A. Sachverhalt (vereinfacht)
K erwarb von der B, einer Fahrzeughändlerin, am 27. März 2010 zum Preis von 16.200 € einen Gebrauchtwagen (BMW 525d Touring). Ab Anfang August 2010 schaltete die im Fahrzeug eingebaute Automatikschaltung nach einer von K absolvierten Laufleistung von etwa 13.000 Kilometern in der Einstellung “D” nicht mehr selbstständig in den Leerlauf; stattdessen starb der Motor ab. Ein Anfahren oder Rückwärtsfahren bei Steigungen war nicht mehr möglich. Worauf die Probleme zurückzuführen sind, lässt sich nicht mehr zweifelsfrei klären:
Die aufgetretene Schädigung des Freilaufs des hydrodynamischen Drehmomentwandlers (Getriebeschaden), auf die die aufgetretenen Symptome zurückzuführen sind, könnte entweder durch eine Überlastung des Freilaufs, also durch eine Leistungssteigerung oder durch das Einlegen einer Fahrstufe bei erhöhter Drehzahl, verursacht worden sein. Das wäre ein nachträglich eingetretener Bedienungsfehler durch K. Möglich ist aber auch, dass die Schädigung des Freilaufs schon bei Gefahrübergang vorlag und auf Mikrorissen oder Pittings beruht.
Nach erfolgloser Fristsetzung zur Mängelbeseitigung erklärte K mit Anwaltsschreiben vom 8. September 2010 den Rücktritt vom Kaufvertrag. Er verlangt die Rückzahlung des Kaufpreises (16.200 €), Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs.
Zu Recht?
B. Die Entscheidung des BGH (Urt. v. 12.10.2016 – VIII ZR 103/15)
Anspruch des K aus §§ 346 I, 437 Nr. 2, 323 I BGB
Ein Anspruch des K auf Rückzahlung des Kaufpreises könnte sich aus §§ 346 I, 437 Nr. 2, 323 I BGB ergeben.
I. Kaufvertrag
Zwischen K und B besteht ein Kaufvertrag über den gebrauchten BMW 525d Touring.
II. Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs
Des Weiteren müsste der BMW mangelhaft gewesen sein (vgl. Eingangssatz § 437 BGB). In Betracht kommt ein Sachmangel nach § 434 I BGB.
1. Abweichen der Ist- von der Soll-Beschaffenheit
Zwar haben die Parteien keine Beschaffenheitsvereinbarung getroffen (§ 434 I 1 BGB), auch liegt keine Vereinbarung über die Verwendung des Pkw iSv § 434 I 2 Nr. 1 BGB vor. Allerdings weist der BMW einen Getriebeschaden auf und damit eine Beschaffenheit, die bei Sachen der gleichen Art nicht üblich ist (§ 434 I 2 Nr. 2 BGB).
2. Bei Gefahrübergang
Ein Sachmangel liegt aber nur vor, wenn die negative Istbeschaffenheit bereits bei Gefahrübergang, hier der Übergabe des PKW an K (§ 446 BGB), vorlag (vgl. § 434 I 1 BGB).
Der Getriebeschaden als solcher ist aber erst nachträglich eingetreten. Zwar wären auch die Mikrorisse und Pittings eine unübliche Beschaffenheit iSv § 434 I 2 Nr. 2 BGB (sogenannter Grundmangel), allerdings steht nicht fest, ob der Getriebeschaden darauf zurückgeht. Möglich ist auch ein Fahrfehler des K, der eine Mangelhaftigkeit des Pkw – natürlich – nicht begründen würde. Kann das Gericht nicht feststellen, ob im Zeitpunkt des Gefahrübergangs ein Grundmangel vorlag oder ein (nachträglicher) Fahrfehler, wird es eine Beweislastentscheidung treffen: Den Rechtsstreit wird diejenige Partei verlieren, der die Beweislast obliegt.
Die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen der Mangelhaftigkeit (inklusive des maßgeblichen Zeitpunkts) trägt der Käufer (K), wenn er – wie hier – die Kaufsache als Erfüllung angenommen hat (§ 363 BGB). Dem K könnte insoweit aber – es handelt sich um einen Verbrauchsgüterkauf iSv §§ 474 I, II, 13, 14 BGB – § 476 BGB helfen. Danach wird widerleglich vermutet (vgl. § 292 ZPO), dass „die Sache bereits bei Gefahrübergang mangelhaft war“, wenn „sich innerhalb von sechs Monaten seit Gefahrübergang ein Sachmangel“ zeigt, es sei denn, diese Vermutung ist mit der Art der Sache oder des Mangels unvereinbar.
