BVerfG: Stellt die Bezeichnung einer Gerichtsverhandlung als "Musikantenstadl" eine Beleidigung dar?

A. Sachverhalt

B ist Rechtsanwalt im Ruhestand. Im Jahr 2014, als er noch beruflich aktiv war, war er Verteidiger eines wegen Unfallflucht Angeklagten, der zunächst vom Amtsgericht P. durch den Strafrichter X verurteilt wurde. In der zweiten Instanz wurde das Verfahren auf Kosten der Staatskasse gemäß § 153 II StPO eingestellt. Da sein Antrag auf Kostenerstattung für dieses Verfahren trotz mehrfacher Mahnungen zwei Monate lang nicht beschieden wurde, wandte B sich an den die Dienstaufsicht innehabenden Präsidenten des Landgerichts. In seinem Schreiben beschwerte er sich über die schleppende Bearbeitung des Kostenfestsetzungsantrags und schilderte sodann ausführlich, warum der Prozess seiner Meinung nach seitens des zuständigen Richters X schlecht geführt worden sei. Unter anderem erklärte er:

„Der Verlauf der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht P. glich dann schon dem, was ich als ,Musikantenstadl‘ bezeichnen möchte. Kein vernünftiges Eigenargument auf Seiten des Richters, aber eine ,Gesamtsicht der Dinge‘. Es wird mir ein ewiges Rätsel bleiben, wie es möglich ist, dass aus nicht einem einzigen stichhaltigen Argument eine ,stichhaltige Gesamtsicht‘ zusammengenäht - halt besser: zusammengeschustert - wird. (…)“.

 
Der Präsident des Landgerichts stellte Strafantrag.
 
Das Amtsgericht verurteilte B wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 30 €. Der Vergleich der mündlichen Verhandlung mit einem „Musikantenstadl“ sei geeignet, den zuständigen Richter in seiner Ehre zu kränken. Die richterliche Tätigkeit werde damit gegenüber dem zur Dienstaufsicht und Beurteilung der Leistungen des Richters berufenen Landgerichtspräsidenten einer Veranstaltung der Volksbelustigung gleichgestellt. Die Äußerung des B sei auch nicht dadurch gerechtfertigt, dass dieser mit seinem Schreiben nach eigenen Angaben allein die Beschleunigung des Kostenfestsetzungsverfahrens bezweckt habe. Denn das Strafverfahren sei zu dem Zeitpunkt bereits abgeschlossen gewesen, sodass es keine Rechtfertigung für eine nachträgliche Diffamierung der Verhandlungsleitung gebe, die in keinem Zusammenhang mit der Kostenerstattung stehe.
 
Den Antrag des B auf Annahme der Berufung wies das Landgericht zurück, weil sie offensichtlich unbegründet sei.
 
B erhebt form- und fristgerecht Verfassungsbeschwerde und rügt eine Verletzung seiner Meinungsfreiheit aus Art. 5 I 1 GG
 
Hat die Verfassungsbeschwerde Aussicht auf Erfolg?  

B. Die Entscheidung des BVerfG (Beschl. v. 6.6.2017 – 1 BvR 180/17)

 
Die Verfassungsbeschwerde hat Erfolg, soweit sie zulässig und begründet ist.  

I. Zulässigkeit

Die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich aus Art. 93 I Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG.

B, der als natürliche Person grundrechtsfähig und damit „jedermann“ i.S.v. Art. 93 I Nr. 4a GG, § 90 I BVerfGG ist, wendet sich gegen die Verurteilung durch das Amtsgericht und die Verwerfung der Berufung durch das Landgericht. Bei diesen gerichtlichen Entscheidungen handelt es sich um Akte der öffentlichen Gewalt – hier der Judikative, die nach Art. 1 III GG unmittelbar an die Grundrechte gebunden ist – und damit um taugliche Beschwerdegegenstände (Art. 93 I Nr. 4a GG, § 90 I BVerfGG).
 
