Fazit

Die Anschlussdelikte (§§ 257 ff. StGB) bilden in der Regel nicht den Schwerpunkt von Prüfungs- und Examensaufgaben, werden aber gern herangezogen, um Klausuren „zu strecken“. Daher ist dieser Fall Anlass genug, sich mit ihnen im Allgemeinen und der Hehlerei im Besonderen zu befassen und das hier besprochene Auslegungsproblem nachzubereiten. Gerade im Hinblick auf den Strafgrund des § 259 StGB sind die Ausführungen des BGH lehrreich und über den konkreten Einzelfall hinaus gewinnbringend.

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