BGH: Was sind Warenlager und Warenvorräte iSv § 306 I Nr. 3 StGB?

A. Sachverhalt (leicht vereinfacht)

A gelangte am 3. September 2017 nach Mitternacht in alkoholisiertem Zustand zu einem abgelegenen Teil des Betriebsgeländes der Firma S in N, auf dem sich eine Lagerhalle befand. In unmittelbarer Nähe der Halle waren zahlreiche Lkw-Wechselbrücken der Speditionsfirma No abgestellt, die mit einer Vielzahl von Mülltonnen beladen waren, welche die Firma S im Kundenauftrag produziert und zum Abtransport bereitgestellt hatte.

A setzte mindestens vier der vor bzw. neben der Halle abgestellten Lkw-Wechselbrücken in Brand, indem er Pappe unter die Planen schob und diese anzündete. Zwei der Lkw-Wechselbrücken fingen, wie von A gewollt, Feuer, das sich zunächst auf den leicht brennbaren Planen ausbreitete und sodann die Ladung erfasste. Gegen 2.30 Uhr verständigte A mit Hilfe Dritter die Feuerwehr. Beim Eintreffen der Löschkräfte standen zwei der Lkw-Wechselbrücken vollständig in Flammen; die Planen der benachbarten Brücken begannen zu schmelzen. Bevor es den Löschkräften gelang, den Brand zu löschen, griff das Feuer auf mehrere weitere Wechselbrücken über.

Es entstand Sachschaden in Höhe von mindestens 500.000 EUR. Insgesamt vierzehn der im Eigentum der Firma No stehenden Lkw-Wechselbrücken wurden vollständig zerstört oder erheblich beschädigt. Die im Eigentum der Firma S stehende Ladung der Lkw-Wechselbrücken wurde durch den Brand zerstört.

A nahm die durch die Brandwirkung eingetretenen Schäden an den Lkw-Wechselbrücken sowie der Ladung jedenfalls billigend in Kauf.

Strafbarkeit des A?

Anmerkung: § 123 StGB ist nicht zu prüfen.

B. Die Entscheidung des BGH (Urt. 6.12.2018 – 4 StR 371/18)

 

I. Strafbarkeit nach § 306 I Nr. 3 StGB

A könnte sich wegen Brandstiftung gemäß § 306 I Nr. 3 StGB strafbar gemacht haben, indem er Pappe unter die Planen schob und anzündete.

 

1. Objektiver Tatbestand

a) Lkw-Wechselbrücken

A hat vier Lkw-Wechselbrücken in Brand gesetzt und insgesamt 14 Wechselbrücken durch Brandlegung ganz oder teilweise zerstört. Fraglich ist, ob es sich bei den Wechselbrücken um Warenlager handelt. Wie der Begriff des Warenlagers auszulegen ist, ist umstritten.

Der BGH stellt zunächst den Meinungsstand dar:

„aa) Der Begriff des Warenlagers hat den in § 308 Abs. 1 StGB aF enthaltenen Begriff des Magazins abgelöst, den das Reichsgericht dahin ausgelegt hatte, dass er „Gebäude, eine Baulichkeit oder eine sonstige dauernde Einrichtung“ erfasst, wenn in ihnen „bestimmungsgemäß“ größere Warenvorräte gelagert werden (vgl. RGSt 13, 407). Im Sinne einer baulichen Räumlichkeit hat der Bundesgerichtshof den Begriff des Magazins verstanden und es abgelehnt, einen Tankbehälter für chemische Produkte als „Magazin“ im Sinne des § 308 Abs. 1 StGB aF anzusehen (vgl. BGH, Beschluss vom 10. August 1995 – 4 StR 432/95, BGHSt 41, 219, 221).

bb) In der Literatur wird teilweise die Auffassung vertreten, dass der Begriff des Warenlagers gemäß § 306 Abs. 1 Nr. 3 StGB nF dem des „Magazins“ entspreche und ortsgebundene Räumlichkeiten erfasse, die dazu bestimmt seien, größere Mengen von Waren, die dem gewerblichen Umsatz dienen, zu speichern, um sie im Bedarfsfall verfügbar zu haben (vgl. MüKo-StGB/Radtke, § 306 Rn. 35 [„ortsgebundene Räumlichkeit“]; Heine/Bosch in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 306 Rn. 6; Kühl/Heger, aaO, § 306 Rn. 2; Liesching, Die Brandstiftungsdelikte, 2002, S. 93).