Die Entscheidungen betreffen B selbst, gegenwärtig und unmittelbar in seinem Recht auf Meinungsfreiheit nach Art. 5 I GG, weswegen er beschwerdebefugt ist (§ 90 I BVerfGG). Weitere ordentliche Rechtsmittel gegen die Beschluss des Landgerichts, mit dem die Berufung als unzulässig verworfen wurde (§ 313 II 2 StPO), stehen B nicht mehr zu. Der Rechtsweg ist damit erschöpft (§ 90 II 1 BVerfGG). Andere Möglichkeiten, den Beschluss (ggf. inzident) einer Überprüfung zu unterziehen, bestehen nicht, so dass auch der Grundsatz der Subsidiarität der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht entgegensteht. Die Verfassungsbeschwerde ist damit zulässig.  

II. Begründetheit

Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, soweit die angegriffenen Entscheidungen B in seinen Grundrechten oder in Art. 93 I Nr. 4a GG genannten (grundrechtsgleichen) Rechten verletzt. Das BVerfG stellt indes keine „Super-Revisionsinstanz“ dar, weswegen sein Prüfungsmaßstab auf die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts beschränkt ist, d. h. auf die Frage, ob bei der Anwendung des einfachen Rechts der Bedeutung und Einfluss der Grundrechte verkannt wurde. Solches setzt voraus, dass die Strafgerichte bei der Auslegung und Anwendung der Straftatbestände, hier der Beleidigung nach § 185 StGB, entweder die Grundrechte ganz übersehen oder sie zwar gesehen, aber in ihrer Bedeutung und Tragweite falsch gewürdigt haben. Spezifisches Verfassungsrecht ist also nicht schon dann verletzt, wenn eine Entscheidung – am einfachen Recht gemessen – objektiv fehlerhaft ist. Vielmehr muss der Fehler gerade in der Nichtbeachtung von Grundrechten liegen:

„Auslegung und Anwendung der Strafvorschriften ist grundsätzlich Sache der Strafgerichte. Das Bundesverfassungsgericht ist auf die Klärung beschränkt, ob das Strafgericht die wertsetzende Bedeutung des Freiheitsrechts verkannt hat (vgl. BVerfGE 7, 198 ; 93, 266 ; stRspr).“

 
Hier kommt eine Verletzung der Meinungsfreiheit nach Art. 5 I 1 GG in Betracht.  

1. Schutzbereich

Die Äußerungen, für die B bestraft wurde, müssten dem Schutzbereich des Art. 5 I 1 GG unterfallen.
 
Die Äußerungen des B müsste eine „Meinung” darstellen. Meinungen sind Werturteile und durch das Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens, der Beurteilung geprägt. Meinungen fallen immer in den Schutzbereich des Art. 5 I 1 GG, unabhängig davon, ob eine Äußerung wertvoll oder wertlos, richtig oder falsch, gut oder schlecht, emotional oder rational begründet; auch scharfe, polemische und übersteigerte Äußerungen fallen in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit.
 
Davon zu unterscheiden sind Tatsachenbehauptungen. Diese unterscheiden sich von Meinungen durch ihren Bezug zur Realität: Anders als Meinungen sind Tatsachen dem Beweis zugänglich und können wahr oder unwahr sein. Erwiesen unwahre Tatsachenbehauptungen unterfallen von vornherein nicht dem Schutzbereich von Art. 5 I 1 GG, weil zu einer sinnvollen Meinungsbildung nicht beitragen können und damit kein schützenswertes Gut darstellen. Im Übrigen sind sie erfasst, soweit sie Voraussetzung für die Bildung von Meinungen sind.
Die von den Gerichten beanstandeten Äußerungen des B, wonach die Hauptverhandlung einem „Musikantenstadl“ gleichkomme, ist nicht dem Beweis zugänglich, sondern eine wertende Beurteilung. Damit unterfällt sie dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit. Daran ändere auch nichts, dass die Äußerung nicht sachlich, sondern polemisch ist:

„Die inkriminierte Äußerung fällt in den Schutzbereich des Grundrechts auf Meinungsfreiheit. Sie ist durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens und des Meinens geprägt und deshalb als Werturteil anzusehen. Die polemische oder verletzende Formulierung einer Aussage entzieht diese grundsätzlich nicht dem Schutzbereich des Grundrechts (vgl. BVerfGE 54, 129 ; 93, 266 ; stRspr).“

 

2. Eingriff

Durch die rechtskräftige Verurteilung wird B für die Äußerungen bestraft. Damit wird B final, unmittelbar, rechtsförmig und imperativ in seiner Meinungsäußerungsfreiheit beschränkt, sodass schon nach dem (engen) klassischen Eingriffsbegriff ein Eingriff zu bejahen ist.  

3. Rechtfertigung

Der Eingriff ist gerechtfertigt, wenn die Gerichtsentscheidungen verfassungsgemäß sind, also insbesondere das Grundrecht des B aus Art. 5 I 1 GG hinreichend beachtet wurde.  

a. Schranke

Die Meinungsfreiheit wird nicht schrankenlos gewährleistet, sondern findet ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre (Art. 5 II GG).
 
Ein Gesetz ist nach der Rechtsprechung des BVerfG allgemein, wenn es nicht eine Meinung als solche verbietet, es sich nicht gegen die Äußerung der Meinung als solche richtet, sondern vielmehr dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtsguts dient (sogenannte modifizierte Sonderrechtslehre). Ohne ausführliche Begründung ordnet die Kammer § 185 StGB als allgemeines Gesetz ein:

„Das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gilt allerdings nicht vorbehaltlos, sondern findet nach Art. 5 Abs. 2 GG seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, namentlich in dem der hier angegriffenen Verurteilung zugrunde liegenden § 185 StGB (vgl. BVerfGE 93, 266 ).“

 
Vertretbar dürfte es auch sein, § 185 StGB als Teil des Rechts der persönlichen Ehre zu verstehen. So hat das BVerfG 1995 in der berühmten Entscheidung „Soldaten sind Mörder“ (siehe dazu unseren Beitrag in der Rubrik “Klassiker”) nämlich ausgeführt:

„Die Vorschrift schützt in erster Linie die persönliche Ehre. Im Rahmen des aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleiteten allgemeinen Persönlichkeitsrechts genießt diese selber grundrechtlichen Schutz (vgl. BVerfGE 54, 148 [153 f.]). Sie kann vor allem durch Meinungsäußerungen verletzt werden. Deswegen ist sie in Art. 5 Abs. 2 GG ausdrücklich als rechtfertigender Grund für Einschränkungen der Meinungsfreiheit anerkannt. Daraus folgt allerdings nicht, daß der Gesetzgeber die Meinungsfreiheit im Interesse der persönlichen Ehre beliebig beschränken dürfte (vgl. BVerfGE 7, 198 [208]). Er muß vielmehr auch dann, wenn er von der Ermächtigung des Art. 5 Abs. 2 GG Gebrauch macht, das eingeschränkte Grundrecht im Auge behalten und übermäßige Einengungen der Meinungsfreiheit vermeiden. Diesem Erfordernis trägt jedoch § 193 StGB Rechnung, indem er eine Bestrafung wegen einer Äußerung dann ausschließt, wenn diese in Wahrnehmung berechtigter Interessen getan worden ist. Diese Vorschrift, die vor jeder Verurteilung nach § 185 StGB zu beachten ist, steht mit ihrer weiten Formulierung dem Einfluß der Meinungsfreiheit in besonderer Weise offen und erlaubt damit einen schonenden Ausgleich der kollidierenden Rechtsgüter (vgl. BVerfGE 12, 113 [125 f.]).“ (Beschl. v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91 u.a.)