Mit dem Getriebeschaden hat sich ein Mangel innerhalb der Sechsmonatsfrist gezeigt, allerdings ist unstreitig, dass dieser Schaden erst nach Gefahrübergang (nach einer Laufleistung von ca. 13.000 Kilometern) eingetreten ist. Ob § 476 BGB zugunsten des Käufers auch dann eingreift, wenn ein sicher nachträglich entstandener Schaden vorliegt, aber nicht festgestellt werden kann, ob er auf einem Grundmangel beruht oder einer anderen Ursache, die keinen Mangel begründet (hier: Bedienfehler), wird unterschiedlich beurteilt.
a. Grundmangellehre
Nach der sogenannten Grundmangellehre läge ein Mangel bei Gefahrübergang vor. Denn danach begründe § 476 BGB beim Auftreten eines akuten Sachmangels binnen eines Zeitraums von sechs Monaten ab Gefahrübergang vielmehr nach seinem Wortlaut und Regelungszweck die Vermutung, dass die Sache bei Übergabe zumindest einen für den akuten Schaden ursächlichen Grundmangel aufgewiesen habe:
„Denn nach dem von der Berufungsbegründung zugrunde gelegten Verständnis des § 476 BGB wird die dort geregelte Vermutungswirkung unabhängig davon ausgelöst, ob der akute Schaden seiner Art nach bereits zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorgelegen haben kann.
Nach dieser – teilweise auch im Schrifttum und in der Instanzrechtsprechung anzutreffenden – Sichtweise (sogenannte Grundmangellehre) begründet § 476 BGB beim Auftreten eines akuten Sachmangels binnen eines Zeitraums von sechs Monaten ab Gefahrübergang vielmehr nach seinem Wortlaut und Regelungszweck die Vermutung, dass die Sache bei Übergabe zumindest einen für den akuten Schaden ursächlichen Grundmangel aufgewiesen hat” (Münch- KommBGB/Lorenz, 7. Aufl., § 476 Rn. 4; OLG Brandenburg, DAR 2009, 92, 93).
Diese Vermutung kann der Verkäufer nicht widerlegen, insbesondere kann er nicht zweifelsfrei nachweisen, dass der Getriebeschaden auf einem Bedienfehler und nicht auf einem Materialfehler beruht.
b. Bisherige Rechtsprechung des BGH
Der BGH stellt seine bisherige Rechtsprechung dar, die mit dem Zahnriemen-Fall (den wir als „Klassiker“ vorgestellt haben) seinen Ausgangspunkt nahm und wonach § 476 BGB lediglich eine „in zeitlicher Hinsicht wirkende Vermutung“ begründe:
„Den Käufer, der unter Berufung auf das Vorliegen eines Sachmangels Rechte gemäß § 437 BGB geltend macht, nachdem er die Kaufsache entgegen genommen hat (§ 363 BGB), trifft auch im Rahmen eines Verbrauchsgüterkaufs im vollen Umfang die Darlegungs- und Beweislast für die einen Mangel begründenden Tatsachen. Denn danach gilt die in § 476 BGB für den Verkaufsgüterkauf angeordnete Beweislastumkehr nicht für die Frage, ob überhaupt ein Sachmangel vorliegt (Senatsurteile vom 2. Juni 2004 – VIII ZR 329/03, BGHZ 59, 215, 217 f. [Zahnriemen]; vom 14. September 2005 – VIII ZR 363/04, NJW 2005, 3490 unter II 1 b bb (1) [Karosserieschaden]; vom 23. November 2005 – VIII ZR 43/05, NJW 2006, 434 Rn. 20 f. [Turboladerschaden]; vom 18. Juli 2007 – VIII ZR 259/06, NJW 2007, 2621 Rn. 15 [defekte Zylinderkopfdichtung]).