Nach anderer Ansicht unterfallen dem Begriff des Warenlagers Lagerstätten beliebiger Beschaffenheit, wenn sie der Aufbewahrung von größeren Warenvorräten für einen nicht unerheblichen Zeitraum dienen (vgl. LK-StGB/Wolff, 12. Aufl., § 306 Rn. 31; ders., Rüping-FS, S. 29, 38; SSW-StGB/Wolters, aaO, § 306 Rn. 5; ders., in SK-StGB, 9. Aufl., § 306 Rn. 5; Dietmeier in Matt/Renzikowski, StGB, § 306 Rn. 6; NK-StGB/Kargl, aaO, § 306 Rn. 6; Sinn, JURA 2001, 803, 805).“

 

Der BGH geht davon aus, dass dem Begriff des Warenlagers im Sinne des § 306 I Nr. 3 StGB jede mobile oder stationäre Lagerstätte unterfalle, die zur Lagerung nicht ganz unerheblicher Warenmengen geeignet und bestimmt sei. Auf ihre konkrete Beschaffenheit komme es nicht an. Neben Räumlichkeiten könnten daher auch größere Behältnisse, Container oder Lkw-Wechselbrücken als „Warenlager“ angesehen werden, wenn sie zur Aufnahme größerer Warenvorräte geeignet und bestimmt seien:

„cc) Einem weiteren Verständnis des Begriffs des Warenlagers neigt nunmehr auch der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs zu, der in seinem Urteil vom 22. März 2018 (5 StR 603/17, NStZ 2018, 657) nicht tragend ausgeführt hat, dass dieser mit dem vormaligen Begriff des Magazins nicht deckungsgleich sei. Zielrichtung der Neufassung der Vorschrift des § 306 StGB durch das 6. StrRG sei es gewesen, den Katalog der Tatobjekte den Erfordernissen der modernen Wirtschaftsordnung anzupassen; es liege deshalb nahe, auch mobile Lagerstätten wie einen Kühlanhänger unter den Begriff des Warenlagers zu fassen (vgl. BGH, Urteil vom 22. März 2018 – 5 StR 603/17, aaO).

dd) Der Senat teilt diese Auffassung. Für eine solche Auslegung spricht bereits der Wortsinn des Begriffs Warenlager. Er ist weit und rein funktional zu verstehen. Ihm unterfallen nicht nur – ortsfeste – Räumlichkeiten, sondern auch Behältnisse, wenn diese zur Lagerung größerer Warenmengen geeignet und bestimmt sind. Auch die Entstehungsgeschichte der Norm und der vom Gesetzgeber mit ihrer Novellierung verfolgte Zweck sprechen für ein vom früheren Begriff des Magazins losgelöstes Verständnis des Begriffs Warenlager. Der Gesetzgeber hat sich bewusst für eine Ersetzung des Begriffs des Magazins entschieden, um die Tatobjekte des § 306 Abs. 1 Nr. 3 StGB zu modernisieren (vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 87). Diese sollten ersichtlich den Erfordernissen der heutigen Wirtschaftsordnung angepasst werden (vgl. BGH, Urteil vom 22. März 2018 – 5 StR 603/17, aaO).“

 

Die von A durch Brand zerstörten Lkw-Wechselbrücken kommen dienten zur nicht nur ganz kurzfristigen Lagerung von nicht unerheblichen Warenvorräten und stellen damit als „Warenlager“ taugliche Tatobjekte des § 306 I Nr. 3 StGB dar.

 

b) Mülltonnen

A hat die im Eigentum der Firma S stehende Ladung der Lkw-Wechselbrücken, die Mülltonnen, durch Brandlegung zerstört. Fraglich ist, ob es sich dabei um Warenvorräte im Sinne von §306 I Nr. 3 StGB handelt.

