BVerfG zu den Wahlrechtsausschlüssen in § 13 Nr. 2 und 3 BWahlG

A. Sachverhalt

Die Wahlprüfungsbeschwerde betrifft die Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses der Beschwerdeführer von der Wahl zum 18. Deutschen Bundestag am 22. September 2013 gemäß § 13 Nr. 2 und 3 des Bundeswahlgesetzes (BWahlG).

13 Nr. 2 BWahlG normiert einen Wahlrechtsausschluss von Personen, für die ein Betreuer in allen Angelegenheiten bestellt ist. § 13 Nr. 3 BWahlG schließt Personen vom Wahlrecht aus, die wegen einer im Zustand der Schuldunfähigkeit begangenen Tat in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind. Im Einzelnen hat § 13 BWahlG folgenden Wortlaut:

Ausgeschlossen vom Wahlrecht ist,

  1. wer infolge Richterspruchs das Wahlrecht nicht besitzt,

  2. derjenige, für den zur Besorgung aller seiner Angelegenheiten ein Betreuer nicht nur durch einstweilige Anordnung bestellt ist; dies gilt auch, wenn der Aufgabenkreis des Betreuers die in § 1896 Abs. 4 und § 1905 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bezeichneten Angelegenheiten nicht erfaßt,

  3. wer sich auf Grund einer Anordnung nach § 63 in Verbindung mit § 20 des Strafgesetzbuches in einem psychiatrischen Krankenhaus befindet.

 

Seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland gibt es im Wahlrecht zum Deutschen Bundestag einschränkende Regelungen betreffend Personen mit psychischen Beeinträchtigungen. So war gemäß § 2 Nr. 1 BWahlG in der Fassung vom 15. Juni 1949 (BGBl I S. 21) vom Wahlrecht ausgeschlossen, wer entmündigt war oder unter vorläufiger Vormundschaft oder wegen geistiger Gebrechen unter Pflegschaft stand. Gemäß § 3 BWahlG in der Fassung vom selben Tag ruhte die Wahlberechtigung für Personen, die wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche in einer Heil- oder Pflegeanstalt untergebracht waren. Diese Tatbestände wurden unter Beibehaltung des jeweiligen Wortlauts in § 13 Nr. 1, § 14 Nr. 1 BWahlG in der Fassung vom 7. Juli 1972 (BGBl I S. 1100) überführt. Durch das Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 24. Juni 1975 (BGBl I S. 1593) wurde die Unterscheidung zwischen dem Ausschluss vom Wahlrecht und dem Ruhen des Wahlrechts abgeschafft. Es verblieb allein der Wahlrechtsausschluss. Nach § 13 Nr. 2 BWahlG in der Fassung von diesem Tag war vom Wahlrecht ausgeschlossen, wer entmündigt war oder wegen geistiger Gebrechen unter Pflegschaft stand.

13 Nr. 2 BWahlG erhielt seine gegenwärtige Fassung durch das Gesetz zur Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige (Betreuungsgesetz – BtG) vom 12. September 1990 (BGBl I S. 2002). Danach setzt der Verlust des Wahlrechts nunmehr die Bestellung eines Betreuers zur Besorgung aller Angelegenheiten des Betreuten nicht nur durch einstweilige Anordnung aufgrund § 1896 BGB voraus. Diese Vorschrift bestimmt in der derzeit gültigen Fassung vom 17. Dezember 2008 (BGBl I S. 2586):

(1) Kann ein Volljähriger auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen, so bestellt das Betreuungsgericht auf seinen Antrag oder von Amts wegen für ihn einen Betreuer. Den Antrag kann auch ein Geschäftsunfähiger stellen. Soweit der Volljährige auf Grund einer körperlichen Behinderung seine Angelegenheiten nicht besorgen kann, darf der Betreuer nur auf Antrag des Volljährigen bestellt werden, es sei denn, dass dieser seinen Willen nicht kundtun kann.

(1a) Gegen den freien Willen des Volljährigen darf ein Betreuer nicht bestellt werden.

(2) Ein Betreuer darf nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist. Die Betreuung ist nicht erforderlich, soweit die Angelegenheiten des Volljährigen durch einen Bevollmächtigten, der nicht zu den in § 1897 Abs. 3 bezeichneten Personen gehört, oder durch andere Hilfen, bei denen kein gesetzlicher Vertreter bestellt wird, ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können.

(3) Als Aufgabenkreis kann auch die Geltendmachung von Rechten des Betreuten gegenüber seinem Bevollmächtigten bestimmt werden.

(4) Die Entscheidung über den Fernmeldeverkehr des Betreuten und über die Entgegennahme, das Öffnen und das Anhalten seiner Post werden vom Aufgabenkreis des Betreuers nur dann erfasst, wenn das Gericht dies ausdrücklich angeordnet hat.

 

Eine Beschränkung der Wahlberechtigung von Personen, die sich im Maßregelvollzug befinden, wurde erstmals durch § 14 Nr. 2 BWahlG in der Fassung vom 7. Juli 1972 (BGBl I S. 1100) eingeführt. Danach ruhte das Wahlrecht für Personen, die aufgrund Richterspruchs zum Vollzug einer mit Freiheitsentziehung verbundenen Maßregel der Sicherung und Besserung untergebracht waren. Dieser Tatbestand wurde durch Art. 32 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB) in der Fassung vom 2. März 1974 (BGBl I S. 469) auf Personen beschränkt, die nach § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht waren. Nachdem die Unterscheidung zwischen dem Ausschluss vom Wahlrecht und dem Ruhen des Wahlrechts durch das Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 24. Juni 1975 (BGBl I S. 1593) abgeschafft worden war, war gemäß § 13 Nr. 3 BWahlG in der seitdem geltenden Fassung die Personengruppe der gemäß § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachten vom Wahlrecht ausgeschlossen.

