A. Sachverhalt
Die Parteien streiten um die Rückabwicklung eines Pferdekaufs: K ersteigerte als Verbraucherin am 1.11.2016 auf einer von der Unternehmerin B veranstalteten Auktion, einer öffentlich zugänglichen Versteigerung, an der jeder Interessent persönlich teilnehmen kann, einen damals 2 1/2 Jahre alten Hengst. Nach den allgemeinen Auktionsbedingungen der B verjähren Gewährleistungsansprüche drei Monate nach Gefahrübergang.
Das Pferd stand ab der Übergabe am 1.11.2016 bis zum Sommer 2017 im Stall der K. K hat versucht das Tier zu longieren und an Sattel und Reitergewicht zu gewöhnen. Ab dem Sommer 2017 bis Oktober 2017 hat das Pferd auf einer Weide gestanden. Ab Mitte Oktober 2017 bis Frühjahr 2018 hat K versucht, das Pferd anzureiten. Sie hat das Pferd, zu dem sie eine emotionale Beziehung aufgebaut hat, als zukünftiges Dressurpferd gekauft, das Tier ist nicht reitbar und auffällig widersetzlich und empfindlich. Es weist schon mindestens seit dem Zeitpunkt der Auktion ein sogenanntes Kissing Spines - eine Krankheit des Pferderückens, bei der die Dornfortsätze der Wirbelsäule so nahe aneinander stehen, dass sie sich bei Bewegung des Pferdes berühren und mit der Zeit scheuern - im Bereich der Brust und der Lendenwirbelsäule und eine Verkalkung im Nackenbereich im Bereich des Hinterhauptes auf. Eine Behandlung ist nicht möglich.
Am 1.5.2018 erklärt K den Rücktritt vom Kaufvertrag und verlangt die Rückabwicklung des Vertrages (Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Pferdes). B erhebt die Einrede der Verjährung. Steht K gegen B ein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises zu?
Anmerkung: Die Auktionsbedingungen sind gemäß §§ 305 f. BGB wirksam in den Vertrag einbezogen worden.
B. Die Entscheidung des OLG Schleswig (Urt. v. 4.7.2018 – 12 U 87/17)
K könnte gegen B ein Anspruch aus §§ 437 Nr. 2, 323, 326 V, 346 I BGB zustehen. Fraglich ist, ob K ein Rücktrittsrecht gemäß §§ 437 Nr. 2, 323, 326 V BGB zusteht.
K und B haben einen Kaufvertrag geschlossen. Der Hengst wies auch bereits im Zeitpunkt der Übergabe einen Sachmangel auf (§§ 434 I 2 Nr. 2, 446 BGB). Eine Frist zur Nacherfüllung (§ 439 BGB) hat K nicht gesetzt. Dies könnte gemäß § 326 V BGB entbehrlich gewesen sein. Dazu müsste die Nacherfüllung unmöglich gewesen sein. Eine Behandlung des Kissing Spines und der Verkalkung scheidet aus; damit ist eine Nacherfüllung in Form der Nachbesserung unmöglich. Bei Tieren ist nach der Rechtsprechung des BGH eine Nachlieferung wegen Unmöglichkeit ausgeschlossen, wenn der Käufer eine enge emotionale Bindung zum Tier aufgebaut hat. Das ist hier der Fall, weswegen eine Fristsetzung gemäß § 326 V BGB entbehrlich ist.
Möglicherweise ist der Rücktritt aber nach § 218 BGB unwirksam. Das wäre dann der Fall, wenn der Anspruch auf die Leistung oder der Nacherfüllungsanspruch verjährt ist und der Schuldner sich hierauf beruft (§ 218 I 1 BGB). Zwar hat sich B auf Verjährung berufen, allerdings war der Nacherfüllungsanspruch von Anfang an wegen Unmöglichkeit ausgeschlossen. Nach § 218 I 2 BGB ist der Rücktritt aber auch dann unwirksam, wenn der Schuldner (B) nach § 275 I BGB nicht zu leisten braucht und der Anspruch auf die Leistung oder der Nacherfüllungsanspruch verjährt wäre.