Unter Warenvorräten im Sinne des § 306 I Nr. 3 Alt. 2 StGB ist eine größere Menge von körperlichen Gegenständen zu verstehen, die nicht zum Eigenverbrauch, sondern typischerweise zum gewerblichen Umsatz bestimmt ist. Die Mülltonnen wären danach „Warenvorräte“.

Das Landgericht hatte den Begriff der Warenvorräte allerdings einengend dahin ausgelegt, dass er nur Warenbestände erfasst, die für einen noch unbestimmten Kundenkreis für ungewisse Zeit vorrätig gehalten werden. Damit hatte das Landgericht § 306 I Nr. 3 Alt. 2 StGB verneint.

Nach Auffassung des BGH sei eine solche einengende Auslegung (teleologische Reduktion) aber weder durch den Wortlaut der Norm noch unter Berücksichtigung ihrer Entstehungsgeschichte sowie ihres Schutzzwecks geboten:

„aa) Bereits dem Wortsinn des Begriffs Warenvorrat ist ein solches einengendes Verständnis nicht immanent. Nach allgemeinem Sprachgebrauch ist unter einem Warenvorrat – einem „Vorrat von Waren“ – eine „mehr oder weniger größere Menge“ von Waren zu verstehen, die zur zukünftigen Verwendung zur Verfügung steht (vgl. Duden, 2002, S. 4377, 4425; ähnlich Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 1984, S. 615 zum Begriff des Vorrats: „was an Mitteln zur Befriedigung der Bedürfnisse zur Verfügung steht“). In einem entsprechenden Sinne hat bereits das Reichsgericht den in § 308 Abs. 1 StGB aF enthaltenen Begriff des „Vorrats von Brennmaterialien“ größen- bzw. mengenbezogen ausgelegt und darunter eine „nicht ganz unerhebliche, zum Zwecke zukünftigen Ge- und Verbrauchs vereinigte Menge von Gegenständen“ verstanden (vgl. RGSt 62, 28); auf subjektive Zwecksetzungen des Eigentümers komme es nicht an, vielmehr sei die objektive Beschaffenheit der Menge ausschlaggebend (vgl. RGSt 13, 218, 219). Auch die „Aussonderung einer bestimmten Menge aus einem größeren Vorrat zum Zwecke alsbaldiger Verwendung“ stand nach Auffassung des Reichsgerichts der Annahme eines Vorrats im Sinne der Strafvorschrift nicht entgegen, wenn und soweit die ausgesonderte Menge nur nicht als gänzlich unbedeutend erschien (so ausdrücklich RGSt 62, 28). In der Literatur wird der Begriff des Warenvorrats im Sinne des § 306 Abs. 1 Nr. 3 StGB ebenfalls mengenbezogen und überwiegend dahin verstanden, dass er eine Mehrzahl von körperlichen Waren erfasst, die zum Zwecke zukünftiger Verwendung vereinigt sind (vgl. MüKo-StGB/Radtke, 3. Aufl., § 306 Rn. 36; SSW-StGB/Wolters, 5. Aufl., § 306 Rn. 5; Kühl/Heger, StGB, 29. Aufl., § 306 Rn. 2; NK-StGB/Kargl, 5. Aufl., § 306 Rn. 7; Sinn, JURA 2001, 803, 805; enger möglicherweise Fischer, StGB, 65. Aufl., § 306 Rn. 6b).

bb) Gegen ein einschränkendes Verständnis des Begriffs auf Vorräte, die für eine beliebige Anzahl noch unbestimmter Kunden für eine noch unbestimmte Zeit angelegt sind, spricht auch die Entstehungsgeschichte der Norm.

