Osho

Osho

A. Sachverhalt

Seit den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts traten in der Bundesrepublik Deutschland vorher unbekannte Gruppierungen in Erscheinung, die alsbald das Interesse der Öffentlichkeit fanden und zumeist als “Sekten”, “Jugendsekten”, “Jugendreligionen”, “Psychosekten”, “Psychogruppen” oder ähnlich bezeichnet wurden. Wegen ihrer nach eigenem Verständnis überwiegend religiös oder weltanschaulich geprägten Zielsetzungen, ihrer inneren Struktur und ihrer Praktiken im Umgang mit Mitgliedern und Anhängern wurden sie schnell Gegenstand kritischer öffentlicher Auseinandersetzung. Vorgeworfen wurde den genannten Gruppen dabei vor allem, dass sie ihre Mitglieder von der Außenwelt abschotteten, insbesondere der eigenen Familie entfremdeten, psychisch manipulierten und finanziell ausbeuteten. Das führe zum Abbruch von Ausbildungen, zu Verstößen gegen arbeits- und sozialrechtliche Vorschriften, zur Abhängigkeit der Mitglieder von der jeweiligen Gruppierung und zu schweren seelischen Schädigungen vor allem jugendlicher Personen.

Das Phänomen dieser Gruppierungen und der hinter ihnen stehenden Bewegungen beschäftigte seit den siebziger Jahren auch die Regierungen in Bund und Ländern, die sich in Antworten auf parlamentarische Anfragen mehrfach zur Problematik dieser Gruppen äußerten und in Broschüren, Presseverlautbarungen und Vorträgen die Öffentlichkeit auch unmittelbar darüber informierten. 1996 beschloss der Deutsche Bundestag, einer Empfehlung seines Petitionsausschusses folgend, die Einsetzung einer Enquete-Kommission “Sogenannte Sekten und Psychogruppen” (vgl. BTDrucks 13/4477). Diese legte 1997 einen Zwischenbericht (vgl. BTDrucks 13/8170) und 1998 ihren Endbericht (vgl. BTDrucks 13/10950) vor. In dessen Vorwort ist unter anderem ausgeführt:

„Die Enquete-Kommission wurde mit Befürchtungen von … Bürgern über die Gefahren von “sogenannten Sekten” ebenso konfrontiert wie mit der Besorgnis vieler Gemeinschaften, als “schadensbringende Sekte” etikettiert und entsprechend behandelt zu werden. Die Kommission … wendet sich … gegen eine pauschale Stigmatisierung solcher Gruppen und lehnt die Verwendung des Begriffs “Sekte” wegen seiner negativen Konnotation ab. Die Ablehnung des Begriffs “Sekte” wird auch durch das Ergebnis der Arbeit der Enquete-Kommission unterstützt, daß nur ein kleiner Teil der Gruppierungen, die bislang unter dem Begriff “Sekte” zusammengefaßt wurden, problematisch sind. Daher wäre eine weitere Verwendung des Sektenbegriffs für alle neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften fahrlässig.

… Unsere Gesellschaft ist von religiösem Pluralismus geprägt. Neben den Gemeinschaften großer Weltreligionen existieren … kleinere Gruppen unterschiedlichster Glaubensausrichtungen. Dieser Sachverhalt allein … veranlaßt den Staat nicht zum Handeln. Vielmehr hat der Staat die Entscheidung eines jeden Einzelnen und sein Bekenntnis zu dem von ihm gewählten Glauben zu respektieren. Aber: Wo Gesetze verletzt werden, wo gegen Grundrechte verstoßen wird, wo gar unter dem Deckmantel der Religiosität strafbare Handlungen begangen werden, kann der Staat nicht untätig bleiben.

Unterhalb dieser Schwelle zwingend notwendiger staatlicher Eingriffe ist der Staat … zu flankierender Hilfe aufgerufen. So wenig er Vorschriften für individuelle Lebensformen geben darf, so sehr kann er seine … Bürger in einer unübersichtlich gewordenen und sich schnell verändernden Welt durch Information und Aufklärung in ihren Entscheidungsfindungen unterstützen (a.a.O., S. 4 f.).“

Im Bericht selbst heißt es:

„Während der Arbeit der Kommission wurde immer deutlicher, daß eine pauschalisierende Herangehensweise, die sich des Begriffs “Sekte” als Oberbegriff für alle Formen neuer … Art von Religiosität und/oder Weltanschauung bedient, der Vielfalt der Phänomene … nicht gerecht werden kann… Die Verwendung des populären, aber nebulösen “Sekten”-Begriffs … kann zu Stigmatisierungseffekten führen. Einer religiösen oder weltanschaulichen Gruppe, die öffentlich als “Sekte” eingeordnet wurde, entstehen angesichts der hohen Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit gegenüber der vermuteten Konfliktträchtigkeit von “Sekten” vielfältige Probleme… (a.a.O., S. 30).“

Speziell für Aufklärungsschriften staatlicher Stellen wird schließlich empfohlen:

„In Anbetracht der … Unschärfe und Mißverständlichkeit des Begriffes der “Sekte” hält es die Enquete-Kommission für wünschenswert, wenn im Rahmen der öffentlichen Auseinandersetzung mit neuen religiösen und ideologischen Gemeinschaften und Psychogruppen auf die … Verwendung des Begriffes “Sekte” verzichtet würde. Insbesondere in Verlautbarungen staatlicher Stellen - sei es in Aufklärungsbroschüren, Urteilen oder Gesetzestexten - sollte … die Bezeichnung … vermieden werden (a.a.O., S. 154 unter 6.2.12).“

Die Beschwerdeführer sind - jeweils in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins des bürgerlichen Rechts - Meditationsvereine der so genannten Shree Rajneesh-, Bhagwan- oder Osho-Bewegung des von seinen Anhängern erst Bhagwan, später Osho genannten indischen Mystikers Rajneesh Chandra Mohan (zu ihm und den Zielen seiner Bewegung vgl. etwa Süss, Osho-Bewegung, in: Klöcker/Tworuschka, Handbuch der Religionen: Kirchen und andere Glaubensgemeinschaften in Deutschland, Abschnitt VIII-8 ).

Im verwaltungsgerichtlichen Ausgangsverfahren verlangten sie von der Bundesrepublik Deutschland die Unterlassung bestimmter Äußerungen über diese Bewegung und die ihr angehörenden Gemeinschaften.

Den Anlass zur Klageerhebung gaben Antworten der Bundesregierung auf drei Kleine Anfragen, die im Deutschen Bundestag gestellt worden waren, ein Bericht der Bundesregierung an den Petitionsausschuss des Bundestags und eine Rede, die der damalige Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit auf einer Tagung der Jungen Union Bayern und einer “Elterninitiative zur Hilfe gegen seelische Abhängigkeit und religiösen Extremismus” gehalten hatte.

In der Antwort vom 27. April 1979 (BTDrucks 8/2790) zum Thema “Neuere Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften (sogenannte Jugendsekten)” wurde neben anderen die “Shree Rajneesh-Bewegung” zu den so genannten neueren Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gezählt. Diese würden, so ließ die Bundesregierung die Fragesteller wissen, mit generalisierenden Begriffen wie “Jugendsekten”, “destruktive religiöse Gruppen” oder “destructive Cults” gekennzeichnet. Die Bundesregierung selbst verwandte für sie die Bezeichnungen “Jugendsekten”, “pseudoreligiöse und Psycho-Gruppen” sowie durchgängig “Sekten” (vgl. a.a.O., insbesondere S. 1 f.).

In ihrem Bericht an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags über “Jugendreligionen in der Bundesrepublik Deutschland” vom Februar 1980, als Band 21 der Reihe: Berichte und Dokumentationen des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit veröffentlicht, wies die Bundesregierung einleitend darauf hin, dass mit “Jugendreligionen” oder “Jugendsekten” sehr verschiedenartige Gruppierungen angesprochen würden (vgl. a.a.O., S. 6). Als eine dieser Gruppierungen wurde die “Gruppe um ‘Bhagwan’ (d.h. Gott) Shree Rajneesh” vorgestellt und zu den “Psychobewegungen” gerechnet (vgl. a.a.O., S. 10 f.).

In der Antwort, welche die Bundesregierung unter dem 23. August 1982 auf eine Kleine Anfrage zum Thema “Sogenannte neue Jugendsekten” erteilte (BTDrucks 9/1932), wurde die “Bhagwan-Shree-Rajneesh-Bewegung” im Zusammenhang mit der Frage nach der Mitgliederstruktur der “sogenannten neuen Jugendsekten” genannt (vgl. a.a.O., S. 6 f.). In der Vorbemerkung zu der Antwort wurde darüber hinaus von “sogenannten Psychosekten”, in der Antwort selbst durchweg von “Jugendreligionen” gesprochen (vgl. a.a.O., S. 1 ff.).

