Willkommen zur heutigen Klausur, bitte beachten Sie…
Wer kennt es nicht? Am Klausurtag gehst Du tief in Dich und konzentrierst Dich auf das Wesentliche: Materielles Recht, prozessrechtliche Feinheiten, aktuelle Rechtsproblematiken – das alles hast Du tagelang gelernt und verinnerlicht. Aber wie ein aktuelles Urteil des VG Koblenz zeigt, reicht das nicht immer aus: Für eine bestandene Klausur braucht es auch Klarheit über die “Spielregeln” der Hochschule – die Prüfungsordnung. Und eine Uhr.
Worum geht es?
“Tick Tack Tick Tack die Zeit is’ knapp” heißt es nicht nur in einem bekannten Lied von Peter Fox und Marteria – vielmehr ist Dir das Zeitproblem auch in juristischen Klausuren besonders gut bekannt. Jeder von uns hat schon mal am Ende der Bearbeitungszeit versucht, noch die letzten Sekunden irgendwie für sich zu nutzen, während die ersten Klausuren bereits eingesammelt wurden. Damit solltest Du in Zukunft aber vorsichtig sein. Das VG Koblenz hat nun entschieden, dass eine Klausur bei wesentlicher Zeitüberschreitung auch mit “nicht ausreichend” bewertet werden kann. “Wesentlich” waren in diesem Fall bereits 1 Minute und 30 Sekunden.
In Deutschland ist bekanntlich alles geregelt, alles muss seine Ordnung haben: So auch bei Klausuren, die Bestandteil des Studiums sind. Bei schriftlichen Klausurterminen gibt es zumeist eine Klausuraufsicht. Sie verteilt die Aufgabenpapiere oder Sachverhalte, überwacht während der Bearbeitungszeit mit strengem Blick jede Bewegung der Studierenden und sammelt am Ende die Arbeiten ein, damit diese bewertet werden können. Vor Klausurbeginn kann es vorkommen, dass nochmal mündlich auf Einzelheiten hingewiesen wird – gängige Aussagen sind:
Das ist hier keine Gruppenarbeit.
Handys, Smartwatches, wenn jemand sie noch nutzt: mp3-Player – alles in die Tasche bitte.
Wer auf Toilette muss, bei der Aufsicht melden.
Wenn ich Stopp sage, Stifte hinlegen – sonst gilt das als Täuschungsversuch.
Von Hochschule zu Hochschule ist die Prüfungsordnung anders, aber doch ähnlich. In dem Urteil des VG Koblenz ging es um eine Klage eines Hochschulstudenten, der im Juni 2018 eine Klausur schrieb. Bearbeitungszeit: 1,5 Stunden - 90 Minuten – 5.400 Sekunden – und keine Sekunde länger. Am Ende der Bearbeitungszeit werden die Klausuren abgegeben und man kann in den verdienten Feierabend. Der Hochschulstudent war mit seiner Klausur aber noch nicht fertig und bearbeitete sie weiter, obwohl die Klausuraufsicht das Ende der Bearbeitungszeit bereits verkündet und schon über 50 Klausuren eingesammelt hatte. Er wurde schließlich dabei erwischt, wie er 1 Minute und 30 Sekunden weiter schrieb. Darauf folgte ein Vermerk im Protokoll und daraufhin die Bewertung seiner Klausur durch den Prüfungsausschuss: nicht ausreichend.
VG Koblenz berücksichtigt den Grundsatz der Chancengleichheit
Rechtsgrundlage für die Bewertung war die Prüfungsordnung seines Bachelorstudiengangs „Wirtschaftsingenieur“. § 16 Abs. 1 S. 2 der Prüfungsordnung bestimmt, dass eine Prüfungsleistung mit „nicht ausreichend“ bewertet wird, wenn eine schriftliche Prüfungsleistung nicht innerhalb der vorgegebenen Bearbeitungszeit erbracht wird. Der Student wandte sich per Schreiben an seine Hochschule und führte aus, dass er als nicht muttersprachlicher Student besonders bei Klausuren, bei denen das Sprachvermögen entscheidend sei (Klausurthema war: Internationales Geschäft/Bürgerliches Recht), Probleme habe und sich hier besonders konzentriere müsse. Auch berief er sich darauf, dass es immer gestattet sein müsse, einen Gedanken, den man begonnen habe, zu Papier und so zu Ende zu bringen, dass er dem/der Korrektor/Korrektorin verständlich werde. Deshalb könnte ihm kein Täuschungsversuch unterstellt werden – er beantragte, die Klausur trotz des Regelverstoßes zu wertenBesonders ärgerlich: Eine Wiederholung der Prüfung wäre nicht möglich.