(1) Vielmehr setzt die Regelung des § 476 BGB einen binnen sechs Monaten nach Gefahrübergang aufgetretenen Sachmangel voraus und begründet eine lediglich in zeitlicher Hinsicht wirkende Vermutung dafür, dass dieser Mangel bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorlag (Senatsurteile vom 2. Juni 2004 – VIII ZR 329/03, aaO; vom 22. November 2004 – VIII ZR 21/04, NJW 2005, 283 unter II 2; vom 14. September 2005 – VIII ZR 363/04, aaO; vom 23. November 2005 – VIII ZR 43/05, aaO Rn. 21; vom 21. Dezember 2005 – VIII ZR 49/05, NJW 2006, 1195 Rn. 13 [Katalysator]; vom 29. März 2006 – VIII ZR 173/05, BGHZ 167, 40 Rn. 21, 32 [Sommerekzem I]; vgl. auch Senatsurteil vom 15. Januar 2014 – VIII ZR 70/13, BGHZ 200, 1 Rn. 20 [Fesselträgerschenkelschaden]).
(2) Im Interesse der Stärkung des Verbraucherschutzes beim Kauf von mit Sachmängeln behafteten beweglichen Sachen wendet der Senat allerdings die oben beschriebenen Grundsätze zugunsten des Käufers dahin an, dass diesem die Beweislastumkehr nach § 476 BGB auch dann zugutekommt, wenn die Frage, ob ein Sachmangel vorliegt, allein davon abhängt, dass eine Abweichung von der Sollbeschaffenheit, die sich innerhalb von sechs Monaten nach der Übergabe an den Käufer zeigt, bereits bei Gefahrübergang vorhanden war (Senatsurteile vom 14. September 2005 – VIII ZR 363/04, aaO; vom 21. Dezember 2005 – VIII ZR 49/05, aaO; vom 18. Juli 2007 – VIII ZR 259/06, aaO Rn. 16; vom 11. November 2008 – VIII ZR 265/07, NJW 2009, 580 Rn. 14).
(3) Eine weitere Erleichterung greift zugunsten des Käufers nach der Rechtsprechung des Senats in den Fällen ein, in denen die binnen sechs Monaten nach Gefahrübergang in Erscheinung getretene Abweichung von der Sollbeschaffenheit unstreitig (vgl. Senatsurteil vom 2. Juni 2004 – VIII ZR 329/03, aaO, S. 218) oder vom Verkäufer nachgewiesen (vgl. Senatsurteil vom 15. Januar 2014 – VIII ZR 70/13, aaO Rn. 17) bei Gefahrübergang noch nicht vorhanden war. Hier ist ergänzend zu prüfen, ob die bezüglich des akut in Erscheinung getretenen Mangels widerlegte Vermutung des § 476 BGB stattdessen im Hinblick auf einen diesen auslösende Ursache eingreift. Auch insoweit gelten allerdings die soeben dargestellten Grundsätze. Der Käufer hat also darzulegen und im Bestreitensfall nachzuweisen, dass der sichtbar gewordene Mangel auf einer binnen sechs Monaten ab Gefahrübergang aufgetretenen Ursache beruht, die ihrerseits eine (weitere) vertragswidrige Beschaffenheit darstellt (Senatsurteile vom 15. Januar 2014 – VIII ZR 70/13, aaO Rn. 21 und 23; vom 23. November 2005 – VIII ZR 43/05, aaO Rn. 19; Senatsbeschluss vom 5. Februar 2008 – VIII ZR 94/07, RdL 2009, 118 [Sommerekzem II]). Gelingt ihm der Nachweis, dass der sichtbar gewordene Mangel auf einem solchen latenten Mangel beruht, so greift zu Gunsten des Käufers auch insoweit die Vermutung des § 476 BGB ein, dass dieser latente Mangel bereits bei Gefahrübergang bestanden hat (Senatsurteile vom 15. Januar 2014 – VIII ZR 70/13, aaO; vom 23. November 2005 – VIII ZR 43/05, aaO; Senatsbeschluss vom 5. Februar 2008 – VIII ZR 94/07, aaO).
(4) Wenn allerdings mehrere Ursachen für den akut aufgetretenen Mangel in Betracht kommen, von denen eine eine vertragswidrige Beschaffenheit begründet, die andere dagegen nicht und nicht aufklärbar ist, worauf der eingetretene akute Mangel beruht, geht dies zu Lasten des Käufers (Senatsurteile vom 15. Januar 2014 – VIII ZR 70/13, aaO Rn. 22; vom 23. November 2005 – VIII ZR 43/05, aaO Rn. 20). Nur wenn beide möglichen Ursachen eine vertragswidrige Beschaffenheit darstellen würden, wäre jeweils davon auszugehen, dass der betreffende Mangel bereits bei Gefahrübergang bestanden hätte, und käme es deshalb auf eine Unaufklärbarkeit, worauf der sichtbar gewordene Mangel beruhte, nicht an (Senatsurteile vom 15. Januar 2014 – VIII ZR 70/13, aaO; vom 23. November 2005 – VIII ZR 43/05, aaO Rn. 19).”