Die Antwort vom 10. Oktober 1984 auf eine weitere Kleine Anfrage betraf “Wirtschaftliche Aktivitäten von destruktiven Jugendreligionen und Psychosekten” (BTDrucks 10/2094). Entsprechend dieser Themenbeschreibung wurden in der Antwort überwiegend die Begriffe “Jugendreligionen” und “Psychosekten” verwendet (vgl. a.a.O., vor allem S. 1 f.). Zu Frage 6 wurde ausgeführt, es erscheine schwer erreichbar, Regelungen des materiellen Arbeitsrechts bei Vereinigungen zur Geltung zu bringen, “deren Mitglieder weitgehend unter Ausschluß der Öffentlichkeit in ihrem Verhalten manipuliert werden” (vgl. a.a.O., S. 4). Die Bhagwan-Bewegung wurde dabei nicht ausdrücklich genannt. Sie war jedoch Gegenstand der Antworten zu den Fragen 16 bis 19 (vgl. a.a.O., S. 7).

In der Rede, die der Bundesminister am 8. Dezember 1984 auf der genannten Tagung zu dem Thema “Neue Jugendreligionen - Die Freiheit des einzelnen schützen” hielt und die in der Broschüre Sauter/Ach/Sackmann/Schuster, JUGENDSEKTEN - Die Freiheit des einzelnen schützen, 1985, S. 11 ff., veröffentlicht ist, wurden mit Bezug auf die behandelten Gruppen die Begriffe “Jugendreligion”, “Jugendsekte”, “Sekte”, “destruktive religiöse Kulte”, “Pseudoheilslehren” und “Pseudoreligion” verwendet (vgl. a.a.O., insbesondere S. 14 f., 21). Die Bhagwan-Bewegung wurde in der Rede selbst nicht erwähnt. Nach den tatrichterlichen Feststellungen im Ausgangsverfahren wurde sie jedoch in der anschließenden Diskussion angesprochen.  

B. Worum geht es?

Im Mittelpunkt steht – wie in der Glykol-Entscheidung – die Frage nach Grundlage und Grenzen staatlichen Informationshandelns. Vorliegend ist allerdings zu beachten, dass sich die Beschwerdeführer auf das Grundrecht aus Art. 4 I, II GG berufen können:

„Die Beschwerdeführer sind Träger dieses Grundrechts. Dass sie als eingetragene Vereine des bürgerlichen Rechts nach § 21 BGB juristische Personen sind, steht dem nicht entgegen. Gemäß Art. 19 Abs. 3 GG gilt das Grundrecht der Religions- und Weltanschauungsfreiheit auch für inländische juristische Personen, wenn ihr Zweck die Pflege oder Förderung eines religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses ist (vgl. BVerfGE 19, 129 ; 24, 236 ; 99, 100 ). Bei den Beschwerdeführern ist dies nach den tatsächlichen Feststellungen, die das Verwaltungs- und das Oberverwaltungsgericht im Ausgangsverfahren getroffen haben, der Fall. Danach verfolgen die Beschwerdeführer ausweislich ihrer Satzungen jeweils den Zweck, gemeinschaftlich die Lehren des Osho-Rajneesh zu pflegen. Diese bestimmten, wie es das Oberverwaltungsgericht ausgedrückt hat, die Ziele des Menschen, sprächen ihn im Kern seiner Persönlichkeit an und erklärten auf eine umfassende Weise den Sinn der Welt und des menschlichen Lebens. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Oberverwaltungsgericht daraus gefolgert hat, dass es sich bei den Zielen und Inhalten der Osho-Bewegung jedenfalls um eine Weltanschauung im Sinne des Art. 4 Abs. 1 GG handelt.
Dieser Annahme steht nicht entgegen, dass sich die Beschwerdeführer wie die Osho-Bewegung insgesamt auch wirtschaftlich betätigen. Die ideellen Zielsetzungen dieser Bewegung dienen, wie die Tatsachengerichte im Ausgangsverfahren weiter festgestellt haben, den Beschwerdeführern und ihren Anhängern nicht nur als Vorwand für wirtschaftliche Aktivitäten. Die Tätigkeit der Beschwerdeführer sei nicht einmal überwiegend auf Gewinnerzielung gerichtet. Die Verwaltungsgerichte haben den Beschwerdeführern auf der Grundlage dieser Tatsachenfeststellungen den Schutz des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG zu Recht zuerkannt.“

Das BVerfG musste daher entscheiden, welche Grenzen das staatliche Informationshandeln erfährt, wenn es zu mittelbar-faktischen Beeinträchtigungen des Grundrechts aus Art. 4 I, II GG führt, hier im Falle der „Warnung vor einer Sekte“.  

