A. Sachverhalt
Die Polizeibehörde B setzte in den Jahren 2009 bis 2012 gemäß § 12 HmbPolDVG eine Hamburger Polizeibeamtin mit der Legende „M. B.“ als verdeckte Ermittlerin in der linksalternativen Szene, in der sich im streitigen Zeitraum auch der K bewegte, ein. Nach Angaben des K lernte er die Beamtin 2009 kennen und es entwickelte sich eine Freundschaft zwischen beiden, im Rahmen derer es auch zu intimen Kontakten und an einem Wochenende Ende 2010/Anfang 2011 zu Geschlechtsverkehr gekommen sein soll.
K erhebt form- und fristgerecht Klage vor dem zuständigen Verwaltungsgericht und beantragt festzustellen, dass 1. der Einsatz der verdeckten Ermittlerin in den Jahren 2009 bis 2012 rechtswidrig war sowie 2. dass der intime Kontakt/Geschlechtsverkehr zu ihm im Zeitraum von 2010 bis 2011 rechtswidrig war.
Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, die Frage, ob die Beamtin berechtigt gewesen sei, intimen Kontakt zu ihm aufzubauen und zu unterhalten und auf diesem Wege personenbezogene Daten über ihn zu erlangen, stelle ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis dar. Er habe ein Feststellungsinteresse, da seine Grundrechte schwerwiegend verletzt worden seien. Die Klage sei begründet, da der Einsatz der Beamtin nicht rechtmäßig gewesen sei. § 12 HmbPolDVG, auf den sich die B stütze, sei verfassungswidrig. Außerdem bedürften eingriffsintensive Maßnahmen, bei denen damit zu rechnen sei, dass sie auch höchst private Informationen erfassten und gegenüber den Betroffenen heimlich durchgeführt würden, grundsätzlich einer richterlichen Anordnung, die Vorschrift sehe jedoch - außer bei Gefahr im Verzug - lediglich die Zustimmung der Staatsanwaltschaft vor.
Mit Schriftsatz vom 24. Januar 2017 erkennt die B unter Hinweis auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 20. April 2016 (1 BvR 966/09 und 1 BvR 1140/09) an, dass der Einsatz der verdeckt unter der Legende „M. B. “ eingesetzten Hamburger Polizeibeamtin in den Jahren 2009 bis 2012 rechtswidrig war.
Daraufhin teilt K mit, er schließe sich dem Anerkenntnis zum Klageantrag zu 1. an und halte an dem Klageantrag zu 2. weiterhin vollumfänglich fest.
Ist der Antrag zu 2. zulässig?
B. Die Entscheidung des OVG Hamburg (Beschl. v. 8.6.2018 – 4 Bf 103/17.Z)
K begehrt die Feststellung dass der intime Kontakt/Geschlechtsverkehr der verdeckten Ermittlerin zu ihm im Zeitraum von 2010 bis 2011 rechtswidrig war.
Statthafte Klageart ist damit eine Feststellungsklage nach § 43 I VwGO. Fraglich ist, ob dem Feststellungsantrag ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis im Sinne von § 43 I VwGO zugrunde liegt.