Danach läge kein Mangel bei Gefahrübergang vor, weil der beweisbelastete Käufer nicht nachweisen kann, dass der Getriebeschaden auf einem Materialfehler (Mikrorisse und Pittings) beruht.
c. Rechtsprechungsänderung
§ 476 BGB geht auf Art. 5 III der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie zurück. Im Rahmen eines Streits über die Haftung wegen eines Autobrands hatte der EuGH auf Vorlage eines niederländischen Gerichts im Sommer 2015 Gelegenheit, sich insbesondere zur Auslegung von Art. 5 III der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie zu äußern. Dabei hielt er fest, dass bei Vertragswidrigkeiten, die binnen sechs Monaten nach der Lieferung einer Ware offenbar werden, vermutet wird, dass sie bereits zum Zeitpunkt der Lieferung bestanden. Damit setzte sich der EuGH in Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung des BGH.
Die nationalen Gerichte sind nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgrund des Umsetzungsgebots gemäß Art. 288 III AEUV und des Grundsatzes der Gemeinschaftstreue gemäß Art. 4 III EUV verpflichtet, die Auslegung des nationalen Rechts unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihnen das nationale Recht einräumt, so weit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen. Deswegen nimmt der BGH die Entscheidung des EuGH zum Anlass, seine Rechtsprechung an die Vorgaben des EuGH anzupassen:
„Die mit Urteil vom 4. Juni 2015 (C-497/13, aaO Rn. 69 ff. – Faber) durch den Gerichtshof erfolgte Auslegung des Art. 5 Abs. 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie, der durch § 476 BGB in nationales Recht umgesetzt wurde (BT-Drucks. 14/6040, S. 245), gebietet es, im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung des § 476 BGB den Anwendungsbereich dieser Beweislastumkehrregelung zugunsten des Verbrauchers in zweifacher Hinsicht zu erweitern. Dies betrifft zunächst die – im Vergleich zu der bisherigen Rechtsprechung herabzusetzenden – Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Käufers hinsichtlich des – die Voraussetzung für das Einsetzen der Vermutungswirkung des § 476 BGB bildenden – Auftretens eines Sachmangels innerhalb von sechs Monaten nach Gefahrübergang. Weiter gilt dies für die Reichweite der Vermutung, die über die ihr bisher von der Rechtsprechung zugebilligte Komponente hinaus um ein sachliches Element zu ergänzen ist. An seiner in diesen Punkten abweichenden Rechtsprechung hält der Senat nicht mehr fest.“
(1) Herabsetzung der Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Käufers
„Dies läuft darauf hinaus, dass der Käufer insoweit lediglich den Nachweis einer Mangelerscheinung, also eines mangelhaften Zustands zu erbringen hat, der – unterstellt, er beruhe auf einer dem Verkäufer zuzurechnenden Ursache – eine Haftung des Verkäufers wegen Abweichung von der geschuldeten Beschaffenheit begründen würde (ähnlich Erger, NJ 2015, 405, 406; vgl. auch Rott, EuZW 2015, 560, 561; Ruckteschler, aaO; Sagan/Scholl, JZ 2016, 501, 506; Gsell, VuR 2015, 446, 447; Looschelders, Festschrift 200 Jahre Carl Heymanns Verlag, S. 93, 99, 101).
Zusätzlich hat der Käufer vorzutragen und den Nachweis zu erbringen, dass sich das Vorliegen der in Rede stehenden Vertragswidrigkeit binnen sechs Monaten nach der Lieferung des Guts tatsächlich herausgestellt hat (EuGH, Urteil vom 4. Juni 2015 – C-497/13, aaO Rn. 71 – Faber).
