A. Sachverhalt
Am 07.07.2015 gegen 22:15 Uhr befuhr T mit seinem Fahrrad die N-straße in Q aus Richtung L kommend. In dem verkehrsberuhigten Bereich (Spielstraße) der Kreuzung N-straße/I-straße überholte er den dort stehenden bzw. gerade wieder anfahrenden Pkw, amtliches Kennzeichen A-BC 123, welcher von Y gesteuert wurde und in welchem sich A als Beifahrer befand, mit hoher Geschwindigkeit rechts und bog sodann knapp vor dem Pkw nach rechts in die I-straße in Richtung H-straße ein. Y, welcher ebenfalls gerade nach rechts abbiegen wollte, war hierdurch gezwungen, wieder zu bremsen, um einen Zusammenstoß zu vermeiden. Aufgrund des riskanten Fahrmanövers entschlossen sich nun Y und A, den T für dessen Verhalten zur Rede zu stellen. Y beschleunigte daher den Pkw stark, hupte, überholte T auf dessen Fahrrad und lenkte den Pkw sodann schräg nach rechts, um diesem den Weg abzuschneiden. Gleichzeitig - noch während des Abdrängens - öffnete A, den Plan des Y unterstützend, ein Stück weit die Beifahrertür. Durch das Querstellen des Fahrzeuges sowie das gleichzeitige Öffnen der Beifahrertür sah T seinen Fahrweg versperrt und sich zu einer Notbremsung und einem Ausweichmanöver gezwungen. Dabei prallte er gegen die Rückseite des am rechten Straßenrand geparkten Pkw der Z und stürzte vom Fahrrad. Y hielt seinen Wagen nur kurz an. Nachdem er und A den Sturz des Radfahrers registriert hatten, fuhren sie sodann unter starker Beschleunigung davon, ohne sich bei diesem über sein Wohlergehen zu erkundigen.
Infolge des Aufpralls und dem folgenden Sturz auf die Straße zog sich T – wie von Y und A zumindest billigend in Kauf genommen – Prellungen an der Schulter sowie Schürfwunden am Knie und Schienbein zu. Er war aufgrund des Unfalls und der dabei erlittenen Verletzungen insgesamt über einen Monat lang arbeitsunfähig erkrankt. An seinem Fahrrad entstand zudem ein Sachschaden i.H.v. 261,24 € netto, am Pkw der Z ein Schaden i.H.v. 330 € netto.
Strafbarkeit des A?
B. Die Entscheidung des OLG Hamm
(Beschl. v. 31.1.2017 – 4 RVs 159/16)
I. Strafbarkeit wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Mittäterschaft gemäß §§ 315b I Nr. 2, 25 II StGB
A könnte sich wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Mittäterschaft gemäß §§ 315b I Nr. 2, 25 II StGB strafbar gemacht haben, indem er die Beifahrertür öffnete.
1. Tatbestand
A müsste zunächst ein Hindernis bereitet haben (§ 315b I Nr. 2 StGB). Wer im fließenden Verkehr mit seinem Kraftfahrzeug einem anderen Verkehrsteilnehmer (hier: T) den Weg abschneidet, ohne durch die Verkehrslage irgendwie dazu veranlasst zu sein und um dem anderen die Weiterfahrt unmöglich zu machen, bereitet ein Hindernis im Sinne von § 315b I Nr. 2 StGB. Zwar hat A die Beifahrertür geöffnet, das Hindernis wurde dem T aber nur im Zusammenspiel mit dem Fahrmanöver des Y bereitet, der sein Fahrzeug nach rechts lenkte. Insoweit kommt eine Zurechnung des Fahrmanövers des Y über § 25 II StGB in Betracht. Dazu müssten A und Y die Tat gemeinschaftlich begangen haben. Das OLG Hamm bejaht eine Mittäterschaft, indem Y entsprechend des zuvor gemeinsam gefassten Tatplans das von ihm geführte Fahrzeug nach rechts lenkte, während A die Beifahrertür öffnete, um T den Weg abzuschneiden:
„Der Angeklagte ist - wie das Landgericht Paderborn zutreffend angenommen hat - Mittäter i.S.v. § 25 Abs. 2 StGB. Unschädlich ist, dass er als Beifahrer das Fahrzeug nicht selbst gelenkt hat. Bei § 315 b Abs. 1 StGB handelt es sich nicht um ein eigenhändiges Delikt. Täter i.S.v. § 315 b Abs. 1 StGB kann jeder - auch der Beifahrer - sein, der das tatbestandsmäßige Geschehen im Sinne der Nummern 1 bis 3 beherrscht.“
