Duveneck/Leibl

A. Sachverhalt

Der Kläger verlangt von dem Beklagten mit der im Juli 1985 eingereichten Klage in erster Linie Herausgabe des Ölgemäldes “Bildnis eines jungen Mannes”. Am 19. März 1984 verkaufte der Kläger das ihm gehörende Bild zum Preis von 6.000 DM an den Beklagten. Eine Quittung vom selben Tage enthält die Erklärung des Klägers, das “Ölbild Männerkopf von Frank Duveneck” sei “von Dr. v. So. i. Neuen Pinakothek als eindeutiges Original von Frank Duveneck begutachtet” worden. Das Bild wurde dem Beklagten übergeben, der Kaufpreis gezahlt. Der Beklagte ließ das Gemälde im August 1984 von dem Konservator Dr. R. untersuchen, der es dem Maler Wilhelm Leibl zuschrieb. Der Beklagte veräußerte das Bild nach seiner Darstellung am 2. August 1984 zusammen mit einer Vielzahl anderer Kunstgegenstände und Antiquitäten an eine Galerie Am. GmbH in Mü. zu einem Gesamtpreis von 6.220.000 DM; hiervon entfielen 25.000 DM auf das streitgegenständliche Gemälde, das in einer “Liste zum Kaufvertrag vom 2.8.1984” bezeichnet wurde als “Frank Duveneck (1848-1919) zugeschrieben (Wilhelm Leibl oder Leibl-Umkreis?)”.

Am 19. Juni 1985 entdeckte der Kläger das Bild in einer Ausstellung der Städtischen Galerie Ro. über Wilhelm Leibl und dessen Malerkreis. Es war dort als Werk von Wilhelm Leibl ausgestellt. Mit Anwaltsschreiben vom 26. Juni 1985 ließ der Kläger den Kaufvertrag und die Übereignungserklärung vom 19. März 1984 wegen Irrtums anfechten und Rückgabe des Bildes Zug um Zug gegen Rückzahlung der bezahlten 6.000 DM verlangen. Der Beklagte verweigerte dies.  

B. Worum geht es?

Der klagende Verkäufer hat sich über den Urheber des verkauften Bildes geirrt. Zwar begründe eine Fehlvorstellung über den Wert der Kaufsache keinen Irrtum im Sinne von § 119 II BGB, der Irrtum über die Urheberschaft hingegen schon:

„In der Urheberschaft des Gemäldes ist eine verkehrswesentliche Eigenschaft zu sehen (Senatsurteil BGHZ 63, 369, 371 m.Nachw.). Auch hier ändert daran nichts, daß ein Bild von Duveneck nach dem Vortrag des Beklagten ebensoviel wert sein kann wie ein solches von Leibl. Dies trifft sich mit der zitierten Auffassung des Reichsgerichts (RGZ 135, 339, 342 f), daß ein Fehler des Bildes im Sinne des Gesetzes selbst dann gegeben sein kann, wenn der wahre Schöpfer des Bildes noch höher geschätzt wird als der Künstler, dem es die Vertragsparteien zugeschrieben haben.
bb) Zu Unrecht meint die Revision, das Anfechtungsrecht des Klägers sei deshalb ausgeschlossen, weil er durch die angefochtene Erklärung wirtschaftlich keinen Nachteil erlitten habe (dazu z.B. RGZ 128, 116, 121; Palandt/Heinrichs, BGB, 47. Aufl., § 119 Anm. 8). Dies gilt zwar für den Regelfall (Soergel/Hefermehl a.a.O. § 119 Rdn. 67) und dient als Anhaltspunkt (Staudinger/Dilcher a.a.O. § 119 Rdn. 74) für die Abgrenzung zwischen einem beachtlichen Irrtum und bloßem “Eigensinn, subjektiven Launen und törichten Anschauungen” (RGZ 62, 201, 206), bei denen “bei verständiger Würdigung des Falles” (§ 119 Abs. 1 BGB) ein Einfluß des Irrtums auf die Abgabe der Erklärung zu verneinen ist. Bei Verkauf von Kunstgegenständen ist hingegen der wirtschaftliche Wert nicht allein ausschlaggebend. Wenn das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang ausgeführt hat, in Mü. - und gemeint ist offenbar: auch für den Kläger, wie dessen Vorgehen und auch die Zeugenaussage seiner Ehefrau zeigen - komme einem Bild von Leibl auch unabhängig von dem reinen Geldeswert höhere Wertschätzung als einem Gemälde Duvenecks zu, so kann dies nicht als rechtsfehlerhaft beanstandet werden.“

Damit stand dem Verkäufer grundsätzlich ein Anfechtungsgrund zu, das sich ggf. sowohl auf die dingliche Einigung nach § 929 S. 1 BGB als auch auf den schuldrechtlichen Kaufvertrag (Trennungsprinzip!) bezog. Allerdings könnte sich aus der „falschen“ Urheberschaft zugleich ein Sachmangel ergeben und entsprechende Mängelgewährleistungsansprüche auslösen. Der BGH hatte nun die Frage zu klären:

