Examensreport: ÖR I 1. Examen aus dem April 2017 in Hamburg und Nordrhein-Westfalen

Sachverhalt (beruht auf einem Gedächtnisprotokoll)

Der in Hamburg wohnende S ist 42 Jahre alt, leidenschaftlicher Sportschütze und seit einigen Jahren eingetragenes und aktives Mitglied im Schießsportverein „Adlerauge“. Der Verein „Adlerauge“ gehört dem „Bund der sportlichen Schützen“ an, bei dem es sich um einen anerkannten Schießsportverband im Sinne des § 15 I Waffengesetz (WaffG) handelt. Im Jahre 2013 erteilte die zuständige Behörde S in der Form einer entsprechenden Waffenbesitzkarte eine bestandskräftige und unbefristete Erlaubnis im Sinne von § 14 IV 1 WaffG. Laut dieser Erlaubnis ist S unter Beachtung des § 14 II 3 WaffG unter anderem berechtigt, Repetier- Langwaffen zu erwerben.
 
Bisher besitzt S insgesamt 141 erlaubnispflichtige Schusswaffen. Weil sein letzter Erwerb einer Waffe aber bereits neun Monate her ist, besucht S am 2. Januar 2017 den Händler H, dessen Sortiment der S schon seit langem schätzt. S entdeckt dann auch bei H ein Repetiergewehr, das ihm sehr gut gefällt. Unter den Waffen des S befinden sich zwar schon 16 Repetiergewehre, die das gleiche Kaliber haben wie das bei H zum Verkauf stehende Exemplar. S kann aber – vor allem wegen des schönen Aussehens des Gewehres – nicht widerstehen und erwirbt die Waffe noch am selben Tag. Bei dem Gewehr handelt es sich um eine Repetier-Langwaffe im Sinne des § 14 IV 1 WaffG.
 
Am 12. Januar 2017 beantragt S bei der zuständigen Behörde der Freien und Hansestadt Hamburg, seine neue Waffe in seine Waffenbesitzkarte einzutragen. Da bei der Behörde an diesem Tag viel los ist, nimmt die zuständige Mitarbeiterin M den Antrag des S zunächst nur entgegen, ohne ihn sogleich zu bearbeiten. S fragt, wie lange es dann wohl dauern werde, bis die Waffe in seine Waffenbesitzkarte eingetragen werde. M antwortet, dass S sich sicher nicht lange werde gedulden müssen. Sie könne sich nicht vorstellen, dass etwas gegen die Eintragung der Waffe spreche. Bei Sportschützen sei das in der Regel kein Problem.
 
Einige Tage später teilt die Behörde dem überraschten S jedoch mit, dass sie beabsichtigen seinem Antrag nicht zu entsprechen. Zur Begründung meint sie, S bedürfe zur Ausübung seines Schießsports der weiteren Waffe nicht.
 
S gibt sich damit nicht zufrieden und schreibt der Behörde, dass er an seinem Antrag festhalte. Es gehe doch nur darum, ihm den Erwerb der Waffe in seiner Waffenbesitzkarte zu bestätigen. So eine schlichte Notiz sei doch nicht zu viel verlangt. Schon seit dem Jahr 2013 sei es ihm schließlich erlaubt, die in § 14 IV WaffG genannten Waffen zu erwerben. Sein Bedürfnis an der Waffe ergebe sich daraus, dass er vereinsmäßig organisiert den Schießsport ausübe. Außerdem habe M ihm zugesagt, dass die Eintragung seiner Waffe zeitnah erfolgen werde.
 
Hiervon lässt sich die Behörde nicht überzeugen. Mit Bescheid vom 3. Februar 2017 versagt sie S die Eintragung des neuen Repetiergewehrs in seine Waffenbesitzkarte. Die Erlaubnis aus dem Jahr 2013 habe S zwar berechtigt, die Waffe zu erwerben. Anders als die sonstigen waffenrechtlichen Erlaubnisse etwa gemäß § 10 I WaffG berechtige die S erteilte Erlaubnis aber nur zum vorübergehenden Besitz der erworbenen Waffe, nämlich bis zur Entscheidung der Behörde über die Eintragung der Waffe. Erst mit der Eintragung der Waffe in die Waffenbesitzkarte erlange S die materielle Erlaubnis zum dauerhaften Besitz der Waffe. Diese Erlaubnis sei S zu versagen, da es an einem Bedürfnis des S am Besitz der Waffe fehle. S habe bereits nicht glaubhaft gemacht, dass die Waffe für eine Sportdisziplin nach der Sportordnung seines Schießsportverbandes zugelassen und erforderlich sei.
 