C. Wie hat das BVerfG entschieden?

Das BVerfG hält die Verfassungsbeschwerde im Fall „Osho“ (Beschl. v. 26.6.2002 – 1 BvR 670/91 (BVerfGE 105, 279 ff.)) für teilweise begründet. Im Ergebnis verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei, dass die Bezeichnungen “Sekte”, “Jugendreligion”, “Jugendsekte” und “Psychosekte”, welche die Bundesregierung in der Unterrichtung über die Osho-Bewegung und die ihr angehörenden Gemeinschaften für diese verwendet hat, im Ausgangsverfahren für unbedenklich gehalten worden seien. Dagegen sei der Gebrauch der Attribute “destruktiv” und “pseudoreligiös” sowie der Vorwurf der Manipulation von Mitgliedern dieser Gemeinschaften verfassungswidrig.

Zunächst stellt das BVerfG dar, dass der Staat nach Art. 4 GG verpflichtet sei, sich in religiösen Fragen neutral zu verhalten:

„Das Grundrecht der Religions- und Weltanschauungsfreiheit umfasst neben der Freiheit des Einzelnen zum privaten und öffentlichen Bekenntnis seiner Religion oder Weltanschauung auch die Freiheit, sich mit anderen aus gemeinsamem Glauben oder gemeinsamer weltanschaulicher Überzeugung zusammenzuschließen (vgl. BVerfGE 53, 366 ; 83, 341 ). Die durch den Zusammenschluss gebildete Vereinigung selbst genießt das Recht zu religiöser oder weltanschaulicher Betätigung, zur Verkündigung des Glaubens, zur Verbreitung der Weltanschauung sowie zur Pflege und Förderung des jeweiligen Bekenntnisses (vgl. BVerfGE 19, 129 ; 24, 236 ; 53, 366 ). Geschützt sind auch die Freiheit, für den eigenen Glauben und die eigene Überzeugung zu werben, und das Recht, andere von deren Religion oder Weltanschauung abzuwerben (vgl. BVerfGE 12, 1 ; 24, 236 ).

Bedeutung und Tragweite dieser Gewährleistungen finden darin ihren besonderen Ausdruck, dass der Staat nach Art. 4 Abs. 1 GG, aber auch gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 1, Art. 33 Abs. 3 und Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Abs. 1, 4 und Art. 137 Abs. 1 WRV verpflichtet ist, sich in Fragen des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses neutral zu verhalten und nicht seinerseits den religiösen Frieden in der Gesellschaft zu gefährden (vgl. BVerfGE 19, 206 ; 93, 1 ; 102, 370 ).“

Daraus folge, dass Art. 4 I GG gegen diffamierende, diskriminierende oder verfälschende Darstellungen einer religiösen oder weltanschaulichen Gemeinschaft schütze. Der Staat und seine Organe seien aber nicht gehalten, sich mit derartigen Fragen überhaupt nicht zu befassen:

„Auch der neutrale Staat ist nicht gehindert, das tatsächliche Verhalten einer religiösen oder weltanschaulichen Gruppierung oder das ihrer Mitglieder nach weltlichen Kriterien zu beurteilen, selbst wenn dieses Verhalten letztlich religiös motiviert ist (vgl. BVerfGE 102, 370 ).
Ebenso ist den staatlichen Verantwortungsträgern die Information des Parlaments, der Öffentlichkeit oder interessierter Bürgerinnen und Bürger über religiöse und weltanschauliche Gruppen und ihre Tätigkeit nicht schon von vornherein verwehrt. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG schützt nicht dagegen, dass sich staatliche Organe mit den Trägern des Grundrechts öffentlich - auch kritisch - auseinander setzen. Nur die Regelung genuin religiöser oder weltanschaulicher Fragen, nur die parteiergreifende Einmischung in die Überzeugungen, die Handlungen und in die Darstellung Einzelner oder religiöser und weltanschaulicher Gemeinschaften sind dem Staat untersagt (vgl. BVerfGE 93, 1 ; 102, 370 ). Weder dürfen von ihm bestimmte Bekenntnisse - etwa durch Identifikation mit ihnen - privilegiert noch andere um ihres Bekenntnisinhalts willen - beispielsweise durch Ausgrenzung - benachteiligt werden. In einem Staat, in dem Anhänger unterschiedlicher religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen zusammenleben, kann die friedliche Koexistenz nur gelingen, wenn der Staat selbst in Glaubens- und Weltanschauungsfragen Neutralität bewahrt (vgl. BVerfGE 93, 1 m.w.N.). Er hat sich deshalb im Umgang mit Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften besondere Zurückhaltung aufzuerlegen, deren konkretes Maß sich nach den Umständen des Einzelfalles bestimmt.“

