Sachverhalt (beruht auf einem Gedächtnisprotokoll)
A und B sind Anhänger einer Interessengemeinschaft, die sich kritisch mit staatlicher Überwachung auseinandersetzt.
Am 18.12.17 gehen die beiden auf einen mittelalterlichen Weihnachtsmarkt, der aufgrund der vielen vergangenen Terroranschläge polizeilich bewacht wird. A und B – mit deutlich erkennbaren Ansteckern (Aufschrift „Stoppt die Überwachung! Who watches the watchers“) – laufen über den Weihnachtsmarkt und entdecken den Polizisten P, der nicht nur beobachtet, sondern auch eine Menschenmenge filmt. A und B finden diese Verhalten rechtswidrig. A zeigt deutlich auf P und sagt B, er solle diesen fotografieren. B macht ein Foto mit seiner Kamera und verschwindet in der Menschenmenge.
P hat das Verhalten bemerkt, tritt auf A zu und verlangt von A sich auszuweisen.
Er ist der Meinung, es liegt ein Fall von §§ 22, 23 iVm. § 33 KunstUrhG vor. Er geht davon aus, dass B und auch A das Bild verbreiten werden. P verlangt den Ausweis des A zu sehen. Daraufhin weist A sich aus.
Da A auch in Zukunft vorhat, solche Protestaktionen durchzuführen, klagt er vor dem zuständigen Verwaltungsgericht auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Identitätsfeststellung.
Er ist der Ansicht, P hätte nicht polizeilich handeln dürfen. Nur weil er gem. § 1 PAuswG die Pflicht habe, den Personalausweis stets bei sich zu führen, müsse er ihn nicht vorzeigen. Er ist auch der Meinung, es gab keine Ermächtigungsgrundlage für das Handeln des P.
Schließlich meint A, er oder B hatten nie vor, das Bild zu verbreiten. Selbst, wenn dies so wäre, ist das Foto ein Bildnis der Zeitgeschichte für rechtswidriges polizeiliches Handeln gem. §§ 22, 23 KUrhG.
Hat die Klage des A Erfolg?
Zusatzaufgabe:
Das Land NRW erlässt zur Terrorbekämpfung folgendes Gesetz (TerrorabwehrG):
(sinngemäß)
§ 2 Terrorwarnstufen:
- Grüne Stufe: keine Terrorgefahr
- Gelbe Stufe: mögliche Anhaltspunkte für Terrorgefahr
- Rote Stufe: konkrete Anhaltspunkte für Terrorgefahr
Es kann je nach konkreter Situation zwischen den Stufen gewechselt werden.
§ 5:
Liegt die rote Terrorwarnstufe vor, so können Versammlungen unter freiem Himmel verboten werden.
Zur Begründung des Gesetzes heißt es:
Zum Schutz der Bevölkerung, soll das TerrorabwehrG eingeführt werden. In Großbritannien, wird das TerrorabwehrG bereits angewendet und es lassen sich ausschließlich positive Erfahrungen verzeichnen. Bei einer Terrorgefahr hat die Bevölkerung das Recht auf Informationen über die Medien.
Allerdings ist die genaue Bestimmung, ob ein Terroranschlag bevorsteht sehr schwierig. Es ist davon auszugehen, dass Versammlungen aufgrund großer Menschenmengen für Terroristen „attraktiv“ sind.
A fühlt sich in seinem Grundrecht aus Art. 8 I GG verletzt. Er findet auch in unsicheren Zeiten, solle man an dem überragend wichtigen Recht auf Versammlungsfreiheit festhalten.
Verletzt das TerrorabwehrG den A in seinem Grundrecht aus Art. 8 I GG?
**Bearbeitervermerk:**Formelle Rechtmäßigkeit der Identitätsfeststellung und formelle Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes zur Terrorabwehr sind zu unterstellen.
Auf § 1 I PAuswG wird hingewiesen, andere Vorschriften des PAuswG sind nicht zu berücksichtigen.