Das VG Koblenz wies die nach einem erfolglosen Widerspruchsverfahren erhobene Klage des Studenten ab. Eine Sanktionsvorschrift wie die der beanstandeten Prüfungsordnung müsse sich stets wegen ihrer Auswirkungen auf die Berufsfreiheit auf ein förmliches Gesetz stützen. Ausdrücklich ist dies zwar nicht im Hochschulgesetz von Rheinland-Pfalz vorgesehen – dort sind nur Regelungen zum Bestehen der Prüfung normiert. Dies umfasse aber nach Ansicht des VG Koblenz bei einer verfassungskonformen Auslegung aber auch das Aufstellen typischer verfahrensrechtlicher Regelungen. Eine solche Regelung sei es, bei einer wesentlichen Überschreitung der Bearbeitungszeit einer Klausur diese mit „nicht ausreichend“ zu bewerten. Dies ergebe sich aus dem Grundsatz der Chancengleichheit der übrigen Prüfungsteilnehmer.
Klausur darf bei wesentlicher Überschreitung der Bearbeitungszeit mit „nicht ausreichend“ bewertet werden.
Das Gericht musste also feststellen, ob hier eine wesentliche Überschreitung vorlag. Einfluss auf die Bewertung haben dabei die Berücksichtigung des Klausurtyps und die angesetzte Bearbeitungszeit. Das Gericht war davon überzeugt, dass der Student seine Klausur mindestens noch 1:30 Minuten weiterbearbeitet hatte. Ist das wesentlich? Nach Auffassung des Studenten nicht – vielmehr sei es unverhältnismäßig, wegen 1:30 Minuten die Sanktionsnote zu vergeben. In der Zeit können seine Angaben in der Klausur keinen erheblichen Einfluss auf die Note gehabt haben. Dies sahen aber zunächst die Hochschule und dann das Gericht im Klageverfahren anders:
Jegliche, auch die ganz kurzzeitige Bearbeitung einer Prüfung nach dem Ende der Bearbeitungszeit könne das Prüfungsergebnis entscheidend beeinflussen.
Die Überschreitung der Bearbeitungszeit um 1:30 Minuten war also ausreichend, so das Gericht, um sich einen für die Bewertung erheblichen Vorteil zu verschaffen. Daran konnte auch der Einwand des Studenten, er habe die Ansage zum Ende der Bearbeitungszeit nicht mitbekommen, nichts ändern. Das Gericht ist der Ansicht, dass ein Klausurteilnehmer die Pflicht habe, alle Vorkehrungen zu treffen, um die Einhaltung der Bearbeitungszeit eigenverantwortlich zu gewährleisten. Wenn man in seine Bearbeitung derart vertieft ist, dass man die Ansagen der Klausuraufsicht nicht wahrnimmt und auch seinen eigenen Kontrollobliegenheiten (wie z.B. auf die Uhr schauen) nicht nachkommt, geht das laut dem VG Koblenz zu den eigenen Lasten.
Begründen Sprachprobleme ein anderes Ergebnis?
Und der Einwand, er habe als Nichtmuttersprachler erhöhte Probleme? Auch dies ließ das Gericht nicht gelten. Für die Beurteilung, ob ein Täuschungsverhalten vorliegt, kann es nicht auf den Kulturkreis der betroffenen Person ankommen. Weder die Bevor- noch die Benachteiligung einer Person wegen ihres Kulturkreises sei zulässig.
Verwaltungsgerichtlich gesprochen: Der Bescheid der Hochschule in Gestalt des Widerspruchsbescheides ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 I 1 VwGO. Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klausur fand zwar nicht in einem juristischen Studiengang statt, sondern in dem Studiengang “Wirtschaftsingenieur” – die Ausführungen des VG Koblenz lassen sich aber auch auf andere Prüfungssituation adaptieren, sodass Du in Zukunft auch auf solche vermeintlichen “Kleinigkeiten” bei der Klausurbearbeitung achten solltest.
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