Sachverhalt (beruht auf einem Gedächtnisprotokoll)
E ist Eigentümer eines Grundstücks in der Gemeinde G im Landkreis Rosenheim (Regierungsbezirk Oberbayern). Auf dem Grundstück befindet sich ein Gebäude, in dem der E mit Baugenehmigung aus dem Jahre 1981 eine Jugendherberge für bis zu 40 Gäste betreibt. Die nördliche Wand ist 20 m breit und 8 m hoch. Die Nordwand liegt 4 Meter von der Grundstücksgrenze entfernt. Auf dem nördlichen Nachbargrundstück steht das Mehrfamilienhaus des N. Das Mehrfamilienhaus wurde 1975 genehmigt . Die Südwand ist 19 m breit und 9 hoch und steht ebenfalls 4 m von der Grundstücksgrenze entfernt. Für das betreffende Gebiet gibt es keinen B-Plan. Faktisch entspricht die vorhandene Bebauung einem allgemeinen Wohngebiet.
Ende Juni 2017 beantragt der E bei der zuständigen Behörde eine Baugenehmigung für eine Nutzungsänderung und für eine bauliche Erweiterung. Der E plant die Jugendherberge künftig als Unterkunft für Asylbewerber zu nutzen und an die Gemeinde zu vermieten. Dabei sollen die Schlafräume, Küchen und Toiletten als Gemeinschaftsräume ausgestaltet sein. Das Gebäude soll dazu um 0,5 m auf insgesamt 8,5 m aufgestockt werden.
Am 22. Juni 2017, also vor Einreichung des Bauantrages durch E, hatte der N die Bauunterlagen unterschrieben. Am 07. August 2017 wurde das gemeindliche Einvernehmen erteilt. Zwei Tage später erhalten E und die zuständige Behörde ein Schreiben des N, in dem er seine Unterschrift „widerruft“.
Mit Bescheid vom 24. August 2017 genehmigte die zuständige Behörde das Bauvorhaben. Die Genehmigung wurde am 28. August 2017 auch dem N zugestellt. Im Genehmigungsverfahren hatte der E keine Zulassung von Abweichungen beantragt und auch die Genehmigung enthielt hierzu keine Angaben.
Gegen diesen Bescheid erhebt der N am 24. September 2017 Klage bei dem VG München. Er trägt vor, dass der Betrieb des Asylbewerberwohnheims zu einer Wertminderung seines Grundstücks führen werde. Dies sei im Hinblick auf Art. 14 GG nicht hinnehmbar. Ein Asylbewerberwohnheim habe in einem faktischen allgemeinen Wohngebiet nichts zu suchen. Außerdem seien die Abstandsflächen nicht eingehalten worden. Durch die Erhöhung um 0,5 m werde sein Garten teilweise überschattet. Im Übrigen müsse bei dem Betreib eines Asylbewerberwohnheims auch vermehrt mit Gewalttätigkeiten in der Umgebung gerechnet werden.
Die zuständige Behörde ist der Auffassung, dass man eine Unterschrift nicht so einfach widerrufen könne. Außerdem sei ein Asylbewerberwohnheim eine Wohnnutzung, zumindest aber eine Anlage für soziale Zwecke. Die Gebäudeerhöhung sei hinzunehmen, weil es sich um eine Innenlage handele und der N schließlich selbst auch die Abstandsflächen nicht eingehalten habe. Was etwaige befürchtetet Gewalttätigkeiten angehe, so solle der N sich gegebenenfalls an die Polizei wenden.
Hat die Klage des N Aussicht auf Erfolg?
Bearbeitervermerk:
Legen Sie bei der Bearbeitung, soweit relevant, ihr eigenes Landesrecht zugrunde.
Es ist davon auszugehen, das der Betrieb des Asylbewerberwohnheims keine relevanten Immissionen i.S.d. BImSchG auslöst.
Art. 246 BauGB bleibt außer Betracht.