 

13 Nr. 3 BWahlG erhielt seine geltende Fassung durch das Siebte Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 8. März 1985 (BGBl I S. 521). Durch dieses Gesetz erfuhr der Ausschlusstatbestand eine Begrenzung auf diejenigen Personen, die sich wegen einer im Zustand der Schuldunfähigkeit im Sinne von § 20 StGB begangenen Tat im Maßregelvollzug nach § 63 StGB befinden. § 63 StGB lautet in der derzeit gültigen Fassung vom 8. Juli 2016 (BGBl I S. 1610):

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

 

§ 20 StGB in der derzeit gültigen Fassung vom 4. Juli 1969 (BGBl I S. 717) trifft folgende Regelung:

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

 

Sind die Wahlrechtsausschlüsse verfassungskonform?

Bearbeitervermerk: Völkerrechtliche Verpflichtungen sollen bei der Bearbeitung außer Betracht bleiben.

B. Die Entscheidung des BVerfG (Beschl. v. 29.1.2019 – 2 BvC 62/14)

 

I. Verstoß gegen Art. 38 I 1 GG

Die Wahlrechtsausschlüsse nach § 13 Nr. 2 und 3 BWahlG könnten Art. 38 I 1 GG verletzen.

 

1. Eingriff in den Schutzbereich des Art. 38 I 1 GG

Nach Art. 38 I 1 GG werden die Abgeordneten des Deutschen Bundestages in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Hier könnte der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl betroffen sein. Das BVerfG stellt zunächst dar, welche Anforderungen sich aus dem Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl nach Art. 38 I 1 GG ergeben:

„a) Die Allgemeinheit der Wahl sichert, wie die Gleichheit der Wahl, die vom Demokratieprinzip vorausgesetzte Egalität der Staatsbürger bei der politischen Selbstbestimmung (vgl. BVerfGE 99, 1 <13>; 132, 39 <47 Rn. 24>). Deren Gleichbehandlung bezüglich der Fähigkeit, zu wählen und gewählt zu werden, ist eine der wesentlichen Grundlagen der Staatsordnung (vgl. BVerfGE 6, 84 <91>; 11, 351 <360>; 132, 39 <47 Rn. 24>). Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl verbürgt – positiv – die aktive und passive Wahlberechtigung aller Staatsbürger (vgl. BVerfGE 36, 139 <141>; 58, 202 <205>; 132, 39 <47 Rn. 24>). Er fordert, dass grundsätzlich jeder sein Wahlrecht in möglichst gleicher Weise ausüben kann (vgl. BVerfGE 58, 202 <205>; 99, 69 <77 f.>). Er untersagt – negativ – den unberechtigten Ausschluss einzelner Staatsbürger von der Teilnahme an der Wahl (vgl. BVerfGE 36, 139 <141>; 58, 202 <205>) und verbietet den Ausschluss bestimmter Bevölkerungsgruppen aus politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Gründen (vgl. BVerfGE 15, 165 <166 f.>; 36, 139 <141>; 58, 202 <205>). Er ist – wie der Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit – im Sinne einer strengen und formalen Gleichheit bei der Zulassung zur Wahl zum Deutschen Bundestag zu verstehen (vgl. BVerfGE 28, 220 <225>; 36, 139 <141>; 129, 300 <319>; 132, 39 <47 Rn. 24>) und schließt als spezialgesetzliche Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes in seinem Anwendungsbereich einen Rückgriff auf Art. 3 Abs. 1 GG aus (vgl. BVerfGE 99, 1 <8 ff.> sowie statt vieler Wollenschläger, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG, Bd. 1, 7. Aufl. 2018, Art. 3 Abs. 1 Rn. 310).“

 

Indem § 13 Nr. 2 BWahlG Personen, für die ein Betreuer zur Besorgung aller ihrer Angelegenheiten bestellt ist, von der Ausübung des Wahlrechts ausschließt, ist die Gewährleistung, dass jeder Staatsbürger sein Wahlrecht in gleicher Weise ausüben kann, betroffen. Dasselbe gilt für § 13 Nr. 3 BWahlG, wonach diejenigen, die sich aufgrund einer Anordnung nach § 63 in Verbindung mit § 20 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus befinden, vom Wahlrecht ausgeschlossen werden.

 

2. Rechtfertigung des Eingriffs

Fraglich ist, ob die Eingriffe in Art. 38 I 1 GG gerechtfertigt sind.

