Taubenfüttern

A. Worum geht es?

In diesem Klassiker der Rechtsprechung geht es insbesondere um die Auslegung des Art. 2 I GG, also das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit.

Nach Art. 2 I GG hat jeder das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. Art. 2 I GG schützt somit die „freie Entfaltung der Persönlichkeit“, wobei streitig ist, was damit gemeint ist. Eine enge Auslegung geht davon aus, dass sich der Schutz nur auf den Kernbereich der persönlichen Entfaltung bezieht. Nach der weiten Auffassung schützt Art. 2 I GG die menschliche Handlungsfreiheit im umfassenden Maße.

B. Sachverhalt

Nach § 3 IV der Straßenverordnung und Anlagenverordnung der Stadt M. ist das Füttern von Wildtauben verboten; Verstöße werden mit einem Bußgeld geahndet. Wegen Verstoßes gegen das Taubenfütterungsverbot wird B mit einem Bußgeld belegt und rechtskräftig verurteilt. Dagegen erhebt sie Verfassungsbeschwerde. 

Vor diesem Hintergrund hatte das BVerfG die Frage zu klären: „Genießt das Füttern von Tauben Grundrechtsschutz?“

C. Wie hat das BVerfG entschieden?

Das BVerfG hält die Verfassungsbeschwerde im Fall „Taubenfütterungsverbot“ (Beschl. v. 6.6.1989 - 1 BvR 921/85 (BVerfGE 80, 137 ff.)) zwar im Ergebnis für unbegründet, den Schutzbereich des Art. 2 I GG indes für eröffnet.

Das Grundrecht aus Art. 2 I GG schütze die allgemeine Handlungsfreiheit und schließt auch das Füttern von Tauben ein. Ohne dies ausdrücklich zu begründen, schließt sich das BVerfG damit der weiten Auslegung von Art. 2 I GG an:

„Das Grundrecht des Art 2 Abs 1 GG gewährt zwar die allgemeine Handlungsfreiheit in einem umfassenden Sinne (vgl. BVerfGE 6, 32 [36]), jedoch ist dieses Grundrecht von vornherein nur unter dem Vorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung gewährleistet (BVerfGE 34, 384 [395]). Beschränkungen der allgemeinen Handlungsfreiheit aufgrund von formell und materiell der Verfassung gemäßen Vorschriften verletzen daher Art 2 Abs 1 GG nicht (BVerfGE 34, 369 [378, 379]). Das gilt auch für Landesrecht (vgl. BVerfGE 7, 111 [119]; 41, 88 [116]) und ebenso für Vorschriften ortsrechtlicher Verordnungen, denen die angegriffene Bestimmung zuzurechnen ist. … Die in Art 2 Abs 1 GG gewährleistete Handlungsfreiheit schließt auch das Füttern der Tauben auf Straßen und Anlagen als Äußerungsform von Tierliebe mit ein. Allerdings ist diese Ausformung der Handlungsfreiheit nicht zum absolut geschützten Kern privater Lebensgestaltung zu rechnen, welche der Einwirkung der öffentlichen Gewalt entzogen ist (vgl. BVerfGE 6, 32 [41]; 32, 373 [378 f.]; 35, 35 [39]; 38, 312 [320]). Ist aber der unantastbare Bereich privater Lebensgestaltung nicht beeinträchtigt, muß jedermann als gemeinschaftsbezogener und gemeinschaftsgebundener Bürger staatliche Maßnahmen hinnehmen, die im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebotes erfolgen (BVerfGE 32, 373 [379]; 35, 35 [39]; 38, 312 [321]).“

D. Fazit

Mit dem Beschluss zum Taubenfütterungsverbot schließt sich das BVerfG der weiten Auslegung von Art. 2 I GG an; eine intensive Begründung enthielt der Beschluss dazu indes noch nicht. In einem weiteren Beschluss sollte das BVerfG Gelegenheit erhalten, dies nachzuholen. Darüber berichten wir in der kommenden Woche.