„Schließen die Vorschriften über die Mängelgewährleistungsansprüche eine Anfechtung des Verkäufers nach § 119 II BGB aus?“

 

C. Wie hat der Bundesgerichtshof entschieden?

Der BGH bejaht im Fall „Duveneck/Leibl“ (Urt. v. 8.6.1988 – VIII ZR 135/87 (NJW 1988, S. 2597 ff.)) ein Anfechtungsrecht des klagenden Verkäufers. Der beklagte Käufer sei nach wirksamer Anfechtung des Kaufvertrages durch den Kläger grundsätzlich verpflichtet, das von diesem erlangte Bild nach § 812 I 1 Var. 1 BGB zurückzugeben.

Der BGH führt aus, dass bei der Frage der Konkurrenz zwischen den Vorschriften über die Anfechtung (§§ 119 ff., 142 ff. BGB) und denjenigen über die Mängelgewährleistungsrechts (heute: § 437 BGB) zwischen der Anfechtung durch den Käufer und der Anfechtung durch den Verkäufer (des hiesigen Klägers) zu unterscheiden sei. Während die kaufrechtlichen Gewährleistungsvorschriften die Anfechtung des Käufers wegen eines Irrtums über solche mängelbegründende Eigenschaften der Kaufsache ausschlössen, bestehe bei der Anfechtung des Verkäufers keine „Konkurrenz“:

„Zwar schließen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die kaufrechtlichen Gewährleistungsvorschriften die Anfechtung des Käufers wegen eines Irrtums über solche Eigenschaften der Kaufsache aus, die Gewährleistungsansprüche begründen können (Urteile vom 26. Oktober 1978 - VII ZR 202/76 = WM 1979, 54 unter I 2 a m.Nachw., insoweit in BGHZ 72, 252 nicht abgedruckt, und BGHZ 78, 216, 218). Dagegen kann von einer “Konkurrenz” zwischen den Sachmängelansprüchen und einem Anfechtungsrecht des Verkäufers gemäß § 119 Abs. 2 BGB keine Rede sein, weil dem Verkäufer Gewährleistungsrechte nie zustehen (z.B. Esser/Weyers, Schuldrecht Besonderer Teil, 6. Aufl., § 6 I 4 S. 61; Staudinger/Dilcher, BGB, 12. Aufl., § 119 Rdn. 66; anders zu Unrecht Feldmann, Kann der Verkäufer den Kaufvertrag wegen Irrtums anfechten?, Diss., Jena 1937, S. 47 ff für den Zeitpunkt nach Gefahrübergang).“

Die Anfechtung des Verkäufers sei aber ausnahmsweise dann ausgeschlossen, wenn er sich damit den Gewährleistungspflichten des Käufers entziehen würde:

„Entgegen einer Mindermeinung (z.B. Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, 15. Bearbeitung, S. 457; vgl. auch Linke, Die Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums nach § 119 Abs. II BGB im Kunst- und Antiquitätenhandel, Diss., Würzburg 1936, S. 28 ff, 30 f) bedeutet dies aber nicht, daß der Verkäufer stets von einem Anfechtungsrecht nach § 119 Abs. 2 BGB Gebrauch machen könnte. Wäre dem so, so könnte sich der Verkäufer, der irrig Mangelfreiheit der Sache annimmt, durch Irrtumsanfechtung unter Inkaufnahme der auf das negative Interesse gerichteten Schadensersatzpflicht nach § 122 BGB von seiner Gewährleistungspflicht befreien. Mit der im Schrifttum ganz überwiegend vertretenen Ansicht ist vielmehr davon auszugehen, daß es dem Verkäufer nach dem Gedanken des Rechtsmißbrauchs verwehrt ist, von dem Anfechtungsrecht Gebrauch zu machen, wenn die Folge wäre, daß er sich gesetzlich angeordneten Zurechnungen, nämlich seiner Gewährleistungspflicht, entzöge (z.B. Esser/Weyers und Staudinger/Dilcher, jeweils aaO; Staudinger/Honsell a.a.O. Vorbem. zu § 459 Rdn. 25; Soergel/Hefermehl, BGB, 12. Aufl., § 119 Rdn. 80; MünchKomm-H.P. Westermann, BGB, § 459 Rdn. 76; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2. Bd., 3. Aufl., § 24, 4 S. 488; für den Fall, daß der Verkäufer sich auf die Grundsätze über die fehlende Geschäftsgrundlage berufen will, vgl. auch bereits Senatsurteil vom 21. April 1971 - VIII ZR 205/69 = WM 1971, 1016 unter I 2 a).“

 

D. Fazit

Die Konkurrenz zwischen § 119 II BGB und §§ 434 ff. BGB ist ein absoluter Klassiker und sollte daher beherrscht werden.