Torpedoboot-Fall

A. Sachverhalt

Der Kläger hatte in mehrjähriger Freizeitarbeit das Torpedoboot „Dachs“ der Bundesmarine im Maßstab von 1 : 20 nachgebaut. Das Modell war schwimmfähig und mit Elektronik ausgerüstet, die die Ausübung der verschiedensten Funktionen erlaubte. Der Kläger nahm mit dem Boot verschiedentlich mit Erfolg an nationalen und internationalen Wettbewerben teil, die für die Erbauer ähnlicher ferngesteuerter Modellboote veranstaltet werden. Am 19. November 1978 hob der Beklagte, der den Kläger besucht hatte, das in der Wohnung aufbewahrte Modellboot, das ca. 2 m lang und ca. 45 kg schwer war, aus seinem Standgestell heraus. Es fiel ihm aus der Hand und zerbrach beim Aufschlag auf den Boden.

Mit seiner Klage verlangt der Kläger von dem Beklagten Schadensersatz für das schwer zerstörte Modellboot. In erster Instanz hat er die Kosten einer Wiederherstellung, die seiner Ansicht nach auch dem Verkehrswert seines Bootes entsprächen, mit 68.170,- DM angegeben und Zahlung dieses Betrages verlangt. In der Berufungsinstanz hat er unter Zugrundelegung geschätzter Reparatur- bzw. Wiederherstellungskosten von 98.000,- DM seine Klageforderung auf insgesamt 90.000,- DM erhöht.

Der Beklagte wendet sich nur noch gegen die Höhe der Schadensersatzforderung, die er für weit übersetzt hält.

B. Worum geht es?

Der Beklagte ist dem Kläger dem Grunde nach zum Schadensersatz aus § 823 I BGB verpflichtet: Der Beklagte hat das Eigentum des Klägers an dem Modellboot fahrlässig und widerrechtlich verletzt und diesem dadurch einen Schaden zugefügt. Anhaltspunkte für ein Mitverschulden des Klägers nach § 254 I BGB sind dem Sachverhalt nicht zu entnehmen. Die Rechtsfolgen eines Anspruchs aus § 823 I BGB (haftungsausfüllender Tatbestand) ergeben sich aus §§ 249 ff. BGB. Diese Vorschriften unterscheiden zwischen der Wiederherstellung (§ 249 BGB, Naturalrestitution) und Geldersatz (§ 251 BGB, Kompensation). Letzteres kommt nur in Betracht, wenn die „Herstellung [der beschädigten Sache] nicht möglich oder zur Entschädigung des Gläubigers nicht genügend ist“. Die Besonderheit des Falles liegt darin, dass es sich bei dem Torpedoboot um ein Unikat handelt.

Der BGH hatte damit die folgende Frage zu entscheiden:

„Kann für die Zerstörung eines Bastlerstückes, das als Unikat anzusehen ist (hier: Modellboot), Wiederherstellung oder nur Wertersatz in Geld verlangt werden?“

Prüfungsaufbau: § 823 I BGB
Klausurrelevante Lerneinheit

C. Wie hat der Bundesgerichtshof entschieden?

Der BGH entscheidet im Torpedoboot-Fall (Urt. v. 10.07.1984 – VI ZR 262/82 (BGHZ 92, 85 ff.)), dass

für die Zerstörung eines Bastlerstückes, das als Unikat anzusehen ist, nicht Wiederherstellung, sondern nur Wertersatz in Geld verlangt werden kann. Der zu ersetzende Vermögenswert könne in solchen Fällen in der Regel nicht nach dem vergeblichen Aufwand für Material und Arbeitszeit geschätzt werden.

