BGH: Klingeln an der Wohnungstür als unmittelbares Ansetzen?

A. Sachverhalt (vereinfacht)

A, B und C schlossen sich Mitte März 2017 zu einer Bande zusammen. Gemäß der Bandenabrede wollten sie in arbeitsteiligem Vorgehen in die Wohnungen älterer und/oder gebrechlicher Menschen eindringen, um dort werthaltige Gegenstände und Geld zu entwenden und damit ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Dazu wollten sie an der Wohnung des Opfers klingeln und Einlass erlangen. Während A das Opfer ablenken sollte, sollten B und C die Wohnung nach Stehlenswertem durchsuchen.

Entsprechend dieser Abrede klingelten A, B und C am 29. März 2017 gegen 12 Uhr an der Wohnung des 103 Jahre alten Z. Dieser öffnete die Tür mit vorgelegter Sicherungskette. A sprach ihn durch den Türspalt an und bat unter einem Vorwand um Einlass. Z schloss aber die Tür, weil er wegen des Erscheinens fremder Personen skeptisch geworden war. A, B und C warteten noch eine unbestimmte Zeit ab, ob Z die Wohnung verlasse. Z verließ aber seine Wohnung nicht, weswegen sie aufgaben.

 

Strafbarkeit von A, B und C?

Anmerkung: § 123 StGB ist nicht zu prüfen.

 

B. Die Entscheidung des BGH (Beschl. v. 8.5.2018 – 5 StR 108/18)

 

I. Strafbarkeit wegen mittäterschaftlich begangenen versuchten schweren Bandendiebstahls gemäß §§ 244a I, 243 I 2 Nr. 3, 25 II, 22, 23 I StGB

A, B und C könnten sich wegen mittäterschaftlich begangenen versuchten schweren Bandendiebstahls gemäß §§ 244a I, 243 I 2 Nr. 3, 25 II, 22, 23 I StGB strafbar gemacht haben, indem sie – ihrem Plan entsprechend – bei Z klingelten.

 

1. Tatentschluss

A, B und C wollten als Bande fremde bewegliche Sachen wegnehmen, also einen Diebstahl begehen, um damit ihren Lebensunterhalt zu bestreiten; sie handelten damit gewerbsmäßig im Sinne von § 243 I 2 Nr. 3 StGB. Sie wollen dies auf der Grundlage eines gemeinsamen Tatplanes unter täterschaftlicher Beteiligung aller drei Bandenmitglieder tun. Damit wollten sie die Tat auch jeweils als Bandenmitglied unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds begehen. Zudem handelten A, B und C in der Absicht, sich die wegzunehmenden Gegenstände rechtswidrig zuzueignen.

Damit fassten sie einen Tatentschluss im Sinne von §§ 244a, 243 I 2 Nr. 3, 25 II, 22 StGB.

 

2. Unmittelbares Ansetzen

Zudem müssten A, B und C unmittelbar zur Tat angesetzt haben (§ 22 StGB).

Bekanntlich ist die Frage, nach welchen Kriterien die Abgrenzung zwischen (strafbarem) Versuch und (strafloser) Vorbereitung vorzunehmen ist, in der Strafrechtswissenschaft umstritten. So wird etwa darauf abgestellt, ob das Rechtsgut nach der Vorstellung des Täters unmittelbar gefährdet ist (sogenannte „Gefährdungstheorie”), ob die Tatbestandsverwirklichung nach der Vorstellung des Täters „unmittelbar” bevorsteht („Unmittelbarkeitstheorie”), ob der Täter eine Handlung vornimmt, die nach seinem Tatplan der Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmals unmittelbar vorgelagert ist und im Falle des ungestörten Fortgangs ohne (wesentliche) Zwischenakte in die Tatbestandsverwirklichung einmünden soll („Zwischenaktstheorie”) oder ob es nach der Tätervorstellung zwischen seinem Verhalten und der Tatbestandsverwirklichung einen engen zeitlichen Zusammenhang gibt und der Täter auf die Opfersphäre einwirkt („Sphärentheorie“).