(c) Dementsprechend gebietet die beschriebene Auslegung des Art. 5 Abs. 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie durch den Gerichtshof es entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung, die zur Umsetzung dieser Bestimmung geschaffene Regelung des § 476 BGB im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung der nationalen Vorschrift (vgl. auch Erger, aaO; Heinemeyer, GPR 2015, 179, 182) schon dann eingreifen zu lassen, wenn dem Käufer der Nachweis gelingt, dass sich innerhalb von sechs Monaten ab Gefahrübergang ein mangelhafter Zustand (eine Mangelerscheinung) gezeigt hat, der – unterstellt, er hätte seine Ursache in einem dem Verkäufer zuzurechnenden Umstand – dessen Haftung wegen Abweichung von der geschuldeten Beschaffenheit (§ 434 Abs. 1 BGB) begründen würde. Dagegen muss der Käufer weder darlegen und nachweisen, auf welche Ursache dieser Zustand zurückzuführen ist, noch dass diese in den Verantwortungsbereich des Verkäufers fällt.“
Wortlaut und Entstehungsgeschichte des § 476 BGB stünden dem nicht entgegen:
„Eine solche Auslegung ist vom Wortlaut des § 476 BGB noch gedeckt (vgl. zu diesem Erfordernis Senatsurteil vom 21. Dezember 2011 – VIII ZR 70/08, aaO Rn. 26, 28). Denn die Tatbestandsvoraussetzungen “Zeigt sich innerhalb von sechs Monaten ab Gefahrübergang ein Sachmangel” lassen sich bei weitem Wortverständnis auch dahin interpretieren, dass schon allein das Auftreten eines mangelhaften Zustands, also einer nachteiligen Abweichung von der Sollbeschaffenheit, binnen der vorgesehenen Frist die Vermutungswirkung auslöst.
Auch der Wille des Gesetzgebers steht einer solchen Auslegung nicht entgegen. Ausweislich der Gesetzesmaterialien war der Gesetzgeber bestrebt, § 476 BGB so auszugestalten, dass diese Vorschrift mit Art. 5 Abs. 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie vereinbar ist. Dabei hat er – im Einklang mit der vom Gerichtshof auf Art. 2 Abs. 2 (Vermutung der Vertragsgemäßheit) und auf Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie (Haftung des Verkäufers für jede bei Lieferung bestehende Vertragswidrigkeit) gestützten Beweislastverteilung (EuGH, Urteil vom 4. Juni 2015 – C-497/13, aaO Rn. 52 f., 67 – Faber) – die in § 476 BGB vorgesehene Beweislastumkehr als abweichende Sonderregelung zu den allgemeinen, aus § 363 BGB abgeleiteten Beweislastgrundsätzen aufgefasst (BT-Drucks. 14/6040, S. 81, 245). … Unter diesen Umständen ist von einem Willen des Gesetzgebers zur richtlinientreuen Umsetzung auszugehen.“
(2) Anpassung der Reichweite der Vermutung des § 476 BGB
„Weiter ist aufgrund der Auslegung des Art. 5 Abs. 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie durch den Gerichtshof die Reichweite der Vermutung im Wege der richtlinienkonformen Auslegung des § 476 BGB um eine sachliche Komponente zu erweitern. Im Einklang mit dem vom Gerichtshof Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie zugesprochenen Inhalt kommt dem Verbraucher die Vermutungswirkung des § 476 BGB auch dahin zugute, dass der binnen sechs Monaten nach Gefahrübergang zutage getretene mangelhafte Zustand zumindest im Ansatz schon bei Gefahrübergang vorgelegen hat. Damit wird der Käufer – anders als bisher von der Senatsrechtsprechung gefordert (vgl. oben) – des Nachweises enthoben, dass ein erwiesenermaßen erst nach Gefahrübergang eingetretener akuter Mangel seine Ursache in einem latenten Mangel hat.”
Auch dieser richtlinienkonformen Auslegung stünden Wortlaut und Entstehungsgeschichte nicht entgegen:
„(aa) Der Wortlaut des § 476 BGB lässt eine solche Deutung zu (Lorenz, aaO S. 455; Gsell, aaO S. 451; vgl. auch MünchKommBGB/Lorenz, aaO § 476 Rn. 4; Staudinger/Matusche-Beckmann, BGB, Neubearb. 2013, § 476 Rn. 31).