 

a. Allgemeine Anforderungen einer Rechtfertigung

Das BVerfG führt aus, dass der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl keinem absoluten Differenzierungsverbot unterliege:

„Die Festlegung des Wahlalters in Art. 38 Abs. 2 GG rechtfertigt nicht den Gegenschluss, dass der Gesetzgeber in Wahrnehmung seiner Regelungsbefugnis gemäß Art. 38 Abs. 3 GG nicht weitere Bestimmungen über die Zulassung zur Wahl treffen dürfte. Allerdings folgt aus dem formalen Charakter des Grundsatzes der Allgemeinheit der Wahl, dass dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Wahlberechtigung nur ein eng bemessener Spielraum für Beschränkungen verbleibt. Differenzierungen hinsichtlich der aktiven oder passiven Wahlberechtigung bedürfen zu ihrer Rechtfertigung stets besonderer Gründe, die durch die Verfassung legitimiert und von mindestens gleichem Gewicht wie die Allgemeinheit der Wahl sind (vgl. BVerfGE 42, 312 <340 f.>; 132, 39 <48 Rn. 25>; vgl. ebenso zur Gleichheit der Wahl BVerfGE 95, 408 <418>; 120, 82 <107>; 129, 300 <320>; 130, 212 <227 f.>), so dass sie als „zwingend“ (vgl. BVerfGE 1, 208 <248 f.>; 95, 408 <418>; 121, 266 <297 f.>) qualifiziert werden können.“

 

Zu den Gründen, die geeignet sind, Einschränkungen der Allgemeinheit der Wahl und mithin Differenzierungen zwischen den Wahlberechtigten zu legitimieren, zählten insbesondere die mit demokratischen Wahlen verfolgten Ziele der Sicherung des Charakters der Wahl als eines Integrationsvorgangs bei der politischen Willensbildung des Volkes und der Gewährleistung der Funktionsfähigkeit der zu wählenden Volksvertretung. Zum erstgenannten Ziel gehöre auch die Sicherung der Kommunikationsfunktion der Wahl:

„Dem liegt zugrunde, dass Demokratie, soll sie sich nicht in einem rein formalen Zurechnungsprinzip erschöpfen, freie und offene Kommunikation zwischen Regierenden und Regierten voraussetzt (vgl. BVerfGE 132, 39 <50 Rn. 33> m.w.N.). Dies gilt nicht nur für den Wahlakt selbst. Das Recht der Bürger auf Teilhabe an der politischen Willensbildung äußert sich auch in der Einflussnahme auf den ständigen Prozess der politischen Meinungsbildung (vgl. BVerfGE 20, 56 <98>; 69, 315 <346>; 132, 39 <51 Rn. 33>). Dem dienen die Öffentlichkeitsarbeit von Regierung und gesetzgebenden Körperschaften (vgl. BVerfGE 44, 125 <147 f.>; 63, 230 <242 f.>; ferner BVerfGE 105, 252 <268 ff.>) sowie das freie Mandat der Abgeordneten nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG, das die Rückkopplung zwischen Parlamentariern und Wahlvolk nicht aus-, sondern bewusst einschließt (vgl. BVerfGE 102, 224 <237 f.>; 112, 118 <134>). Nur auf dieser Grundlage kann der Wahlakt die ihm zugedachte integrative Wirkung entfalten. Ein Ausschluss vom aktiven Wahlrecht kann daher verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein, wenn bei einer bestimmten Personengruppe davon auszugehen ist, dass die Möglichkeit der Teilnahme am Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen nicht in hinreichendem Maße besteht (vgl. BVerfGE 132, 39 <51 Rn. 34>).“

 

Den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl mit kollidierenden Verfassungsbelangen zum Ausgleich zu bringen, sei grundsätzlich Sache des Gesetzgebers. Voraussetzung für eine Rechtfertigung von Einschränkungen der Allgemeinheit der Wahl sei, dass differenzierende Regelungen zur Verfolgung ihrer Zwecke geeignet und erforderlich seien. Ihr erlaubtes Ausmaß richte sich auch danach, mit welcher Intensität in das Wahlrecht eingegriffen werde. Der Gesetzgeber sei befugt, bei der Ausgestaltung der Wahlberechtigung unter Berücksichtigung der Grenzen, die die Bedeutung des Wahlrechts und die Strenge demokratischer Egalität seinem Bewertungsspielraum setzten, Vereinfachungen und Typisierungen vorzunehmen:

„Bei der Ordnung von Massenerscheinungen ist er berechtigt, die Vielzahl der Einzelfälle in dem Gesamtbild zu erfassen, das nach den ihm vorliegenden Erfahrungen die regelungsbedürftigen Sachverhalte zutreffend wiedergibt (vgl. BVerfGE 11, 245 <254>; 78, 214 <227>; 84, 348 <359>; 122, 210 <232>; 126, 268 <278>). Auf dieser Grundlage darf er grundsätzlich generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, ohne allein schon wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen Gleichheitsgebote zu verstoßen (vgl. BVerfGE 84, 348 <359>; 113, 167 <236>; 126, 268 <278 f.>; stRspr). Das Wahlrecht gehört neben dem Steuerrecht und dem Sozialversicherungsrecht zu den Bereichen, für die die Zulässigkeit typisierender Regelungen von Massenerscheinungen grundsätzlich anerkannt ist.

