BGH zur Reichweite von § 353 S. 1 HGB

A. Sachverhalt (vereinfacht)

Die K-GmbH (K) produziert Fensterprofile aus Kunststoff. Sie bestellte 1997 bei der B-OHG (B) zwei Kunststoffmischer. B lieferte diese Ende 1997 an die Betriebsstätte der K und wirkte an der Inbetriebnahme mit. Am 11. Juli 2005 kam es zu einem Störfall an der Steuereinheit der Mischer. K beauftragte die B, die Störungen im Wege der Fernwartung zu beheben. Der sich gerade in Betrieb befindliche Mischer schaltete sich nicht ab, wodurch es zu einer Überhitzung des Kunststoffmaterials kam, der Produktionsprozess im Mischer außer Kontrolle geriet und Chlorwasserstoff austrat. Dieser bildete in Verbindung mit der Luftfeuchtigkeit Salzsäure, die sich auf Geräten, Kabeln, Rohrleitungen und im Gebäude verteilte. Mit Schreiben vom 27. Juli 2009 forderte K die B unter Fristsetzung bis zum 5. August 2009 zum Ersatz der durch den Störfall entstandenen Schäden auf.

Mittlerweile ist rechtskräftig entschieden, dass B der K aus § 823 I BGB auf Schadensersatz für die eingetretenen Schäden an der Anlage und den Fabrikräumlichkeiten haftet. Eine vertragliche Haftung besteht jedoch nicht (mehr).

 

K begehrt nun Fälligkeitszinsen von B. Zu Recht?

 

B. Die Entscheidung des BGH (Urt. v. 27.2.2018 – VI ZR 121/17)

 

Anspruch K gegen B aus § 823 I BGB i.V.m. § 353 S. 1 HGB

K könnte gegen B ein Anspruch auf Fälligkeitszinsen aus § 823 I BGB i.V.m. § 353 S. 1 HGB zustehen.

Dann müsste es sich bei dem Anspruch aus § 823 I BGB um eine Forderung aus einem beiderseitigen Handelsgeschäft handeln.

Gemäß § 343 HGB sind Handelsgeschäfte alle Geschäfte eines Kaufmanns, die zum Betriebe seines Handelsgewerbes gehören. K und B sind jeweils Kaufleute (§ 6 HGB, § 13 III GmbHG; § 105 HGB). Fraglich ist aber, ob diese Vorschrift auch auf Schadenersatzansprüche zwischen Kaufleuten aus unerlaubter Handlung gemäß § 823 I anwendbar ist.

Der BGH stellt zunächst dar, dass er diese Frage noch nicht entschieden habe:

„Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat mit Urteil vom 10. Juli 1986 (I ZR 102/84, NJW-RR 1987, 181, 183) lediglich entschieden, dass der für Handelsgeschäfte geltende gesetzliche Zinssatz von 5 % nach § 352 HGB auf Ansprüche aus unerlaubter Handlung - selbst wenn sie im Zusammenhang mit einem beiderseitigen Handelsgeschäft entstanden sind - keine Anwendung findet. Diese Entscheidung steht im Einklang mit weiteren Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, wonach Bereicherungsansprüche zwischen Kaufleuten (BGH, Urteil vom 2. Dezember 1982 - III ZR 90/81, NJW 1983, 1420, 1423; ebenso: Reichsgericht, Urteil vom 23. Mai 1919 - II 376/18, RGZ 96, 53, 57) und insolvenzrechtliche Rückgewähransprüche aus § 37 KO a.F. (BGH, Urteil vom 9. Juli 1987 - IX ZR 167/86, NJW 1987, 2821, 2823, insoweit nicht abgedruckt in BGHZ 101, 286 ff.) auch dann keine Ansprüche aus beiderseitigen Handelsgeschäften im Sinne des § 352 HGB darstellen, wenn das zugrunde liegende Rechtsgeschäft oder die angefochtene Rechtshandlung ein solches war. Hinsichtlich der ebenfalls im Vierten Buch geregelten Rügeobliegenheit unter Kaufleuten (§ 377 HGB) hat der Bundesgerichtshof eine Anwendbarkeit auf deliktische Ansprüche verneint (BGH, Urteil vom 16. September 1987 - VIII ZR 334/86, BGHZ 101, 337, 343 f.).“

 

Das Schrifttum beantworte die Frage uneinheitlich:

„Ein Teil des Schrifttums geht davon aus, dass Ansprüche aus unerlaubter Handlung zumindest dann Forderungen aus Handelsgeschäften sein können, wenn die unerlaubte Handlung in einem inneren Zusammenhang mit einem Handelsgeschäft steht (EBJS/Joost, 3. Aufl., HGB § 343 Rn. 16; Hefermehl in: Schlegelberger, HGB, 5. Aufl., § 343 Rn. 13; Wagner in: Röhricht/Graf v. Westphalen/Haas, HGB, 4. Aufl., § 343 Rn. 5; Koller in Staub, HGB, 4. Aufl., § 343 Rn. 4; so wohl auch v. Godin in RGR Komm. z. HGB, 2. Aufl., § 343 Anm. 14). Dies wird vor allem dann angenommen, wenn der in der unerlaubten Handlung liegende Realakt auf ein Handelsgeschäft bzw. auf das Vorhandensein eines rechtsgeschäftlichen Kontakts zwischen den Parteien bezogen ist (BeckOK HGB/Lehmann-Richter, 15.1.2018, HGB, § 353 Rn. 9, § 343 Rn. 11), da in diesen Fällen eine einheitliche Behandlung aller Ansprüche, die auf demselben Lebenstatbestand beruhten, geboten und eine künstliche Trennung sachwidrig sei (Hefermehl in Schlegelberger, HGB, 5. Aufl., § 343 Rn. 13). Die Gegenansicht definiere den Begriff des Handelsgeschäfts zu eng. Ein Handelsgeschäft im Sinne der §§ 343, 344 HGB liege nicht nur bei zum Betrieb des Handelsgewerbes gehörenden Rechtsgeschäften, sondern auch bei bloßen Rechtshandlungen, mithin also bei jedem zum Betrieb des Handelsgewerbes zu rechnenden rechtserheblichen Verhalten vor. Führe nun eine derartige Rechtshandlung zu einem gesetzlichen Anspruch, so habe dieser seine Grundlage in einem Handelsgeschäft (EBJS/Kindler, HGB, 3. Aufl., § 352 Rn. 11, 13).

Nach anderer Auffassung ist zwar der Begriff des Geschäfts im Sinne von § 343 Abs. 1 HGB nach allgemeiner Meinung weiter zu fassen als derjenige des Rechtsgeschäfts bzw. der Willenserklärung im Sinne von §§ 104 bis 185 BGB (vgl. dazu nur Oetker/Pamp, HGB, 5. Aufl., § 343 Rn. 4; Roth in Koller/ Kindler/Roth/Morck, HGB, 8. Aufl., § 343 Rn. 3). Keine Geschäfte in diesem Sinne sollen aber unerlaubte Handlungen sein (vgl. Oetker/Pamp, HGB, 5. Aufl., § 343 Rn. 8; Hopt in Baumbach/Hopt, HGB, 37. Aufl., § 343 Rn. 1; HK-HGB/Ruß, 7. Aufl., § 343 Rn. 1; Klappstein in Heidel/Schall, HGB, 2. Aufl., § 343 Rn. 3; Roth in Koller/Kindler/Roth/Morck, HGB, 8. Aufl., § 343 Rn. 3; MünchKommHGB/K. Schmidt, 3. Aufl., § 343 Rn. 5; zweifelnd Heymann/Horn, HGB, 2. Aufl., § 343 Rn. 9). Kritisiert wird insbesondere, dass das Differenzierungsmerkmal, wonach die unerlaubte Handlung dann Handelsgeschäft sein soll, wenn der Vorgang in einem “inneren Zusammenhang mit einem Handelsgeschäft” steht, zu unbestimmt sei und auch nicht konsequent durchgehalten werde. So würden Schadensersatzansprüche nach einem Unfall des Kaufmanns auf der Geschäftsfahrt nicht darunter gefasst (vgl. Oetker/Pamp, HGB, 5. Aufl., § 343 Rn. 8).“

 

Der BGH schließt sich der letztgenannten Auffassung an:

„Dass ein Vertragspartner im Zusammenhang mit Handelsgeschäften unerlaubte Handlungen begehen kann, macht diese und die aus ihnen resultierenden gesetzlichen Schuldverhältnisse nicht selbst zu Handelsgeschäften (MünchKomm HGB/K. Schmidt, 3. Aufl. 2013, HGB § 343 Rn. 5). Entscheidend ist dafür neben der oben dargestellten berechtigten Kritik, dass § 353 Satz 1 HGB im Hinblick auf seine bereits für rechtsgeschäftliche Ansprüche von Kaufleuten untereinander zweifelhaft (gewordene) ratio legis eng auszulegen ist.