Zudem liege auch – in Abgrenzung zu § 315c StGB – ein „verkehrsfremder Inneneingriff“ vor:
„Dies gilt auch im Fall des hier vorliegenden sog. verkehrsfremden Inneneingriffs. Anknüpfungspunkt ist insoweit gerade nicht das Führen des Fahrzeugs. Es kommt vielmehr darauf an, dass das Fahrzeug nicht mehr als Mittel der Fortbewegung genutzt, sondern zur Verletzung oder Nötigung eingesetzt wird (Wolters in: SK-StGB, 9. Aufl., § 315 b Rn. 26; König in: Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl., § 315 b Rn. 92; Pegel in: Münchener Kommentar, StGB, 2. Aufl., § 315 b Rn. 60). Diese Voraussetzungen liegen vor. Der Angeklagte hat nach den Feststellungen des Landgerichts die Beifahrertür des von dem Zeugen Y gelenkten Fahrzeugs bewusst geöffnet, um den geschädigten Zeugen T abzudrängen und „vom Rad zu holen“. Damit hat er das Fahrzeug im vorbeschriebenen Sinne zweckentfremdet. Es bedarf entgegen den Ausführungen des Landgerichts keines Rückgriffs auf die Generalklausel des § 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB.
Im fließenden Verkehr stellt ein Verkehrsvorgang nur dann einen Eingriff in den Straßenverkehr im Sinne von § 315 b Abs. 1 Nr. 2 StGB dar, wenn zu dem bewusst zweckwidrigen Einsatz eines Fahrzeugs in verkehrsfeindlicher Einstellung hinzu-kommt, dass es mit (mindestens bedingtem) Schädigungsvorsatz - etwa als Waffe oder Schadenswerkzeug - missbraucht wird. Erst dann liegt eine - über den Tat-bestand des § 315 c StGB hinausgehende - verkehrsatypische „Pervertierung” des Verkehrsvorgangs zu einem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr im Sinne des § 315 b Abs. 1 StGB vor (BGH, Beschluss vom 30.06.2015 - 4 StR 188/15; OLG Hamm, Beschluss vom 20.02.2014, III-1 RVs 15/14; Beschluss vom 15.12.2015, III-5 RVs 139/15; Fischer, StGB, 64. Aufl., § 315 b Rn. 9 f.). Diese Grundsätze gelten für alle Tatbestandsvarianten des § 315 b Abs. 1 StGB. Nach den Feststellungen des Landgerichts haben der Angeklagte und der Zeuge Y zu Nötigungszwecken gehandelt; es kam ihnen gezielt darauf an, den Zeugen T „vom Rad zu holen“ und ihn wegen des riskanten Fahrmanövers zur Rede zu stellen. Im Rahmen der Beweiswürdigung hat das Landgericht zudem nachvollziehbar und widerspruchsfrei ausgeführt, angesichts der Art und Weise des Vor-gehens des Angeklagten und des vormaligen Mitangeklagten Y bestünden keine Zweifel daran, dass der Angeklagte und der Mittäter sogar mit Verletzungsabsicht (und nicht „nur“ mit bedingtem Schädigungsvorsatz) handelten. Das Landgericht hat dabei auch zutreffend berücksichtigt, dass der Angeklagte im Rahmen der mündlichen Verhandlung seine Äußerung wiederholt hat, er hätte den geschädigten Zeugen „totgeschlagen“, wenn dieser nicht gestürzt wäre.“
Durch das Bereiten des Hindernisses hat A die Sicherheit des Straßenverkehrs (abstrakt) beeinträchtigt und jedenfalls Leib und Leben des T (konkret) gefährdet. Daher ist der objektive Tatbestand erfüllt.
Schließlich handelte A sowohl im Hinblick auf die Bereitung des Hindernisses als auch auf die Gefährdung des T vorsätzlich iSv § 15 StGB, weswegen der Tatbestand des § 315b I Nr. 2 StGB erfüllt ist; auf § 315b IV oder V StGB kommt es nicht an.
2. Rechtswidrigkeit und Schuld
A handelte rechtswidrig und schuldhaft.
3. Ergebnis
A hat sich wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Mittäterschaft gemäß §§ 315b I Nr. 2, 25 II StGB strafbar gemacht.