Der BGH stellt zunächst die allgemeinen Grundsätze für die Abgrenzung von Wiederherstellung und Geldersatz dar:

„Der auf Geldersatz gerichtete Schadensersatzanspruch nach § 249 S. 2 BGB ist seiner Funktion nach ein Herstellungsanspruch (…; allg. Meinung). Der Geschädigte, der nach § 249 S. 1 BGB grundsätzlich die Herstellung desjenigen Zustands verlangen kann, der vor dem Schadensfall bestanden hat (sogenannte Naturalrestitution), soll bei Beschädigung einer Sache die Wahl haben, statt der vom Schädiger geschuldeten Reparatur oder Ersatzbeschaffung die Sache selbst wiederherstellen zu lassen und den dafür erforderlichen Geldbetrag vom Schädiger zu verlangen. Der Anspruch setzt deshalb voraus, daß eine Herstellung der Sache überhaupt noch möglich ist (…). Daran hält der Senat fest. Fraglich kann im Einzelfall nur sein, ob ein Fall der Unmöglichkeit der Wiederherstellung vorliegt. Das ist dann der Fall, wenn die beschädigte Sache irreparabel ist, also ein sogenannter Totalschaden vorliegt. Ist das zu bejahen, dann muß damit die Unmöglichkeit der Naturalrestitution nach § 249 S. 1 BGB noch nicht feststehen, wenn Herstellung durch Beschaffung einer gleichartigen und gleichwertigen Sache den Umständen nach in Betracht kommt und die Ersatzbeschaffung nicht unverhältnismäßig ist (§ 251 Absatz II BGB).“

Die Wiederherstellung des zerstörten Modellbootes in Form einer Reparatur sei nicht möglich. Ebenso wenig könne eine diesem Boot gleichartige und gleichwertige Sache beschafft werden:

„Fehlerfrei hat das BerGer. festgestellt, daß das Modellboot total zerstört worden ist, als es zu Boden fiel. Es durfte insoweit der Ansicht des Sachverständigen S, der seinem Gutachten Fotografien des zerbrochenen Bootes beigefügt hat, folgen. Der Kl. selbst hat vorgetragen, eine Reparatur komme praktisch einer Neuherstellung gleich. In der Tat waren nach dem unstreitigen Parteivorbringen nur noch wenige Einzelteile wiederverwendbar. Wollte man das Boot des Kl. reparieren, hätte man, wie der vom Kl. vorgelegte Kostenvoranschlag der Firma Modellwerkstätten D ausweist, im wesentlichen einen Neubau vornehmen müssen. Das gilt für den Rumpf des Bootes, für den statt der vom Kl. ausgeführten Holzkonstruktion die Herstellung einer Plastikform vorgeschlagen wurde, und für fast alle anderen Teile, die vom Kl. erdacht und ausgeführt worden sind; die von ihm eingebaute Elektronik hätte ohnehin durch eine andere ersetzt werden müssen, weil Ersatzteile für die veraltete Technik heute nicht mehr erhältlich sind. Es wäre auf diese Weise mithin nicht das alte Boot des Kl. ausgebessert worden, sondern ein zwar seinen Plänen nachempfundenes, aber neues, anderes Modell des Torpedobootes entstanden, das darüber hinaus, weil nicht vom Kl. selbst gebaut, für seine Zwecke, nämlich zur Teilnahme an Wettbewerben mit anderen Bastlern, unbrauchbar wäre und nur noch als Standmodell oder zu Vorführungen außerhalb von Wettkämpfen geeignet gewesen wäre. Demgegenüber ist es ohne rechtliche Bedeutung, daß der Kl. selbst und die von ihm um Kostenvoranschläge gebetene Modellbaufirma in diesem Zusammenhang von der Möglichkeit einer “Reparatur” des Bootes gesprochen haben. Deswegen ist die Übergehung des darauf zielenden Beweisantrages des Kl. in diesem Zusammenhang kein Verfahrensfehler. Das BerGer. durfte den unter Beweis gestellten Tatsachenvortrag, die “Reparatur” des Modells sei zu einem Preise von 98000 DM möglich, dahin werten, daß diese “Reparatur” in Wahrheit nichts anderes darstellen würde als die Neuherstellung der total zerstörten Sache.
bb) Eine Herstellung des früheren Zustandes i. S. des § 249 S. 1 BGB ist im Streitfall auch nicht durch eine gleichartige und gleichwertige Sache möglich, so daß es auf sich beruhen kann, ob der Aufwand für eine derartige Ersatzbeschaffung dem Bekl. wirtschaftlich zugemutet werden könnte (§ 251 Absatz II BGB). Sicher gibt es einen Markt für Schiffsmodelle, die mit vielfältiger Elektronik ausgestattet sind. Das vom Kl. in jahrelanger Eigenarbeit hergestellte Modell des Torpedobootes ist aber ein “nicht marktgängiges Einzelstück” (so Esser-Schmidt, SchuldR I, AT, 6. Aufl., S. 497 Fußn. 25), das bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise, die auch den wirtschaftlichen Wert für den Kläger zu berücksichtigen hat, nicht durch die Lieferung eines anderen, gewerbsmäßig hergestellten oder auf dem Markt erhältlichen Modells zu ersetzen ist. Es ist das Produkt aus der Erfindungsgabe und dem handwerklichen Geschick des Kl., der es nach seinen Bedürfnissen und seinem Geschmack geplant und erstellt hat und zu diesem Zweck eigene Lösungen technischer Art entwickelt, das benötigte Material ausgewählt und es nach seinen für richtig erachteten Methoden bearbeitet hat. Ein solches Bastlerstück, das eben nicht nach allgemein zugänglichen Plänen und Gebrauchsanweisungen hergestellt wurde, ist nicht reproduzierbar. Es ist, wie ein Kunstwerk, ein Unikat. Ein möglicherweise käufliches Modellboot eines anderen Bastlers kann dieses Unikat nicht ersetzen, noch viel weniger ein Modell, das gewerblich in einer Werkstatt hergestellt wird.“