(bb) Ein dieser Deutung entgegenstehender Wille des Gesetzgebers ist aus den Gesetzesmaterialien nicht herzuleiten. Die Vermutung in Art. 5 Abs. 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie sollte ausweislich der Gesetzesbegründung unverändert übernommen werden (BT-Drucks. 14/6040, aaO). Auf die in der Begründung zum Vorschlag einer Richtlinie (KOM [95] 520 endg., S. 14 = BR- Drucks. 696/96, S. 13) anklingende Beschränkung der Beweislastumkehr auf eine in rein zeitlicher Hinsicht wirkende Vermutung, die der Gerichtshof nicht für ausschlaggebend erachtet hat und auch mit keinem Wort erwähnt (EuGH, Urteil vom 4. Juni 2015 – C-497/13, aaO Rn. 54, 72 ff. – Faber), geht die Gesetzesbegründung nicht ein. Dagegen führt sie das in der Begründung des Vorschlags für eine Richtlinie erwähnte Bedürfnis, beim Verbraucher bestehende Beweisschwierigkeiten zu überwinden, ausdrücklich als Zielsetzung des § 476 BGB an (BT-Drucks. 14/6040, aaO; vgl. auch Senatsurteile vom 11. November 2008 – VIII ZR 265/07, aaO Rn. 15; vom 22. November 2004 – VIII ZR 21/04, aaO; vom 14. September 2005 – VIII ZR 363/04, aaO). Daher ist auch hinsichtlich der vom Gerichtshof Art. 5 Abs. 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie entnommenen Erstreckung der Vermutungswirkung darauf, dass der fristgerecht zutage getretene mangelhafte Zustand in einem früheren Entwicklungsstadium – sei es bloß als ein ihn später auslösender latenter Mangel oder schon als Anfangsstufe des eigentlichen Sachmangels – bereits bei Gefahrübergang vorgelegen hat, ein Wille des Gesetzgebers zur richtlinientreuen Umsetzung anzunehmen.
Die von der Senatsrechtsprechung bislang vorgenommene Unterscheidung zwischen akutem Mangel und latentem Mangel wird damit obsolet (so auch Wagner, ZEuP 2016, 87, 99). Ebenfalls ohne praktische Bedeutung ist die neuerdings im Gefolge der Entscheidung des Gerichtshofs vom 4. Juni 2015 (C-497/13, aaO – Faber) diskutierte Frage, ob die Vermutungswirkung sich nur auf die Anfangsstufe eines später eingetretenen Mangels (so wohl Sagan/Scholl, aaO; Hentschel, EWiR 2015, 541, 542) oder auch einen diesem vorgelagerten Grundmangel erstreckt (MünchKommBGB/Lorenz, aaO; Lorenz, aaO S. 455; Koch, JZ 2015, 834, 837; Gsell, aaO; Ruckteschler, aaO S. 534, 536; Diehl, aaO; Gutzeit, JuS 2016, 459, 461; Wagner, aaO). Denn der vom Gerichtshof gewählte allgemeine Begriff (“im Ansatz”; “in embryonic form”) erfasst aufgrund seines weiten Bedeutungsgehalts beide Fallgestaltungen.“
Danach greift § 476 BGB zugunsten des K ein. Diese Vermutung der Mangelhaftigkeit des BMW im Zeitpunkt des Gefahrübergangs kann V nicht widerlegen (durch einen sogenannten Beweis des Gegenteils, vgl. § 292 ZPO).
d. Zwischenergebnis
Sowohl nach der Grundmangellehre als auch nach der neuen Rechtsprechung des BGH ist zugunsten des K davon auszugehen, dass der BMW im Zeitpunkt des Gefahrübergangs mangelhaft war.
III. Fristsetzung
K hat dem B erfolglos eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt (§ 323 I BGB).
IV. Rücktrittserklärung
K hat den Rücktritt erklärt (§ 349 BGB).
V. Kein Ausschluss
Vertragliche oder gesetzliche Ausschlussgründe (bspw. §§ 442, 323 V 2 und VI BGB) liegen nicht vor.
VI. Gegenrechte des B
B hat seinerseits einen Anspruch auf Rückübereignung des Fahrzeugs (§ 346 I BGB). Das führt zu einer Verurteilung Zug-um-Zug (§§ 348, 320, 322 BGB).
VII. Ergebnis
K steht ein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 16.200 Euro, Zug-um-Zug gegen Rückübereignung des BMW zu.
C. Fazit
Uff. Eine gehaltvolle, praktisch wichtige Entscheidung, der ihre Examensrelevanz auf der Stirn geschrieben steht: Lesebefehl!
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