Nicht mehr in dem verfassungsrechtlich gebotenen Sinne neutral sei die Verwendung der Attribute “destruktiv” und “pseudoreligiös”, mit denen die der Osho-Bewegung angehörenden Gemeinschaften versehen wurden. Auch der Vorwurf, deren Mitglieder würden von der jeweiligen Gemeinschaft - weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit – manipuliert, verletze das Neutralitätsgebot:  

„(1) Wie schon das Verwaltungsgericht in seinem insoweit nicht angegriffenen Urteil nachvollziehbar angenommen hat, liegt der diffamierende Charakter der Attribute “destruktiv” und “pseudoreligiös” offen zu Tage. Es hat dazu weiterhin festgestellt, dass die Qualifizierung der Osho-Bewegung und der ihr zugehörigen Gruppen als destruktiv sich nicht auf einzelne als gefährlich eingeschätzte Folgerungen aus der Mitgliedschaft in solchen Gemeinschaften beziehe, sondern dass die genannte Bewegung durch diese Bezeichnung pauschal abgewertet werde und auch die Verwendung des Ausdrucks “pseudoreligiös” die Inhalte der Osho-Bewegung diffamiere und einen darüber hinausgehenden Sinngehalt nicht aufweise. Auch das Oberverwaltungsgericht hat in den genannten Attributen eine abwertende Beurteilung der Osho-Bewegung gesehen. Dass es sie für gerechtfertigt hält, ändert nichts daran, dass damit die in der Auseinandersetzung mit religiösen und weltanschaulichen Gemeinschaften gebotene Neutralität und Zurückhaltung nicht mehr gewahrt wurden.

 
(2) Das Gleiche trifft für den im Ausgangsverfahren festgestellten Vorwurf der Bundesregierung zu, Mitglieder der Osho-Bewegung und ihrer Gemeinschaften würden weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit manipuliert. Nach der Deutung durch das Verwaltungsgericht ist diese - von ihm als negativ gekennzeichnete - Aussage nicht auf bestimmte Tätigkeiten der Bewegung, etwa im Bereich des Arbeits- und Tarifrechts, sondern auf die ihr angehörenden Vereinigungen in ihrer Gesamtheit bezogen. Es habe zum Ausdruck gebracht werden sollen, die Osho-Bewegung wirke insgesamt auf ihre Mitglieder mit unlauteren Methoden ein. Das Oberverwaltungsgericht hat die Würdigung der Äußerung als generelle Aussage geteilt und auch eine stark abwertende Bedeutung des Begriffs “Manipulation” nicht in Abrede gestellt (vgl. KirchE 28, S. 106 ). Von Verfassungs wegen begegnet diese Einschätzung keinen Bedenken.
Mit den Begriffen “Manipulation” und “Manipulieren” wird nicht nur entsprechend dem allgemeinen Sprachgebrauch die Vorstellung einer Beeinflussung von Menschen durch andere verbunden. Durch den Gebrauch dieser Wörter wird vielmehr auch der Gedanke des Lenkens und Steuerns von Menschen ohne oder gegen ihren Willen, ihrer Benutzung als Objekt und des Sichverschaffens von Vorteilen auf betrügerische oder scheinlegale Weise zum Ausdruck gebracht (vgl. die Stichworte “Manipulation” und “manipulieren” in: Brockhaus-Enzyklopädie, 19. Aufl., Bd. 27, 1995, S. 2191; Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 3. Aufl., Bd. 6, 1999, S. 2505 f.; Duden, Das große Fremdwörterbuch, 2. Aufl. 2000, S. 837). Damit ist die Grenze einer zurückhaltend-neutralen Bewertung religiös-weltanschaulicher Vorgänge und Verhaltensweisen jedenfalls dann überschritten, wenn dies - wie hier - nicht auf konkrete Tatsachen gestützt wird.“