Der Umstand, dass der Kläger sich zum Ersatz für das Boot mit einem anderen, nicht gleichwertigen und gleichartigen Boot zufrieden geben würde, führe nicht zu einem anderen rechtlichen Ergebnis:

„Zwar ist es nicht ohne Bedeutung, ob der Geschädigte gewisse Abweichungen der Ersatzsache hinzunehmen bereit ist, vor allem wenn eine Geldentschädigung nach § 251 Absatz I BGB zu keinem befriedigenden Ausgleich führen könnte (dazu Staudinger-Medicus, BGB, 12. Aufl., § 249 Rdnrn. 204, 206 m. w. Nachw., vor allem aus der Rechtsprechung vor der sogenannten Währungsreform im Jahre 1948). Indessen geht es im Streitfall nicht um einen Sachverhalt, der Anlaß zu einer solchen Betrachtungsweise geben könnte. Der Senat vermag der Revision auch nicht darin zu folgen, daß der Anspruch auf Naturalrestitution schon immer dann gewährt werden müsse, wenn nur der durch “Herstellung” erreichbare Zustand dem hypothetischen Zustand, der ohne das schädigende Ereignis bestehen würde, näher komme als derjenige, der ohne “Herstellung” erreicht werde. Eine derartige Ausweitung der Naturalrestitution verlangt auch nicht der Vorrang des Integritätsinteresses vor dem Kompensationsinteresse, dem die Regelung in §§ 249 ff. BGB Rechnung trägt; das Integritätsinteresse hat seine notwendige Grenze dort, wo keine Möglichkeit besteht, die verlorene Integrität zurückzugewinnen. Es ist auch unrichtig, daß der Geschädigte anderenfalls stets leer ausgehen würde. Ihm bleibt der Kompensationsanspruch nach § 251 Absatz I BGB, der freilich insoweit versagt, als der Schaden auf ideellem Gebiet liegt und wirtschaftlich gesehen keine Vermögenseinbuße des Geschädigten besteht. Diese gesetzlich gewollte Folge muß der Geschädigte hinnehmen; sie kann nicht durch eine über den Gesetzeszweck hinausgehende ausdehnende Auslegung des § 249 BGB umgangen werden.“

Der Kläger könne demnach Anspruch auf Ersatz seiner durch die Zerstörung des Modellbootes eingetretenen Vermögenseinbuße in Geld nur nach § 251 I BGB beanspruchen. Dabei gehe es letztlich darum, den sogenannten Verkehrswert der Sache zu ermitteln. Diesen Wert habe das Gericht nach Ermittlung der verfügbaren und relevanten Schätzungsgrundlagen nach § 287 ZPO zu schätzen.