Der Nacherfüllungsanspruch (§ 439 BGB) verjährt beim Kauf einer beweglichen Sache (vgl. § 90a S. 3 BGB) in zwei Jahren nach Übergabe der Kaufsache. Dann wäre der Anspruch mit Ablauf des 1.11.2018 verjährt; K hat aber bereits am 1.5.2018 den Rücktritt erklärt.
Allerdings sehen die Auktionsbedingungen der B eine nur dreimonatige Verjährungsfrist vor. Diese wäre bereits im Februar 2017 abgelaufen. Die Vereinbarung einer solch kurzen Frist könnte gemäß § 476 II BGB unwirksam sein. Danach kann die Verjährung der in § 437 bezeichneten Ansprüche vor Mitteilung eines Mangels an den Unternehmer nicht durch Rechtsgeschäft erleichtert werden, wenn die Vereinbarung zu einer Verjährungsfrist ab dem gesetzlichen Verjährungsbeginn von weniger als zwei Jahren, bei gebrauchten Sachen von weniger als einem Jahr führt.
Fraglich ist aber, ob § 476 II BGB Anwendung findet. Nach § 474 II 2 BGB findet § 476 II BGB keine Anwendung bei einem Kauf gebrauchter Sachen, die in einer öffentlich zugänglichen Versteigerung verkauft werden, an der der Verbraucher persönlich teilnehmen kann. Zu beantworten ist demnach die Frage, ob es sich bei dem von K ersteigerten 2 ½ Jahre alten Hengst um eine gebrauchte Sache i.S.v. § 474 II 2 BGB handelt.
Das OLG stellt zunächst den Meinungsstand dar, wobei sich der Senat im Ergebnis der Ansicht des BGH anschließt:
„Im Schrifttum werden Tiere stets als gebrauchte Sachen im Sinne von § 474 Absatz 2 Satz 2 BGB angesehen mit der Begründung, dass eine am Verwendungszweck orientierte Abgrenzung bei Tieren aufgrund vielfältiger Verwendungsformen nicht nur sachlich unangemessen, sondern auch praktisch nicht oder nur schwer handhabbar sei (…).
Nach Auffassung des Bundesgerichtshofes, dem der Senat diesbezüglich folgt, ist dieser Ansatz mit der Regelung des § 90 a BGB nicht vereinbar. Danach sind auf Tiere die für Sachen geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden, sofern nicht etwas anderes bestimmt ist. Die §§ 474 ff BGB enthalten keine Sonderregelungen für Tiere. Der Gesetzgeber ist ausweislich der Gesetzesmaterialien davon ausgegangen, dass es beim Tierkauf keiner speziellen Regelung zur Sachmängelhaftung und zur Verjährung bedarf, weil die neu eingeführten kaufrechtlichen Vorschriften auch den Tierkauf angemessen regelten. Auch beim Tierkauf ist zwischen „neu“ und „alt“ zu unterscheiden (…).“
Das OLG möchte für die Abgrenzung zwischen „neu“ und „gebraucht“ auf objektive Kriterien abstellen, stellt aber dar, dass umstritten sei, wie diese Kriterien festzulegen seien. Nach Auffassung des Senates sei zur Abgrenzung unabhängig davon, welchem Zweck ein Pferd dienen soll und ob es schon verwendet worden ist, allein auf den Ablauf einer gewissen Zeitspanne nach der Geburt des Tieres abzustellen:
„Hierbei ist in besonderer Weise zu berücksichtigen, dass Tiere ab einem bestimmten Alter ein rein altersbedingt erhöhtes Sachmängelrisiko aufweisen, sofern sich der Zeitablauf nachteilig auf die Beschaffenheit auswirkt (Münchner Kommentar, S. Lorenz, 6. Auflage, 2012, § 474 Rn 14). Bei Festlegung der Zeitspanne ist auf die fortgeschrittene körperliche Entwicklung des Tieres abzustellen. Insofern vermag der Senat der teilweise vertretenen Auffassung, ein Tier bereits ab dem Zeitpunkt der ersten Futterfütterung bzw. Unterbringung als gebraucht anzusehen, nicht zu folgen. Ebenso kann der Zeitpunkt des ersten Verkaufs kein geeignetes Kriterium sein, da die Entwicklung des Tieres zu diesem Zeitpunkt möglicherweise gerade erst begonnen hat.
Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2006 (BGH, a.a.O. Rn 32, Zitat nach Juris) den bloßen Zeitablauf als unerheblich angesehen, solange das Tier noch jung ist.“
Danach sei der zum Zeitpunkt des Verkaufs zweieinhalb Jahre alte Hengst nicht mehr als jung und infolgedessen als „gebraucht“ im Sinne des Gesetzes anzusehen:
„Nach den Erfahrungen der Senatsmitglieder aus einer Reihe zivilrechtlicher und strafrechtlicher Verfahren, die unter anderem die Rückabwicklung von Pferdekäufen, die körperliche Entwicklung von Pferden und das Schmerzempfinden von Pferden im Rahmen der Turniersportausbildung zum Gegenstand hatten und jeweils sachverständig begleitet wurden, ist festzustellen, dass ein Hengst in diesem Alter schon längere Zeit von der Mutterstute getrennt ist, infolgedessen über einen nicht unerheblichen Zeitraum eine eigenständige Entwicklung vollzogen hat und bereits seit längerem geschlechtsreif ist.
Die Geschlechtsreife, die bei einem Hengst spätestens mit Vollendung des zweiten Lebensjahres eintritt, erhöht nach Auffassung des Senates bereits allein durch die im Tier zu diesem Zeitpunkt eingetretenen biologischen Veränderungen das Mängelrisiko beträchtlich. Wenngleich beispielsweise ein ungewollter Deckakt durch die Stallhaltung des Hengstes und Separierung von Stuten vermieden werden kann, verändert sich das Verhalten eines Hengstes allein durch den Eintritt der Geschlechtsreife gegenüber einem nicht geschlechtsreifen Tier erheblich. …
Zu berücksichtigen ist bei einem Zeitablauf von zweieinhalb Jahren ab Geburt schließlich auch, dass die Möglichkeit von nachteiligen Veränderungen des Tieres durch eine beispielsweise unzureichende Stallhaltung/Weidehaltung, Fütterung und tierärztliche Versorgung gegenüber einem deutlich jüngeren Tier bereits nicht unerheblich gestiegen ist.“
Eine Abgrenzung, die auf den erstmaligen Einsatz des Pferdes als Reitpferd abstellt, sei dagegen ungeeignet,
„weil hierdurch der Erwerber des Tieres das Risiko nachteiliger Veränderungen einseitig auf den Verkäufer abwälzen könnte, indem das Tier erst in sehr vorgerücktem Alter einer Zweckbestimmung zugeführt wird, nämlich die Entscheidung getroffen wird, ob das Tier als Sportpferd (Dressur, Military oder Springreiten) oder als reines Freizeitpferd eingesetzt werden soll. Letztlich bliebe auch offen, wie zu urteilen ist, wenn sich der Erwerber entschließen sollte, das Pferd überhaupt nicht als Reitpferd einzusetzen.“
Damit findet § 476 II BGB keine Anwendung. Die Verjährungsfrist wurde somit gemäß der Auktionsbedingungen der B wirksam auf drei Monate nach Gefahrübergang beschränkt. Der von K am 1.5.2018 erklärte Rücktritt ist damit gemäß § 218 BGB unwirksam.
K hat keinen Anspruch gegen B auf Rückzahlung des Kaufpreises gemäß §§ 437 Nr. 2, 323, 326 V, 346 I BGB.
D. Fazit
Wann ist ein Pferd „gebraucht“? Das OLG Schleswig hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung die Revision zugelassen; es bleibt abzuwarten, ob der BGH die Frage zu klären hat. Jedenfalls ist bereits jetzt klar: Den Fall solltest Du Dir unbedingt anschauen!
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