Bei diesen Äußerungen handele es sich um mittelbar-faktische Grundrechtseingriffe:

„Die Verwendung der Attribute “destruktiv” und “pseudoreligiös” und die Erhebung des Vorwurfs der Mitgliedermanipulation beeinträchtigen danach das durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG garantierte Recht der Beschwerdeführer auf eine in religiös-weltanschaulicher Hinsicht neutral und zurückhaltend erfolgende Behandlung. Die Merkmale eines Grundrechtseingriffs im herkömmlichen Sinne werden damit allerdings nicht erfüllt. Danach wird unter einem Grundrechtseingriff im Allgemeinen ein rechtsförmiger Vorgang verstanden, der unmittelbar und gezielt (final) durch ein vom Staat verfügtes, erforderlichenfalls zwangsweise durchzusetzendes Ge- oder Verbot, also imperativ, zu einer Verkürzung grundrechtlicher Freiheiten führt. Keines dieser Merkmale liegt bei den Äußerungen vor, die hier zu beurteilen sind.

Die Kennzeichnung der Osho-Bewegung und der ihr zugehörigen Gemeinschaften als “destruktiv” und “pseudoreligiös” und die Behauptung, diese Gemeinschaften manipulierten - weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit - ihre Mitglieder, erfolgten nicht rechtsförmig, sondern waren in Parlamentsantworten enthalten und außerhalb des Parlaments Gegenstand von Rede- und Diskussionsbeiträgen. Sie waren auch nicht unmittelbar an die Organisationen der Osho-Bewegung und ihre Mitglieder adressiert, sondern wollten Parlament und Öffentlichkeit über die Gruppen dieser Bewegung, ihre Ziele und Aktivitäten unterrichten. Weiter war es nicht Zweck der Äußerungen, den angesprochenen Gemeinschaften und ihren Anhängern Nachteile zuzufügen; beabsichtigt war vielmehr nur, Parlament, Öffentlichkeit und hier vor allem den interessierten und betroffenen Bürgerinnen und Bürgern die Risiken aufzuzeigen, die nach Auffassung der Bundesregierung mit der Mitgliedschaft in einer der Osho-Bewegung angehörenden Gruppierung verbunden sein konnten. Nachteilige Rückwirkungen auf die einzelne Gemeinschaft wurden allerdings in Kauf genommen. Sofern sie eintraten, beruhten sie aber nicht auf einem erforderlichenfalls zwangsweise durchsetzbaren staatlichen Ge- oder Verbot, sondern darauf, dass der Einzelne aus der ihm zugegangenen Information Konsequenzen zog und der betreffenden Gruppe fernblieb, aus ihr austrat, auf Angehörige oder andere Personen einwirkte, sich ebenso zu verhalten, oder davon absah, die Gemeinschaft (weiter) finanziell zu unterstützen.

Dies hindert jedoch nicht, Äußerungen der vorliegenden Art an Art. 4 Abs. 1 und 2 GG zu messen. Das Grundgesetz hat den Schutz vor Grundrechtsbeeinträchtigungen nicht an den Begriff des Eingriffs gebunden oder diesen inhaltlich vorgegeben. Die genannten Äußerungen hatten in Bezug auf die Beschwerdeführer eine mittelbar faktische Wirkung. Als Beeinträchtigungen des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG sind aber auch sie von Verfassungs wegen nur dann nicht zu beanstanden, wenn sie sich verfassungsrechtlich hinreichend rechtfertigen lassen.“

Zwar habe die Bundesregierung mit den angegriffenen Äußerungen im Rahmen ihrer Informationskompetenz gehandelt (a). Die Beschwerdeführer seien dadurch jedoch unverhältnismäßig in ihren Grundrechten aus Art. 4 I, II GG beeinträchtigt worden (b).  

a) Informationskompetenz der Bundesregierung

Die Bundesregierung habe Parlament und Öffentlichkeit über die Osho-Bewegung, die ihr angehörenden Gruppierungen sowie deren Ziele und Aktivitäten informieren dürfen. Dabei habe sie sich auf ihre verfassungsunmittelbare Aufgabe der Staatsleitung stützen können, ohne dass es einer zusätzlichen gesetzlichen Ermächtigung bedurft hätte. Das gelte auch dann, wenn mit dem Informationshandeln mittelbar-faktische Grundrechtsbeeinträchtigungen verbunden seien:

„Die Ermächtigung zur Erteilung derartiger Informationen ergibt sich aus der der Bundesregierung zugewiesenen Aufgabe, im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit auch auf aktuelle streitige, die Öffentlichkeit erheblich berührende Fragen einzugehen und damit staatsleitend tätig zu werden. Diese Aufgabe, bei der es um die politische Führung, die verantwortliche Leitung des Ganzen der inneren und äußeren Politik geht und die sich die Bundesregierung mit den anderen dazu berufenen Verfassungsorganen teilt (zur Staatsleitung als Regierungsaufgabe vgl. schon BVerfGE 11, 77 ; 26, 338 ), wird nicht allein mit den Mitteln der Gesetzgebung (zur Staatsleitung durch Gesetz vgl. BVerfGE 70, 324 ) und der richtungweisenden Einwirkung auf den Gesetzesvollzug wahrgenommen. Staatsleitung durch die Bundesregierung wird vielmehr auch im Wege des täglichen Informationshandelns im Wechselspiel insbesondere mit dem Parlament, aber auch mit der interessierten Öffentlichkeit sowie den jeweils betroffenen Bürgerinnen und Bürgern wahrgenommen. …
Die Unterrichtung der Öffentlichkeit über Vorgänge und Entwicklungen, die für den Bürger und das funktionierende Zusammenwirken von Staat und Gesellschaft von Wichtigkeit sind, ist von der der Regierung durch das Grundgesetz zugewiesenen Aufgabe der Staatsleitung auch dann gedeckt, wenn mit dem Informationshandeln mittelbar-faktische Grundrechtsbeeinträchtigungen verbunden sind, wie dies bei den hier in Rede stehenden Äußerungen über die Osho-Bewegung und die ihr angehörenden Gemeinschaften der Fall war. Die Zuweisung einer Aufgabe berechtigt grundsätzlich zur Informationstätigkeit im Rahmen der Wahrnehmung dieser Aufgabe, auch wenn dadurch mittelbar-faktische Beeinträchtigungen herbeigeführt werden können. Der Vorbehalt des Gesetzes verlangt hierfür keine darüber hinausgehende besondere Ermächtigung durch den Gesetzgeber, es sei denn, die Maßnahme stellt sich nach der Zielsetzung und ihren Wirkungen als Ersatz für eine staatliche Maßnahme dar, die als Grundrechtseingriff im herkömmlichen Sinne zu qualifizieren ist. Durch Wahl eines solchen funktionalen Äquivalents eines Eingriffs kann das Erfordernis einer besonderen gesetzlichen Grundlage nicht umgangen werden.“

Zu beachten sei aber die Kompetenzordnung des Grundgesetzes:

„Dass der Vorbehalt des Gesetzes über die Aufgabenzuweisung hinaus keine besondere gesetzliche Ermächtigung der Bundesregierung zum Informationshandeln erfordert, bedeutet allerdings nicht, dass dieser Tätigkeit keine verfassungsrechtlichen Grenzen gesetzt wären. Auch beim Informationshandeln ist die Kompetenzordnung zu beachten. Auf der Ebene des Bundes ergibt sich die Zuständigkeit im Verhältnis zwischen Bundeskanzler, Bundesministern und der Bundesregierung als Kollegium aus Art. 65 GG. Darüber hinaus ist die föderale Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Ländern zu wahren (vgl. BVerfGE 44, 125 ). Dabei hängt die Entscheidung über die Verbandskompetenz davon ab, ob die jeweils zu erfüllende Informationsaufgabe dem Bund oder den Ländern zukommt oder ob parallele Kompetenzen bestehen. …
Mit dieser Ermächtigung der Bundesregierung zum Informationshandeln trifft das Grundgesetz zugleich im Verhältnis zu den Ländern eine andere Regelung im Sinne des Art. 30 GG. Maßgebend für die Kompetenz der Bundesregierung im Bereich des Informationshandelns sind nicht die Art. 83 ff. GG. Die Regierungstätigkeit ist nicht Verwaltung im Verständnis dieser Normen. Zur Ausführung von Gesetzen durch administrative Maßnahmen ist die Bundesregierung im Zuge ihrer Staatsleitung nicht befugt.“