Soweit ein Markt für die zu ersetzende Sache vorhanden ist, sei der Preis, der durch Angebot und Nachfrage gebildet wird und der im allgemeinen der Wiederbeschaffungswert ist, ein geeigneter Anknüpfungspunkt, den wirtschaftlichen Wert der Sache in Gestalt des Tauschwerts in Geld zu bemessen. Hier gebe es aber keinen solchen Markt für das vom Kläger hergestellte Unikat. Auch dann aber könne ein Vermögensschaden, wenn kein Markt für den zerstörten Gegenstand vorhanden sei:

„Entscheidend ist, ob die Verkehrsauffassung der Sache einen Geldwert beimißt. Das trifft auch für solche Sachen zu, die nicht ohne weiteres wieder “zu Geld zu machen” sind, die aber, wollte man sie für sich haben, Geld kosten würden, und die der Verkehr als durch Geld kompensierbar ansieht (ähnlich dazu Zeuner, AcP 163 (1962), 386 f.). Unzweifelhaft ist aus dieser Sicht heraus das Modellboot des Kl. keine “wertlose” Sache gewesen, sondern ein Boot, das nach der allgemeinen Verkehrsauffassung, obwohl nicht marktgängig, ein in Geld meßbarer Vermögensgegenstand ist, anders als solche Gegenstände, denen der Verkehr gerade keinen Geldwert beimißt und die ihren ideellen Wert nur für den Eigentümer oder Besitzer haben (etwa Briefe, Fotoalben ohne antiquarischen Wert und dergl.; vgl. auch OLG Köln, OLGZ 1973, Seite 7 ff. - Hirschgeweih). Es müssen in diesen Fällen dann nur mangels eines Marktwertes andere, plausible Indikatoren gefunden werden, die den Geldwert bestimmen und deshalb Grundlage für eine Schätzung der wirtschaftlichen Vermögenseinbuße des Geschädigten durch den Verlust der Sache gem. § 287 ZPO sein können.“

Der Geldwert des Modellbootes lasse sich mangels eines Marktpreises nur durch einen Vergleich mit ähnlichen Objekten, die einen Marktpreis haben, finden. Dabei müssen außer der fehlenden Marktgängigkeit und den damit verbundenen Abstrichen an einem etwaigen Einsatz zu Vermögensdispositionen Unterschiede in der Qualität, Quantität, Erhaltungszustand, Gebrauchswert und dergleichen bei der notwendigen Schätzung berücksichtigt werden:

„Der Kl. hat dafür brauchbare Ansatzpunkte vorgetragen: Gäbe es einen Markt für Standmodelle in einer dem Boote des Kl. vergleichbaren Qualität und Quantität, läge es nahe, daß der Kl. mindestens den dafür zu zahlenden Preis als Geldentschädigung verlangen könnte. Darüber hinaus wird es innerhalb des immer bedeutsamer werdenden Marktes der Freizeitgestaltung einen Markt für gewerblich produzierte, mit Elektronik versehene Schiffsmodelle geben, die wenigstens insoweit dem Boote des Kl. verglichen werden könnten. Ihr Preis könnte ebenfalls einen Anhalt für die Schätzung bilden. Endlich hat der Kl. unter Beweisantritt und Anführung von Einzelheiten dargetan, daß es jedenfalls einen Gewerbebetrieb gibt, der auf Bestellung von Kunden Modellboote anfertigt und verkauft. Der dafür auf dem Markt zu erzielende Preis könnte - wiederum unter Berücksichtigung der Besonderheit fehlender Marktgängigkeit des Bootes des Kl. - auch eine geeignete Schätzungsgrundlage sein. All dem ist das BerGer. von seiner unzutreffenden rechtlichen Sicht aus nicht nachgegangen.“

D. Fazit

Der Torpedoboot-Fall ist die Grundsatzentscheidung zum Schadensersatz bei der Zerstörung von (selbst gebauten) Unikaten und bietet lehrreiche Einblicke in die Dogmatik der §§ 249 ff. BGB. Die Unterscheidung zwischen Wiederherstellung und Geldersatz solltest Du kennen.

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