Die Befugnis zur Typisierung bedeutet, dass Lebenssachverhalte im Hinblick auf wesentliche Gemeinsamkeiten normativ zusammengefasst und dabei Besonderheiten, die im Tatsächlichen durchaus bekannt oder absehbar sind, generalisierend vernachlässigt werden dürfen (vgl. BVerfGE 132, 39 <49 Rn. 29>; 145, 106 <146 Rn. 107>; allgemein zur Typisierungsproblematik siehe Britz, Einzelfallgerechtigkeit versus Generalisierung, 2008, S. 38 m.w.N.). Der Gesetzgeber darf sich grundsätzlich am Regelfall orientieren und ist nicht gehalten, allen Besonderheiten jeweils durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 82, 159 <185 f.>; 96, 1 <6>; 145, 106 <146 Rn. 107>). Die gesetzlichen Verallgemeinerungen müssen allerdings von einer möglichst breiten, alle betroffenen Gruppen und Regelungsgegenstände einschließenden Beobachtung ausgehen (vgl. BVerfGE 122, 210 <232 f.>; 126, 268 <279>; 133, 377 <412 Rn. 87>). Insbesondere darf der Gesetzgeber für eine gesetzliche Typisierung keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss realitätsgerecht den typischen Fall als Maßstab zugrunde legen (vgl. BVerfGE 116, 164 <183>; 122, 210 <233>; 126, 268 <279>; 137, 350 <375 Rn. 66>; 145, 106 <146 Rn. 107>). Eine Typisierung ist außerdem nur zulässig, wenn die damit verbundenen Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären (vgl. BVerfGE 84, 348 <360>; 87, 234 <255 f.>; 100, 59 <90>), lediglich eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und die Ungleichbehandlung nicht besonders ins Gewicht fällt (vgl. BVerfGE 63, 119 <128>; 84, 348 <360>; 100, 59 <90>; 143, 246 <379 Rn. 362>). Unter Umständen sind Härtefallklauseln erforderlich, um untragbare Belastungen zu vermeiden. Letztlich müssen die Vorteile der Typisierung im rechten Verhältnis zu der mit ihr notwendig verbundenen Ungleichbehandlung stehen (vgl. BVerfGE 110, 274 <292>; 117, 1 <31>; 120, 1 <30>; 123, 1 <19>; 133, 377 <413 Rn. 88>; 145, 106 <146 Rn. 108>).“

 

b. § 13 Nr. 2 BWahlG

Der Gesetzgeber zielt mit § 13 Nr. 2 BWahlG in der Fassung vom 12. September 1990 auf den Wahlrechtsausschluss von Personen, die über die erforderliche Einsicht in das Wesen und die Bedeutung von Wahlen nicht verfügen, und damit auf die Sicherung des Charakters der Wahl als eines Integrationsvorgangs bei der politischen Willensbildung des Volkes. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass in Fällen der Bestellung eines Betreuers in allen Angelegenheiten aufgrund § 1896 I 1 BGB die für eine selbstbestimmte Wahlentscheidung erforderliche Einsichtsfähigkeit fehlt. Demgemäß sei der Ausschluss dieser Personengruppe vom Wahlrecht geboten, um den Charakter der Wahl als eines Integrationsvorgangs bei der politischen Willensbildung des Volkes zu sichern. Damit zielt § 13 Nr. 2 BWahlG auf den Schutz eines gleichwertigen Verfassungsgutes, das dem Grunde nach geeignet ist, eine Einschränkung des Grundsatzes der Allgemeinheit der Wahl zu legitimieren.

Der Senat hat bereits Zweifel an der Eignung von § 13 Nr. 2 BWahlG zur Erreichung dieses Ziels. Das ergebe sich aus dem Umstand, dass die Überprüfung der für eine selbstbestimmte Wahlentscheidung erforderlichen Einsichts- und Kommunikationsfähigkeit nicht Gegenstand des Verfahrens zur Bestellung eines Betreuers gemäß § 1896 I 1 BGB sei:

„Das Verfahren zielt darauf ab, festzustellen, ob der Betroffene bei der Wahrnehmung seiner Angelegenheiten in einzelnen oder allen Aufgabenkreisen zu seinem Schutz der Unterstützung durch einen Betreuer bedarf, und wer als Betreuer in Betracht kommt (vgl. Götz, in: Palandt, BGB, 78. Aufl. 2019, vor § 1896 Rn. 2; Jurgeleit, in: ders., Betreuungsrecht, 4. Aufl. 2018, Einleitung Rn. 7). Dabei kann das Wahlrecht als höchstpersönliches Recht, dessen treuhänderische Wahrnehmung verfassungsrechtlich unzulässig ist (vgl. Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 38 Rn. 101 <Oktober 2010>; Morlok, in: Dreier, GG, Bd. 2, 3. Aufl. 2015, Art. 38 Rn. 80; Lang, in: BMAS-Forschungsbericht 470, 2016, S. 187 f. m.w.N.), von vornherein nicht Gegenstand einer Betreuerbestellung sein (vgl. Götz, in: Palandt, BGB, 78. Aufl. 2019, § 1896 Rn. 25; Jurgeleit, in: ders., Betreuungsrecht, 4. Aufl. 2018, § 1896 BGB Rn. 141). Die Fähigkeit zur Teilnahme am demokratischen Willensbildungsprozess ist daher für den Prüfungsablauf und das Ergebnis des Verfahrens zur Bestellung eines Betreuers ohne Belang. Etwas anderes folgt auch nicht aus § 309 FamFG, der im Fall der Bestellung eines Betreuers in allen Angelegenheiten eine besondere Mitteilungspflicht des Betreuungsgerichts gegenüber der für die Führung des Wählerverzeichnisses zuständigen Behörde normiert (so aber BayVerfGH, Entscheidung vom 9. Juli 2002 - Vf. 9-VII-01 -, juris, Rn. 44). Denn hieraus resultiert keine Pflicht des Betreuungsgerichts, die Wahlfähigkeit des Betroffenen zu prüfen und in seine Entscheidung über die Bestellung eines Betreuers in allen Angelegenheiten einzubeziehen. Vielmehr dient die Vorschrift allein der Vermeidung von Unrichtigkeiten durch die Aufnahme nicht wahlberechtigter Personen in das Wählerverzeichnis.“

 