II. Strafbarkeit wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung gemäß §§ 224 I Nr. 2, 4 und 5, 25 II StGB
Das OLG Hamm bejaht zudem eine Strafbarkeit wegen gefährlicher Körperverletzung nach § 224 I Nr. 4 und 5 StGB:
„Die Feststellungen des Landgerichts tragen auch die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung gem. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB.
Der Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB ist dann erfüllt, wenn die Art der Behandlung des Geschädigten durch den Täter nach den Umständen des Einzelfalls generell geeignet ist, das Leben zu gefährden. Dabei ist erforderlich, dass der Körperverletzungserfolg „mittels“ der Art der Behandlung durch den Angeklagten eingetreten ist (BGH, NStZ 2010, 276; Fischer, a.a.O., § 224 Rn. 12).
Das plötzliche Öffnen der Beifahrertür eines fahrenden Pkws, um einen neben dem Fahrzeug befindlichen Radfahrer „auffahren“ zu lassen bzw. zu einem riskanten Ausweichmanöver zu zwingen, ist generell geeignet, dessen Leben zu gefährden. Denn sowohl bei einer Kollision mit der Tür als auch - wie hier - einer Notbremsung mit einem gleichzeitigen Ausweichmanöver, das zum Aufprall auf andere Fahrzeuge o.ä. bzw. einem Sturz führt, kann es zu ganz erheblichen Verletzungsfolgen -insbesondere im Kopfbereich - des im Regelfall wenig bis gar nicht geschützten Radfahrers kommen.
Der Körperverletzungserfolg ist im konkreten Fall auch „mittels“ der Art der Behandlung durch den Angeklagten eingetreten. Zwar ist der geschädigte Zeuge nicht mit der durch den Angeklagten geöffneten Beifahrertür zusammen gestoßen, sondern erst bei dem Versuch, dieser auszuweichen, zu Sturz gekommen und dabei mit dem am Straßenrand abgestellten Pkw der Zeugin T kollidiert. Gleichwohl ergibt sich aus dem engen zeitlich-räumlichen Zusammenhang zwischen der Tat-handlung des Angeklagten und dem Verletzungserfolg, dass die Verletzungen des Geschädigten „mittels“ der Art der Behandlung durch den Angeklagten eingetreten sind. Das Ausweichmanöver des Zeugen mit dem sich anschließenden Sturz und den dadurch hervorgerufenen Verletzungsfolgen war in diesem Sinne unmittelbare Folge der Tathandlung des Angeklagten.
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Feststellungen des Landgerichts zudem eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung gem. § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB gerechtfertigt hätten, denn der Angeklagte hat nach den Feststellungen des Landgerichts „den Plan des Zeugen Y unterstützend“ die Beifahrertür geöffnet und damit gemeinschaftlich im Sinne der vorgenannten Vorschrift gehandelt.“
Eine Strafbarkeit wegen einer „mittels eines gefährlichen Werkzeugs“ begangenen gefährlichen Körperverletzung (§ 224 I Nr. 2 StGB) dürfte demgegenüber ausscheiden. Zwar ist ein fahrendes Kraftfahrzeug, das zur Verletzung einer Person eingesetzt wird, als ein gefährliches Werkzeug iSv § 224 I Nr. 2 StGB anzusehen. Allerdings muss die Körperverletzung „mittels“ des Fahrzeugs begangen worden sein. Das setzt nach der Rechtsprechung des BGH eine Einwirkung des Kraftfahrzeugs auf den Körper des Opfers voraus. Verletzungen durch einen Sturz des Opfers nach einem Ausweichmanöver genügen nicht. Der Körperverletzungserfolg bei T ist erst durch den Aufprall auf das Fahrzeug der Z und den Sturz auf die Straße und damit nicht „mittels” des Kraftfahrzeugs eingetreten. Ein Widerspruch zur Bejahung des § 224 I Nr. 5 StGB liegt darin wegen des unterschiedlichen Anknüpfungspunkts des Wortes „mittels“ nicht.
III. Strafbarkeit wegen gemeinschaftlicher Nötigung gemäß §§ 240, 25 II StGB
A hat sich wegen Nötigung gemäß § 240 StGB strafbar gemacht, indem er durch das Öffnen und dem ihm zuzurechnenden Fahrmanöver des Y (§ 25 II StGB) den T zum Ausweichen zwang.