Der BGH greift gern auf die berühmte Formulierung, dass der Täter „subjektiv die Schwelle zum ‚Jetzt geht es los’ überschritten haben“ müsse, zurück, die er mit Elementen der Zwischenaktstheorie kombiniert. So führt er nun aus:

„Der Versuch einer strafbaren Handlung liegt gemäß § 22 StGB vor, wenn der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestands unmittelbar ansetzt. Dies ist nach ständiger Rechtsprechung nicht erst der Fall, wenn der Täter ein Tatbestandsmerkmal verwirklicht, sondern schon dann, wenn er Handlungen vornimmt, die nach seinem Tatplan der Erfüllung eines Tatbestandsmerkmals vorgelagert sind und in die Tatbestandshandlung unmittelbar einmünden. Das Versuchsstadium erstreckt sich dementsprechend auf Handlungen, die im ungestörten Fortgang unmittelbar zur Tatbestandserfüllung führen sollen oder die im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit ihr stehen; der Täter muss subjektiv die Schwelle zum “jetzt geht es los” überschreiten und objektiv zur tatbestandsmäßigen Angriffshandlung ansetzen, so dass sein Tun ohne Zwischenakte in die Tatbestandserfüllung übergeht (vgl. etwa BGH, Urteile vom 16. September 1975 - 1 StR 264/75, BGHSt 26, 201, 202 f.; vom 26. Oktober 1978 - 4 StR 429/78, BGHSt 28, 162, 163; Beschluss vom 14. März 2001 - 3 StR 48/01, NStZ 2001, 415, 416 mwN).“

 

Fraglich ist, ob A, B und C mit dem Klingeln bereits unmittelbar zur Verwirklichung der Tat angesetzt haben.

Die Konstellation zählt zu den „Klingel-Fällen“ und erinnert ein wenig an den Tankstellen-Fall, den wir als Klassiker bereits vorgestellt haben. Dort hatte der BGH eine Strafbarkeit wegen Versuchs (dort: eines besonders schweren Raubes) durch das Klingeln an der Tür bejaht, weil die Täter die geplante Tathandlung gegen die die Tür öffnende Person ausführen wollten.

Der BGH meint indes, dass jene Entscheidung nicht auf den hier zu beurteilenden Fall übertragbar sei:

„Soweit sich die Strafkammer für ihren gegenteiligen Standpunkt auf Entscheidungen des Bundesgerichtshofs stützt, in denen bereits das Klingeln an der Tür als Versuchsbeginn angesehen wurde (vgl. etwa BGH, Urteile vom 16. September 1975 - 1 StR 264/75, aaO, S. 203 f.; vom 11. Juli 1984 - 2 StR 249/84, NStZ 1984, 506 mwN), sind diese auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Sie betreffen Raubdelikte, bei denen der Täter nach dem Öffnen der Tür sofort Gewalthandlungen gegen das Opfer vollführen wollte und damit - anders als vorliegend - bereits ein Tatbestandsmerkmal des § 249 StGB erfüllt hätte.“

 

Vielmehr hätten A, B und C hier noch zu weiteren wesentlichen Zwischenakten ansetzen müssen, weswegen das Klingeln noch nicht unmittelbar in die Begehung der Tat einmünden sollte:

„(1) Bei Tat 1 setzte die Ausführung des Diebstahls voraus, dass der Zeuge [Z] die Sicherheitskette abnehmen, die Tür öffnen, die beiden Angeklagten einlassen und sich vom Angeklagten D. ablenken lassen würde. Erst dann hätten die anderen Täter die Wohnung durchsuchen und Gegenstände entwenden können. Damit sollte ihr Tun noch nicht unmittelbar in Wegnahmehandlungen einmünden (vgl. schon RG JW 1926, 2753; siehe auch BGH, Urteil vom 6. Oktober 1977 - 4 StR 404/77; Beschluss vom 14. März 2001 - 3 StR 48/01, aaO, jeweils mwN).“

 

A, B und C haben damit nicht unmittelbar zur Begehung der Tat angesetzt.

 

3. Ergebnis

Eine Strafbarkeit wegen mittäterschaftlich begangenen versuchten schweren Bandendiebstahls gemäß §§ 244a I, 243 I 2 Nr. 3, 25 II, 22, 23 I StGB scheidet aus.

 

II. Strafbarkeit wegen Verabredung eines schweren Bandendiebstahls gemäß §§ 244a I, 243 I 2 Nr. 3, 30 II StGB

A, B und C haben sich aber wegen Verabredung eines schweren Bandendiebstahls, eines Verbrechens, gemäß §§ 244a I, 243 I 2 Nr. 3, 30 II StGB strafbar gemacht.

 

D. Fazit

Die Anforderungen an das „unmittelbare Ansetzen“ nach § 22 StGB gehören zum strafrechtlichen Kernwissen, die „Klingel-Fälle“ zu einer beliebten Prüfungskonstellation – Grund genug, sich den Fall im Besonderen und die Voraussetzungen des Versuchs im Allgemeinen (erneut) intensiv anzuschauen. Dazu dienen auch die von uns vorgestellten “Klassiker” zum Versuchsbeginn (“Tankstellen-Fall”, “Klingeln an der Wohnungstür”, “Pfeffertüten-Fall”, “Bärwurz-Fall”).

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