Für die Eignung spreche indes der Ausnahmecharakter einer Betreuung in allen Angelegenheiten:

„Allerdings unterliegt die Bestellung eines Betreuers in allen Angelegenheiten strengen normativen Voraussetzungen. Erforderlich ist die Feststellung sowohl einer umfassenden Betreuungsbedürftigkeit als auch eines konkreten und auf alle Angelegenheiten des Betroffenen bezogenen Betreuungsbedarfs (vgl. Götz, in: Palandt, BGB, 78. Aufl. 2019, § 1896 Rn. 2 ff.; Lang, in: BMAS-Forschungsbericht 470, 2016, S. 202 ff.). …

Den sich daraus ergebenden Ausnahmecharakter einer Betreuung in allen Angelegenheiten bestätigen die Befunde des BMAS-Forschungsberichts 470. Danach wurde lediglich in 6,3 % der 2014 anhängigen Betreuungsverfahren ein Betreuer in allen Angelegenheiten bestellt (81.220 von 1.296.047 Verfahren). Die Gesamtzahl der Wahlrechtsausschlüsse gemäß § 13 Nr. 2 BWahlG entspricht einem Anteil von 1,3 ‰ der Menschen, die bei der Bundestagswahl 2013 wahlberechtigt waren (vgl. Strohmeier, in: BMAS-Forschungsbericht 470, 2016, S. 48 f.).

Vor diesem Hintergrund ist die Annahme des Gesetzgebers, dass es sich bei der Bestellung eines Betreuers in allen Angelegenheiten typischerweise um Fälle handelt, bei denen den Betroffenen die zur Teilnahme am demokratischen Kommunikationsprozess erforderliche Einsichtsfähigkeit fehlt, zumindest nicht fernliegend.“

 

Im Ergebnis lässt das BVerfG die Frage der Geeignetheit von § 13 Nr. 2 BWahlG zur Erfassung von Personen, die über die zur Wahrnehmung des Wahlrechts erforderliche Einsichtsfähigkeit nicht verfügen, aber dahinstehen. Wird trotz umfassender Betreuungsbedürftigkeit von der Bestellung eines Betreuers abgesehen, ist § 13 Nr. 2 BWahlG nicht anwendbar. Die Regelungssystematik der Norm führt dazu, dass der Wahlrechtsausschluss auf die Gruppe derjenigen Betreuungsbedürftigen beschränkt bleibt, bei denen ein Betreuer „zur Besorgung aller ihrer Angelegenheiten“ bestellt wird. Unterbleibt die Bestellung trotz des Unvermögens zur Besorgung aller eigenen Angelegenheiten wegen fehlenden Betreuungsbedarfs, bleibt demgegenüber das Wahlrecht erhalten:

„Dem Wahlrechtsausschluss gemäß § 13 Nr. 2 BWahlG liegt die Annahme zugrunde, dass derjenige, der zur Besorgung aller seiner Angelegenheiten unfähig ist, auch nicht in der Lage ist, in hinreichendem Umfang am demokratischen Kommunikationsprozess teilzunehmen. Indem die Regelung aber ausschließlich am äußeren Tatbestand der Bestellung eines Betreuers in allen Angelegenheiten ansetzt, erfasst sie die Personengruppe der zur Besorgung aller ihrer Angelegenheiten Unfähigen nur lückenhaft. Letztlich ist der Wahlrechtsentzug davon abhängig, ob wegen des Vorliegens eines konkreten Betreuungsbedarfs die Bestellung eines Betreuers erfolgt oder ob diese aufgrund fehlender Erforderlichkeit unterbleibt. Dieser im Tatsächlichen von Zufälligkeiten abhängige Umstand stellt keinen sich aus der Natur der Sache ergebenden Grund dar, der geeignet ist, die wahlrechtliche Ungleichbehandlung gleichermaßen Betreuungsbedürftiger zu rechtfertigen (so auch ÖsterreichVerfGH, Entscheidung vom 7. Oktober 1987 - G 109/87 -, Rn. 2.2.1, zu § 24 Nationalrats-Wahlordnung 1971).

 

Die Vorschrift verfehle damit jedenfalls die verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine gesetzliche Typisierung, weil sie den Kreis der von einem Wahlrechtsausschluss nach § 13 Nr. 2 BWahlG Betroffenen ohne hinreichenden sachlichen Grund in gleichheitswidriger Weise bestimme.

 

c. § 13 Nr. 3 BWahlG

Hinsichtlich § 13 Nr. 3 BWahlG kommt als zwingender Grund zur Rechtfertigung des Eingriffs in den Schutzbereich von Art. 38 I 1 1 GG ebenfalls lediglich die Sicherung des Charakters der Wahl als eines Integrationsvorgangs bei der politischen Willensbildung des Volkes in Betracht. Notwendig wäre daher, dass die Regelung im Wege zulässiger gesetzlicher Typisierung eine Personengruppe betrifft, die nicht in hinreichendem Umfang in der Lage ist, am Kommunikationsprozess zwischen dem Volk und den Staatsorganen teilzunehmen. Daran fehle es aber:

„Weder die Feststellung der Schuldunfähigkeit zum Tatzeitpunkt und die ihr zugrundeliegenden Krankheitsbilder gemäß § 20 StGB noch das Vorliegen der weiteren Voraussetzungen für die Anordnung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB erlauben den Rückschluss auf das regelmäßige Fehlen der für die Ausübung des Wahlrechts erforderlichen Einsichtsfähigkeit. Dies bestätigen die empirischen Ergebnisse des BMAS-Forschungsberichts 470.“