Unverbindliche Lösungsskizze
1. Teil: Erfolgsaussichten der Klage des A
A. Zulässigkeit
I. Verwaltungsrechtsweg, § 40 I 1 VwGO
Hier: PolG NRW
II. Statthafte Klageart
-> Fortsetzungsfeststellungsklage**§ 113 I 4 VwGO analog**
Verwaltungsakt, § 35 VwVfG
Hier: Aufforderung, sich auszuweisen (Identitätsfeststellung) = VA, insbesondere auch RegelungswirkungErledigung
Hier: Durch BefolgungZeitpunkt der Erledigung
- Eigentlich: Nach Klageerhebung
- Bei Erledigung vor Klageerhebung: § 113 I 4 VwGO analog; Arg.: Vergleichbarkeit
III. Besondere Sachurteilsvoraussetzungen
Fortsetzungsfeststellungsinteresse, § 113 I 4 VwGO
Hier: zumindest Wiederholungsgefahr§ 42 II VwGO analog
Hier: Art. 2 I GG (i.V.m. Art. 1 I GG)Erfolgloses Vorverfahren, §§ 68 ff. VwGO analog
-Problem: Erforderlichkeit
- aA: (+); Arg.: Sinn und Zweck des Vorverfahrens (Selbstkontrolle)
- hM: (-);Arg.: Sinn und Zweck des Vorverfahrens (Selbstkorrektur)
- (In NRW ohnehin gem. § 110 JustG entbehrlich)
- Klagefrist, § 74 VwGO analog
- Problem: Erforderlichkeit
- aA: (+), und zwar ein Jahr
- hM: (-)
- Klagegegner, § 78 I VwGO analog (+)
IV. Allgemeine Sachurteilsvoraussetzungen (+)
B. Begründetheit
I. Rechtswidrigkeit
- Ermächtigungsgrundlage
a) § 1 I 2 PAuswG
(-); Arg.: regelt nur eine Mitwirkungspflicht des Bürgers, ohne selbst Ermächtigungsgrundlage für die Behörden zu sein
b) § 12 I, II 2 PolG NRW (+)
Formelle Rechtmäßigkeit (+), sachverhaltlich vorgegeben
Materielle Rechtmäßigkeit
a) Voraussetzungen
-> Grund für die Identitätsfeststellung
-> Abwehr einer Gefahr, § 12 I Nr. 1 PolG NRW
-> Gefahr für öffentliche Sicherheit
-> Geschriebenes Recht (§§ 22, 23 KUrhG)
aa) Bildnis
Hier: Foto
bb) Verbreitung
Hier: Verbreitung aufgrund der Zielrichtung hinreichend wahrscheinlich; abweichende Behauptungen des A wohl nur Schutzbehauptungen
cc) Ohne Einwilligung
Hier: Keine Einwilligung des P
dd) Ausnahmen, § 23 KUrhG
-> Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte, § 23 I Nr. 1 KUrhG
-> Bildnis der Zeitgeschichte für rechtswidriges polizeiliches Handeln
-> wohl (-); Arg.: Verhalten des P wohl nicht rechtswidrig, § 15a PolG NRW; Abwägung mit Zielsetzung des P (Terrorbekämpfung); Allgemeines Persönlichkeitsrecht des P, Art. 2 I, 1 I GG
b) Rechtsfolge: Ermessen (+)
II. Ergebnis: (-)
C. Ergebnis: (-)
2. Teil: Verletzung von Art. 8 I GG
I. Schutzbereich
Persönlich
-> Deutschen-Grundrecht, Art. 116 GGSachlich
a) Versammlung (+)
b) Friedlich und ohne Waffen (+)
II. Eingriff
(+); Arg.: zumindest mittelbarer Eingriff durch Verbotsermächtigung
III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
Bestimmung der Schranke
Hier: Einfacher Gesetzesvorbehalt; Arg.: Versammlungen unter freiem Himmel, Art. 8 II GGFormelle Verfassungsmäßigkeit (+), sachverhaltlich vorgegeben
Materielle Verfassungsmäßigkeit
-> Verhältnismäßigkeit
aa) Zulässiger Zweck
Hier: Schutz von Leib und Leben, Art. 2 II GG
bb) Geeignetheit (+)
cc) Erforderlichkeit (+)
dd) Verhältnismäßigkeit i.e.S.
- Art. 8 GG vs. Art. 2 II GG
- Dafür: Menschenmenge „attraktiv“; Schutzpflicht des Staates
- Dagegen: Gefahr zu „abstrakt“; Ausgestaltung als Ermessensnorm ermöglicht gerade ausgewogene Entscheidungen
IV. Ergebnis
-> Keine Verletzung von Art. 8 GG
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