 

b. Verfassungskonforme Anwendung der Gesetzesgrundlage

Die Prüfung der materiellen Verfassungsmäßigkeit der gerichtlichen Entscheidungen reduziert sich auf die Prüfung der Verhältnismäßigkeit i.e.S. (Angemessenheit). Maßgeblich ist eine Abwägung zwischen dem Gewicht der Einbuße an Meinungsfreiheit bei B einerseits und der Schwere der Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Strafrichters X vor dem Amtsgericht P. durch die Äußerungen des B andererseits. Das Ergebnis dieser Abwägung, die auch das Strafgericht im Rahmen von § 193 StGB vorzunehmen hat, ist verfassungsrechtlich nicht abstrakt-generell vorgegeben; zu berücksichtigen sind sämtliche wesentlichen Umstände des Einzelfalls. Das BVerfG hat in den letzten Jahre aber eine Reihe von Gesichtspunkten entwickelt, die Kriterien für die konkrete Abwägung vorgeben:
Berührt die Äußerung die Menschenwürde eines anderen, muss die Meinungsfreiheit stets zurücktreten. Bei Formalbeleidigungen oder Schmähkritik muss die Meinungsfreiheit regelmäßig zurücktreten. Im Übrigen kommt es auf die Schwere der Beeinträchtigungen der betroffenen Rechtsgüter an; hier kommt es dann bspw. darauf an, ob die Äußerungen im Zusammenhang mit einer privaten Auseinandersetzung gefallen sind oder einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung darstellen.
 
Das hat das BVerfG in der Entscheidung „Soldaten sind Mörder“ zusammengefasst:

„So muß die Meinungsfreiheit stets zurücktreten, wenn die Äußerung die Menschenwürde eines anderen antastet. Dieser für die Kunstfreiheit ausgesprochene Grundsatz (vgl. BVerfGE 75, 369 [380]) beansprucht auch für die Meinungsfreiheit Geltung, denn die Menschenwürde als Wurzel aller Grundrechte ist mit keinem Einzelgrundrecht abwägungsfähig. Da aber nicht nur einzelne, sondern sämtliche Grundrechte Konkretisierungen des Prinzips der Menschenwürde sind, bedarf es stets einer sorgfältigen Begründung, wenn angenommen werden soll, daß der Gebrauch eines Grundrechts auf die unantastbare Menschenwürde durchschlägt.
 
Desgleichen tritt bei herabsetzenden Äußerungen, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen, die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Ehrenschutz zurück (vgl. BVerfGE 61, 1 [12]). Wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts hat das Bundesverfassungsgericht den in der Fachgerichtsbarkeit entwickelten Begriff der Schmähkritik aber eng definiert. Danach macht auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muß vielmehr, daß bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie muß jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der persönlichen Herabsetzung bestehen (vgl. BVerfGE 82, 272 [283 f.]). Aus diesem Grund wird Schmähkritik bei Äußerungen in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage nur ausnahmsweise vorliegen und im übrigen eher auf die sogenannte Privatfehde beschränkt bleiben (vgl. BGH, NJW 1974, S. 1762). Hält ein Gericht eine Äußerung fälschlich für eine Formalbeleidigung oder Schmähung, mit der Folge, daß eine konkrete Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls entbehrlich wird, so liegt darin ein verfassungsrechtlich erheblicher Fehler, der zur Aufhebung der Entscheidung führt, wenn diese darauf beruht (vgl. BVerfGE 82, 272 [281]).
 
Läßt sich die Äußerung weder als Angriff auf die Menschenwürde noch als Formalbeleidigung oder Schmähung einstufen, so kommt es für die Abwägung auf die Schwere der Beeinträchtigung der betroffenen Rechtsgüter an. Dabei spielt es aber, anders als im Fall von Tatsachenbehauptungen, grundsätzlich keine Rolle, ob die Kritik berechtigt oder das Werturteil „richtig“ ist (vgl. BVerfGE 66, 116 [151]; 68, 226 [232]). Dagegen fällt ins Gewicht, ob von dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit im Rahmen einer privaten Auseinandersetzung zur Verfolgung von Eigeninteressen oder im Zusammenhang mit einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage Gebrauch gemacht wird. Handelt es sich bei der umstrittenen Äußerung um einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung, so spricht nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Vermutung zugunsten der Freiheit der Rede. Abweichungen davon bedürfen folglich einer Begründung, die der konstitutiven Bedeutung der Meinungsfreiheit für die Demokratie, in der die Vermutungsregel wurzelt, Rechnung trägt.“ (Beschl. v. 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91 u.a.)