§ 306 Abs. 1 StGB hat § 308 Abs. 1 StGB aF abgelöst, der Warenvorräte als taugliches Tatobjekt einer Brandstiftung nur erfasste, wenn sie auf einem „dazu bestimmten öffentlichen Platz“ gelagert worden sind. Auf einem privaten Gelände – etwa einem Firmengelände – gelagerte Warenvorräte waren sonach vom strafrechtlichen Schutz des § 308 Abs. 1 StGB aF nicht umfasst. Der Gesetzgeber des 6. Strafrechtsreformgesetzes hat die an dieser Differenzierung geübte Kritik aufgegriffen und Warenvorräte losgelöst vom Ort ihrer Lagerung dem strafrechtlichen Schutz des § 306 StGB unterstellt (vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 26). Der Begriff der Warenvorräte wurde demgegenüber – in Kenntnis des durch die Rechtsprechung geprägten Begriffsverständnisses, wonach es in erster Linie auf „die objektive Beschaffenheit“ der Menge ankomme (vgl. RGSt 13, 218, 219) – unverändert gelassen. Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber bei Schaffung des § 306 Abs. 1 Nr. 3 StGB von dieser Wortinterpretation abweichen und den gesetzlichen Begriff der Warenvorräte einengend verstanden wissen wollte, sind nicht ersichtlich.

cc) Diesem Verständnis entspricht auch der Schutzzweck der Norm. Der Katalog der Tatobjekte des § 306 Abs. 1 StGB zeichnet sich – ungeachtet aller Unterschiede im Einzelnen – insbesondere dadurch aus, dass das Inbrandsetzen der darin enumerativ aufgezählten Tatobjekte über die Sachbeschädigung durch Feuer hinaus eine abstrakte Gemeingefahr schafft (vgl. BGH, Beschluss vom 21. November 2000 – 1 StR 438/00, NStZ 2001, 196; Senat, Urteil vom 12. Mai 2016 – 4 StR 487/15, NJW 2016, 2349, 2350; Radtke, Die Dogmatik der Brandstiftungsdelikte, 1998, S. 382; Kreß, JR 2001, 315, 316; ders., ZStW 110 (1998), S. 848, 857; vgl. auch BT-Drucks. 13/8587, S. 87). Die Gemeingefährlichkeit haftet aber in erster Linie der erheblichen Warenmenge an und ist nicht von der Frage abhängig, ob der Warenvorrat für einen noch unbestimmten oder bestimmten Kundenkreis oder für eine kürzere oder längere Lagerzeit angelegt ist. Ein solches Verständnis der Norm trägt auch den Bedürfnissen der Weiterentwicklung der Lagerhaltung im Rahmen des modernen Warenverkehrs Rechnung, in dem so genannte „Just in Time“-Lieferungen verbreitet sind und längere Lagerzeiten wegen der damit verbundenen Kosten vermieden werden.“

Eine solche Auslegung des Rechtsbegriffs des Warenvorrats verletze auch nicht das verfassungsrechtliche Analogieverbot (Art. 103 II GG), da die Wortlautgrenze nicht überschritten sei:

„Der Begriff des Warenvorrats ist weder nach allgemeinem Sprachgebrauch noch nach juristischem Verständnis auf eine Mehrheit von Waren beschränkt, die für einen noch unbestimmten Käufer- oder Empfängerkreis bestimmt sind.“

 

2. Subjektiver Tatbestand

A nahm die durch die Brandwirkung eingetretenen Schäden an den LKW-Wechselbrücken sowie der Ladung jedenfalls billigend in Kauf und handelte damit vorsätzlich.

 

3. Rechtswidrigkeit und Schuld

A handelte rechtswidrig und schuldhaft.

 

4. Ergebnis

A hat sich damit wegen Brandstiftung gemäß § 306 I Nr. 3 StGB strafbar gemacht.

 

II. Zudem hat sich A wegen Sachbeschädigung gemäß § 303 I StGB strafbar gemacht. § 303 StGB tritt aber hinter § 306 StGB zurück.

 

D. Fazit

Die Brandstiftungsdelikte (§§ 306 ff. StGB) sind unangenehm. Nicht nur wegen der sich nicht auf den ersten Blick erschließenden Gesetzessystematik, sondern auch wegen der Vielzahl an nicht einfachen Auslegungsfragen. Daher solltest Du Dich einmal intensiv damit befassen – Jura Online hilft Dir dabei!