Den hiergegen form- und fristgerecht erhobenen Widerspruch des S weist die Behörde mit Widerspruchsbescheid vom 14. März 2017 zurück. Zur Begründung meint sie, jede waffenrechtliche Erlaubnis und damit auch die Eintragung einer Waffe nach § 14 IV 2 WaffG setze ein Bedürfnis des Antragstellers an der Waffe voraus, das vor der Eintragung der konkreten Waffe zu prüfen sei. Die folge aus einer systematischen Auslegung von § 14 IV 2 WaffG und den übrigen Regelungen des Waffengesetzes sowie aus Sinn und Zweck des Waffengesetzes, die unter anderem in § 8 WaffG zum Ausdruck kämen. Die Prinzipien des Waffengesetzes würden verletzt, könnten Sportschützen nach § 14 IV WaffG in unbegrenzter Anzahl Sportwaffen besitzen. Es sei der Wille des Gesetzgebers, die Verfügbarkeit von Waffen in der Bevölkerung zu begrenzen. Dabei müsse S verstehen, dass sich die Versagung der Eintragung nicht in erster Linie gegen ihn richte. Es solle im Interesse der Allgemeinheit vor allem das Risiko verringert werden, dass Waffen dem legalen Besitzer entwendet und zu Straftaten benutzt werden. Außerdem könnte S auch ohne das neue Repetiergewehr seinem Schießsport nachgehen. Hierfür verfüge er bereits über einen ausreichenden Bestand an vergleichbaren Gewehren mit gleichem Kaliber. S nutze seine Erlaubnis nach § 14 IV 1 WaffG demnach nur, um unter dem Deckmantel des sportlichen Schießens Waffen zu sammeln und zu horten. Das sei mit Sinn und Zweck des Waffengesetzes nicht zu vereinbaren und auch bei Sportschützen zu verhindern. Ob noch ein schießsportliches Bedürfnis an einer Waffe oder ein schlichtes Waffensammeln vorliege, lasse sich nicht schon bei Erteilung der Waffenbesitzkarte, sondern erst bei der Eintragung der einzelnen Waffen überprüfen. Da S kein besonderes Bedürfnis an der neu erworbenen Waffe darlegen könne, überwögen die Belange der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Das Sammeln von Waffen sei nur nach § 17 WaffG erlaubt. Der mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehene Widerspruchsbescheid wird S am 16. März 2017 zugestellt.
 
S ist empört und erhebt am 18. April 2017 formgemäß Klage vor dem Verwaltungsgericht Hamburg. Er habe einen Anspruch auf die Eintragung der Waffe in seine Waffenbesitzkarte. Das gemäß § 4 I Nr. 4 in Verbindung mit § 8 WaffG für eine waffenrechtliche Erlaubnis grundsätzlich erforderliche Bedürfnis sei nur bei Erteilung der Erlaubnis im Jahre 2013 zu prüfen gewesen. Zu einer erneuten Prüfung des Bedürfnisses anlässlich der Eintragung der neuen Waffe sei die Behörde nicht berechtigt. § 14 II 2 Nr. 2 WaffG sei in seinem Fall nicht anzuwenden. Im Übrigen sei § 14 WaffG gegenüber § 8 WaffG lex specialis. Die Behörde sei verpflichtet, seine Waffe einzutragen. Sie habe insoweit auch kein Ermessen. Der Gesetzgeber habe bei § 14 IV WaffG keine maximale Anzahl von Waffen geregelt. Außerdem müsse die Behörde auch seine Grundrechte achten. Es führe zu rechtlicher Unsicherheit und es sei ihm auch nicht zuzumuten, die erworbene Waffe trotz ihres legalen Erwerbs – möglicherweise weit unter Wert – wieder veräußern zu müssen, wenn er sie aus waffenrechtlichen Gründen dann doch nicht dauerhaft besitzen dürfe.
 