IV. Strafbarkeit wegen gemeinschaftlichen unerlaubten Entfernens vom Unfallort gemäß §§ 142 I Nr. 1, 25 II StGB
Das OLG Hamm bejaht schließlich – ohne weitere Problematisierung – eine Strafbarkeit des Unfallbeteiligten A (siehe dazu § 142 V StGB) wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort gemäß § 142 I Nr. 1 StGB. Fraglich ist indes, ob ein Unfall iSv § 142 I StGB vorlag. Ein „Unfall im Straßenverkehr” ist jedes Schadensereignis, in dem sich ein verkehrstypisches Unfallrisiko realisiert hat. Nach der Rechtsprechung des BGH liegt ein „Unfall“ indes nicht vor, wenn das Schadensereignis im Straßenverkehr schon nach seinem äußeren Erscheinungsbild nicht die Folge des allgemeinen Verkehrsrisikos, sondern einer deliktischen Planung ist. So hat der BGH in einer Entscheidung aus dem Jahr 2001 ausgeführt:
„Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Unfall in diesem Sinne jedes schädigende Ereignis, das mit dem Straßenverkehr und seinen Gefahren ursächlich zusammenhängt. Unter dieser Voraussetzung hat es die Rechtsprechung stets als unbeachtlich angesehen, dass ein daran Beteiligter das Schadensereignis vorsätzlich herbeigeführt hat, wenn nur einem anderen ein von diesem ungewollter Schaden entstanden ist, weil es sich dann zumindest für diesen anderen um ein ungewolltes, ihn plötzlich von außen her treffendes Ereignis handelt (…). Doch genügt nicht jedwede ursächliche Verknüpfung des Schadensereignisses mit einem Verkehrsgeschehen. Nicht jeder Unfall ist schon deshalb ein „Unfall im Straßenverkehr” i.S. des § 142 StGB, weil er sich im öffentlichen Verkehrsraum ereignet. Vielmehr setzt die Annahme eines „Verkehrsunfalls” nach dem Schutzzweck der Norm des § 142 StGB einen straßenverkehrsspezifischen Gefahrenzusammenhang voraus (…). Die Rechtsprechung ist deshalb dahin zu verstehen, dass sich in dem „Verkehrsunfall” gerade die typischen Gefahren des Straßenverkehrs verwirklicht haben müssen (…). Dass sich in dem Schadensereignis ein verkehrstypisches Unfallrisiko realisiert hat, kann jedenfalls dann nicht angenommen werden, wenn ein Verhalten schon nach seinem äußeren Erscheinungsbild keine Auswirkung des allgemeinen Verkehrsrisikos, sondern einer deliktischen Planung ist (…). Allein der Umstand, dass der Täter, wie hier die Angekl., dabei aus einem fahrenden Fahrzeug heraus handelt, vermag den notwendigen Zusammenhang mit den typischen Gefahren des Straßenverkehrs nicht herzustellen. Dementsprechend hat das OLG Hamm zu Recht den Fahrer eines Lkw, aus dem heraus ein Pkw mit Flaschen beworfen und dadurch beschädigt worden war, vom Vorwurf des § 142 StGB freigesprochen (…). Das Interesse des Geschädigten an der Ermittlung des Schadensverursachers rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Denn das Feststellungsinteresse besteht unabhängig davon, wo, auf welche Weise und mit welchen Mitteln der Schaden entstanden ist (…), taugt aber für sich nicht zur inhaltlichen Bestimmung des Begriffs des „Unfalls im Straßenverkehr”. (BGH Urt. v. 15.11.2011 – 4 StR 233/01)
Y und A haben den Pkw zu verkehrsfremden Zwecken, nämlich zum Zwecke des Bereitens eines Hindernisses, um T „vom Rad zu holen“ (s. o. im Rahmen der Prüfung von § 315b I Nr. 2 StGB), und nicht als Mittel der Fortbewegung benutzt. Daher sprechen hier gute Gründe gegen einen „Unfall“ iSv § 142 I Nr. 1 StGB.
A hat sich damit nicht wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort gemäß § 142 I Nr. 1 StGB strafbar gemacht.
C. Fazit
Das OLG Hamm sieht den Tatbeitrag eines Beifahrer, der in Mittäterschaft mit dem Fahrer handelt, an den Handlungen eines Fahrmanöver des Fahrzeugführers beteiligt, nicht als Eingriff von außen. Daher müssen die engeren Voraussetzungen eines verkehrsfremden Inneneingriffs vorliegen (“Pervertierung des Straßenverkehrs mit Schädigungsvorsatz”). Anlass genug, sich mit den Straßenverkehrsdelikten im Allgemeinen und den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zum verkehrsfremden Inneneingriff zu befassen.
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