Zunächst definiert das OVG den Begriff des Rechtsverhältnisses im Sinne von § 43 I VwGO:
„Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind unter einem feststellungsfähigen Rechtsverhältnis die rechtlichen Beziehungen zu verstehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis von (natürlichen oder juristischen) Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben. Gegenstand der Feststellungsklage muss ein streitiges konkretes Rechtsverhältnis sein, d.h. es muss in Anwendung einer Rechtsnorm auf einen bestimmten bereits überschaubaren Sachverhalt streitig sein. Unabhängig von der Frage der Konkretisierung des Rechtsverhältnisses setzt ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis voraus, dass zwischen den Parteien dieses Rechtsverhältnisses ein Meinungsstreit besteht, aus dem heraus sich eine Seite berühmt, ein bestimmtes Tun oder Unterlassen der anderen Seite verlangen zu können. Es müssen sich also aus dieser Rechtsbeziehung heraus bestimmte Rechtsfolgen ergeben können, was wiederum die Anwendung von bestimmten Normen auf den konkreten Sachverhalt voraussetzt. Daran fehlt es, wenn nur abstrakte Rechtsfragen zur Entscheidung gestellt werden. Auch bloße Vorfragen oder unselbstständige Elemente eines Rechtsverhältnisses können nicht Gegenstand einer Feststellungsklage sein (BVerwG, Urt. v. 28.1.2010, 8 C 19.09, BVerwGE 136, 54, juris Rn. 24 m.w.N.).“
K meint, seinem Antrag liege ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis zu Grunde. Dieses Rechtsverhältnis sei zum einen aus tatsächlichen Gründen streitig, da die B die vorgetragenen Tatsachen teilweise bestritten habe. Es handele sich hier auch um ein „eigenes Rechtsverhältnis“, wobei stets gesondert festzustellen sei, ob der Kernbereich privater Lebensgestaltung gemäß Art. 1 I GG i.V.m. Art. 2 I GG betroffen sei. Die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Einsatzes umfasse nicht das Gesamtverhalten der verdeckten Ermittlerin. Er begehre vielmehr nur die Feststellung eines bestimmten selbstständigen Rechtsverhältnisses auf Grundlage eines bestimmten Verwaltungsakts, welches die Grenzen des Einsatzes unabhängig von seiner hier verfassungswidrigen Rechtsgrundlage überschreite.
Dieser Argumentation widerspricht der Senat. Das Bestehen eines sexuellen Kontakts sei keine rechtliche, sondern eine soziale Beziehung:
„Ein solcher sexueller Kontakt würde, wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, für sich genommen eine soziale, und keine rechtliche Beziehung darstellen. Es geht nicht um die Anwendung einer Rechtsnorm auf einen Sachverhalt oder um eine Rechtsbeziehung, aus der sich bestimmte Rechtsfolgen ergeben. Intime Kontakte zu und einvernehmlicher Geschlechtsverkehr mit einer verdeckten Ermittlerin können - sieht man einmal von sexualstrafrechtlichen Bewertungen ab - auch für sich genommen nicht rechtmäßig oder rechtswidrig sein.“
Man könnte den Antrag indes auch so verstehen, dass K die Feststellung begehrt, dass die Ermittlerin nicht befugt gewesen sei, den Geschlechtsverkehr mit K zu vollziehen. Doch auch dann sei der Antrag unzulässig. Dies sei – nach Anerkenntnis der B – nicht mehr streitig:
„Das Verwaltungsgericht hat insofern ausgeführt, der Antrag wäre auch bei dieser Auslegung unzulässig, da infolge des Anerkenntnisses der Beklagten zwischen den Beteiligten nicht mehr streitig sei, dass der gesamte Einsatz und damit auch das Gesamtverhalten der verdeckten Ermittlerin nicht durch eine (verfassungsgemäße) Rechtsnorm gedeckt gewesen sei und die Beamtin demzufolge auch nicht zur Aufnahme intimer Kontakte befugt gewesen sei. Damit stehe fest, dass sich die Beamtin, soweit der intime Kontakt bzw. der Geschlechtsverkehr mit dem Kläger im Rahmen ihrer dienstlichen Tätigkeit erfolgt wäre, rechtswidrig verhalten hätte. Ob ihm insoweit das berechtigte Interesse im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO oder aber das allgemeine Rechtsschutzinteresse abzusprechen wäre, könne dabei offenbleiben.