Frage: Hat die Klage des S vor dem Verwaltungsgericht Hamburg Aussicht auf Erfolg?
 
Bearbeitervermerk:

Freitag, 14.04.2017 war der Karfreitag und Montag, 17.04.2017 war der Ostermontag  

Unverbindliche Lösungsskizze

A. Zulässigkeit

I. Verwaltungsrechtsweg, § 40 I 1 VwGO
Hier: WaffG
 
II. Statthafte Klageart
Hier: Verpflichtungsklage, § 42 I 1 VwGO; Arg.: Eintragung in Waffenbesitzkarte = VA i.S.v. § 35 S. 1 VwVfG, insbesondere auch Regelungswirkung (endgültige Berechtigung)
 
III. Besondere Sachurteilsvoraussetzungen  

  1. Klagebefugnis, § 42 II VwGO
->
    -> Mögliche Anspruchsgrundlage: § 14 ff. WaffG
  2. Erfolgloses Vorverfahren, §§ 68 ff. VwGO (+)
  3. Klagefrist, § 74 I, II VwGO
    (+); Arg.: § 57 II VwGO, § 222 II ZPO (Fristende = gesetzlicher Feiertag)
  4. Klagegegner, § 78 I Nr. 1 VwGO

 
IV. Allgemeine Sachurteilsvoraussetzungen
-> §§ 61, 62 VwGO (+)
 
B. Begründetheit
 
I. Anspruchsgrundlage: § 14 IV WaffenG
 
II. Formelle Voraussetzungen (+)
-> Fristgerechter Antrag auf Eintragung, § 14 IV 2 WaffG (+)
 
III. Materielle Voraussetzungen  

  1. Sportschütze i.S.v. §§ 14 IV, 15 WaffG (+)
  2. Unbefristete Erlaubnis
    Hier: Erlaubnis im Jahre 2013 erteilt
  3. Erwerb einer Waffe aufgrund dieser Erlaubnis
    Hier: Repetier-Langwaffe
  4. Vereinsmitglied seit mindestens zwölf Monaten, § 14 II 2 Nr. 1 WaffG
  5. Zulässigkeit und Erforderlichkeit der zu erwerbenden Waffe für eine Sportdisziplin nach der Sportordnung, § 14 II 2 Nr. 2 WaffG
    -> Nicht anwendbar;Arg.: Umkehrschluss aus § 14 IV 1 WaffG („unter Beachtung des Absatzes 2 Satz 2 Nr. 1 und Satz 3“ – nicht auch Absatz 2 Satz 2 Nr. 2); verfassungskonforme Auslegung im Lichte von Art. 14 GG
  6. Keine Überschreitung der Höchstanzahl, § 14 II 3 WaffG
    -> i.d.R. nur 2 Schusswaffen innerhalb von 6 Monaten
    Hier: Kein Schusswaffenkauf in den letzten 9 Monaten, aber 141 Schusswaffe seit 2013
    -> Wohl Überschreitung; Arg.: Bezugspunkt nicht alleinig die letzten Monate, sondern Gesamtschau; Sinn und Zweck (Begrenzung der Anzahl der Waffen u.a. auch wegen Entwendungsgefahr); Systematik (Abgrenzung zu § 17 WaffG)
  7. Ergebnis: (-)

 
IV. Anspruchsgrundlage: § 17 WaffG
(-); Arg.: keine „kulturhistorisch bedeutsame“ Sammlung
 
V. Anspruch aus Zusicherung, § 38 VwVfG  

  1. Vorliegen einer Zusicherung
    (+);Arg.: wirtschaftliche Bedeutung
  2. Wirksamkeit

 
a) Zuständigkeit und Form, § 38 I 1 VwVfG
-> Wohl (-);Arg.: bloße mündliche Anfrage/Mitteilung
 
b) Keine Nichtigkeit, §§ 38 II, 44 VwVfG (+)
 
c) Keine Aufhebung, §§ 38 II, 48, 49 VwVfG
Hier: konkludente Rücknahme durch Versagung der Eintragung; Zusicherung rechtswidrig, da in Aussicht gestellte Eintragung rechtswidrig.
 
d) Ergebnis: (-)
 
C. Gesamtergebnis: (-)