Geht es um Äußerungen, die der Rechtsverfolgung oder –verteidigung dienen, ist zudem das Rechtsstaatsprinzip in der Abwägung zu berücksichtigen:

„Handelt es sich bei der Äußerung um eine Stellungnahme in einem gerichtlichen Verfahren, die der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dient, so sind bei der Anwendung des § 193 StGB auch die Auswirkungen des Rechtsstaatsprinzips zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 -, NJW 1991, S. 2074 ; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 28. März 2000 - 2 BvR 1392/96 -, NJW 2000, S. 3196 ). Das Recht, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen auch scharf kritisieren zu können, gehört zum Kernbereich der Meinungsfreiheit, weshalb deren Gewicht insofern besonders hoch zu veranschlagen ist (vgl. BVerfGE 93, 266 ). Die Meinungsfreiheit erlaubt es insbesondere nicht, den Beschwerdeführer auf das zur Kritik am Rechtsstaat Erforderliche zu beschränken und ihm damit ein Recht auf polemische Zuspitzung abzusprechen.“

 
Danach kommt das BVerfG zu dem Ergebnis, dass der Eingriff in die Meinungsfreiheit nicht gerechtfertigt sei. Das Amtsgericht – dessen Begründung sich das Landgericht zu eigen gemacht hat – habe verkannt, dass die Meinungsfreiheit auch die Kritik an einem bereits abgeschlossenen Strafverfahren decke. Zudem sei die Äußerung nicht öffentlich gefallen, weswegen der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Richters X gering ausfalle:

„Das Amtsgericht hat zwar geprüft, ob die Äußerung durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) gedeckt sein könnte. Indem es argumentiert, das Strafverfahren sei zu jenem Zeitpunkt bereits abgeschlossen gewesen und daher eine Rechtfertigung der darauf bezogenen Äußerung ausgeschlossen, verkennt es jedoch die Reichweite der Meinungsfreiheit. Zum einen deckt diese auch die Kritik bereits abgeschlossener Strafverfahren. Zum anderen übersieht das Gericht, dass das Kostenfestsetzungsverfahren durchaus mit dem vorhergehenden Erkenntnisverfahren in Zusammenhang steht. Der Beschwerdeführer verbindet seine Kritik an der schleppenden Bearbeitung seines Kostenfestsetzungsantrags mit Ausführungen zu den aus seiner Sicht schon in der mündlichen Verhandlung zu verzeichnenden Schwächen, um seinem Anliegen Nachdruck zu verleihen. Überdies hat das Amtsgericht bei der Abwägung auch nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Äußerung nicht öffentlich, sondern in einer allein an den Präsidenten des Landgerichts adressierten Dienstaufsichtsbeschwerde gefallen ist, so dass der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Richters nur eine geringe Außenwirkung entfaltet hat.“

 

III. Ergebnis

Die angegriffenen Entscheidungen verletzen B in seiner Meinungsfreiheit. Seine Verfassungsbeschwerde ist zulässig und begründet.  

C. Fazit

Die Bezeichnung „Musikantenstadl“ erscheint für den der aktuellen Entscheidung des BVerfG zugrunde liegenden Sachverhalt durchaus passend. Bemerkenswert ist, dass das Landgericht die Berufung noch im Dezember 2016 als „offensichtlich unbegründet“ verwarf, obwohl des BVerfG in einer viel beachteten Entscheidung aus dem Juni 2016 ausdrücklich auf den hohen Rang der Meinungsfreiheit verwiesen und eine sorgsame Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen angemahnt hatte: Hätte die kleine Strafkammer am Landgericht (s. § 76 I GVG) doch lieber die Besprechung jenes Urteils im Urteilsticker auf Jura Online gelesen!