Der rechtliche Ansatz des Verwaltungsgerichts ist zutreffend. Die Beklagte hat die Rechtswidrigkeit des gesamten Einsatzes anerkannt, weil es dafür an einer verfassungsgemäßen Ermächtigungsgrundlage fehlte. Dies bedeutet zwangsläufig, dass auch konkrete Handlungen im Rahmen dieses Einsatzes, sofern sie denn Teil des Einsatzes und nicht privater Art gleichsam bei Gelegenheit des Einsatzes gewesen sind, als rechtswidrig anzusehen sind, weil sie nicht von einer Ermächtigungsgrundlage gedeckt waren und den Kläger insofern in seinen (Grund-)Rechten verletzten. Sofern man davon ausginge, dass die - vom Kläger behauptete - Aufnahme intimen Kontakts bzw. die Durchführung des Geschlechtsverkehrs Teil des Einsatzes gewesen ist, würde sich die anerkannte Rechtswidrigkeit dieses Einsatzes mithin auch auf diese Handlungen erstrecken, ohne dass es in diesem Zusammenhang darauf ankäme, ob es sich bei diesen Handlungen isoliert betrachtet um feststellungsfähige Rechtsverhältnisse handelt. Da das Verwaltungsgericht die Zulässigkeit der Klage bereits deshalb verneint hat, sind dessen weitere Ausführungen zum Feststellungsinteresse - etwa wegen eines in Betracht gezogenen Amtshaftungsanspruchs - nicht entscheidungstragend, sodass dahinstehen kann, ob insoweit ein Feststellungsinteresse anzuerkennen wäre.“
Schließlich verhelfe auch die Berufung auf **Art. 19 IV GG**dem Klageantrag nicht zum Erfolg:
„Art. 19 Abs. 4 GG enthält ein Grundrecht auf effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (BVerfG, Beschl. v. 5.12.2001, 2 BvR 527/99, 2 BvR 1337/00, 2 BvR 1777/00, BVerfGE 104, 220, juris Rn. 33). Das Berufungsgericht übersieht nicht, dass der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Urteil vom 27. Januar 2012, in dem es um die Feststellung der Rechtmäßigkeit u.a. eines mehrstündigen Festhaltens in einem Polizeibus, ohne transportiert zu werden, im Rahmen einer Ingewahrsamnahme, deren Rechtswidrigkeit bereits vom Landgericht festgestellt worden war, ging, entschieden hat, dass dem Rechtsschutzbedürfnis des dortigen Klägers durch die landgerichtliche Entscheidung nicht genüge getan sei; er habe Art und Weise des Gewahrsams zu einem eigenen Streitgegenstand gemacht (10 B 08.2849, BayVBl 2012, 657, juris 31, 32). Hiermit ist der Streitfall nicht vergleichbar. Das landgerichtliche Urteil im Fall des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs wurde damit begründet, dass die vorläufige Festnahme des dortigen Klägers zwar zu Recht erfolgt sei, dass jedoch das Unverzüglichkeitsgebot verletzt worden sei, weil die Polizei nicht umgehend eine richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung herbeigeführt habe (VGH München, a.a.O., juris Rn. 3). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat dann zwischen der Ingewahrsamnahme und deren Vollzug unterschieden (VGH München, a.a.O., juris Rn. 32). Im Streitfall war die Maßnahme demgegenüber nicht ursprünglich rechtmäßig und wurde erst ab einem bestimmten Zeitpunkt wegen eines formellen Mangels rechtswidrig, was ggf. Raum für die Feststellung der Rechtmäßigkeit weiterer polizeilicher (Zwangs-)Maßnahmen im Rahmen des Vollzugs der Maßnahme ließe, vielmehr war der gesamte Einsatz der verdeckten Ermittlerin materiell rechtswidrig, weil es für ihn keine verfassungsgemäße Ermächtigungsgrundlage gab, was zwangsläufig die Rechtswidrigkeit eines (etwaigen) von der Beamtin zu Ermittlungszwecken initiierten und damit sich möglicherweise innerhalb eines Rechtsverhältnisses abspielenden intimen Kontaktes bzw. Geschlechtsverkehrs mit dem Kläger zur Folge hat. Dass, wie der Kläger unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urt. v. 20.4.2016, 1 BvR 966/09 und 1 BvR 1140/09, BVerfGE 141, 222, juris) betont, der Kernbereich privater Lebensgestaltung gegenüber allen Überwachungsmaßnahmen Beachtung beansprucht, ist unbestritten.
Wenn der Einsatz der verdeckten Ermittlerin insgesamt als rechtswidrig anerkannt wurde, erstreckt sich dies auch zwangsläufig auf die Rechtmäßigkeit der Datenerhebung bzw. etwaiger Datenverarbeitung. Sofern der Kläger dahin zu verstehen sein sollte, dass an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts ernstliche Zweifel bestehen, weil wegen der Rechtswidrigkeit der Maßnahme Daten in unzulässiger Weise erhoben worden seien, greift dies mithin nicht.“
Damit ist der Antrag zu 2. unzulässig.
C. Fazit
Ein bemerkenswerter Sachverhalt, der insbesondere Referendarinnen und Referendare dazu einlädt, sich mit der Zulässigkeit der verwaltungsprozessualen Feststellungsklage intensiver zu befassen.
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