353 Satz 1 HGB sieht abweichend von den für Nichtkaufleute geltenden allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Regelungen, wonach bei Fehlen anderweitiger Abreden Zinsen ab Eintritt des Verzuges bzw. der Rechtshängigkeit geschuldet werden, unter Kaufleuten eine Verzinsung bereits vom Tage der Fälligkeit an vor. Eine entsprechende Regelung enthielt bereits Art. 289 ADHGB, mit der der Gesetzgeber auf der Grundlage von Zinsgebräuchen im Kaufmannswesen eine gesetzliche Verzinsung aus kaufmännischer Gepflogenheit übernommen hatte (vgl. Oetker/Pamp, HGB, 5. Aufl., § 353 Rn. 1; Kindler, Gesetzliche Zinsansprüche im Zivil- und Handelsrecht, 1996, S. 34, 167). § 353 Satz 1 HGB ist nach allgemeiner Meinung Ausdruck des handelsrechtlichen Entgeltprinzips, demzufolge der Kaufmann “nichts umsonst tut” (Kindler in EBJS, HGB, 3. Aufl., § 353 Rn. 2 mwN). Die Regelung soll auf der Erfahrungstatsache beruhen, dass ein Kaufmann ihm zustehendes Geld stets nutzbringend anlegen wird (vgl. dazu und auch zum Folgenden ausführlich Kindler, aaO Rn. 2 ff.). Sie wird auch mit der gegenüber dem Privatmann größeren Bedeutung der Liquidität des Kaufmanns begründet (vgl. Klappstein in Heidel/Schall, HGB, 2. Aufl., § 353 Rn. 1; MünchKommHGB/K. Schmidt, 3. Aufl., § 353 Rn. 1). Ausgehend von der Perspektive des kaufmännischen Geldgläubigers wird im Zinsanspruch eine Entschädigung für die Vorenthaltung des Kapitals gesehen und dieser als ein Schadensersatzanspruch qualifiziert (vgl. Kindler, aaO Rn. 2; Canaris in Staub, HGB, 4. Aufl., § 353 Rn. 3 jeweils mwN; Heymann/Horn, HGB, 2. Aufl., § 353 Rn. 1). Nach anderer Auffassung ausgehend von der Perspektive des Geldschuldners stellt sich der Fälligkeitszins als Entgelt für die bei diesem präsumtiv eingetretene Kapitalnutzung dar und ist deshalb als bereicherungsrechtlicher Vermögensausgleich einzustufen (vgl. die Darstellung bei Kindler, aaO Rn. 3; Canaris in Staub, aaO Rn. 4; BeckOK HGB/Lehmann-Richter, 15.1.2018, § 353 Rn. 1 jeweils mwN). Nach vermittelnder Auffassung begründet § 353 Satz 1 HGB einen Anspruch sui generis, in dem sich bereicherungs- und schadensersatzrechtliche Aspekte miteinander verbinden (vgl. Canaris in Staub aaO Rn. 5).

Welcher Auffassung für die hier zu beantwortende Frage zu folgen ist, kann offen bleiben. Die unterschiedlichen Betrachtungsweisen helfen nicht darüber hinweg, dass die ratio legis der Norm schwer zu erfassen und aus heutiger Sicht in Bezug auf das Zinsrecht eine Ungleichbehandlung von Kaufleuten und Nichtkaufleuten kaum nachzuvollziehen ist (vgl. zur Kritik der Norm Kindler, Gesetzliche Zinsansprüche im Zivil- und Handelsrecht, 1996, S. 59, 167; Kindler in EBJS aaO Rn. 5; Canaris in Staub aaO § 353 Rn. 6 f.; aA MünchKommHGB/K. Schmidt, aaO Rn. 3; BeckOK HGB/Lehmann-Richter, 15.1.2018, § 353 Rn. 2), da bereits die Annahme der höheren Produktivität des Geldes in den Händen von Kaufleuten fraglich erscheint (vgl. dazu Kindler, Gesetzliche Zinsansprüche im Zivil- und Handelsrecht, 1996, S. 59). Im Hinblick auf diese Bedenken ist jedenfalls eine enge Auslegung der Norm geboten, die einer Erstreckung auf Forderungen aus unerlaubter Handlung entgegensteht.“

 

Für dieses Ergebnis spreche letztlich auch, dass es sich bei dem Zusammentreffen von Schadensersatzansprüchen aus Vertragsverletzung und aus unerlaubter Handlung regelmäßig um eine echte Anspruchskonkurrenz handelt, mit der Folge, dass jeder Anspruch nach seinen Voraussetzungen, seinem Inhalt und seiner Durchsetzung selbstständig zu beurteilen ist und seinen eigenen Regeln folgt. Dies gelte auch für die Zuordnung der gesetzlichen Zinsansprüche.

Damit findet § 353 S. 1 HGB keine Anwendung auf Ansprüche aus § 823 I BGB. Ein Anspruch auf Fälligkeitszinsen von K gegen B scheidet damit aus.

 

D. Fazit

§ 353 HGB – eine klassische „Dunkelnorm“. Der Fall ist ein schöner Anlass, sich mit den Grundzügen des Handelsrechts und den verschiedenen Zinsansprüchen vertraut zu machen.

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