Unverbindliche Lösungsskizze
A. Zulässigkeit
I. Verwaltungsrechtsweg
Hier: Art. 68 BayBO
II. Statthafte Klageart
Hier: Anfechtungsklage, § 42 I 1. Fall VwGO; Arg.: Baugenehmigung = VA
III. Besondere Sachurteilsvoraussetzungen
Klagebefugnis, § 42 II VwGO
-> Möglicher Verstoß gegen drittschützende Vorschriften (Schutznormtheorie/Gebot der Rücksichtnahme)
Hier: § 34 II BauGB i.V.m. § 15 I 2 BauVNO, § 31 II 2. Hs. BauGB; § 34 I BauGBErfolgloses Vorverfahren, §§ 68 ff. VwGO
(-), **aber:**entbehrlich, Art. 15 BayAG VwGO
Klagefrist, § 74 I VwGO (+)
Klagegegner, § 78 I VwGO
IV. Allgemeine Sachurteilsvoraussetzungen (+)
B. Begründetheit
-> Verstoß gegen drittschützende Vorschriften
I. Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung
Ermächtigungsgrundlage: Art. 68 I 1 BayBO
Formelle Rechtmäßigkeit
a) Zuständigkeit (+)
b) Verfahren
aa) Zulassung von Abweichungen, Art. 63 BayBO
Hier: nicht ausdrücklich geschehen, aber unschädlich
bb) Beteiligung des N, Art. 66 BayBO
Hier: Unterschrift des N erfolgt, aber Widerruf
Aber: Widerruf nicht möglich; Arg: § 130 I 2 BGB analog
c) Form (+)
3. Materielle Rechtmäßigkeit
a) Genehmigungsbedürftigkeit, Art. 55 BayBO
Hier: (Nutzungs-)Änderung
b) Genehmigungsfähigkeit
-> Kein Verstoß gegen ÖR Vorschriften, Art. 68 I 1 BayBO
aa) Bauplanungsrecht
(1) Bauplanungsrechtliche Situation
Hier: Unbeplanter Innenbereich, § 34 BauGB
(2) Zulässige Art der Bebauung
Hier: § 34 II BauGB i.V.m. § 4 BauNVO
(a) Regelbebauung, § 34 II BauGB; § 4 II BauNVO
(aa) Wohngebäude (Nr. 1)
Problem: Asylbewerberwohnheim als Wohngebäude
aA: (-)
hM: Umstände des Einzelfall -> Gewährung einer privaten Rückzugssphäre
Hier: (-); Arg.: Gemeinschaftsunterkunft (Schlafräume, Toiletten, Küche)
(bb) Anlage für soziale Zwecke (Nr. 3)
- Problem: Asylbewerberwohnheim als Anlage für soziale Zwecke
- aA: (+); Arg.: Schaffung von Unterkünften immer sozialer Zweck
- hM (-), wenn Gewinnerzielungsabsicht, also gewerbliche Zwecke im Vordergrund stehen -> Hier: Mietvertrag mit Gemeinde
(b) Ausnahmebebauung, § 34 II BauGB; § 4 III BauNVO
-> Beherbergungsgewerbe (Nr. 1) (-); Arg.: Dauer; Fremdbestimmt
(c) Befreiung, §§ 34 II, 31 II BauGB
-> Erforderlichkeit (Nr. 1) (-); Arg.: keine Anhaltspunkte
(d) Ergebnis: Bauvorhaben der Art nach nicht zulässig (= Verstoß gegen drittschützende Vorschrift, § 31 II 2. Hs. BauGB), aber: wegen Zustimmung ist Berufung hierauf ausgeschlossen
(3) Zulässiges Maß, § 34 I BauGB
-> Vorschriften über Abstandsflächen in BayBO lex specialis
bb) Bauordnungsrecht
Hier: Verstoß gegen drittschützende Abstandsregelungen, Art. 6 BayBO (+); aber: Zustimmung (s.o.); außerdem: N verstößt selbst gegen Abstandsregelungen
cc) Sonstige Vorschriften
(1) Unmittelbarer Verstoß gegen Art. 14 GG
(-); Arg.: Unmittelbarer Rückgriff auf Art. 14 GG nicht möglich/erforderlich, da einfachgesetzliche Regelungen vorrangig anzuwenden
(2) Verstöße gegen StGB durch Asylbewerber
(-); Arg.: Keine ausreichenden Anhaltspunkte; außerdem keine baurechtliche Gefahr
- Ergebnis: (-)
II. Ergebnis: (-)
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