Nach diesen Maßstäben seien die Äußerungen der Bundesregierung unter Kompetenzgesichtspunkten nicht zu beanstanden.  

b) Neutralitätsgebot

Die Bezeichnung der Osho-Bewegung und ihrer einzelnen Gruppen als “destruktiv” und “pseudoreligiös” und der gegen diese gerichtete Vorwurf, ihre Mitglieder würden weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit manipuliert, hielten als das Neutralitätsgebot verletzende Äußerungen der verfassungsgerichtlichen Prüfung indes nicht stand. Sie seien nach den Maßstäben des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht gerechtfertigt gewesen:

„Geht es wie hier um die Bewertung von Vorgängen, die religiöse oder weltanschauliche Gruppen, ihre Ziele und ihre Verhaltensweisen betreffen, müssen Äußerungen, die den Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG beeinträchtigen, danach insbesondere dem Anlass, der sie ausgelöst hat, angemessen sein; in diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, welche belastenden Folgen die mittelbar-faktisch betroffenen Grundrechtsträger nachvollziehbar zum Abwägungsgegenstand machen können. Die Bezeichnung der Osho-Bewegung und ihrer Gruppierungen als “destruktiv” und “pseudoreligiös” und der Vorwurf, diese manipulierten - weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit - ihre Mitglieder, waren unangemessen.

Zwar konnte die Bundesregierung nach den tatsächlichen Feststellungen vor allem des Oberverwaltungsgerichts von der Einschätzung ausgehen, dass insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene weiterhin unter den Einfluss der Osho-Bewegung und ihrer Einzelorganisationen geraten und dadurch für sie, aber auch für ihre Familien und für die Gesellschaft insgesamt Folgen entstehen könnten, die zum damaligen Zeitpunkt weite Kreise der Bevölkerung erheblich beunruhigten. In dieser Lage durch aufklärendes Informationshandeln zur Orientierung der Bürger beizutragen, war legitim.

Es war jedoch nicht gerechtfertigt, die Osho-Bewegung und die ihr angehörenden Gruppen mit den Attributen “destruktiv” und “pseudoreligiös” zu versehen und ihnen vorzuwerfen, sie manipulierten ihre Mitglieder. Diese Attribute und dieser Vorwurf sind für die Beschwerdeführer diffamierend. Es ist auch nachvollziehbar, wenn diese geltend machen, infolge dieser Äußerungen hätten sie schwerwiegende Nachteile zu befürchten, etwa den Verlust vorhandener und das Ausbleiben neuer Mitglieder oder das Unterbleiben finanzieller Unterstützungsleistungen. Hinreichend gewichtige, durch konkrete Tatsachen gestützte Gründe, welche die Äußerungen der Bundesregierung angesichts des Zurückhaltungsgebots trotzdem rechtfertigen könnten, sind von dieser weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Sie lassen sich insbesondere nicht der Situation entnehmen, in der die Bewertungen durch die Bundesregierung vorgenommen wurden. Sowohl in der Rede des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit als auch in den Antworten, welche die Bundesregierung auf die ihr gestellten Anfragen gegenüber dem Bundestag gab, hätten deshalb Ausdrücke und Bezeichnungen, wie sie hier in Rede stehen, vermieden werden müssen. In Anbetracht der Bedeutung des Grundrechts der Weltanschauungsfreiheit und der Neutralitätspflicht des Staates war es überzogen und unangemessen, die genannten Äußerungen über die Osho-Bewegung und Organisationen zu treffen, die sich - wie die Beschwerdeführer - zu dieser Bewegung bekennen.“

 

D. Fazit

Nach der „Glykol-Entscheidung“ eine weitere Grundsatzentscheidung zu den grundgesetzlichen Grenzen staatlichen Informationshandelns.
Du solltest Dir merken, dass das BVerfG bei einer Informationstätigkeit der Regierung, die aufgrund der Reaktionen der Bürger zu mittelbar-faktischen Grundrechtsbeeinträchtigungen führt, die dafür erforderliche Ermächtigung bereits in der Aufgabenzuweisung erblickt. Das Handeln muss sich demnach im Rahmen der Kompetenzordnung des Grundgesetzes halten. Geht es um Informationshandeln, das die Religions- oder Weltanschauungsfreiheit beeinträchtigt, ist – als weitere Grenze – zudem das sich aus Art. 4 I, II GG ergebende Gebot der religiösen und weltanschaulichen Neutralität als besondere Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu beachten.