 

13 Nr. 3 BWahlG verletze den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl außerdem, weil die Regelung zu Ungleichbehandlungen führe, für die sachliche Gründe nicht ersichtlich seien. Im Ergebnis werde der Kreis der Regelungsbetroffenen in willkürlicher, die Fähigkeit zur Teilnahme am demokratischen Kommunikationsprozess unzureichend berücksichtigender Weise bestimmt:

„So bleibt das Wahlrecht erhalten, wenn von der Anordnung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nur deshalb abgesehen wird, weil von dem Schuldunfähigen keine Gefahr erheblicher Straftaten ausgeht. Dabei ist in solchen Fällen aber nicht auszuschließen, dass die wahlrechtliche Einsichts- und Entscheidungsfähigkeit in gleichem oder gar höherem Umfang eingeschränkt ist als bei einem gemäß § 13 Nr. 3 BWahlG vom Wahlrecht Ausgeschlossenen. Gleiches gilt in Fällen der Unterbringung strafrechtlich nicht in Erscheinung getretener Personen wegen Fremd- oder Selbstgefährdung nach den jeweiligen landesrechtlichen Vorschriften. Auch in diesen Fällen bleibt, obwohl vergleichbare Diagnosen vorliegen können, das Wahlrecht unangetastet. Wird in Fällen, in denen die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus neben einer Freiheitsstrafe angeordnet wird, durch das zuständige Gericht gemäß § 67 Abs. 2 StGB bestimmt, dass die Strafe ganz oder teilweise vor der Maßregel zu vollziehen ist, bleibt das Wahlrecht bei unveränderter Einsichtsfähigkeit zunächst bestehen und entfällt erst mit Beginn des Maßregelvollzugs, ohne dass dafür eine wahlrechtlich tragfähige Begründung erkennbar wäre. Wird die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 67b oder § 67d Abs. 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt, ist § 13 Nr. 3 BWahlG nicht (mehr) anwendbar, da die Vorschrift voraussetzt, dass der Betroffene sich in einem psychiatrischen Krankenhaus „befindet“. Wird die Bewährungsaussetzung jedoch gemäß § 67g StGB widerrufen, erlischt das Wahlrecht erneut. Dabei ist für die Entscheidung über die Aussetzung und den Widerruf der Aussetzung der Maßregel zur Bewährung die Frage der Wahlfähigkeit ohne Belang. Schließlich lebt das Wahlrecht eines schuldunfähigen, in der Psychiatrie Untergebrachten wieder auf, wenn er gemäß § 67a StGB nachträglich in eine Entziehungsanstalt überwiesen wird. Wird er allerdings anschließend wieder in ein psychiatrisches Krankenhaus zurücküberwiesen, entfällt das Wahlrecht von neuem.“

 

3. Ergebnis

Die Wahlrechtsausschlüsse in § 13 Nr. 2 und 3 BWahlG verletzen Art. 38 I 1 GG (Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl).

 

II. Art. 3 III 2 GG

§ 13 Nr. 2 und 3 BWahlG könnten zudem Art. 3 III 2 GG verletzen.

 

1. Anwendbarkeit

Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl gemäß Art. 38 I 1 GG und das Benachteiligungsverbot des Art. 3 III 2 GG seien als spezialgesetzliche Ausprägungen des allgemeinen Gleichheitssatzes nebeneinander anwendbar:

„Besondere Gleichheitssätze stehen grundsätzlich im Verhältnis der Idealkonkurrenz zueinander. Berührt eine differenzierende Behandlung mehrere in ihrem Anwendungsbereich unterschiedliche spezielle Gleichheitsgebote, muss sie an jedem dieser Gebote gemessen werden (vgl. Boysen, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 3 Rn. 202). Etwas anderes kann lediglich gelten, wenn zwischen mehreren besonderen Gleichheitssätzen ein eigenständiges Spezialitätsverhältnis besteht.

Dies ist im Verhältnis von Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG nicht der Fall. Zwar überschneiden sich die Anwendungsbereiche des Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG und des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG im Falle einer Beschränkung des Zugangs zur Wahl zum Bundestag wegen einer Behinderung (vgl. Magiera, in: Sachs, GG, 8. Aufl. 2018, Art. 38 Rn. 81; Sachs, in: Isensee/Kirchhof, HStR VIII, 3. Aufl. 2010, § 182 Rn. 164; Trute, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 38 Rn. 19). Diese Überschneidung betrifft jedoch lediglich einen Teilbereich des jeweiligen Regelungsumfangs der beiden Vorschriften. Zudem dienen beide Vorschriften unterschiedlichen Schutzzwecken (Egalität der Staatsbürger, Nichtdiskriminierung von Menschen mit Behinderungen). Daher sind der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl nach Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG und das Benachteiligungsverbot nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG nebeneinander anwendbar (vgl. Boysen, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 3 Rn. 202; Krieger, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 14. Aufl. 2018, Art. 3 Rn. 92; Magiera, in: Sachs, GG, 8. Aufl. 2018, Art. 38 Rn. 81).“

 

2. Ungleichbehandlung

Art. 3 III 2 GG untersagt jegliche Benachteiligung wegen einer Behinderung. Auf den Grund der Behinderung kommt es nicht an. Entscheidend ist vielmehr, ob eine Person in der Fähigkeit zur individuellen und selbstständigen Lebensführung längerfristig beeinträchtigt ist Zu den Menschen mit Behinderungen gehören psychisch Kranke, wenn die Beeinträchtigung längerfristig und von solcher Art ist, dass sie den Betroffenen an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern kann:

„Eine Benachteiligung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG liegt bei einem Ausschluss von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten durch die öffentliche Gewalt vor, soweit dieser nicht durch eine auf die Behinderung bezogene Fördermaßnahme hinlänglich kompensiert wird (vgl. BVerfGE 96, 288 <303>; 99, 341 <357>; 128, 138 <156>). Menschen mit Behinderungen werden demnach benachteiligt, wenn ihre Lebenssituation im Vergleich zu derjenigen Nichtbehinderter durch staatliche Maßnahmen verschlechtert wird. Dies ist der Fall, wenn ihnen Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten vorenthalten werden, die anderen offenstehen (vgl. BVerfGE 96, 288 <302 f.>; 99, 341 <357>). Untersagt sind letztlich alle Ungleichbehandlungen, die für Behinderte zu einem Nachteil führen (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2016 - 1 BvR 2012/13 -, juris, Rn. 11 und vom 10. Juni 2016 - 1 BvR 742/16 -, juris, Rn. 10; siehe auch BVerfGE 99, 341 <357>). Erfasst werden dabei auch mittelbare Benachteiligungen, bei denen sich der Ausschluss von Betätigungsmöglichkeiten nicht als Ziel, sondern als typische Nebenfolge einer Maßnahme der öffentlichen Gewalt darstellt (vgl. Baer/Markard, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 3 Abs. 3, Rn. 537; Heun, in: Dreier, GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 3 Rn. 138; Nußberger, in: Sachs, GG, 8. Aufl. 2018, Art. 3 Rn. 311; a.A.: Boysen, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 3 Rn. 196).“

 

Der Ausschluss vom Wahlrecht gemäß § 13 Nr. 2 BWahlG beinhaltet eine Einschränkung der Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten der Regelungsbetroffenen durch die öffentliche Gewalt. Damit liegt darin eine Benachteiligung im Sinne von Art. 3 III 2 GG. Diese Benachteiligung erfolge auch wegen des Vorliegens einer Behinderung:

„Zwar knüpft § 13 Nr. 2 BWahlG nach seinem Wortlaut an die Bestellung eines Betreuers in allen Angelegenheiten an. Diese hat aber gemäß § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB das Vorliegen einer „psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung“ zur Voraussetzung. Dabei umfasst der Begriff der „psychischen Krankheit“ im Sinne des § 1896 BGB endogene und exogene Psychosen sowie Persönlichkeitsstörungen wie Psychopathien oder Neurosen (vgl. Götz, in: Palandt, BGB, 78. Aufl. 2019, § 1896 Rn. 6; Jurgeleit, in: ders., Betreuungsrecht, 4. Aufl. 2018, § 1896 BGB Rn. 123). Da es sich dabei um Beeinträchtigungen handelt, die den Betroffenen nicht nur vorübergehend an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern (Art. 1 Abs. 2 BRK), unterfallen auch „psychische Krankheiten“ gemäß § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB dem Begriff der Behinderung im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG (vgl. hierzu BVerfGE 96, 288 <301>; 99, 341 <356 f.>; Baer/Markard, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 3 Abs. 3, Rn. 532). Adressaten des Wahlrechtsausschlusses gemäß § 13 Nr. 2 BWahlG sind damit ausschließlich Menschen mit Behinderungen.

Soweit hiergegen eingewandt wird, der Wahlrechtsausschluss finde seine Grundlage nicht in der Behinderung oder Krankheit, sondern in dem hieraus resultierenden Unvermögen zur Entscheidung eigener Angelegenheiten (vgl. Lang, in: BMAS-Forschungsbericht 470, 2016, S. 221), rechtfertigt dies keine andere Einschätzung. Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG schützt auch vor mittelbaren Beeinträchtigungen. Untersagt sind letztlich alle Ungleichbehandlungen, die für Behinderte zu einem Nachteil führen (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. März 2016 - 1 BvR 2012/13 -, juris, Rn. 11 und vom 10. Juni 2016 - 1 BvR 742/16 -, juris, Rn. 10).“

 

Auch der Wahlrechtsausschluss gemäß § 13 Nr. 3 BWahlG benachteiligt die Regelungsbetroffenen im Sinne von Art. 3 III 2 GG, indem er ihnen das zentrale demokratische Mitwirkungsrecht entzieht:

„Diese Benachteiligung erfolgt auch wegen des Vorliegens einer Behinderung im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, da die Eingangsmerkmale der Schuldunfähigkeit eine körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigung voraussetzt, die die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nur erlaubt, wenn sie länger andauert (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Januar 2016 - 2 StR 314/15 -, juris, Rn. 6; Urteil vom 29. September 2015 - 1 StR 287/15 -, juris, Rn. 11; stRspr). Regelungsbetroffen sind damit ausschließlich Menschen mit Behinderungen.“

 

3. Rechtfertigung

Auch Art. 3 III 2 GG gilt nicht ohne Einschränkung. Eine rechtliche Schlechterstellung Behinderter ist aber nur zulässig, wenn zwingende Gründe eine solche rechtfertigen. Die Rechtfertigung einer Benachteiligung entgegen Art. 3 III 2 GG unterliegt damit einem strengen Maßstab. Die in Rede stehende Maßnahme muss unerlässlich sein, um behindertenbezogenen Besonderheiten Rechnung zu tragen. Dies ist nicht der Fall, wenn der Staat durch Fördermaßnahmen oder Assistenzsysteme die Einschränkungen, denen Menschen mit Behinderungen unterliegen, beseitigen kann; erst wenn dies unmöglich oder unzumutbar ist, kann eine Benachteiligung gerechtfertigt sein:

„Ein zwingender Grund im vorgenannten Sinn liegt vor, wenn einer Person gerade aufgrund ihrer Behinderung bestimmte geistige oder körperliche Fähigkeiten fehlen, die unerlässliche Voraussetzung für die Wahrnehmung eines Rechts sind. Fehlt die erforderliche Einsichts- oder Handlungsfähigkeit aufgrund einer Behinderung und kann dem auch nicht durch geeignete Assistenzsysteme abgeholfen werden, stellt der Ausschluss einer Person von einem diese Fähigkeit voraussetzenden Recht keine Diskriminierung wegen einer Behinderung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG dar (vgl. BVerfGE 99, 341 <357>; siehe auch Kischel, in: Epping/Hillgruber, Beck’scher Online-Kommentar GG, 37. Aufl. 2018, Art. 3 Rn. 236; Krieger, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 14. Aufl. 2018, Art. 3 Rn. 89; Lang, in: BMAS-Forschungsbericht 470, 2016, S. 192 f.).

Darüber hinaus kommt eine Rechtfertigung einer behinderungsbedingten Ungleichbehandlung nur im Wege einer Abwägung mit kollidierendem Verfassungsrecht (vgl. BVerfGE 92, 91 <109>; 114, 357 <364>) und auf der Grundlage einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung in Betracht (vgl. Nußberger, in: Sachs, GG, 8. Aufl. 2018, Art. 3 Rn. 254, 314). Die Ungleichbehandlung muss insoweit zum Schutz eines anderen, mindestens gleichwertigen Verfassungsguts geeignet, erforderlich und angemessen sein. Dem Gesetzgeber steht insoweit nur ein geringer Handlungsspielraum zur Verfügung. Insofern entsprechen im vorliegenden Zusammenhang die Anforderungen an die Rechtfertigung einer Einschränkung des Benachteiligungsverbots für Menschen mit Behinderungen gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG den strengen Anforderungen an einen Eingriff in den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl gemäß Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG.“

 

a. § 13 Nr. 2 BWahlG

Ein für das Verbot der Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen gemäß Art. 3 III 2 GG durch § 13 Nr. 2 BWahlG erforderlicher zwingender Grund läge vor, wenn die Regelung unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Anforderungen an gesetzliche Typisierungen in ihrer konkreten Ausgestaltung unerlässlich wäre, um behinderungsbedingten Besonderheiten Rechnung zu tragen und zur Sicherung des Integrationscharakters der Wahl diejenigen Personen vom Wahlrecht auszuschließen, die aufgrund ihrer Behinderung nicht in hinreichendem Umfang über die Fähigkeit zur Teilnahme am demokratischen Kommunikationsprozess verfügen. Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt,

„weil die Norm den Kreis der wegen behinderungsbedingter Einsichtsunfähigkeit vom Wahlrecht Ausgeschlossenen ohne hinreichenden Sachgrund lückenhaft und in gleichheitswidriger Weise bestimmt. Die Tatsache, dass das Wahlrecht von Personen erhalten bleibt, bei denen die Bestellung eines Betreuers in allen Angelegenheiten nur wegen fehlenden Betreuungsbedarfs unterbleibt, führt zu einer aus der Natur des Wahlrechts nicht begründbaren Benachteiligung der von § 13 Nr. 2 BWahlG Regelungsbetroffenen. Insoweit gelten die zu Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG angestellten Erwägungen im Rahmen von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG gleichermaßen.“

 

b. § 13 Nr. 3 BWahlG

Auch die Benachteiligung durch § 13 Nr. 3 BWahlG sei nicht hinreichend gerechtfertigt:

„Wegen der unzureichenden Rechtfertigung dieses Eingriffs kann auf die Ausführungen zum Eingriff in den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl verwiesen werden. Ein zwingender Grund für die rechtliche Schlechterstellung schuldunfähiger, in der Psychiatrie Untergebrachter fehlt. Dem steht bereits entgegen, dass die Regelung nicht geeignet ist, typischerweise Personen zu erfassen, die nicht über die erforderliche Einsichtsfähigkeit zur Teilnahme am demokratischen Kommunikationsprozess verfügen. Außerdem führt die Bestimmung des Kreises der von einem Wahlrechtsausschluss Betroffenen zu willkürlichen Ungleichbehandlungen in ihrer geistigen oder seelischen Gesundheit gleichermaßen beeinträchtigter Personen.“

 

4. Ergebnis

§ 13 Nr. 2 und 3 BWahlG verletzen zudem Art. 3 III 2 GG

 

III. Ergebnis

Die Wahlrechtsausschlüsse nach § 13 Nr. 2 und 3 BWahlG verletzen das grundrechtsgleiche Recht aus Art. 38 I 1 GG (Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl) und das Grundrecht aus Art. 3 III 2 GG. Sie sind verfassungswidrig.

 

C. Fazit

Eine wichtige und aktuelle Entscheidung, in der das BVerfG mal wieder zu den Wahlrechtsgrundsätzen Stellung nimmt. Würden wir im Prüfungsamt arbeiten, wüssten wir, woraus wir die nächste Klausur stricken würden. Anlass genug, sich mit den allgemeinen und besonderen Gleichheitsgrundsätzen zu befassen.